|rt)licfjimg geschehen, was da drinnen fürchter-
licher Zwang war.
Er zog die Waffe und spannte sie.
Aber wie — wenn hier nun jemand vorbei
kam, ihn noch halb lebendig fand. Hülfe holte
und ihn in diesem Zustand in die Stadt zu-
riickbrachte? Das durfte nicht geschehn! —
Er lauschte angespannt und spähte nach links
und rechts den Weg hinab, lange Zeit.
War das nicht ein Wagen, den er da end-
lich in der Ferne hörte und nicht sah? Dies
bröckelige Geräusch, das näher zu kommen
schien?
Der Wagen näherte sich langsam, leise äch-
zend fuhr er endlich vorüber. Der Bauer, der
ihn leitete, schlief, und wie im Schlaf schienen
die Pferde zu gehn. Wie eine lebendige Er-
scheinung zog das Ganze vorüber, in der spät-
herbstlichen Stille.
Dies war wohl der letzte Mensch, den er
in seinem Leben gesehen hatte. Zug für Zug
seines Gesichtes hatte sich in sein Gedächtnis
eingegraben.
Der Wagen war längst verschwunden, und
noch immer stand der Direktor auf demselben
Flecke. — Sollte er nicht doch zum Walde
gehn? War der Wald nicht sicherer? Hatte
er nicht noch Zeit? — Ich bewege mich in
einem fortwährenden Kreislauf! murmelte er
für sich, hier muß ich bleiben! Ich war doch
vorhin so fest entschlossen! Aber während er
so redete, bewegte er sich schon wieder vorwärts,
erst ein kleines Stück auf dem Seitenpfade hin,
und dann, wieder im Zwiespalt seines Wollens,
in einem Bogen, der weder zum Walde, noch
zur Landstraße zurück führte, sondern zwischen
beide, mitten auf ein Feld. Da blieb er dann
wieder stehn: Dies hatte doch nur überhaupt
keinen Sinn! Was wollte er hier?
Er wandte sich auf den Pfad zurück, schritt
zum Walde und dachte: Es scheint, es muß so
kommen.
Dann lag der Wald dicht vor ihm; lautlos,
tief, geheimnisvoll. Kein Zweig regte sich, alle
Bäume schienen tot, gespenstisch, und doch schie-
nen sie alle miteinander auf ihn gewartet zu
haben. Wie er nun den Fuß setzte in diese öde
Stille, durchschauertc cs ihn.
Er lauschte. DollkommenesSchweigen herrsch-
te hier; nur selten siel ein Tropfen von den
Bäumen, senkrecht zur Erde nieder.
Hier konnte er es tun. — Nein, er war noch
zu nah am Waldesrande, er mußte tiefer in das
Holz hinein, dorthin, wo es keine Wege mehr
gab. — Er ging durch Gebüsch und Sträucher,
und hielt die Ellenbogen an den Leib gepreßt,
denn einige Sträucher hatten Dornen.
Endlich machte er Halt. Kein Wesen war
weit und breit zu sehen, nur ragende, stumme
Bäume, kein Laut war weit und breit zu hören,
er hörte nur sein eigenes Herz, das wie eine
unterirdische Maschine zu seinem Kopfe stamp-
fend hinausdröhnte.
Er machte sich bereit, so wie das erste Mal.
Und dann stand er da, wie ein lebendes Bild,
auf dem Grenzpunkt zweier Welten, versteinert
zwischen Entschluß und Tat. — Gab es denn
nichts, das ihn abermals verhinderte? War
niemand in der Nähe? Es konnte ja nicht
möglich sein, daß dies geschah! Jetzt, wo es
war, als ob das Schicksal schweigend wartete,
ergriff ihn das ganze, fürchterliche, verzweifelte
leere Grauen. Ihm war, als müsse sich eine
Hand auf seinen Arm legen, als müsse eine
Stimme sprechen: „Ich erlöse dich! Dies muß
nicht sein, ich weiß einen anderen Ausweg!" —
Mußte nicht etwas eintreten, das ihn rettete?
Ein Wunder vom Himmel herab? Sollte er
beten? — O wie entsetzlich schwach und feige
er war! — Es hilft ja nichts, es hilft ja nichts!
dies war der einzige Gedanke, den er denken
konnte. — Und diese trostlose Öde um ihn her!
