ZU stiv ^tgttaX
Bon Paul Zech
Pfeifend, in fast senkrechten Spiralen sauste
die blanke Taube durch den Abenddunst und
setzte >>art hallend auf das Waldgestrüpp.
Von zwanzig Fäusten zurückgeschoben, ver-
schwand der Apparat in dem braunen Ge-
istige! der Zelte.
Leutnant Marsen riß den Pelz herunter,
knüpfte den Schal auf und liest sich dem
General melden. Er ging Minuten wartend
mit weitschwingenden Schritten vor der Baracke
auf und ab. Dampfte Wolken aus allen Poren.
Der Zugwind kniff ihn mit scharfe» Zangen.
Sein Gesicht war gelbgrau. Plut hing ihm
in schorfigen Krusten gehäuft um das Kinn.
Dann kam die Ordonnanz und führte ihn in
den stark verqualmten Raum. Der General
hob sich ein wenig vom Kartentisch und sah
unsicher über die Brille.
Leutnant Marsen hastete in gewürgten
Stößen seinen Bericht herunter, machte eine
Pause und zerlegte, durch Gesten scharf mar-
kiert, einen Borfchlag.
„Nein!" sagte der Generali „nein!" und
nahm das Glas ab. Einen Augenblick später—:
„I wo werd' ich Sie nocheinmal fliegen lassen.
Hetzen uns die Batterien iroch mehr auf den
Hals." Nach einer Sekunde —: „Aber weg
must der Tunnel. Boniben von oben nützen
nichts . . . gut, ich werde Pioniere schicken.
Kosh es den Deuwel. Weg muß der Tunnel!"
Und beugte sich wieder über die Karten.
Der Leutnant Marsen scharrte mit den Fuß-
spitzen, auf demselben Fleck noch stehend.
„Was wollen Sie noch?"
„Verzeihung, wenn der Herr General noch
dieses erwägen würden . .. ?"
„Aber so reden Sie doch, Mensch!"
„Fch glaube, die Sache der Pioniere allein
übernehmen zu können, Herr General. Ich bin
sicher, daß es glückt."
Er stützte sich mit der linken Hand auf eine
leere Munitionskiste, die da vor ihm stand, und
erläuterte seinen Plan, ruhig, wie wenn einer
vom Wetter spricht, ruhig den furchtbaren Plan.
Der General war aufgesprungen, packte die
Schultern des jungen Offiziers und knurrte mit
verbissener Stimme: „Das ist einfach unmöglich..
ganz unmöglich .... anders, wie Sie sich das
denken . .. Oder warten Sie mal, mein Lieber —:
Sie könnten doch Recht haben!"
Er ließ die rechte Hand von der Schulter des
Leutnants gleiteir und fuhr sich über den halb-
kahlen Schädel. Durch fein Gehirn flog wie eine
Filmbilderjagd die Furchtbarkeit der Sache in
tollverrenkten Szenen, während seine Lippen
mechanisch mahlten —: verrückt .... einfach
verrückt!
Der Leutnant stand wie ein zerzackter Fels.
Starr, ohne Mienenspiel.
Und plötzlich hänate sich der General mit der
anderen Hand von der Schulter des Leutnants
los, zischte zwischen Zähne und Zunge und sprach,
jeden Vokal betonend: „Gut, bereiten Sie Ihr
Ding vor!"
Leutnant Marsen schlug die Hacken zusammen
und suchte die Tür. Inr Hinausgehen schon
hörte er noch: „Das Eiserne zweiter Güte haben
Sie ja: wenn Ihnen das glückt, gibt's die erste
Klasse!"
Leutnant Marsen ging geraden Wegs in den
Flugzeugschuppen. Zwanzig Minute,r später trat
er wieder heraus. Nicht mehr Soldat. Der blonde
Schnurrbart war gefallen. Ein schottisches Tuch
über dem Perückenkopf und in einem unglaub-
lich gutsitzenden Frauenrock schreitend. Unter
dem schwarzen Sa,nt des Mieders harte, runde
Brüste markiert.
Leutnant Marsens Bursche schleppte eine Span-
kiepe. Zwanzig Kilo Dhiiamit lagen unten, Drähte
DER RUSSENSCHRECK A. SCHÖNMANN
und ein kleiner Zündkasten; dann eine Lage Heu
und oben drauf frisch gegrabene Kartoffeln.
Am Saum der Pappelallee stand schon das
Auto. Leutnant Marsen ließ die Fracht hinein-
hcben, nah,,, einen Hund an der Leine mit und
schnalzte: „Los!"
