Horen
Es schöpfen die Horen
Aus rollenden Strömen,
Sie gleiten libellen-
Geflügelt darüber
Und schwingen die Eimer
In bebenden Händen.
Dir ward nicht Zeit
Die Lippen zu letzen,
Das Herz zu stillen,
Es schwanken die Eimer
Bon einer zur andern
Hinauf, hinauf . . .
Wohl dem, der flüchtig
Die Finger netzte,
Ihm spiegelt die Sonne
Kristall in die Hand.
Alfred Henschke
Sie war nicht wie die andern Hände,
die blind und seelenlos geboren werden. Diese
Hand war wie ein denkendes, mitfühlendes
Wesen und wurde wegen ihrer Schönheit
geliebt, um dieser selbst willen geliebt, bei-
nahe wie ein Mensch. Wunderbar zärtlich,
tröstete, segnete sie, ballte sich nie zur Faust.
Und trug niemals Ringe. Und wenn sich
diese empfindsame Frauenhand für Augen-
blicke in die meine legte, war es wie ein
Souvenir. Eines, das plötzlich fröhlich stimmte
und mich immer glauben ließ, diese Hand
müsse in den Himmel kommen, wenn es
einen gab.
Bis irgend einer, den sein Finderglück
nicht edler gemacht hatte, auf ihre Finger
Ringe steckte, Ringe mit laut glitzernden
Steinen. Selbstgefällig schwätzten diese Steine,
überschrieen die Hand, wie ein Dominant-
akkord ein einfaches, liebes Thema, ließen
sich umschmeicheln und begehren.... Und
wenn sich jetzt jemand über diese Hand
beugte, sie küßte, um ihr seine Ehrerbietung
zu bezeigen, fühlte die verwirrte Frauenhand,
daß es nicht mehr die alte Liebe war. . .
Zu häufig schon sprach man von den Rin-
gen, — nur selten noch von dem zierlichen
Linienklang, der in diesen Fesseln lag: und
vergaß ihn endlich ganz.
Verwundert litt die Hand, grämte sich
nach leisen, unerhörten Zärtlichkeiten und
legte winzige Kummerfältchen an. Aber nie-
manden rührte das, niemand sah dieses
Leid, wurde darüber traurig oder wagte es
zu sagen —
Da verzweifelte dieselastmüde kleine Hand,
die wie verwunschen war, wurde steif, bis
in die Fingerspitzen kalt und förmlich, wie
tausend andere Hände auch.
Und die Steine strahlten.
Leo Singer
Burger-Mülilfeld
Tag und Nacht
Mit seinen goldenen Speeren
Tötet der junge Tag
Die lautlos träumende Nacht,
Siegt über Land und Meer.
Mit seinen purpurnen Lippen
Küßt am Abend der Tag
Die Füße der jungen Nacht,
Schenkt ihr sterbend sein Reich.
Wilhelm lUemm
Einzug
Von Emil Lucka
Den ganzen Vormittag gingen die Männer
über den steilen kiesigen Weg auf und nieder,
sie hoben unendlich viele Dinge von den Wagen
herab und trugen alles auf gebeugtem Rücken
bis ins Haus. Auf der Diele stand die junge
Frau — sie hatte eine große helle Schürze vor-
gebunden — und wies ihnen den Weg. „Die
Kiste hinauf, ins Arbeitszimmer rechts! — Den
Tisch hier unten, bitte!"
„Gott sei Dank!" brummten die beiden riesigen
Kerle, denn der Eichentisch lag heiß auf ihnen,
und setzten ihn ab.
„Aber nein! Nicht hier! Ins Zinnner doch
natürlich!"
Die junge Frau war ganz rot — was fiel
den Leuten ein, den Tisch auf der Diele nieder-
zusetzen? Die durfte doch nur mit den neuen
bequemen Stühlen umrandet sein! O wie dumm
waren doch diese Menschen! — Aber die Männer
waren nicht ungehalten, sie lachten sogar und
spuckten sich in die Hände und nahmen den Tisch
wieder auf. So angenehm war ihnen noch kein
Umzug gewesen.
Im oberen Geschoß, das ganz aus Holz ge-
zimmert war, schaltete der Mann und hals da
und dort selber rücken. Da merkte er erst, wie
schwach er war!
Die Kinder des Dorfes standen gaffend um
die Wagen: bis ein Knabe nach einem Bund
Besen griff und ihn mutig hinauf brachte. Mit
freundlichem Nicken wurde er empfangen und zur
Küche geschickt. Der Knabe war rot vor Eifer
und lief wieder hinab, und nun kamen andere
Kinder mit ihm und trugen Krüge und eine
neue glitzernde Gießkanne. Die junge Frau strich
ihnen schnell durchs Haar und zeigte, wo sie alles
hinsetzen müßten: so drangen sie in das geheimnis-
volle Haus ein und sahen die schöne breite Holz-
treppe und die blanke Küche und den Vorrats-
raum. Auf dem Rückweg schoben sie sich schnell
in ein Zimmer: das war dunkelgrün von oben
bis unten! Sie stießen sich an und liefen mit
schlenkernden Armen, uni neues zu holen. Ein
ganz kleines Mädchen schleppte einen Blumen-
topf, die Frau nahm ihn selber und trug ihn
die Stiege hinauf. Neben ihr trippelte das Kind.
