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Das mit Lilien und Orchideen ganz über-
schüttete Gemach, in das Czentorski eingetreten
war, verdunkelte sich langsam vor seinen Blicken.
Eine unsichtbare Hand schien »nt Bedacht eine
Kerze nach der anderen auszulöschen. Die großen
Gemälde führten jetzt ini Halbdunkel der ver-
dämmernden Wände ihr zitterndes, schwingendes
Leben. Czentorski sah eine heroische Landschaft
in ein fließendes Dunkel gleiten; ihm war, als
habe sich ein Auge im Unmut gebrochen und mit
dem schützenden Lid bedeckt.

In den, Palais des Kunsthändlers hatten
sich niit einer beinahe schrecklichen Innigkeit viel
Meisterwerke aus Jahrtausenden angesammelt.
Immer, wenn Czentorski dieses Haus besuchte,
wurde er von dem beängstigenden Gedanken er-
griffen, dieser Bau werde sich einstmals brüllend
der Last seiner Schönheit entäußern müssen und
in der geisterhaft schweigenden Straße, seiner in-
neren Kraft beraubt, zusammenbrechen wie ein
gewaltiges mythisches Tier.

Gaston Flinsberg streckte Czentorski langsani
die rechte Hand hin, die so heiß war, daß der
Besuchende einen Schmerz zu verspüren glaubte.

„Hab' die Ehre, Herr Graf, guten Abend.
Wir hatten bereits die Hoffnung aufgegeben, Sie
bei uns zu sehen, Herr Graf Czentorski."

„Ich habe mich verspätet, aber ich sehe, ich
bin immer noch der Erste," entgegnete Czentorski,
ging auf Angelina Flinsberg zu und verneigte
sich vor ihr. Er bemerkte nicht, daß Angelina
weder die Augen öffnete noch ihm die Hand zum
Gruß und zum Kuß reichte, so befangen war ihm
mit einem Mal zu Mut geworden. Der Duft
in diesem mit kranken Blumen überladenen Rauni
raubte ihm jede Einsicht.

„Was reden Sie da, Herr Graf, wenn Sie
sagen, Sie sind der Erste? Entschuldigen Sie,
Erlaucht, aber Sie scheinen zu träumen!"

Er nahm Czentorski beim Arm, wandte sich
der leeren Luft zu und sprach:

„Fürstin, — Graf Czentorski bittet um den
großmüchtigen Vorzug, sich mit Ew. Durchlaucht
bekannt machen zu dürfen. Sie werden sich schon
verstehen, Sie sind ja beide Aristokraten!"

Er zog Czentorski fort, ging mit ihn: guer
durch das Gemach und sprach abermals in ein
leeres Nichts die Worte:

„Hier, liebe Hedwig, bringe ich Dir den Herrn
Grafen Adam Czentorski. Als Kinder habt ihr
oft miteinander gespielt. Jetzt bist du verheiratet
und er Königskürassier, jetzt könnt ihr nicht mehr
spielen."

llnb abermals nahm er Czentorski beim Arni
und sprach, nah an dem Ort, an deni seine Frau
mit Unbeweglichkeit verweilte, wie in eine
Gruppe von Unterhaltenden hinein:

„Ich bin ein alter Mann, gnädige
Frau, und habe mein Leben lang gear-
beitet, aber heute muß man der jungen
Generation Platz machen."

Er zeigte bei diesen Worten auf Czen-
torski und lachte dabei. Czentorski glaubte
mit körperlicher Deutlichkeit einen Gift-
Hauch zu gewahren, der sich über Gaston
Flinsbergs herabhängende Unterlippe er-
goß. Was ihir aber mit eineni tieferen
Grauen erfüllte als dieses, war eine Be-
obachtung, die er an sich selbst anstellen
mußte: nämlich, daß er willenlos diese
Komödie der Täuschung mitspielte. Kaum
hatte Flinsberg die Worte gesprochen
„Entschuldigen Sie, Erlaucht, aber Sie
scheinen zu träumen", als er sich bereits
in einen schmerzhaften Traumzustand ver-
setzt fand.

