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A. v. Salzmann

Zwielicht

O Spiel des Tages und der Nacht zugleich;

Traum zweier Seelen, die sich nahe wissen
Und wissen, datz sie sciedeseligem Reich
Bald wieder eigene Einsamkeit entrissen —

Du karge Stunde süßer Einigkeit,

Da wir uns nahe sind und beide geben
Und nicht empfinden unseren ewigen Streit,
Hindrängen eines in das andere Leben:

Du Zwielicht armer Seelen! Kurze Ruh,

Da weiche Schatten harte Stirne baden —

So ewig träumen: Ewig Ich und Du,

Beide nur eines von des anderen Gnaden!

Victor Hardung

Die Entscheidung

von Friedrich Huch

In der Frühe des Novemberniorgens ging ein Mann die
Hauptstraße einer mittleren Provinzstadt abwärts, die Hände in
die Taschen seines elegant geschnittenen Mantels vergraben. Den
Kragen hatte er der Kälte wegen hochgeklappt. Ab und zu
murmelte er ein paar Worte, sein Gesicht sah überwacht, nervös
und blaß aus. — Jemand grüßte laut und untergeben. — Er
blickte rasch und halb erschreckt vom Pflaster auf, erkannte seinen
Zigarrenhändler, der gerade den Laden öffnete, faßte flüchtig an
den Hut und schritt weiter. Gewöhnlich kam der Direktor hier erst
um neun vorbei, wenn er ins Geschäft ging, und dann nahm er
jedesmal eine kleine Schachtel von den feinen, scharfen Zigaretten
mit, die eigens für ihn bestellt rvurden. Heute kam er schon um
acht vorbei und kaufte keine Zigaretten. Der Händler sah ihm
nach und dachte: Nach links biegt er ein? Nach rechts muß er
doch geh'nl Was ist denn heute in ihn gefahren?

Der Direktor schritt weiter, von einer fremden Straße in die
andere, bis er die Peripherie der kleinen Stadt erreichte. Auf der
Brücke, unter der der Fluß dahinzog, zögerte er, dann machte er
unwillkürlich halt und sah hinab.

Hier könnte ich es auch tun — dachte er — dann brauche
ich nicht erst den weiten Weg zu machen bis zum Walde hinaus.

Es sind keine Menschen in der Nähe . . . Gott weiß, was für

Gedanken mir da draußen noch kommen werden . . .

Er sah wieder hinab, und murmelte, um sich selber anzuspor-
nen: ich habe lange genug über alles nachgedacht, um jetzt noch zu

zaudern ...

Er wartete, aber nichts geschah. Er faßte das Geländer mit
beiden Händen an, hob sich aus den Zehenspitzen und zählte lang-
sam in Gedanken bis drei. Sein Herz schlug sehr schnell, ihm war.
als würde er in die Luft gehoben, ein Schwindel faßte ihn . . .
und daun merkte er, daß er noch immer auf demselben Flecke stand.

Wenn er sich nun von hier hinabgestürzt hätte?. . . Er sah
sich im Geiste das Genick brechen, man zog ihn in triefenden Klei-
dern tot ans Land. Was für eine grauenhafte Vorstellung! Man
springt nicht aus einer solchen Höhe herab! Ins Wasser geht man
nicht mit Kleidern! Man zieht sich aus, man wirft sich vom Ufer
her in den Strom hinein, und dann . . . dann muß man eben er-
trinken! — In seinen Gedanken vollzogen sich all diese Hand-
lungen mit großer Schnelligkeit, aber bei der Vorstellung der aller-
letzten nahmen sie eine ganz andere Richtung, als sie sollten: Er
fühlte die Eiseskälte des Wassers, das ihm in viel zu großen
Schlucken in den Mund drang, er sah sich Kämpfen, Kämpfen gegen
den Tod, den er doch suchte. — Ertrinken . .. Wie macht man das?

War denn das Sterben etwas so Widernatürliches, daß das
Leben so heftig dagegen rebellierte, auch wenn es einsah, daß dieses
Sterben notwendig und die einzige Rettung vor dem Leben war?

— --Aber wie, wenn er nun zu gleicher Zeit seine Kräfte ab-

schnitt? Wenn er nachhalf mit jenem kleinen Ding, das er in seiner
Manteltasche trug? . . . Nein, das war doppelt furchtbar, doppelt
gewalttätig, und außerdem: Dieser Fluß war doch von Anfang an
gar nicht in seine Ueberlegungen gezogen! Er hatte doch noch
Zeit! Der weite Gang bis draußen zu dem Wald ... da würde
cs dann sicherlich geschehen, schnell und kurz und ohne weiteres
Besinnen.

Mut muß ich haben, Mut! — So sprach er zu sich selbst,
indem er die Brücke verließ und weiter schritt — nichts dem Zufall
überlassen, alles selber tun! — Er fühlte, daß er sich mit diesen
Worten selbst belog, daß er sein Leben nur aus Feigheit um eine
armselige Stunde verlängern wollte — und sowie er das Wasser

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Alexander v. Salzmann: Aus Ostfriesland
Friedrich Huch: Die Entscheidung
Victor Hardung: Zwielicht
 
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