Hugo v. Habermann (München)
„Auf der Insel Capri hat im Jahre 1826 der deutsche Dichter
Kopisch die —"
„Schweig, Lausbub!" brüll ich, „was geht denn das dich an?!
Ist denn euch Rangen gar nichts mehr heilig? Ein deutscher Dichter
kann doch schließlich tun, was er mag!"
So ging s weiter. Alle Augcnblicke hatte ich einen neuen Streit.
Bei Tage fragte mich jedes mit Sprache begabte Wesen nach der
Blauen Grotte; bei Nacht, in fürchterliche» Träumen, drohte mir das
ganze himmelblaue Glump über dem Kopf zusannnenzubrechen und
mich vermöge seiner Schwere in dem ekelhaft blauen Wasser zu ersäufen.
Ich schloß mich immer mehr von der Welt ab. Zugeherin, Brief-
träger, Kohlenmann — dieses unangenehme Sonnensurrogat brauchte
ich richtig auch wieder! — und Zeitungsfrau waren die einzigen
Menschen, die ich zu sehen kriegte. Bald hatten sie alle nacheinander
heraus, daß ich einen Monat auf Reisen war, weit, weit weg, da wo
der Papst wohnt und noch weiter. Denn ich plauderte doch auch
wieder ganz gern mit diesen schlichten, von der Kultur noch nicht ver-
pesteten Menschen. Aber kaum entschlüpft mir das Wort „Capri",
versetzt ntir auch schon der Kohlenmann den Schlag: „So, so, in der
Blauen Grotte?"
Und die Zeitungsfrau, die Kardinalratschen, sagt am andern
Tag: „Sag» & amal, Herr Dokta, is denn dös Capri wirkli
so blau?"
Allmählich zitterte ich vor dem Wort „blau". Mein Arbeits-
zimmer mußte ich meiden, da ich cs voriges Jahr mühsam und eigen-
händig mit blauem Rupfen bespannt hatte. Und sollte doch arbeiten,
denn blauniachen war ja noch schlimmer für mich. Einen Eis-Ber-
käufer, der vor meinem Fenster das Lied pfiff: „O du himmelblauer
See", beschüttete ich mit Wasser. Das bayrische Eisenbahnkursbuch
ließ ich in rotes Leder binden wie die zarteste Lyrik.
Ich wurde elender und elender. Der Erholungsfond von der
Reise war längst nufgebrnucht. Nervenärztliche Behandlung wurde
notwendig. Auf einem Rezept, das der Arzt mir verordnete, fiel
mir links unten die Bemerkung auf: „Nicht in blauer Packung aus-
händigen!"
Der raffinierte Psychopath hatte sich nicht etwa geheimer
Chiffern bedient, denn er war von der Unleserlichkeit seiner Hand-
schrift überzeugt. Ich entzifferte die geschmacklose Bemerkung aber
doch und war aufs neue erbost, weil ich mich nicht gern frozzeln lasse.
Heute trug ich das Rezept in die Apotheke.
„Ah," begrüßt mich der Apotheker, „auch wieder da, Herr
Doktor? Hab's schon gehört, daß Sie auf Capri waren. Sagen
Sic mal, wie ist das eigentlich? Da ninnnt das Sonnenlicht, das
in die Grotte eintritt, wenn id) recht unterrichtet bin, erst den Weg
durch das Wasser und wirft —"
Es trat mir der Schaum vor die Lippen. Id> drückte dnrd>
Zisdilnute und heftige Armbewegungen meine völlige Uninteressiertheit
an diesem physikalischen Problem aus und rannte davon.
Jetzt reicht's.
Morgen früh 8 Uhr 20 geht ein Nord-Süd-Expreßzug ab, mit
dem id> übermorgen vormittag 10 Uhr 40 in Neapel bin. Bon da
habe iri) Dampferanschluß nach Capri. Die Sirene soll mir diesmal
iiirijt gefährlich werden. Ich werde die Insel gar »iri)t betreten, sondern
vom Dampfer weg mit einer Barke direkt in die — na ja! In
längstens fünf Tagen bin id) wieder hier. Dann soll ein herrliches
Leben beginnen! Und erzählen will id) euch, stundenlang, so viel
ihr wollt.
Audi von der größten Sehenswürdigkeit Capris, von der wir
fd)on auf der Schulbank lernten, daß der deutsche Dichter Kopisch sie
im Jahre 1826 entdeckt, oder genauer: wiederentdeckt hat.
vom Capriwein — aber das ist alles uninteressant, and) bin id) nicht
kompetent, weil id) nid)t in der Blauen Grotte war.