In der Tat verneigte er sich des
öfteren in die blinde Luft hinein und zu
Hedwig sprach er die Worte: „Ja, gnä-
dige Frau, es ist lange her, daß wir uns
nicht gesehen haben." Er wußte sehr wohl,
wer mit dieser Hedwig gemeint war, nie-
mand anders als die Tochter eines Po-

sener Getreidehändlers, seine Iugendgeliebte. Von
ihr aber wandte er seinen Blick zu Angelina Flins-
berg zurück und da er sie sah, die mit ausgebreiteten
Arnien und hingebend geschlossenen Augen an der
Wand lehnte, glaubte er, sie sei von ihrem Manne
in einen tödlichen Schlaf versenkt worden nnb könne
dennoch durch eine unbegreifliche Magie sich auf-
recht erhalten. Ein tiefer Schmerz, wie er ihn
nie zuvor gekannt halte, nahm ihn gefangen, aber
er fühlte sich zu seinem Gram ganz in Gaston
Flinsbergs Bann und Gewalt und von ihm zur
Tatenlosigkeit verurteilt.

Jetzt klatschte Gaston Flinsberg in seine kleinen
fetten Hände und rief fröhlich, mit kreischender,
schnaufender Stimme:

„Zu Tisch, meine Herrschaften, zu Tisch, es
gibt endlich etwas zu essen!"

Von unsichtbaren Händen wurden die Türen
geöffnet, und Czentorski sah eine geisterhafte Ge-
sellschaft, aus Luft gebildet, paarweis in den Eß-
saal strömen. Gaston Flinsberg verbeugte sich
und schritt mit gerundetem Arni, im lebhaften
Gespräch voraus.

Czentorski trat vor Angelina Flinsberg hin.

„Angelina!"

Angelina Flinsbergs Lippen öffneten sich wie
int Schlaf.

„Mein Süßer. . ."

„Schläfst du, Angelina?"

„Mein Süßer, icl> schlafe nicht, aber bald wer-
den wir beide in einen ewigen Schlaf versenkt
sein."

Czentorski ergriff ihre Hätide und küßte sie.

„Oeffne doch deine Augen, Angelina. Man
wird über uns sprechen; das ist es doch, was du
immer gefürchtet hast, — daß die Menschen mit
bösen Zungen über uns sprechen könnten!"

„Wer wird in Zukunft attders als mit Trä-
nen über uns sprechen, mein Süßer?"

„Wer wird mit Tränen über uns sprechen,
Angelina?" wiederholte Czentorski befangen.
„Werden wir denn sterben müssen?"

„Der Weit! ist vergiftet," flüsterte Angelina
erregt, wie ein Kind, das ein Geheimnis aus-
plaudert, „aber ich warne dich nicht, vott ihtti zu
kosten, denn so werden wir unserer Leidettschaft
erliegen. . . Ach Czentorski, ich liebe dich, ich
liebe dich!"

Die Hellen Vokale in ihreit Worten trium-
phierten: „Ach, Czentorski, ich liebe dich, ich
siebe dich!"

Gaston Flinsberg stand plötzlich neben ihnen.
Er hatte sich seine Serviette mit de» Hals ge-
bunden, und sein Kinn war fett von dem Saft
der genossenen Krebse. Er stemmte die Fäuste
in die Hüften.

„Angelina, mein Lieb!" rief er bebend vor
Entrüstung und hämisch zugleich, „hast Du nicht
bemerkt, daß man in meinem Hause seit einer
halben Stunde zu Tisch sitzt?"

Er packte Angelina am Arm.

„Möchtest du dich jetzt gefälligst zu meinen
Gästen bequemen, mein Lieb, ja?"

Angelina schlug eigentümlich schnell und fröh-
lich die Augen auf. Die wundervoll freie und
große Hand legte sie auf Czentorskis Arm, der,
erschüttert von Gastons Flinsbergs Roheit, docl>
in seiner Verwirrung ganz wehrlos, Angelina mit
sich fortzog.

