Eigen
— — I» meinem Traum bin ich noch reich
und rein! — —
— — Was seht Ihr de»»?-Die Fratze,
tie Grimasse! — —
Den falschen Gruß und meine Tracht der Gasse
In Red' und Art, im Denken, Tun und
Sei»! — —
Ich ziehe brav au einem wackeru Pfluge
Und sorge, daß die Furche möglichst grad
-Und daß mein vorschriftsmäßiger Lebenspfad
Frei bleib' von offenkundigem Betrüge.
Ich bin mit Euch und gröhl' mit Eurer Lust
Und wünsche jedem Biedermann das Beste;
Viel Wert leg' ich darauf, mit weißer Weste
Vor Euch zu stehn, auf stolz gewölbter Brust!
Ich tu' wie Ihr, daß Ihr mich ja nicht tadelt!
Mein höchstes Ziel: daß Ihr zufrieden seid
Mit meinem Leben, meinem Wort und Kleid!
Durch Euer Lob gar fühl' ich mich geadelt!!
Und wenn Ihr nickt itud sagt: „So ist es recht!"
— Wie bin ich glücklich daun und
hochzufrieden!-
Wenn ich in nichts von Euch mich unterschieden,
Nennt Ihr mich treu und wahr, famos und echt;
— — So soll es sein!-Wonach ich
sonst noch trachte.
Ist in ein von je und soll's für immer sein.-
- I» meinem Traum bin ich »och reich
lind rein! •-
— — Was geht's Euch an, wie tief ich
Euch verachte?!
Friedrich Wolf
Von lllap Dinglcr
Jeder, der mit dem Kopf arbeitet, kennt das
Stadium, in dem man nimmer kann, in dem man
aussetzen muß, um wieder neues geistiges Arbeits-
futter ankristallisieren zu lassen. Zumeist tritt
dieses Stadium an der Grenze von Winter und
Frühling ein. Und wenn's darüber halt gar nicht
richtig Frühling werden will, wird man miß-
mutig und schließlich krank.
Ich war in jenen Zustand eingetreten, in dem
man mißmutig und schließlich krank wird, mrd
beschloß irgendwo hinzufahreu, wo man sich in
die echte, aufrichtige, unzweideutige Sonne legen
kann.
Bozen — o je! Genau so kalt und naß wie
bei uns. Torbole — auch nicht besser. Je lang-
samer aber andere lebendige Dinge in solchem
Wetter reifen, desto schneller reifte in mir der
Entschluß: Süditalien! Und wenns da regnet:
Sizilien! Und wenns da auch noch regnet:
Ägypten! Und wenns da — na, alles, was recht ist!
Am Ostersonntag mittag fuhr ich von Tor-
bole weg, am Montag in der Früh war ich in
Rom. 'Auf der nächtlichen Fahrt baute ich mir
den Schwur aus: Italien hat diesmal überhaupt
EI86 Melirle
keine Museen, keine Bilder, keine Kunst, Italien
ist überhaupt nur ein Land mit Sonne. Sonne
einschließlich ihrer unmittelbaren Derivate, als:
der gute Wein, die schönen Frauen, die reifen
Orangen, die blühenden Lauri.
In Rom hatte ich sie schon, die wunderbare,
kräftige Sonne, einschließlich ihrer unmittelbaren
Derivate. Aber zugleich hätte ich mich hier der
Gefahr ausgesetzt, meinen kulturgehässigen Schwur
ziemlich bald zu brechen. Also weiter! Italien
heißt weder Benozzo Gozzoli noch Michel Agniolo,
weder Leo noch Augustus.
Capri war das, was ich wollte. Drei Wochen
lag ich hier unter blühenden Eukalypten und
Limonen, auf ausgeschwemmten Felsen, die mir
zum Daunenpolster wurden, weil sie sich für das
Schuhwerk der deutschen Malerinnen und malen-
den Amerikanerinnen als viel zu rauh und kantig
erwiesen.
Da sah ich von der Tragara zu den Farag-
lioni, den beiden gewaltigen Steinen, die auf dem
stillen, blauen Meere stehen wie auf einer unge-
heuren Schüssel von Lapis Lazuli. Oder ich legte
mich zwischen die lilienschlauken Asphodelen am
Arco naturale, blinzelte in die Sonne und fragte:
„Nun, wer von uns beiden hat recht behalten?"
Oder ich saß zwischen den Agaven, von wo man
die steilen Abstürze des Solaro und die südliche
Marina bis an den Seehorizont mit einem ein-
zigen Blick umarmen kann. Unterdessen bereitete
die Costantina in ihrer „Käsekneipe" einen treff-
lichen Scorfalo, oder Artischocken, oder sonst was
Gutes, mit dem sich kein Hotelfraß messen kann.