Kinder, id> war aber dod) in einer Grotte. Sie ist zwar »id)t
so groß wie die blaue, aud> »id)t so blau, deshalb heißt sie die „Grüne
Grotte", sie ist au der Südküste der Insel von dem ruhelosen Meer
allmählid) in die Felsmauer hineingcfreffen worden; mid) liegt sie
abseits vom Frcmdentrubel, und wenn das Wasser gegen die Wände
sthlägt, so donnert es, daß die Canzonen des junge» Fischers in dem
Getöse untergehn. —
Hilft nichts. Id) finde kein Gehör. Allmählid, fange id) selber
an zu zweifeln, ob id, denn überhaupt etwas von Capri gesehn und
genossen habe.
Um diese blöden Zweifel zu verjagen und meinen sd)önen
Glauben wiederzugewinnen, besd)ließc id) erwadisenen Leuten gar
iiidjts mehr von meiner Reise zu sagen, sondern und) au die Kinder
zu halten. Denen kan» man dod) noch unbefangen und wiedererlebend
in die märchensüchtigen Augen hineinerzählen.
„Also," fang id> au, „id; bin gewesen auf einer Insel im Meer,
und die heißt Capri. Bon der habt ihr wohl noch nie gehört?"
„Dod,!" sd)reit so ein kleiner Racker und fängt an sihulmäßig
herunterzuleiern:
Lreikusi-Kkizzen
Bon Svcn8 FIcuron (Kopenhagen)
l. Hrucötkarkeit
Hoch ging die See zur Herbstzeit.
Der Sturm peitschte das Wasser zusammen in Fjorden und
Wicken; cs stieg und stieg, bis zu drei Fuß über de» täglichen Stand.
Im Winter spülte dann das Hochwasser hinauf über Strand-
parzellen und Genieiuwiesen — bis der Dcid> das Tosen mäßigte,
die Wogen vom Ackerland fernhielt, daß die fruchtbare Erdschicht
nid)t verschlammt, der Roggen nicht bmd) Salz vergiftet würde:
„Unantastbar im Spiel, was auf dieser Seite des Striches liegt!"
Aber die Strandkresse draußen, der Wermut und das Maß-
liebchen nrußten sid) selber helfen ... die Wellen schlugen und saugten
an sid), verwickelten alles in Seegras und Tang und führten die
Stichlindschwärme zu neuen Revieren, über unbekanntes Land.
Die behenden Fisd,d)en warfen die Schwänze, spielten mit den
Flossen zwischen treibenden Würmern, Insekteneiern und Larven.
Jetzt in> Frühling geht die See zurück
Schmaler und sd)>naler werden dieRillen, tiefer und tiefer steht
das Wasser der kleinen Seen-bald sind nur noch Pfützen übrig.
„Auf der Insel Capri hat im Jahre 1826 der deutsche Dichter
Kopisch die —"
„Schweig, Lausbub!" brüll ich, „was geht denn das dich an?!
Ist denn euch Rangen gar nichts mehr heilig? Ein deutscher Dichter
kann doch schließlich tun, was er mag!"
So ging s weiter. Alle Augcnblicke hatte ich einen neuen Streit.
Bei Tage fragte mich jedes mit Sprache begabte Wesen nach der
Blauen Grotte; bei Nacht, in fürchterliche» Träumen, drohte mir das
ganze himmelblaue Glump über dem Kopf zusannnenzubrechen und
mich vermöge seiner Schwere in dem ekelhaft blauen Wasser zu ersäufen.
Ich schloß mich immer mehr von der Welt ab. Zugeherin, Brief-
träger, Kohlenmann — dieses unangenehme Sonnensurrogat brauchte
ich richtig auch wieder! — und Zeitungsfrau waren die einzigen
Menschen, die ich zu sehen kriegte. Bald hatten sie alle nacheinander
heraus, daß ich einen Monat auf Reisen war, weit, weit weg, da wo
der Papst wohnt und noch weiter. Denn ich plauderte doch auch
wieder ganz gern mit diesen schlichten, von der Kultur noch nicht ver-
pesteten Menschen. Aber kaum entschlüpft mir das Wort „Capri",
versetzt ntir auch schon der Kohlenmann den Schlag: „So, so, in der
Blauen Grotte?"
Und die Zeitungsfrau, die Kardinalratschen, sagt am andern
Tag: „Sag» & amal, Herr Dokta, is denn dös Capri wirkli
so blau?"
Allmählich zitterte ich vor dem Wort „blau". Mein Arbeits-
zimmer mußte ich meiden, da ich cs voriges Jahr mühsam und eigen-
händig mit blauem Rupfen bespannt hatte. Und sollte doch arbeiten,
denn blauniachen war ja noch schlimmer für mich. Einen Eis-Ber-
käufer, der vor meinem Fenster das Lied pfiff: „O du himmelblauer
See", beschüttete ich mit Wasser. Das bayrische Eisenbahnkursbuch
ließ ich in rotes Leder binden wie die zarteste Lyrik.
Ich wurde elender und elender. Der Erholungsfond von der
Reise war längst nufgebrnucht. Nervenärztliche Behandlung wurde
notwendig. Auf einem Rezept, das der Arzt mir verordnete, fiel
mir links unten die Bemerkung auf: „Nicht in blauer Packung aus-
händigen!"