Im Erkerzimmer nahm sie es küssend vom Boden.
„Wie heißt Du denn?"
Aber das Kind schien es selber nicht zu wissen.
Nachmittag waren die kahlen Mauern ein
Heim für zwei Menschen geworden. Zwischen
Wald und Weinberg lag das Haus in tiefer
Stille. Sie standen im Erker neben dem Näh-
tischchen und schauten übers Land hin bis zu den
fernen Nebeln.
„Unser Haus!" flüsterte sie und lehnte sich
an seine Schulter. Ums Fenster blühten die
Blumen, ein eigener Raum war für sie eingebaut,
sie hatten Wasser bekomnren und dufteten froh
in die warme Luft. Ein schillernder kleiner Käfer
saß im Balsaminenstock. Sie neigte sich nieder.—
„Der ist nicht mit gekommen! Der ist von
hier!"
Da tat er seine Flügel auf — sie waren leuch-
tendes grünes Gold — und flog zwischen ihnen
hindurch ins Zimmer. Er summte auf und nieder
und es war wie ein fernes leises Lied, das aus
schattigen Büschen zum Wald hin geht. . .
Das Lied verstummte. „Wir wollen sehen,
wo er geblieben ist!" sagte er und trat über die
beiden Stufen ins Zinnner hinab — auf ihrem
Kopfkissen lag ein goldiger Punkt. — „Sieh
doch!" — Lächelnd nickte sie. Dann wies er
hinüber: „In diesem Bett werde ich sterben!"
„Und ich hier!"
Aber sie lachten, denn sie glaubten noch nicht
recht ans Sterben.
Umschlungen traten sie durch die Tür. Das
große weiße Zimmer war kahl, nur ein uralter
Schubfachschrank machte sich wichtig. Der Mann
zog die obere Lade heraus — sie ging mit Knarren
— und sah fragend auf.
„Ja, das muß noch leer bleiben," sagte sie
und dann mit einem Blick gegen die Fenster:
„Ist es nicht zu düster hier?"
„Aber wir wollten doch die Morgensonne!
Und jetzt ist es Nachmittag!" — Da nickte sie
ihm ins Aug.
Leicht und glatt gingen die Hände über das
breite Stiegengeländer. Unten blieb die Frau
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Es schöpfen die Horen
Aus rollenden Strömen,
Sie gleiten libellen-
Geflügelt darüber
Und schwingen die Eimer
In bebenden Händen.
Dir ward nicht Zeit
Die Lippen zu letzen,
Das Herz zu stillen,
Es schwanken die Eimer
Bon einer zur andern
Hinauf, hinauf . . .
Wohl dem, der flüchtig
Die Finger netzte,
Ihm spiegelt die Sonne
Kristall in die Hand.
Alfred Henschke
Sie war nicht wie die andern Hände,
die blind und seelenlos geboren werden. Diese
Hand war wie ein denkendes, mitfühlendes
Wesen und wurde wegen ihrer Schönheit
geliebt, um dieser selbst willen geliebt, bei-
nahe wie ein Mensch. Wunderbar zärtlich,
tröstete, segnete sie, ballte sich nie zur Faust.
Und trug niemals Ringe. Und wenn sich
diese empfindsame Frauenhand für Augen-
blicke in die meine legte, war es wie ein
Souvenir. Eines, das plötzlich fröhlich stimmte
und mich immer glauben ließ, diese Hand
müsse in den Himmel kommen, wenn es
einen gab.
Bis irgend einer, den sein Finderglück
nicht edler gemacht hatte, auf ihre Finger
Ringe steckte, Ringe mit laut glitzernden
Steinen. Selbstgefällig schwätzten diese Steine,
überschrieen die Hand, wie ein Dominant-
akkord ein einfaches, liebes Thema, ließen
sich umschmeicheln und begehren.... Und
wenn sich jetzt jemand über diese Hand
beugte, sie küßte, um ihr seine Ehrerbietung
zu bezeigen, fühlte die verwirrte Frauenhand,
daß es nicht mehr die alte Liebe war. . .
Zu häufig schon sprach man von den Rin-
gen, — nur selten noch von dem zierlichen
Linienklang, der in diesen Fesseln lag: und
vergaß ihn endlich ganz.
Verwundert litt die Hand, grämte sich
nach leisen, unerhörten Zärtlichkeiten und
legte winzige Kummerfältchen an. Aber nie-
manden rührte das, niemand sah dieses
Leid, wurde darüber traurig oder wagte es
zu sagen —
Da verzweifelte dieselastmüde kleine Hand,
die wie verwunschen war, wurde steif, bis
in die Fingerspitzen kalt und förmlich, wie
tausend andere Hände auch.
Und die Steine strahlten.
