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Alt-München

Attilio Sacchetto (Berlin)

Du Zigarette

Bon Hermann Strauß-Glscn

Am frühen Morgen um 1/al 1 Uhr klingelte
es an der Tür des Herrn Rentier Alois Dexl,
in der Theresienstraße, Hochparterre. Als Frau
Dexl, deren reife Fülle durch eine milde Flanell-
jacke gemäßigt war, die Tür öffnete, war cs aber
nur der Weinreisende Frederic Durand. Er
stammte aus Luxemburg und verfolgte mit
seinem Erscheinen den Zweck, den Hausherrn
gegen seinen Willen ztwi Bezug einer Kiste
Chateau d’Aux 1907 zn bewegen.

Das Gespräch hielt sich durchaus in den Üb-
lichen Bahnen. Herr Durand schilderte die Vor-
züge des Weines in leuchtenden Farben und Herr
Dexl nickte dazu, was ihm durch das Fehlen
eines Kragens wesentlich erleichtert wurde. Hin
und wieder verstärkte er diese Geste durch bei-
fällige Worte wie: „Dös glaubt s!" oder „Za,
ja, mei Liaber!" Sobald jedoch Herr Durand den
Versuch machte, seinen Kontrahenten festzulegen,
um zu greifbaren Resultaten zu kommen, lehnte

er mit einem wohlwollenden, aber unabänderliche»
„Raa, naa" ab.

Schließlich verflieg sich Herr Durand dazu,
dem Hausherrn eine Zigarette zu schenken. Sie
kostete 25 Pfennig, und das Mundstück war aus
einem Rosenblatt, einem wirklichen Rosenblatt,
einem echten roten Rosenblatt.

Herr Dexl rauchte keine Zigaretten, aber
das rote Rosenblatt interessierte ihn, und er be-
hielt die Zigarette. Zum Abschluß eines Kaufes
kam es an diesem Vormittage nicht.

Mittags gab es Schweinernes, was Herrn
Dexl immer in eine besonders freundliche Stim-
mnng versetzte. Zit dieses Wohlgefühl mischte
sich heute eine gewisse Neigung zur Leichtlebig-
keit, die durch einige pikante Geschichtchen veran-
laßt war, welche fycxx Durand mit gedämpfter
Stimme und eineui scheuen Blinzeln nach der
roten Plüschportiere erzählt hatte. Es hatte so-
znsagen ein Hauch aus der großen Welt durch
diesen Besuch Herrn Dexls beschauliches Dasein
erschüttert und seine Gedanken ein ganz klein
wenig von der gewohnten, geraden Bahn abge-
drängt.

Eine Folge dieser Stimmung war, daß der
Rentner Alois Dexl, als er sich nach dem Essen
wie gewöhnlich in das offene Fenster legte und
den Blick in die Weite der Theresienstraße schweifen
ließ, auf den Einfall kam, doch die Zigarette
zu rauchen. Die Zigarette mit dem Mundstück
aus Rosenblatt.

Dies Vorhaben mißlang. Denn weder die
Lippen des Herrn Dexl noch seine Hände waren
für das Zigarettenrauchen geeignet. Er schob
das Rosenblatt in die Tiefen der Mundhöhle, so-
daß die Papierhülle nach wenigen Zügen fest an der
Lippe klebte. Die Folge war, daß er sich dem-
nächst mit der glühenden Asche die Finger ver-
brannte, eine ungeschickte Bewegung machte, und
dann lag die Zigarette mitsamt dem Rosenblatt auf
den sauberen Fliesen des Bürgersteiges, von wo
sie bläuliche Kringel in die laue Mailuft steigen ließ.

Herr Dexl sah diesem Spiel mit einigem
Interesse zu. Einen Genuß hatte ihm der unge-
wohnte Tabak sowieso nicht bereitet. Zmnierhin,
cs war doch gewissermaßen ein Wertgegenstand,

eine Seltenheit,-der hohe Preis! — —

das Rosenblatt! — — „und Überhaupts . . . ‘
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Attilio Sacchetto: Alt-München
Hermann Strauß-Olsen: Die Zigarette
 
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