Eine halbe Stunde ging die Fahrt durch zer-
stampftes Feld, blutroten Wald. Vorbei an
Infanterieverschanzungen, Artilleriestellungen und
Train.
In breiten Schwade» strich der Nebel über
die Wiesen. Der Wind versprengte Ta» wie aus
einer Brause. Der westliche Himmel flammte
schwefelgelb, von schwarzen Rauchlinien gegurrt.
Hinter den Kuppen blaudunstiger Wälderfernen
leuchteten graue Flächen wie mit roter Tinte be-
pinselt. Schwacher Geschützdonner hallte verloren.
Jetzt stolperte der Wagen durch Milstsl, das
von dem rechten Flügel der Metzer Armee vor
wenigen Tagen besetzt worden war. Durch die
unbeleuchteten Straßen rollte der Tritt durch-
ziehender Kolonnen. Hufe stiebten Funkensaat
aus dem schlechten Pflaster. Aus den Häufer»
tönte Gesang. Stimnrenwirrwarr und das Klap-
pern von Porzellan.
Sechsmal wurde der Wagen angchalten und
sechsmal holte Leutnant Marsen die Passierkarte
ans dem Schlitz des Mieders.
Unten an der Maas lagen baqrische Jäger
in stark befestigten Gräben. Das Geschützfeuer
von den jenseitigen Höhen brüllte aus allen Re-
gistern. Langhinhallend wie Löwengeheul und
kurz wie das Röhren brünstiger Stiere.
Ein paar hundert Meter ging es in langsamer
Fahrt an dein bebuschten Ufer des Flusses ent-
lang. Geschosse schnellten durch das Wnfser wie
springende Fifche. Halblinks am anderen Rand
des Stromes brannte ein Dorf. Scheinwerfer
strichen und hoben augenblickskurz den schweren
Rauch von Schützengräben, die wie schmale Gurte
in vierfachen Reihen die Ebene schnitten. Da,
wo die Maas eine scharfe Biegung schrieb, war
eine Pontonbrücke soeben geschlagen. Pioniere
rammten die letzten Balken.
Am Brückenkopf gab es eine längere Ver-
zögerung. Der Leutnant der Wache witterte
Spione und ließ den Haupt,na»,, hole». Um-
stellte während der Wartepause mit zehn Mann
den Wagen und drehte sein dünnes Bärtchen.
Der Hauptmann lachte aus vollem Halse, als
er Marsen in der Verkleidung sahi wollte
aber durchaus den Zweck der Fahrt wisse».
Leutnant Marsen meinte: „Ich werde
Ihnen schon ein Signal geben. Dann werden
Sie es wissen, Kamerad!"
Schließlich umstanden alle Pionieroffiziere
den Wagen. Und wieder dieselbe Frage von
jedem.
Da sagte Leutnant Marsen einfach: „Wie-
viel Stundet,, glauben Sie, brauche ich bis
W .. .?"
Einer glaubte zwei,' ein anderer: drei,
vier Stunden.
„Mensch," schrie plötzlich der Hauptmann,
„Sie wollen doch nicht etwa ins Fort?"
„Nein. Aber durch den Tunnel!"
Die Offiziere griffen die hohlen Hände au
die Ohrmuscheln und alle wie auf Kom-
mando —: „Durch den Tunnel . . .?"
„Ja," sagte Marsen noch einmal und
hielt den Blick der Kameraden. Fühlte, daß
sie begriffen hatten.
Da schüttelten sie ihm alle die Hand und
der Wagen fuhr langsam über die Brücke.
Hielt am jenseitigen Ufer und blendete die
Lichter ab.
Uber dem welligen Gclätide schwebte der
Mond groß und gelb und jagte die weiß-
geballten Wolken.
Nach einer Stunde langsamer Fahrt wurde
ein kleines Dorf gesichtet. Von dem spitzen
Turm spielten Signallichter grün und rot.
Dichtes Gestrüpp und heruntergeholzter Wald
flankierten den Weg. In einer Fichtenschonung
ließ Leutnant Marsen stoppen, den Wagen tief
in das Strauchdunkel zurückschieben und die
Kiepe aus dem Fond heben.
Deti Fahrer und den Burschen ließ er zurück
bei den. Geführt, schnallte sich die Fracht um,
eiitsichertc die Pistole und nahm den Hund lang
an den Riemen. Schnurgerade auf das Dorf
strich er zu.
Leutnant Marsen blieb alle hundert Schritt
stehen und horchte hinaus. Rundum brauste der
Eisenorkan der Haubitzen. Zuweilen bebte die
Erde unter dem Gestauipf jagender Schwadronen.
