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den! Wir wollen uns fragen: was hat der Autor
gemeint, als er sagte, daß —"

Kurz, es beginnt die Debatte.

Sie geht vor sich, während man an einer
Tasse Hellen Tees nippt und dazu an Mandel-
gebäck knabbert.

Die Mehrzahl der Mitglieder ist natürlich da-
für, daß das Stück eine Moral verfechte.

Nur Herr Doktor Beitlich glaubt es seinem
englisch gestutzten Schnurrbart schuldig zu sein,
das zu bezweifeln.

„Ich hatte einmal das Vergnügen, eine Chan-
sonette kennen zu lernen," sagt er, „die —“

„Häm! Häm!" macht Papa Kreibich.

Fräulein Erika Krampf wird rot und ninunt
eine Prise.

Herr Knaute weist durch ein Räuspern auf
sein Organ hin, sein volles, tönendes Organ.

Fräulein Eleonore Bacher erinnert sich, daß
ein Kunstmaler einmal von ihr gesagt hat, sie
sei ein brillanter Akt, und sie zögert daher nicht,
Herrn Doktor Beitlich einen Blick des Einver-
ständnisses zuzuwerfen.

Herr Urbansky schlägt mit der geballten Faust
auf den Tisch und fährt sich sodann mit den
schwarzen Fingernägeln durch die verlausten Haare.

„Ich," schreit er, „ich bin für Freiheit, Gleich-
heit und Brüderlich—!"

Der Mops der Frau Emma Peter bellt ihn
wütend an.

In diesem Augenblick erhebt sich der Obmann,
macht ein Zeichen, streicht sich den große» Boll-
bart und nieint: „Liebwerte Mitglieder," meint
er, „ich bin der Ansicht, daß der Sinn, sozusagen
die Moral, des Stückes die ist, daß —"

Und sofort ist alles still.

Denn er spricht:

Ernst Driefel
Obmann

Hermann Wagner

Wahres Geschichtchen

Ein kleiner Schüler erzählt dem Lehrer, daß
er ein Brüderchen bekommen hat, worauf der Lehrer
zu ihm sagt: „Na, das hast Du doch sicher mit
großer Freude bei seiner Ankunft begrüßt?"

„(D ja," antwortete der Kleine.

„Na, Dein Vater und Deine Mutter doch sicher
auch?"

„Der Vater schon," sagt der Kleine, „aber die
Mutter war noch im Bett gelegen und hat noch
geschlafen."

Mir lSevorzugken

Unser Ungeschick, zu trennen
Wirklichkeit und Phantasie,

Müssen wir das Beste nennen,

Das der Himmel uns verlieh!

Aber auch die schlimmste Marter,

Die uns Beelzebub erdacht —

Denn die Träume leicht Genarrter
Werden Torheit über Nacht.

Sternenfürst im Feuerwagen!

Immer wieder auf dem Mist
Wachst du auf, und darfst nicht klagen,
Weil du ein Poete bist.

Hanns von Gumppcnbeeg

Die Fünfzehnjährige

Sie pflegt das kleine Mündchen aufzusperren,
Blickt sanft und züchtig, wie man fte’s gelehrt,
Und spricht, die Achseln zuckend: „O die Herren!!
Ich hab's erlebt: sie Alle sind nichts wert!"

Sie weiß es längst als Welt- und

Daseinskenner:

Die heut'gen Herrn sind ohne Kraft und Saft!
Doch eingebildet sind sie, diese Männer!!

Ich sage: eingebildet — schauderhaft!

Sie weiß: die jungen Herrn sind lauter Lassen!
Ihr höchster Stolz ist blanke Stiefelwichs!

Und dabei tun sie geistreich, diese Affen,

Und sie verstehn doch Alle, Alle nix!

Sie weiß: die Herrn markieren Geistesblitze,

Tun furchtbar wohlerzogen und gewählt,

Und heimlich wissen sie die schlimmsten Witze!
(Der Vetter Karl hat ihr ein paar erzählt.)

Sie weiß genau: ihr ganzes Ziel am Ende
Ist nur —• oh, diese frechen Kerls! — ein Kuß!
Und ewig diese faden Komplimente!!

Als wär das für ein Weib ein Hochgenuß!

Das Fräulein ist einpört! Sie schmollt. Sic leidet.
Und während sie das stumpfe Nüscheu rümpft,
Weiß sie vor Allem, daß fie’s

reizend kleidet,

Wenn sie so schnippisch auf uns

Männer schimpft!

