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Weltgebieter läßt den gefangenen Merfeldt rufen.
Er warnt vor Rußland, das allein profitieren
werde, sendet Handschreiben an den Schwieger-
vater, worin er auf der Gemütsgeige spielt. Ach,
er sollte den guten Kaiser Franz! doch besser
kennen, den eiskalten Pedanten des Legitimis-
mus, den gemütlichen Erztyrannen alten Stils,
dem dieser Revolutionskaiser in tiefster Seele
verhaßt.

Nutzlos verstreicht der Tag. Im Mondschein
zieht sich das Frankenheer enger um Leipzigs
Mauern zusammen. Doch Stabschef Berthier
verhindert sogar rechtzeitiges Abfahren des Trains,
übersetzt Napoleons Direktive, neue Brücken über
die Elster zu schlagen, in keine bestimmten Be-
fehle. Das sähe ja nach Rückzug aus und wer
darf Gott Napoleon so etwas zumuten! Da ginge
ja die Welt unter, ein Naturwunder! Im ganzen
Heer denkt nur er selbst an Rückzug.

Nachdem sein Prestige-Stolz einen Tag ver-
geudet, sieht sein unumwölkter Realismus das
Unabwendliche. Um 4 Uhr früh weckt er den
schnarchenden Ney und erörtert ihm die Lage,
um 5 besichtigt er das Rückzugsdefilee bei Lin-
denau, schiebt Bertrand und Mortier voraus,
um Giulay aus den Weg zu scheudern und die
Straße freizumachen. Um 11 schiebt er die Trains
ab, mittags bespricht er sich mit Murat an einem
brennenden Gehöft und bereitet die Geschützlinie
Drouots, die schon gewaltig erdröhnt.

Im Westen stürmen schon lange die Öster-
reicher, im Norden donnert Blücher näher heran..
Abends in tiefem Dunkel erlischt die Völker-
schlacht. Einer gegen zwei haben die Franzosen
sich behauptet, nur Blücher und Bülow drückten
Ney etwas zurück. Doch an weiteren Widerstand
ist nicht zu denken, die Munitionskoffer sind ge-
leert, die Truppen aufs äußerste erschöpft. Napoleon
nickte am Biwakfeuer ein, in das eine verirrte
Kanonenkugel hineinschlägt. Halbträumend wie
ein Nachtwandler erhob er sich und warf einen
verwunderten Blick auf den Kreis seiner düster
brütenden Generale.

Mit unwandelbarer Ruhe diktierte er die
Ordnung des Rückzugs. In Leipzig brannten
die ganze Nacht in seinem Kabinett die Kerzen,
er arbeitete gelassen an Staatsgeschäften. Fürst
Poniatowski, den vorgestern erworbenen Mar-
schallstab in der Hand, schwor ritterlich: „Wir
Polen sind alle bereit, für Sie zu sterben." Er-
wirb sein Idol nie Wiedersehen, verschlungen von
den Fluten der Elster.

Gleichgültig ritt der Imperator in unschein-
barem grauem Rock zu Leipzigs Toren hinaus,
an die schon der Sturmbock der Preußen und
Russen prallte.

„Wer ist der kleine Bürgersmann, der dort
über die Brücke voraus will? Halt!" General
Chateau erstarrte. „Mein Gott, Se. Majestät!"

Hinter dem gleichmütig Dahinschlendernden,
der ab und zu ein Riechglas zur Nase führt.

weil ihn der Geruch von Schweiß und Blut be-
lästigt, gellt der Kampflärm, gellt der Knall der
Brückenexplosion. Napoleon wendete sein Pferd
und warf einen letzten Blick. Er schaute auf
Deutschland, und Deutschland schaute auf ihn. In
Lüften rauschten Fittiche der Nemesis, sie werden
ihn umrauschen noch auf öder Insel im Welt-
meer, wenn Orkan die Weiden an seinem Grabe
knickt und sein Fieberdelirium verröchelt: „An
der Spitze der Armee!"

„Heut vor einem Jahr jagten wir sie aus
Moskau!" prahlte der geckenhaft mit dem
Schlachtentod kokettierende Zar den Westpreußen
zu, als sie in Probstheidas Hölle drangen.

Wir? Wer? Die Elemente, der General
Winter. Und auch jetzt besiegte ihn das Ele-
mentare, der General Völkerfrühling.