Alle zehn Minuten schmetterte ihm die Licht-
schlange den grellen Blitz entgegen. Das Gelände
lag stockdunkel und der Kontrast irritierte ihn.
Er fühlte ein Stechen in den Pupillen.
Nun stieg das Gelände. Patrouillen zöget,
in breiten Schwärmen.
Immer ging Leutnant Marsen ohne Scheu
hindurch. Aus einem finsteren Haufe Kain ein
Korporal gerauscht. Griff nach dem Arn, des
Leutnants, wie wenn man eine Tube ausquetscht
und quarrte ein unflätiges Wort. Leutnant
Marsen gab ihm einen Stoß und schritt weiter.
Aus einen, dünnen Gewirr kahler Zweige
ragte schon die geschweifte Hügellinie, die der
Tunnel an irgendeiner Stelle da vorn höhlte.
Leutnant Marsen keuchte. Die Tragbänder
schnitten unausstehlich. Die Furcht, über das
verfluchte Wurzelwerk zu stolpern, fuhr mit Frost-
ffngern über seinen Rücken. Er war so müde
letzt. Unglaublich müde. Und bezweifelte schließ-
lich die endliche Ausführung des Planes. Wut
überkam ihn. Eine widerliche Wut, ohne daß
er irgendeinen Anlaß fand. Das ärgerte ihn. Er
fühlte sich verschlafen. Hatte überhaupt in den
letzten 36 Stunden keine Minute die Augen zu-
gemacht. Das Dunkel klebte an ihm wie Teer
und die Kiepe drückte zu,» Berrücktwerden.
Eine Blonde fiel ihm ein. „Süße Mareile!"
flüsterte er. Er meinte, den Hauch ihrer weißen
Haut zu sch,necke» und ihr Lachen lag ihm wie
Finkentriller in den Ohren. — — — „Süße
Mareile!" flüsterte er buchstabierend nocheinmal.
Der Hund riß hart an der Leine.
Nun kam wieder ein Haus. Kein Fenster
war beleuchtet. Dunkel wie Wiegen ohne Kinder
lagen die glasigen Höhlungen i„ de», Gemäuer.
1373
Bon Paul Zech
Pfeifend, in fast senkrechten Spiralen sauste
die blanke Taube durch den Abenddunst und
setzte >>art hallend auf das Waldgestrüpp.
Von zwanzig Fäusten zurückgeschoben, ver-
schwand der Apparat in dem braunen Ge-
istige! der Zelte.
Leutnant Marsen riß den Pelz herunter,
knüpfte den Schal auf und liest sich dem
General melden. Er ging Minuten wartend
mit weitschwingenden Schritten vor der Baracke
auf und ab. Dampfte Wolken aus allen Poren.
Der Zugwind kniff ihn mit scharfe» Zangen.
Sein Gesicht war gelbgrau. Plut hing ihm
in schorfigen Krusten gehäuft um das Kinn.
Dann kam die Ordonnanz und führte ihn in
den stark verqualmten Raum. Der General
hob sich ein wenig vom Kartentisch und sah
unsicher über die Brille.
Leutnant Marsen hastete in gewürgten
Stößen seinen Bericht herunter, machte eine
Pause und zerlegte, durch Gesten scharf mar-
kiert, einen Borfchlag.
„Nein!" sagte der Generali „nein!" und
nahm das Glas ab. Einen Augenblick später—:
„I wo werd' ich Sie nocheinmal fliegen lassen.
Hetzen uns die Batterien iroch mehr auf den
Hals." Nach einer Sekunde —: „Aber weg
must der Tunnel. Boniben von oben nützen
nichts . . . gut, ich werde Pioniere schicken.
Kosh es den Deuwel. Weg muß der Tunnel!"
Und beugte sich wieder über die Karten.
Der Leutnant Marsen scharrte mit den Fuß-
spitzen, auf demselben Fleck noch stehend.
„Was wollen Sie noch?"
„Verzeihung, wenn der Herr General noch
dieses erwägen würden . .. ?"
„Aber so reden Sie doch, Mensch!"
„Fch glaube, die Sache der Pioniere allein
übernehmen zu können, Herr General. Ich bin
sicher, daß es glückt."
Er stützte sich mit der linken Hand auf eine
leere Munitionskiste, die da vor ihm stand, und
erläuterte seinen Plan, ruhig, wie wenn einer
vom Wetter spricht, ruhig den furchtbaren Plan.
Der General war aufgesprungen, packte die
Schultern des jungen Offiziers und knurrte mit
verbissener Stimme: „Das ist einfach unmöglich..
ganz unmöglich .... anders, wie Sie sich das
denken . .. Oder warten Sie mal, mein Lieber —:
Sie könnten doch Recht haben!"