Karlclicu

Gebrandmarkt

Von Erik Iuel

Schwer war der Heimweg über die Felder
und durch die Wälder nach dem Hof auf deni
hohen Berge droben.

Daniel keuchte, und Iösse keuchte und schlug
sich mit dem Schwanz über den Rücken und die
Seiten, wo Fliegen und Bremsen stachen und
bissen. Bei jedem Gehöft und jedem kleinen Dorf
hielten Daniel und Iösse an, um den Durst zu
löschen — und um von dem großen Ereignis im
Kirchdorf zu erzählen. Und man betrachtete Iösse
und strich ihm über das Merkmal, das das glüh-
ende Eisen ihm auf dem Rücken ins Fell ge-
brannt hatte, daß es schlimmer schmerzte, als der
schlimmste Bremsenstich mit heißesten Sommertag
— und alle bewunderten Iösse und das einge-
brannte Merkmal des ersten Preises mit der
Krone und der Jahreszahl.

Und Iösse ging seine Ehrenstraße, heim zur
Sennhütte hoch oben auf dem Berge.

Iösse war nun Preisstier, und jeder Bauer
nannte ihn mit Stolz Vater der Kälber seines
Hofs — und man handelte bei Daniel Iösses
Mannheit ein, die nun viel Geld wert war —
er war ja der erste Preisstier in dem ncuge-
gründeten Verein der Landwirte jener Gegend.

Und man bestellte Iösse zu Hochzeitsfahrten
auf die Höfe rings. — Und Daniel notierte —
er verzeichnete die Bestellungen. — Datum, Zeit
und Ort. Und Iösse schlug mit dem Schwanz
und käute wieder, ohne eine Ahnung zu haben
von den vielen Schäferstunden, die Daniel auf
seine Rechnung in dem Buch anzeichnete.

Weiter ging es den schweren Weg bergauf.
Daniel schwirrte der Kopf vor Grübeleien. —
Daniel war jung und breit und kräftig — wie
Iösse — und wenn sie nebeneinander den Berg
hinabgingen nach dem Kirchdorf zum Preisgericht
und zum Schöffengericht — waren sie sich in
jeder Beziehung fast gleich.

Preisgericht und Schöffengericht — an dem-
selben Tage! — Erst Preisgericht. Einer Nach-
kommenschaft von fünfzig Stück im Jahr konnte
Iösse sich rühmen.

Und Iösse wurde beguckt, und Iösse wurde
bewundert, und Iösse bekam die Prämie. Iösse
wurde gelobt und man gestattete ihm hundertund-
fünfzig Hochzeiten für das nächste Jahr. Und
Daniel erhielt fünfzig Kronen als Prämie für
Iösses Fähigkeit, Kinder in die Welt zu setzen —
und das war der Lichtpunkt des Tages.

Dann war Schöffengericht — und da galt es
Daniel.

Zwei Bauernmädchen, die lahme Stina und
die rote Greta, standen vor dem Richterstuhl und
wiegten jede ein kleines Bündel hin und her —
und rings auf den Bänken saßen die Leute aus
der Gegend und Neugierige vom Preisgericht.
Und Daniel wurde vorgerufen — und Daniel
wurde angeglotzt — und Stina und Greta wiegten
ihre kleinen Bündel hin und her, aus denen man
ein Piepsen und ein schwaches Schreien vernahm,
so daß Daniel abwechselnd rot und blaß wurde.

Und der Richter ermahnte, und der Richter
sprach von Moral und Pflicht, von der Lust
des Fleisches und von sündigen Begierden, von
Kummer und Schande und Unzucht, und von
dem, was man, wie es in der Bibel steht, nicht
soll. Und Daniel stand vor dem ganzen Dorf
gebrandmarkt als Urheber dieser beiden kleinen
Früchte — der Ernte des Jahres.

Und Daniel bezahlte — mit denselben vier
neuen Scheinen — zwei an Greta, zwei an Stina

(Schluß auf Seite 484 b)

484
Register
Ferdinand Staeger: Illustration zum Text "Die Fünfzehnjährige"
Hanns Theodor Karl Wilhelm Frh. v. Gumppenberg: Wir Bevorzugten
Erik Juel: Gebrandmarkt
Karlchen: Die Fünfzehnjährige
 
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