Wie ein Tier sollte er hier zu Boden fallen,
mitten zwischen Sträucher und Gestrüpp! Wo
man ihn vielleicht erst nach Tagen finden würde!
— War es nicht etwas weniger schrecklich, wenn
er einen gebahnten Weg aufsuchte? Das er-
innerte doch wenigstens an Menschen!
Er fühlte wohl, daß er im Grunde nur
nach einem neuen Aufschub suchte, aber er
wollte es nicht fühlen. Und er ging wieder
weiter, kam endlich an eine Waldstraße und
schritt sie abwärts; hier war eine Stelle so
günstig wie die andere, — aber er schritt sie
abwärts.
Kam da nicht ein Mensch?!
Im ersten Augenblick hatte er das Gefühl,
er müsse sich verstecken, dann aber dachte er:
Wozu? I ich würde mich nur verdächtig machen ..
schritt weiter grade aus und sah nicht vom
Boden auf.
„Ah! Herr Direktor?! Nanu?! Was treibt
denn Sie hier in mein Revier hinein?"
Der Direktor hob jäh den Kopf und starrte
in ein Gesicht, das ihm bekannt schien. War
das nicht der alte pensionierte Geheimrat?
„In Ihr Revier?" wiederholte er verständ-
nislos, wie im Traum, und dachte dabei ganz
sinnlos: der will sich also auch das Leben
nehmen.
„In mein Revier!" nickte der alte Geheim-
rat. Jeden Morgen gehe ich hier spazieren,
und deshalb sage ich: Mein Revier! Aber
nun sagen Sie mal, mein lieber Direktor:
Was tun Sie denn hier draußen? Auch spa-
zieren gehen?"
Der Direktor hatte sich inzwischen gefaßt.
Er lächelte: „Ja, ich habe mir heute einen freien
Vormittag gemacht; ich glaube, ich werde das
öfter tun ..." und ihm war, als rede jemand
ganz anderes.
„Nur die Füße warm halten, nur die Füße
warm halten," fuhr der Geheimrat gemütlich
fort: „Ich sehe, Sie haben da viel zu dünnes
Schuhwerk an! Sie können sich den Tod holen
in diesem Walde!"
Der Direktor antwortete hierauf nichts. Das
Leben floß zusammen zwischen Traum und
Wachen. Kerl, packe dich nach Hause! schrie
eine Stimme in ihm, und eine andere flehte:
Bleibe bei mir, so lang du irgend kannst.
Aber der Geheimrat blieb nicht. Er lud den
Direktor zum Frühschoppen in die Stadt ein,
und als er ablehnte, sagte er, dann ginge er
alleine. Darauf verbreitete er sich noch einmal
über Erkältungen, riet ihm, sich im nächsten
Dorf einen heißen Rum geben zu lassen — er
sehe ja ganz blaß aus — und drehte sich gegen
Schluß seiner Erörterungen plötzlich um, indem
er verwundert fragte: „Was ist denn? Was
sehen Sie denn da?"
„Die Bank!" sagte der Direktor ganz mecha-
nisch, aber dann setzte er hinzu: „ich wunderte
mich bloß, daß da mitten im Walde eine Bank
steht!" Und während er so sprach, dachte er:
Dort, auf der Bank da, werde ich es tun.
Es kam ein Abschiedshändedruck, und da-
mit riß sich die letzte Verbindung mit dem Leben
von ihm los. Ihm war, als sei jener Mensch
schon weit fort von ihm, als sich der Geheim-
rat noch einmal umdrehte, mit dem Stock in
den Himmel deutete und rief: „Wir kriegen
Sonne, wir kriegen Sonne!"
Dann war er wieder allein.
Der Geheimrat hatte recht. Der Nebel hob
sich, der Himmel wurde blendend silbern und
endlich brach die Sonne durch. Die Bäume
leuchteten, und tropften stärker.
Der Direktor ging zur Bank und setzte sich
auf ihr äußerstes Ende, dorthin, wo die meiste
Sonne war; ihn fror. Eine ganze Stunde saß
er so.
„Was für ein Feigling bin ich!" — sprach
er endlich; — „was ist es denn, wovor ich solche
Angst habe? Sind es die letzten Schmerzen?
Nein, es ist nur der Moment der Tat! Und
worin besteht dieser Moment? Es ist eine Hand-
lung wie jede andere Handlung, die mich selber
garnichts angeht; die mit mir erst in demselben
Augenblick zu tun hat, wo sie schon vorbei ist.'
licher Zwang war.