So fließen in dieser konzentrierten Natur die
Tage dahin, man kann's nicht fassen, wie. Ich
glaube dem Maler, der mit mir bei der Co-
stantina aß, gern, was er mir erzählte. Der war
seinerzeit für zwei Tage nach Capri gekommen,
und ist nun schon zweiundzwanzig Jahre lang
da. Capri ist eine Sirene. Man muß besondere
Mittel anwenden, ihren Lockungen zu entgehen,
oder — einmal gefangen — sich wieder aus ihren
Armen zu reißen.
Das habe ich auch getan. In aller Früh,
dieweil die Sirene Capri noch schlief und ihre
Reize nicht im Sonnenlicht spielen lassen
konnte, stieg ich unter Blitz und Donner auf
den Dampfer und fuhr davon. Mutig war
das nicht. Aber es war die einzige Rettung.
Sonst wären mir vielleicht auch 22 Capri-
Jährchen gar schnell vergangen.
Und drüben mir Festland, zwischen Sorrent
und Massa, legte ich mich vor der Heimfahrt
noch einmal unter einen blühenden und früchle-
tragendcn Pomeranzenbaum und schielte nach
der Insel Sirene hinüber, der ich so odysseisch
klugfeig entgangen war. Und spielte mit den
Gedanken an ihre Reize.
Als dieses Spiel in Philosophie ausarten
wollte und ich auf die Betrachtung verfiel,
wie verschieden doch die Menschen es an-
packen, mit solch einem sonnigen Stück Insel
in Beziehung zu treten, da kam mir die —
Blaue Grotte in den Sinn, die wahrscheinlich
von allen Dingen auf Capri im Bädeker die
meisten Sterne hat. Und ich habe sic nicht
gefehlt! Obwohl jeden Morgen der Dampfer
die Fremden-Massen dorthin schaffte und
Dutzende von Barken zu dem gleichen Zweck
bereit lagen. Obwohl — kurz: obwohl man
sie gesehen haben muß.
Ich freute mich, meinen Schwur so stramm
gehalten zu haben, daß ich selbst die „Blaue
Grotte", die im weiteren Sinn auch in die Ka-
tegorie „Museen" gehört, gemieden hatte. Nein,
offengestmtdeir, ich habe über all den stillen Schön-
heiten von Capri regelrecht auf sie vergessen!
Mag sein, daß ich zweiuudzwanzig Jahre lang
auf sie vergessen hätte. Was sind auch zwei-
undzwanzig Jahre für die stillen Schönheiten von
Capri? Die 150 Jahre, will sagen 20 Tage, die
ich auf der Insel verlebte, waren wie eine Se-
kunde. —
Von Sorrent fuhr ich schnell, in drei Tagen,
wieder nach Hause. Kaum war die bayrische
Grenze passiert, traf ich in der Eisenbahn den
ersten Bekannten.
„Was, in Capri war'» S'? Da war ich
auch schon."
„So?"
„Ja, gell, 's Faßbier am Mittwoch nnd Sams-
tag abend im Hiddigeigei!"
Davon wußte ich gar nichts. Doch unter-
drückte ich meine Verlegenheit und entschuldigte
mich danrit, daß ich in Italien nur Wein zu
trinken pflege. Und dachte mir: Er wird mich
doch hoffentlich noch irgend was andres fraget:.
Richtig. Nach einiger Zeit fängt er wieder
an: „So, so, in Capri warnS'? No, da warn
S' natürlich auch in der Blauen Grotte?"
Ich mußte auch das verneitietr und erweckte
bei meinem Landsmann den Eindruck, als ob
ich ein abgefeimter Schwindler und überhaupt
gar nicht in Capri gewesen wäre. Das war
keine angenehme Situation. Ich atmete auf, als
ich in meiner Heimat ankam und deir Zug rurd
den Landsmann verlassen konnte.
Alles will von Capri hören, und ich erzähle
auch sehr gern davon. Aber leider mache ich die
Beobachtmrg, daß für viele „Capri" überhaupt
keine Insel, sondern eine blaue Grotte ist. Und ich
Armer bin berufen, diese Illusion zu zerstören!
Ich erzähle von den Felsetr, dem wunderbar
stillen, edlen Meer, den blühenden Blumen, den
Orangen, die ich vom Baum gegessen, von den
hübschen Capreserinnen, wie reizend sie sich kleiden
und benehmen, rurd schauen und sprechen, von
der Costantina, die langsam aber trefflich kocht.