Sie betraten den Eßsaal. Es war eine Tafel
für hundert Personen gedeckt.

Zwischen Lilien in silbernen Basen und lose
dahingestreuten gelben Orchideen setzten Wind-
hunde aus weißem Porzellan zum Sprunge an,
wollten die Tafel entlangjagen oder blickten sich
mit heftig zurückgeworfenen Köpfen nach den
säumigeren Genossen um. Weiße Reiter auf weißen
Rossen, die sich bäumten, jagten die Meute ihrer
Leidenschaften mit Peitschenhieben vor sich her,
und glorreich erhob sich über der Tafel die gött-
liche Diana selber, das Sinnbild der vollkommen-
sten Bewegung.

Gaston Flinsberg saß an der Schmalseite der
Tafel, wohl dreißig Gedecke weit von ihm ent-
fernt hatte Czentorski, mit Angelina Flinsberg
zu seiner Rechten, de» ihm angewiesenen Plag
eingenommen. Ein einziger Diener, eben derselbe,
der Czentorski im Korridor empfangen hatte,
reichte dieser Schar der Gäste die Speisen hin,
beugte sich mit blutlosem Gesicht zu den leeren
Stühlen, verharrte einige Sekunden, bis man
sich seiner Schüsseln bedient hätte, in der gebück-
ten Haltung und wandte sich alsdann dem Geister-
nachbarn zu.

Angelina sprach angeregt, mit frischen Gebär-
den, zu ihrem Tischherren.

„Denken Sie an, Graf, ich bin tiefunglücklich,

— meine Polopferde sind krank geworden, sie
haben sich sänitlich an Little Lloyd angesteckt!
Trinken Sie mit mir zu ihrer Ehre und Gesund-
heit, aber —" Angelina lachte üppig, mit einer
sinnlichen Grausamkeit in den goldbraunen Augen

— „trinken wir mit leeren Gläsern, Czentorski!"

Sie ergriffen Gläser, die ohne Inhalt waren,

stießen sie klingend aneinander und ließen die ent-
zückten Lippen lange Zeit an dem unbefeuchtete»
Rand des Glases haften.

Gaston Flinsberg warf, Brot und Krebse
kauend, in eine Unterhaltung ein, die man ihm
zur Linken geführt haben mußte (und eine Stille
schien sich unter den Gästen auszubreiten,
um den Worten des gewaltigen Kunst-
händlers zu lauschen):

„Ich glaube nicht, meine Herrschaften,
ganz unter uns gesagt, — unberufen übri-
gens ! — daß mit Lislöt noch viel Ge-
schäfte zu machen sind. Unberufen übri-
gens, meine Herrschaften, denn ich habe
mich selbst bekanntiich, da etwas engagiert."

Er lachte breit und großmäulig, —
vielmehr er schien in ein Gelächter, welches
durch einen witzigen und schmeichelhaften
Zwischenruf hervorgerufen war, behaglich
miteinzustimmen.

„Schad't nichts, ich schwimme immer
oben, meine Herrschaften, das liegt in
der Rasse."

Als sich ihm jetzt ein peinliches Schwel-
gen bemerkbar machte, wandte er sich mit
lauterer Stimme seiner Tischnachbarin zu:
„Ja, Ew. Durchlaucht, ich habe mein
Leben lang, wie gesagt, - gearbeitet, um
meine Frau heiraten zu können. Als ich
noch so ein kleiner Junge war, also sagen
wir fünfzehn Jahre, und meine Frau drei,
da war das scl>on mein höchstes Ideal:
meine Frau einmal heiraten zu können.
Ich hatte keinen Sous, großmüchtige

„Nun, Grcgoditsch, hast du schon gezahlt?" — „Nein, Bruder; du?"
— „Ich auch nicht!" — „Nn, worauf warten wir denn?"

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Henry Bing: Anfrage
 
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