Er zog die Waffe und spannte sie.
Aber wie — wenn hier nun jemand vorbei
kam, ihn noch halb lebendig fand. Hülfe holte
und ihn in diesem Zustand in die Stadt zu-
riickbrachte? Das durfte nicht geschehn! —
Er lauschte angespannt und spähte nach links
und rechts den Weg hinab, lange Zeit.
War das nicht ein Wagen, den er da end-
lich in der Ferne hörte und nicht sah? Dies
bröckelige Geräusch, das näher zu kommen
schien?
Der Wagen näherte sich langsam, leise äch-
zend fuhr er endlich vorüber. Der Bauer, der
ihn leitete, schlief, und wie im Schlaf schienen
die Pferde zu gehn. Wie eine lebendige Er-
scheinung zog das Ganze vorüber, in der spät-
herbstlichen Stille.
Dies war wohl der letzte Mensch, den er
in seinem Leben gesehen hatte. Zug für Zug
seines Gesichtes hatte sich in sein Gedächtnis
eingegraben.
Der Wagen war längst verschwunden, und
noch immer stand der Direktor auf demselben
Flecke. — Sollte er nicht doch zum Walde
gehn? War der Wald nicht sicherer? Hatte
er nicht noch Zeit? — Ich bewege mich in
einem fortwährenden Kreislauf! murmelte er
für sich, hier muß ich bleiben! Ich war doch
vorhin so fest entschlossen! Aber während er
so redete, bewegte er sich schon wieder vorwärts,
erst ein kleines Stück auf dem Seitenpfade hin,
und dann, wieder im Zwiespalt seines Wollens,
in einem Bogen, der weder zum Walde, noch
zur Landstraße zurück führte, sondern zwischen
beide, mitten auf ein Feld. Da blieb er dann
wieder stehn: Dies hatte doch nur überhaupt
keinen Sinn! Was wollte er hier?
Er wandte sich auf den Pfad zurück, schritt
zum Walde und dachte: Es scheint, es muß so
kommen.
Dann lag der Wald dicht vor ihm; lautlos,
tief, geheimnisvoll. Kein Zweig regte sich, alle
Bäume schienen tot, gespenstisch, und doch schie-
nen sie alle miteinander auf ihn gewartet zu
haben. Wie er nun den Fuß setzte in diese öde
Stille, durchschauertc cs ihn.
Er lauschte. DollkommenesSchweigen herrsch-
te hier; nur selten siel ein Tropfen von den
Bäumen, senkrecht zur Erde nieder.
Hier konnte er es tun. — Nein, er war noch
zu nah am Waldesrande, er mußte tiefer in das
Holz hinein, dorthin, wo es keine Wege mehr
gab. — Er ging durch Gebüsch und Sträucher,
und hielt die Ellenbogen an den Leib gepreßt,
denn einige Sträucher hatten Dornen.
Endlich machte er Halt. Kein Wesen war
weit und breit zu sehen, nur ragende, stumme
Bäume, kein Laut war weit und breit zu hören,
er hörte nur sein eigenes Herz, das wie eine
unterirdische Maschine zu seinem Kopfe stamp-
fend hinausdröhnte.
Er machte sich bereit, so wie das erste Mal.
Und dann stand er da, wie ein lebendes Bild,
auf dem Grenzpunkt zweier Welten, versteinert
zwischen Entschluß und Tat. — Gab es denn
nichts, das ihn abermals verhinderte? War
niemand in der Nähe? Es konnte ja nicht
möglich sein, daß dies geschah! Jetzt, wo es
war, als ob das Schicksal schweigend wartete,
ergriff ihn das ganze, fürchterliche, verzweifelte
leere Grauen. Ihm war, als müsse sich eine
Hand auf seinen Arm legen, als müsse eine
Stimme sprechen: „Ich erlöse dich! Dies muß
nicht sein, ich weiß einen anderen Ausweg!" —
Mußte nicht etwas eintreten, das ihn rettete?
Ein Wunder vom Himmel herab? Sollte er
beten? — O wie entsetzlich schwach und feige
er war! — Es hilft ja nichts, es hilft ja nichts!
dies war der einzige Gedanke, den er denken
konnte. — Und diese trostlose Öde um ihn her!
Wie ein Tier sollte er hier zu Boden fallen,
mitten zwischen Sträucher und Gestrüpp! Wo
man ihn vielleicht erst nach Tagen finden würde!