Leo Singer
Burger-Mülilfeld
Tag und Nacht
Mit seinen goldenen Speeren
Tötet der junge Tag
Die lautlos träumende Nacht,
Siegt über Land und Meer.
Mit seinen purpurnen Lippen
Küßt am Abend der Tag
Die Füße der jungen Nacht,
Schenkt ihr sterbend sein Reich.
Wilhelm lUemm
Einzug
Von Emil Lucka
Den ganzen Vormittag gingen die Männer
über den steilen kiesigen Weg auf und nieder,
sie hoben unendlich viele Dinge von den Wagen
herab und trugen alles auf gebeugtem Rücken
bis ins Haus. Auf der Diele stand die junge
Frau — sie hatte eine große helle Schürze vor-
gebunden — und wies ihnen den Weg. „Die
Kiste hinauf, ins Arbeitszimmer rechts! — Den
Tisch hier unten, bitte!"
„Gott sei Dank!" brummten die beiden riesigen
Kerle, denn der Eichentisch lag heiß auf ihnen,
und setzten ihn ab.
„Aber nein! Nicht hier! Ins Zinnner doch
natürlich!"
Die junge Frau war ganz rot — was fiel
den Leuten ein, den Tisch auf der Diele nieder-
zusetzen? Die durfte doch nur mit den neuen
bequemen Stühlen umrandet sein! O wie dumm
waren doch diese Menschen! — Aber die Männer
waren nicht ungehalten, sie lachten sogar und
spuckten sich in die Hände und nahmen den Tisch
wieder auf. So angenehm war ihnen noch kein
Umzug gewesen.
Im oberen Geschoß, das ganz aus Holz ge-
zimmert war, schaltete der Mann und hals da
und dort selber rücken. Da merkte er erst, wie
schwach er war!
Die Kinder des Dorfes standen gaffend um
die Wagen: bis ein Knabe nach einem Bund
Besen griff und ihn mutig hinauf brachte. Mit
freundlichem Nicken wurde er empfangen und zur
Küche geschickt. Der Knabe war rot vor Eifer
und lief wieder hinab, und nun kamen andere
Kinder mit ihm und trugen Krüge und eine
neue glitzernde Gießkanne. Die junge Frau strich
ihnen schnell durchs Haar und zeigte, wo sie alles
hinsetzen müßten: so drangen sie in das geheimnis-
volle Haus ein und sahen die schöne breite Holz-
treppe und die blanke Küche und den Vorrats-
raum. Auf dem Rückweg schoben sie sich schnell
in ein Zimmer: das war dunkelgrün von oben
bis unten! Sie stießen sich an und liefen mit
schlenkernden Armen, uni neues zu holen. Ein
ganz kleines Mädchen schleppte einen Blumen-
topf, die Frau nahm ihn selber und trug ihn
die Stiege hinauf. Neben ihr trippelte das Kind.
Im Erkerzimmer nahm sie es küssend vom Boden.
„Wie heißt Du denn?"
Aber das Kind schien es selber nicht zu wissen.
Nachmittag waren die kahlen Mauern ein
Heim für zwei Menschen geworden. Zwischen
Wald und Weinberg lag das Haus in tiefer
Stille. Sie standen im Erker neben dem Näh-
tischchen und schauten übers Land hin bis zu den
fernen Nebeln.
„Unser Haus!" flüsterte sie und lehnte sich
an seine Schulter. Ums Fenster blühten die
Blumen, ein eigener Raum war für sie eingebaut,
sie hatten Wasser bekomnren und dufteten froh
in die warme Luft. Ein schillernder kleiner Käfer
saß im Balsaminenstock. Sie neigte sich nieder.—
„Der ist nicht mit gekommen! Der ist von
hier!"
Da tat er seine Flügel auf — sie waren leuch-
tendes grünes Gold — und flog zwischen ihnen
hindurch ins Zimmer. Er summte auf und nieder
und es war wie ein fernes leises Lied, das aus
schattigen Büschen zum Wald hin geht. . .
Das Lied verstummte. „Wir wollen sehen,
wo er geblieben ist!" sagte er und trat über die
beiden Stufen ins Zinnner hinab — auf ihrem
Kopfkissen lag ein goldiger Punkt. — „Sieh
doch!" — Lächelnd nickte sie. Dann wies er
hinüber: „In diesem Bett werde ich sterben!"
„Und ich hier!"
Aber sie lachten, denn sie glaubten noch nicht
recht ans Sterben.
Umschlungen traten sie durch die Tür. Das
große weiße Zimmer war kahl, nur ein uralter
Schubfachschrank machte sich wichtig. Der Mann
zog die obere Lade heraus — sie ging mit Knarren
— und sah fragend auf.
„Ja, das muß noch leer bleiben," sagte sie
und dann mit einem Blick gegen die Fenster:
„Ist es nicht zu düster hier?"
„Aber wir wollten doch die Morgensonne!
Und jetzt ist es Nachmittag!" — Da nickte sie
ihm ins Aug.
Leicht und glatt gingen die Hände über das
breite Stiegengeländer. Unten blieb die Frau
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