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— — I» meinem Traum bin ich noch reich
und rein! — —
— — Was seht Ihr de»»?-Die Fratze,
tie Grimasse! — —
Den falschen Gruß und meine Tracht der Gasse
In Red' und Art, im Denken, Tun und
Sei»! — —
Ich ziehe brav au einem wackeru Pfluge
Und sorge, daß die Furche möglichst grad
-Und daß mein vorschriftsmäßiger Lebenspfad
Frei bleib' von offenkundigem Betrüge.
Ich bin mit Euch und gröhl' mit Eurer Lust
Und wünsche jedem Biedermann das Beste;
Viel Wert leg' ich darauf, mit weißer Weste
Vor Euch zu stehn, auf stolz gewölbter Brust!
Ich tu' wie Ihr, daß Ihr mich ja nicht tadelt!
Mein höchstes Ziel: daß Ihr zufrieden seid
Mit meinem Leben, meinem Wort und Kleid!
Durch Euer Lob gar fühl' ich mich geadelt!!
Und wenn Ihr nickt itud sagt: „So ist es recht!"
— Wie bin ich glücklich daun und
hochzufrieden!-
Wenn ich in nichts von Euch mich unterschieden,
Nennt Ihr mich treu und wahr, famos und echt;
— — So soll es sein!-Wonach ich
sonst noch trachte.
Ist in ein von je und soll's für immer sein.-
- I» meinem Traum bin ich »och reich
lind rein! •-
— — Was geht's Euch an, wie tief ich
Euch verachte?!
Friedrich Wolf
Von lllap Dinglcr
Jeder, der mit dem Kopf arbeitet, kennt das
Stadium, in dem man nimmer kann, in dem man
aussetzen muß, um wieder neues geistiges Arbeits-
futter ankristallisieren zu lassen. Zumeist tritt
dieses Stadium an der Grenze von Winter und
Frühling ein. Und wenn's darüber halt gar nicht
richtig Frühling werden will, wird man miß-
mutig und schließlich krank.
Ich war in jenen Zustand eingetreten, in dem
man mißmutig und schließlich krank wird, mrd
beschloß irgendwo hinzufahreu, wo man sich in
die echte, aufrichtige, unzweideutige Sonne legen
kann.
Bozen — o je! Genau so kalt und naß wie
bei uns. Torbole — auch nicht besser. Je lang-
samer aber andere lebendige Dinge in solchem
Wetter reifen, desto schneller reifte in mir der
Entschluß: Süditalien! Und wenns da regnet:
Sizilien! Und wenns da auch noch regnet:
Ägypten! Und wenns da — na, alles, was recht ist!
Am Ostersonntag mittag fuhr ich von Tor-
bole weg, am Montag in der Früh war ich in
Rom. 'Auf der nächtlichen Fahrt baute ich mir
den Schwur aus: Italien hat diesmal überhaupt
EI86 Melirle
keine Museen, keine Bilder, keine Kunst, Italien
ist überhaupt nur ein Land mit Sonne. Sonne
einschließlich ihrer unmittelbaren Derivate, als:
der gute Wein, die schönen Frauen, die reifen
Orangen, die blühenden Lauri.
In Rom hatte ich sie schon, die wunderbare,
kräftige Sonne, einschließlich ihrer unmittelbaren
Derivate. Aber zugleich hätte ich mich hier der
Gefahr ausgesetzt, meinen kulturgehässigen Schwur
ziemlich bald zu brechen. Also weiter! Italien
heißt weder Benozzo Gozzoli noch Michel Agniolo,
weder Leo noch Augustus.
Capri war das, was ich wollte. Drei Wochen
lag ich hier unter blühenden Eukalypten und
Limonen, auf ausgeschwemmten Felsen, die mir
zum Daunenpolster wurden, weil sie sich für das
Schuhwerk der deutschen Malerinnen und malen-
den Amerikanerinnen als viel zu rauh und kantig
erwiesen.
Da sah ich von der Tragara zu den Farag-
lioni, den beiden gewaltigen Steinen, die auf dem
stillen, blauen Meere stehen wie auf einer unge-
heuren Schüssel von Lapis Lazuli. Oder ich legte
mich zwischen die lilienschlauken Asphodelen am
Arco naturale, blinzelte in die Sonne und fragte:
„Nun, wer von uns beiden hat recht behalten?"
Oder ich saß zwischen den Agaven, von wo man
die steilen Abstürze des Solaro und die südliche
Marina bis an den Seehorizont mit einem ein-
zigen Blick umarmen kann. Unterdessen bereitete
die Costantina in ihrer „Käsekneipe" einen treff-
lichen Scorfalo, oder Artischocken, oder sonst was
Gutes, mit dem sich kein Hotelfraß messen kann.