Als die Schlesische Landwehr auf Planchenois
Kirchhof die Bärenmützen der Alten Garde mit
Kolben zerschlug, da war es ein Sinnbild: den
abtrünnigen Vollstrecker der französischen Revo-
lution konnte nur Ebenbürtiges fällen, der Ger-
manenzorn einer deutschen Revolution. Den ge-
krönten Jakobiner stürzte der Iakobinerstaat, wie
Zar und Metternich das damalige Preußen nann-
ten. Dies war die Auferstehung des Geistes
deutscher Nation.

Rast-Tag

Manöverschlacht durch regengraue Fluren!

Nach kalter Nacht im nassen Ackerfeld,

Vom Speck der Scholle starrend die Monturen,
Rückt ins Quartier der knochenmüde Held.

Und plötzlich ist das stille Dorf am Flusse
Durchsurrt vom Käferschwarm der Batterien:
Vom Wälde her walzt sich in zähem Gusse
Der matte Heerwurm grauer Kompagnien —
Die alte Brücke bebt von Rad und Tritten;
Verdrossen hangt der Hauptmann auf dem Roß,
Stabs-Ordonnanzen, glüh von scharfen Ritten,
Fliegen dahin an Batterie und Troß,

Und Gaul und Mann, schiebt sich's mit

feuchten Blicken

Und langem Hals am Fassungsort vorbei
Und denkt mit nassen Kiefern an das Picken
Und an die Liegestatt auf warmer Streu.

Der Leutnant hat zu seiner hellen Freude
Am Gasthaus einen Drudenfuß entdeckt:
„Kasino" prangt es dort in fetter Kreide —
Sein Geist träumt hold, und was er träumt,

heißt Sekt

?au1 Rieth (München)

Seht nur, wie sich das Pfarrhaus kriegsfroh brüstet!
Das Ortskommando hat dort Posten stehn,

In dessen Waffentrutz Hochwürden rüstet
Die Predigt für den Sonntag durchzugehn.

Da kamsts ja gut auf eure Schädel blitzen,
Verehrte Hammeln, wenn des Pfarrherrn Mund
Gewetzt am Glanz von Säbeln und Haubitzen
Euch donnernd schmeißt in grimmen Höllenschlund.

Kühl weht die Dämmrung. — Und an allen Türen,
Am Maibaum, der die Brücke übersteigt.
Wittert das Kriegsvolk, ob nicht zum poussieren
Dem Herzen sich 'was Langgehaartes zeigt.
Beim obern Wirt preßt sich's in Schlachtkolonnen,
Was einen Klingklang noch im Beutel trug,
Dom Dampf der Knaster mächtig übersponnen,
Mit krummen Buckeln übern frischen Krug.

In niedren Stuben hockt im Dochtgefunkel
Kriegsgast und Bauer um den Abendtisch:

Die Runzelköpfe der Gescheerten dunkel,

Die braunen der Soldaten rund und frisch.
Hellfestlich glänzt es vom „Kasino" nieder,

Als hätte sich des Leutnants Traum erfüllt;
Und da und dorten schweben herbe Lieder
Wie später Vogelflug durchs Nachtgefild.

Ein Haus nur hält sich still im Ampergrunde
Mit seinen Fünf vom Königsregiment —

Dort schläft ein blasses Kind mit starrem Munde,
Zu dessen Haupt die Totenkerze brennt.

Die fünf Soldaten dämpfen Schritt und Worte
Und einer hat sich still davongemacht
Und breitet frisches Tanngrün an die Pforte,
Das er ermüdet noch vom Wald gebracht.

Im Dorf geht die Patrouille ihre Runde,

Und pirscht das letzte Sumpfhuhn in sein Nest,
Die müde Turmuhr zögert dumpf die Stunde,
Als hielten sie verschlungne Hände fest.

Bald löscht das Dunkel die verschlafnen Lichter
Die Stimmen und die heißen Augen aus,

Und Gier und Leben drängt sich atmeyd dichter
Und enger sinkt ins Finstre Hof und Haus.

Beim leisen goldnen Glanz der Leichenkerzen
Starrt aufgeschreckt die Bäuerin in die Nacht
Mit irrem Blick und traumzerrissnem Herzen
Und lauscht und meint, ihr Kindchen sei erwacht.

Huirold
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Paul Rieth: Illustration zum Text "Rast-Tag"
Hunold: Rast-Tag
 
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