— War es nicht etwas weniger schrecklich, wenn
er einen gebahnten Weg aufsuchte? Das er-
innerte doch wenigstens an Menschen!
Er fühlte wohl, daß er im Grunde nur
nach einem neuen Aufschub suchte, aber er
wollte es nicht fühlen. Und er ging wieder
weiter, kam endlich an eine Waldstraße und
schritt sie abwärts; hier war eine Stelle so
günstig wie die andere, — aber er schritt sie
abwärts.
Kam da nicht ein Mensch?!
Im ersten Augenblick hatte er das Gefühl,
er müsse sich verstecken, dann aber dachte er:
Wozu? I ich würde mich nur verdächtig machen ..
schritt weiter grade aus und sah nicht vom
Boden auf.
„Ah! Herr Direktor?! Nanu?! Was treibt
denn Sie hier in mein Revier hinein?"
Der Direktor hob jäh den Kopf und starrte
in ein Gesicht, das ihm bekannt schien. War
das nicht der alte pensionierte Geheimrat?
„In Ihr Revier?" wiederholte er verständ-
nislos, wie im Traum, und dachte dabei ganz
sinnlos: der will sich also auch das Leben
nehmen.
„In mein Revier!" nickte der alte Geheim-
rat. Jeden Morgen gehe ich hier spazieren,
und deshalb sage ich: Mein Revier! Aber
nun sagen Sie mal, mein lieber Direktor:
Was tun Sie denn hier draußen? Auch spa-
zieren gehen?"
Der Direktor hatte sich inzwischen gefaßt.
Er lächelte: „Ja, ich habe mir heute einen freien
Vormittag gemacht; ich glaube, ich werde das
öfter tun ..." und ihm war, als rede jemand
ganz anderes.
„Nur die Füße warm halten, nur die Füße
warm halten," fuhr der Geheimrat gemütlich
fort: „Ich sehe, Sie haben da viel zu dünnes
Schuhwerk an! Sie können sich den Tod holen
in diesem Walde!"
Der Direktor antwortete hierauf nichts. Das
Leben floß zusammen zwischen Traum und
Wachen. Kerl, packe dich nach Hause! schrie
eine Stimme in ihm, und eine andere flehte:
Bleibe bei mir, so lang du irgend kannst.
Aber der Geheimrat blieb nicht. Er lud den
Direktor zum Frühschoppen in die Stadt ein,
und als er ablehnte, sagte er, dann ginge er
alleine. Darauf verbreitete er sich noch einmal
über Erkältungen, riet ihm, sich im nächsten
Dorf einen heißen Rum geben zu lassen — er
sehe ja ganz blaß aus — und drehte sich gegen
Schluß seiner Erörterungen plötzlich um, indem
er verwundert fragte: „Was ist denn? Was
sehen Sie denn da?"
„Die Bank!" sagte der Direktor ganz mecha-
nisch, aber dann setzte er hinzu: „ich wunderte
mich bloß, daß da mitten im Walde eine Bank
steht!" Und während er so sprach, dachte er:
Dort, auf der Bank da, werde ich es tun.
Es kam ein Abschiedshändedruck, und da-
mit riß sich die letzte Verbindung mit dem Leben
von ihm los. Ihm war, als sei jener Mensch
schon weit fort von ihm, als sich der Geheim-
rat noch einmal umdrehte, mit dem Stock in
den Himmel deutete und rief: „Wir kriegen
Sonne, wir kriegen Sonne!"
Dann war er wieder allein.
Der Geheimrat hatte recht. Der Nebel hob
sich, der Himmel wurde blendend silbern und
endlich brach die Sonne durch. Die Bäume
leuchteten, und tropften stärker.
Der Direktor ging zur Bank und setzte sich
auf ihr äußerstes Ende, dorthin, wo die meiste
Sonne war; ihn fror. Eine ganze Stunde saß
er so.
„Was für ein Feigling bin ich!" — sprach
er endlich; — „was ist es denn, wovor ich solche
Angst habe? Sind es die letzten Schmerzen?
Nein, es ist nur der Moment der Tat! Und
worin besteht dieser Moment? Es ist eine Hand-
lung wie jede andere Handlung, die mich selber
garnichts angeht; die mit mir erst in demselben
Augenblick zu tun hat, wo sie schon vorbei ist.'