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846

In der Frühe

Nächtlichen Regen trank die Erde ein,

Campst ungeduldig noch im Nebelschleier;
Frühmorgensonne naht ihr als Befreier,

Sie küßt sie trocken, küßt sie langsam rein.

Paarweise wandert junger Menscheuschwarm
llbcr das Wiesenlaud, das dustumbraute.

Voran zieht Einer, einsam, nur die Laute,

Die bnutbebauterte, hangt ihm im Arm.

Sie ruht, sie wiegt sich, ihre Saite» schwingen
Sich lockend unterm sanften Fingcrschlag,

Bis alle junge» Menschenstimme» klingen.

Mein Herz, das auch nicht langer schweige» mag,
Setzt leise ein, stillselig mitzusingen:

„Welt, du bist herrlich wie am ersten Tag!"

Margarete Sachse

Der: IDirtrel

Sie hatte ihm einen Pickel geschenkt. Dann
war sie von ihm fortgegangen und — irgendwie
gestorben. — Es mar ein schönes Werkzeug, ge-
schickt zum Hieb im spröden, blanken Eis. Bei
jedeni Schlag, mit dem der wohlgefornite Keil
sich am grünen, leuchtenden Hang in die Höhe
zähnte, freute er sich des teuren Werkzeugs und
dachte an sie, die irgendwie gestorben war. Und
jeder Gedanke war ein Schinerz und ein bitteres
Glück.

Der Winter war schon über die Höhen ge-
glitten und hatte mit seinem weißen Königskleid
die Gipfel gestreift. Sie grüßten die Sonire mit
ihrem Schmuck, die Sonne der ersten November-
tage. Die Nordseite des Passes, eine klare, wohl-
gestufte Wand, stieg in dunkeln Terrassen und
Hellern Bändern dein ungewissen Licht des Dämmer-
himmels zu. Er ging mit seinem Freunde die
vielen, fast zierlichen Kehren des schmalen Weges
hinan, des Weges, der sich stetig Hinaufwand,
schraubte und streckte. Die mächtige Bergstille
war herabgeglitten aus dem Unendlichen, wohin
sie zurückscheut am grellen Tage, wenn die Sonne
ehrfurchtslos alles betastet. — Die beiden hatten
lange unten gesessen im letzten Talgrund. Sie
sprachen wenig. Sie schritten in verhaltener An-
dacht hinan und lauschteti den Klängen, die von
den entschlafenden Bergen kamen, wunderlichem
Wasserquellen, klingenden Steinen, dem segnen-
den Winde und dem Schnee, der Ja imb Amen
knirschte unter ihren Füßen.

Sein Freund hatte sie gekannt. Nie sprachen
sie von ihr. Aber in ihm war noch der Durst
nach ihrer Stimme und in seinem Freunde das
heiße Gönnen, das leuchtende Aiitschweigen, das
Freunde macht.

Keiner kannte die Gegend. Um die Gefahr,
die oben im Eise umging, die jetzt in der Nacht
aufgestanden war, ihr Reich zu schützen, wußten
sie. Heute aber war in ihnen der sonderbare
Hunger nach dem Äußersten wach geworden, nach
der blitzenden Kante, die Tod und Leben trennt.
Das zittert in der Seele vor Dicsseitsgier, daß
sie hinüberjubeln muß ins dunkle Jenseitige, auch
ihm das Evangelium vom unausschöpflich wirken-
den Sein zu künden. — Sie beschlossen, die Höhe,
deren blasser Duft sich dem Nachthimmel einte,
zu erzwingen, hinunter zu steigen auf den Eis-
strom des drüberen Hangs, hinunter zur obersten
menschlichen Zuflucht.

Isartal Theo Lechner

Hoch, hoch oben, zwischen wunderlichen Sternen
hindurch noch ein blasser, lichtsatter Streifen i eine
helle Wolke, sorglos schwimmend, sonst herrschte
die Nacht lautlos gebietend über dem alten Berg-
reich. Lockerer, zarter Neuschnee bis an die Kniee
verhüllte den Fußweg. Die beiden stiegen eine
Felsrippe hinan. Erst griff die Hand ruckartig,
widerwillig in die kalte Decke; bald waren die
Finger glühend von der Arbeit. Endlich standen
sie oben auf einem dunklen Rücken, von dem
ein stetig fließender Nachtwind die Flocken stäubte,
daß sie schleiergleich hinauszischten und sich ver-
loren in der großen Tiefe. Runde Höcker, von
klotzigen Schatten umhütet. An ihnen vorbei,
über sie hin rang sich der Weg, dessen dunkles
Band manchmal, selten freilich, sich aus all dem
Weiß zeichnete. Die Laterne hellte einen geringen
Umkreis mühselig ans, dahin und dorthin heftige
Schatten werfend, die zuckten und schwanden wie
unselige Geister. — Immer das gleiche Fluten
des Bergwindes, oft das harte, fressende Kratzen
der Nägel am Gestein, das aufblitzende Klirren
des Pickels, sonst eine betäubende Stille.

Ein See schlummerte zwischen scharfgezeichne-
ten Blöcken. Eine flache Eiszunge schob sich
über ihn hin, langsam ins nächtige Wasser gleitend,
das an ihrem Rande leise anschlug, fern und
fremd. Gepreßten Atems umgingen die beiden
das flutende Geheimnis eines Gottes, der mit
Riesenhänden und vorweltlichcm Denken diese
sonderbare, uns ewig rätselvolle Welt geschaffen.