Der raffinierte Psychopath hatte sich nicht etwa geheimer
Chiffern bedient, denn er war von der Unleserlichkeit seiner Hand-
schrift überzeugt. Ich entzifferte die geschmacklose Bemerkung aber
doch und war aufs neue erbost, weil ich mich nicht gern frozzeln lasse.
Heute trug ich das Rezept in die Apotheke.
„Ah," begrüßt mich der Apotheker, „auch wieder da, Herr
Doktor? Hab's schon gehört, daß Sie auf Capri waren. Sagen
Sic mal, wie ist das eigentlich? Da ninnnt das Sonnenlicht, das
in die Grotte eintritt, wenn id) recht unterrichtet bin, erst den Weg
durch das Wasser und wirft —"
Es trat mir der Schaum vor die Lippen. Id> drückte dnrd>
Zisdilnute und heftige Armbewegungen meine völlige Uninteressiertheit
an diesem physikalischen Problem aus und rannte davon.
Jetzt reicht's.
Morgen früh 8 Uhr 20 geht ein Nord-Süd-Expreßzug ab, mit
dem id> übermorgen vormittag 10 Uhr 40 in Neapel bin. Bon da
habe iri) Dampferanschluß nach Capri. Die Sirene soll mir diesmal
iiirijt gefährlich werden. Ich werde die Insel gar »iri)t betreten, sondern
vom Dampfer weg mit einer Barke direkt in die — na ja! In
längstens fünf Tagen bin id) wieder hier. Dann soll ein herrliches
Leben beginnen! Und erzählen will id) euch, stundenlang, so viel
ihr wollt.
Audi von der größten Sehenswürdigkeit Capris, von der wir
fd)on auf der Schulbank lernten, daß der deutsche Dichter Kopisch sie
im Jahre 1826 entdeckt, oder genauer: wiederentdeckt hat.
vom Capriwein — aber das ist alles uninteressant, and) bin id) nicht
kompetent, weil id) nid)t in der Blauen Grotte war.
Kinder, id> war aber dod) in einer Grotte. Sie ist zwar »id)t
so groß wie die blaue, aud> »id)t so blau, deshalb heißt sie die „Grüne
Grotte", sie ist au der Südküste der Insel von dem ruhelosen Meer
allmählid) in die Felsmauer hineingcfreffen worden; mid) liegt sie
abseits vom Frcmdentrubel, und wenn das Wasser gegen die Wände
sthlägt, so donnert es, daß die Canzonen des junge» Fischers in dem
Getöse untergehn. —
Hilft nichts. Id) finde kein Gehör. Allmählid, fange id) selber
an zu zweifeln, ob id, denn überhaupt etwas von Capri gesehn und
genossen habe.
Um diese blöden Zweifel zu verjagen und meinen sd)önen
Glauben wiederzugewinnen, besd)ließc id) erwadisenen Leuten gar
iiidjts mehr von meiner Reise zu sagen, sondern und) au die Kinder
zu halten. Denen kan» man dod) noch unbefangen und wiedererlebend
in die märchensüchtigen Augen hineinerzählen.
„Also," fang id> au, „id; bin gewesen auf einer Insel im Meer,
und die heißt Capri. Bon der habt ihr wohl noch nie gehört?"
„Dod,!" sd)reit so ein kleiner Racker und fängt an sihulmäßig
herunterzuleiern:
Lreikusi-Kkizzen
Bon Svcn8 FIcuron (Kopenhagen)
l. Hrucötkarkeit
Hoch ging die See zur Herbstzeit.
Der Sturm peitschte das Wasser zusammen in Fjorden und
Wicken; cs stieg und stieg, bis zu drei Fuß über de» täglichen Stand.
Im Winter spülte dann das Hochwasser hinauf über Strand-
parzellen und Genieiuwiesen — bis der Dcid> das Tosen mäßigte,
die Wogen vom Ackerland fernhielt, daß die fruchtbare Erdschicht
nid)t verschlammt, der Roggen nicht bmd) Salz vergiftet würde:
„Unantastbar im Spiel, was auf dieser Seite des Striches liegt!"
Aber die Strandkresse draußen, der Wermut und das Maß-
liebchen nrußten sid) selber helfen ... die Wellen schlugen und saugten
an sid), verwickelten alles in Seegras und Tang und führten die
Stichlindschwärme zu neuen Revieren, über unbekanntes Land.
Die behenden Fisd,d)en warfen die Schwänze, spielten mit den
Flossen zwischen treibenden Würmern, Insekteneiern und Larven.
Jetzt in> Frühling geht die See zurück
Schmaler und sd)>naler werden dieRillen, tiefer und tiefer steht
das Wasser der kleinen Seen-bald sind nur noch Pfützen übrig.