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„Sie sahen eben diesen Menschen im Couloir Vorbeigehen?"

„Das war ein Geheimpolizist," antwortete der Prinz.

Da meinte der Geistliche leichthin und nur in seinem Blick strahlte
für eine Sekunde der flackernde Glanz einer großen Erregung: „Er
wird mich in Bintimille, sobald wir französischen Boden betreten haben,
verhaften."

Der Prinz drehte sich langsani nach seinem Begleiter um, als
müßte er während dieser Zeit einen Entschluß fassen. Dann fragte
er, nicht ohne Interesse und ganz ungläubig: „Sie sind doch kein
Verbrecher?"

Der andere lächelte etwas hilflos: „Das kommt darauf an, wie
weit Sie diesen Begriff fassen."

Da lachte der Prinz, der offenbar noch der Ansicht war, daß
es sich um einen seltsamen Spaß handle, auf und fragte: „Bitte, sind
Sie wirklich gefährlich? Wenn ja, würde ich während unserer'Unter-
haltung meinen Diener Herüberrufen."

„Seien Sie ohne Sorge," beruhigte ihn der andere, „der Detektiv
steht nebenan im Couloir, ich sehe ihn zwar nicht, aber ich weiß, daß
er dort steht, und daß er bis Bintimille nicht weichen wird."

Die beiden sprachen jeht eine Weile nicht mehr. Prinz Serge!
schien etwas ratlos zu sein. Er war da plöhlich und unvermutet in
einer Lage, in der er sich noch nie befunden hatte. Er fühlte sich dem
Merkwürdigen der Situation fast nicht gewachsen. Sein Blick zuckte
seitwärts. Der andere hatte seine Hände ruhig im Schoße liegen.

,Ein Verbrecher ... ein Verbrecher?' fuhr es durch des Prinzen
Gehirn. Wenn er ein Anarchist wäre, Mitglied eines geheimen poli-
tischen Komplotts? Prinz Serge! wandte noch einmal, jetzt ganz zag-
haft den Blick nach ihm. Er überlegte: ,Der Mensch sitzt mir so
nahe, daß er, selbst wenn er einen Revolver oder sonst ein Mord-
instrument aus der Tasche zu ziehen die Absicht hätte, nicht handeln
könnte.' Wieder maß er mit den Augen die Distanz. Nein, er könnte
nicht handeln. Prinz Serge! hatte unwillkürlich beide Hände zur Faust
geballt.

Als ob er mit einen, genialen Instinkte jeder dieser Überlegungen
gefolgt wäre, sagte der andere: „Seien Sie ohne Sorge, ich bin für
Sie ganz ungefährlich."

Da lächelte der Prinz plötzlich, wie wenn er einen Ausweg ge-
funden hätte: „Denken Sie sich, ich wurde einmal in Paris von
einen, Unterstaatssekretär und einem Detektiv in ein Lokal geführt,
wo nach der Ansicht dieser Herrn lauter Verbrecher waren. Die Herr-
schaften waren sehr stolz mir dieses Milieu zu zeigen. Ist das nicht
komisch? Aber was haben Sie denn verbrochen?" fuhr er fort und
mar, wie um sich zu erleichtern, wieder in seinen ungläubigen Ton
verfallen.

„Erinnern Sie sich," sagte der andere leiser, „daß einer Ihrer
Verwandten, der Großfürstin Anastasie, vor drei Jahren in Ostende
ein Perlenkollier van großem Wert entwendet wurde? Die Sache
machte damals in den Zeitungen viel von sich reden."

„Gewiß, gewiß! Und Sie waren der Dieb?"

„Ja, königliche Hoheit."

„Woher wissen Sie, wer ich bin?" fuhr der Prinz auf, als
ob ihm die Vertrautheit des andern nüt seiner Person erst jetzt nach-
träglich zum Bewußtsein käme.

„Ich sah Eure königliche Hoheit schon wiederholt. Das erste
Mal im Winter 19 . . Es war ani Weihnachtsabend. Eure königl.
Hoheit saß mit Familie im Palmengarten eines Hotels an der Place
Vendome. Ich war damals Reporter eines amerikanischen Blattes
und hatte in jener Nacht durch alle Hotels zu laufen, um die Liste
der fremden Fürstlichkeiten »ach New-Pork zu kabeln."

„Ich möchte Sie bitten," bat jetzt der Prinz mit einer sanften
Überlegenheit, „niich nicht mit meine» Titeln zu benennen. Ich reise
inkognito. Ich nehme ja auch weiter keine Rücksicht auf Ihre Stellung
vor der bürgerlichen Welt. Sonst könnten wir nach den vorigen Dar-
legungen offenbar unser Gespräch nicht fortsetzen."

Der andere zuckte zusammen und verneigte sich ohne zu ant-
worten.

„Warum sind Sie denn nicht Reporter geblieben?" fragte Prinz
Serge! nach einer Weile.

„Weil das ein aussichtsloses Metier ist. Das Talent des Re-
porters liegt nicht im Kopf, sondern in den Beinen. Da wird man
früher oder später ganz natürlich ausrangiert. Ein Rennpferd läuft
ja schließlich auch höchstens ein paar Jahre."

Prinz Sergei lächelte. Der Gedanke schien ihm zu gefallen.
„Und darum sind Sie auf diesen anderen gefährlichen Beruf ge-
kommen?" fragte er.

„Ich gestehe Ihnen zu," äußerte der maskierte Geistliche, „daß
meine Motive, die mich zu allererst in diese abenteuerliche Bahn brachten,
von den Gedanken oder Trieben, die mich darin bleiben ließen, sehr ver-
schieden sind."

Der Prinz horchte auf. Es war ihm angenehm, daß der andere
ruhig, gleichsam objektiv und jedenfalls ohne die deutliche Absicht, einen
Eindruck zu erwecken, von seinem Falle sprach.

Jener fuhr fort: „Ich kann — wie man das in juristischer Sprache
nennt — auch gar keine mildernden Umstände für mich beanspruchen,
denn mit kleinen Diebstählen, die ein Verzweifelter und Bedürftiger
sozusagen aus krasser Not unternimmt, habe ich mich nie beschäftigt.
Ich habe selten in meinem Leben direkt gehungert."

„Woher stammen Sie eigentlich?" unterbrach ihn der Prinz.

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Namenstag der Volksschullehrerin

Nikolaus Bogdanoff-Belsky (Petersburg)
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