So fließen in dieser konzentrierten Natur die
Tage dahin, man kann's nicht fassen, wie. Ich
glaube dem Maler, der mit mir bei der Co-
stantina aß, gern, was er mir erzählte. Der war
seinerzeit für zwei Tage nach Capri gekommen,
und ist nun schon zweiundzwanzig Jahre lang
da. Capri ist eine Sirene. Man muß besondere
Mittel anwenden, ihren Lockungen zu entgehen,
oder — einmal gefangen — sich wieder aus ihren
Armen zu reißen.
Das habe ich auch getan. In aller Früh,
dieweil die Sirene Capri noch schlief und ihre
Reize nicht im Sonnenlicht spielen lassen
konnte, stieg ich unter Blitz und Donner auf
den Dampfer und fuhr davon. Mutig war
das nicht. Aber es war die einzige Rettung.
Sonst wären mir vielleicht auch 22 Capri-
Jährchen gar schnell vergangen.
Und drüben mir Festland, zwischen Sorrent
und Massa, legte ich mich vor der Heimfahrt
noch einmal unter einen blühenden und früchle-
tragendcn Pomeranzenbaum und schielte nach
der Insel Sirene hinüber, der ich so odysseisch
klugfeig entgangen war. Und spielte mit den
Gedanken an ihre Reize.
Als dieses Spiel in Philosophie ausarten
wollte und ich auf die Betrachtung verfiel,
wie verschieden doch die Menschen es an-
packen, mit solch einem sonnigen Stück Insel
in Beziehung zu treten, da kam mir die —
Blaue Grotte in den Sinn, die wahrscheinlich
von allen Dingen auf Capri im Bädeker die
meisten Sterne hat. Und ich habe sic nicht
gefehlt! Obwohl jeden Morgen der Dampfer
die Fremden-Massen dorthin schaffte und
Dutzende von Barken zu dem gleichen Zweck
bereit lagen. Obwohl — kurz: obwohl man
sie gesehen haben muß.
Ich freute mich, meinen Schwur so stramm
gehalten zu haben, daß ich selbst die „Blaue
Grotte", die im weiteren Sinn auch in die Ka-
tegorie „Museen" gehört, gemieden hatte. Nein,
offengestmtdeir, ich habe über all den stillen Schön-
heiten von Capri regelrecht auf sie vergessen!
Mag sein, daß ich zweiuudzwanzig Jahre lang
auf sie vergessen hätte. Was sind auch zwei-
undzwanzig Jahre für die stillen Schönheiten von
Capri? Die 150 Jahre, will sagen 20 Tage, die
ich auf der Insel verlebte, waren wie eine Se-
kunde. —
Von Sorrent fuhr ich schnell, in drei Tagen,
wieder nach Hause. Kaum war die bayrische
Grenze passiert, traf ich in der Eisenbahn den
ersten Bekannten.
„Was, in Capri war'» S'? Da war ich
auch schon."
„So?"
„Ja, gell, 's Faßbier am Mittwoch nnd Sams-
tag abend im Hiddigeigei!"
Davon wußte ich gar nichts. Doch unter-
drückte ich meine Verlegenheit und entschuldigte
mich danrit, daß ich in Italien nur Wein zu
trinken pflege. Und dachte mir: Er wird mich
doch hoffentlich noch irgend was andres fraget:.
Richtig. Nach einiger Zeit fängt er wieder
an: „So, so, in Capri warnS'? No, da warn
S' natürlich auch in der Blauen Grotte?"
Ich mußte auch das verneitietr und erweckte
bei meinem Landsmann den Eindruck, als ob
ich ein abgefeimter Schwindler und überhaupt
gar nicht in Capri gewesen wäre. Das war
keine angenehme Situation. Ich atmete auf, als
ich in meiner Heimat ankam und deir Zug rurd
den Landsmann verlassen konnte.
Alles will von Capri hören, und ich erzähle
auch sehr gern davon. Aber leider mache ich die
Beobachtmrg, daß für viele „Capri" überhaupt
keine Insel, sondern eine blaue Grotte ist. Und ich
Armer bin berufen, diese Illusion zu zerstören!
Ich erzähle von den Felsetr, dem wunderbar
stillen, edlen Meer, den blühenden Blumen, den
Orangen, die ich vom Baum gegessen, von den
hübschen Capreserinnen, wie reizend sie sich kleiden
und benehmen, rurd schauen und sprechen, von
der Costantina, die langsam aber trefflich kocht.
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