Der Berghang rang sich immer kräftiger in
die Höhe. Es war ein stetes, Müdigkeit gebären-
des Stapfen einem grauen Ziele entgegen. Fern
ragte eine Wand, dunkel und abweisend. Da-
zwischen matte, weich hingedehnte Tiefe, in die
öfter und öfter ein Zischen rief und die beiden
Stillen warnte. Kaum bändigte die Nachtkälte
den Abgrnndsdurst der Lawinen, die sich zu Tale
sehnten.

Das war ein keuchendes sich Schieben durch
die flaumige Masse. Dez,' Kampf fraß an den
Kräften und hart rang der Frost mit dem war-
men Leben. Langsam nur glitt das Lichtfeld der
Laterne über die glitzernde Tiefenflucht. Der Pickel
grub sich suchend ins Grundlose, knirschte und
fand keinen Halt. Zu solchem Dienst war er
nicht geschaffen.

Die Gedanken dessen, der ihn trug, waren
flutend, unbestimmt, tief und ohne feste» Grund,
gleich dem Schnee, der so müde machte. Jetzt
weilten sie bei ihr, die ihm das Werkzeug ge-
schenkt, die dann lautlos gegangen war und irgend-
wie gestorben. Das war in einem Frühling ge-
wesen. Die Wärme strömte über das Land und
in den Bergen brache» Schnee- und Felsstürze
ihre Bande und brüllten sich empörend dem
Winter nach. Jetzt war sie tot oder doch irgend-

wie gestorben — irgendwie gestorben-.

Doch da floh der Traum vor einem herben,
harten, häßlichen Knacken. Die oberste Schnee-
haut war gefroren i der Fuß brach hin und
wieder durch, sonst war's jetzt ein mühelos
Schreiten durch eine weite, lichtübergossene
Mulde. Der Mond war hoch gekommen
und hing über dem nahen, leicht geschwungenen
Bergrand. Külte floß von ihm; alles mit
Starrheit schlagend schwamm er zwischen den
stetigen Sternen hin. Das war der gleiche
Mond, dieser alte, blinde Bettelmönch, der
nachts in den Tälern terminieren geht und
mit zitternden Lichtfingern an die Haustüren
pocht. Dann gibt es Seelen, die nicht mehr
schlafen können. Sie fahren auf in Leid,
Verlassenheit und Weh. Sie suchen das Leid
in sich und wissen nicht, daß der Mond, dieser
alte, blinde Bettelmönch, um Mitleid terminieren
geht und mit zitternden Lichtfingern an die Haus-
türen pocht. Hier oben aber war er ein König
und seine kalte Gnade troff von nackten Fels-
stürzen und durchtrünkte den blanken, gefrorenen
Schnee.

Die beiden standen auf dem trennenden Grat.
Da lag eine neue, grenzenlose Welt. Der Himmel
schien in weit ausholenden Zügen zu atmen, die
Herzen der Berge schlugen ihm entgegen und die
Weite sang den uralten Psalm vom 2111 und vom
Nichts, und vom ewigen Umschwung der Zeiten.
In den beiden aber funkelte das Lied vom ver-
klärenden Leid, das allem die Schönheit gibt,
weil es trunken macht von jener tiefsten Trunken-
heit, die ihre Diesseitsgier hinüberjubeln muß ins
dunkle Jenseitige, auch ihm das Evangelium vom
unausschöpflich wirkenden Sein zu künden. In
wem aber dieses Lied aufklang, dem ist der Tod
ein Jubel, kein Jammer, ei» 2lnfang, kein Ende,
ein Eingehen, kein Hinaustreten, ein ewiges
Leben, kein Sterben!

Trunken, trunken waren die beiden, über-
satt vom Leid und von der Seligkeit dieses
Seins. Es gab kein Höher und kein Tiefer
mehr für sie, nur noch ein brünstig sehnendes
Hinüber!

Kurze Rast. Der Hang schoß blank hinunter,
gequert von schwarzen Rissen, die zum Himmel
starrten. Aus ihrem Schlund strömte kalter Tod.
Im Licht der Laterne, in der die Flamme mehr
und mehr dahinstarb, glühten ihre Kanten grün,
blau. Ruhlose Schatten geisterten an ihren schar-
fen Rippen; ein gleißendes Rot zuckte irrlichternd
dazwischen. Der Pickel jubelte krachend in die
blanke Härte. Scholle um Scholle zischte in die
Nacht und fuhr auf klirrender Bahn in den
Spaltentod. Dann wieder aufatmendes Schweigen
in immer rascherer Folge. Die Müdigkeit und
Schlummersehnsucht wuchs und sie sangen den
beiden ein lockendes Finale.

Kluft an Kluft! Keine Richtung, kein Weg!
In der Tiefe lag die Nacht und wartete. Fern
klagte ein Wasser, wie cs seit Jahrtausenden ge-
klagt. Das Licht war erloschen. Ein ebener
Streifen empfing die beiden. 2lm Rande zuckte
der Stahl des Pickels auf. Das Krachen des
Schlags — ein wehes brechendes Geräusch —
Klirren von Stahl — fernes Aufschlagen — dann
die rufende, lockende, segnende Stille. Der Pickel
war gebrochen.

Da setzten sie sich hin, sahen in die Sternen-
fcier der Nacht, lächelten und schwiegen. Er aber
redete mit ihr, die ihm das tote Werkzeug ge-
schenkt, die dann jenseitsdurstig gegangen war
und irgendwie gestorben. — — —

A. Attcnhofer
Register
Margarete Sachse: In der Frühe
Adolf Attenhofer: Der Pickel
Theo Lechner: Isartal
 
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