Er ließ die rechte Hand von der Schulter des
Leutnants gleiteir und fuhr sich über den halb-
kahlen Schädel. Durch fein Gehirn flog wie eine
Filmbilderjagd die Furchtbarkeit der Sache in
tollverrenkten Szenen, während seine Lippen
mechanisch mahlten —: verrückt .... einfach
verrückt!
Der Leutnant stand wie ein zerzackter Fels.
Starr, ohne Mienenspiel.
Und plötzlich hänate sich der General mit der
anderen Hand von der Schulter des Leutnants
los, zischte zwischen Zähne und Zunge und sprach,
jeden Vokal betonend: „Gut, bereiten Sie Ihr
Ding vor!"
Leutnant Marsen schlug die Hacken zusammen
und suchte die Tür. Inr Hinausgehen schon
hörte er noch: „Das Eiserne zweiter Güte haben
Sie ja: wenn Ihnen das glückt, gibt's die erste
Klasse!"
Leutnant Marsen ging geraden Wegs in den
Flugzeugschuppen. Zwanzig Minute,r später trat
er wieder heraus. Nicht mehr Soldat. Der blonde
Schnurrbart war gefallen. Ein schottisches Tuch
über dem Perückenkopf und in einem unglaub-
lich gutsitzenden Frauenrock schreitend. Unter
dem schwarzen Sa,nt des Mieders harte, runde
Brüste markiert.
Leutnant Marsens Bursche schleppte eine Span-
kiepe. Zwanzig Kilo Dhiiamit lagen unten, Drähte
DER RUSSENSCHRECK A. SCHÖNMANN
und ein kleiner Zündkasten; dann eine Lage Heu
und oben drauf frisch gegrabene Kartoffeln.
Am Saum der Pappelallee stand schon das
Auto. Leutnant Marsen ließ die Fracht hinein-
hcben, nah,,, einen Hund an der Leine mit und
schnalzte: „Los!"
Eine halbe Stunde ging die Fahrt durch zer-
stampftes Feld, blutroten Wald. Vorbei an
Infanterieverschanzungen, Artilleriestellungen und
Train.
In breiten Schwade» strich der Nebel über
die Wiesen. Der Wind versprengte Ta» wie aus
einer Brause. Der westliche Himmel flammte
schwefelgelb, von schwarzen Rauchlinien gegurrt.
Hinter den Kuppen blaudunstiger Wälderfernen
leuchteten graue Flächen wie mit roter Tinte be-
pinselt. Schwacher Geschützdonner hallte verloren.
Jetzt stolperte der Wagen durch Milstsl, das
von dem rechten Flügel der Metzer Armee vor
wenigen Tagen besetzt worden war. Durch die
unbeleuchteten Straßen rollte der Tritt durch-
ziehender Kolonnen. Hufe stiebten Funkensaat
aus dem schlechten Pflaster. Aus den Häufer»
tönte Gesang. Stimnrenwirrwarr und das Klap-
pern von Porzellan.
Sechsmal wurde der Wagen angchalten und
sechsmal holte Leutnant Marsen die Passierkarte
ans dem Schlitz des Mieders.
Unten an der Maas lagen baqrische Jäger
in stark befestigten Gräben. Das Geschützfeuer
von den jenseitigen Höhen brüllte aus allen Re-
gistern. Langhinhallend wie Löwengeheul und
kurz wie das Röhren brünstiger Stiere.
Ein paar hundert Meter ging es in langsamer
Fahrt an dein bebuschten Ufer des Flusses ent-
lang. Geschosse schnellten durch das Wnfser wie
springende Fifche. Halblinks am anderen Rand
des Stromes brannte ein Dorf. Scheinwerfer
strichen und hoben augenblickskurz den schweren
Rauch von Schützengräben, die wie schmale Gurte
in vierfachen Reihen die Ebene schnitten. Da,
wo die Maas eine scharfe Biegung schrieb, war
eine Pontonbrücke soeben geschlagen. Pioniere
rammten die letzten Balken.
Am Brückenkopf gab es eine längere Ver-
zögerung. Der Leutnant der Wache witterte
Spione und ließ den Haupt,na»,, hole». Um-
stellte während der Wartepause mit zehn Mann
den Wagen und drehte sein dünnes Bärtchen.
Der Hauptmann lachte aus vollem Halse, als
er Marsen in der Verkleidung sahi wollte
aber durchaus den Zweck der Fahrt wisse».
Leutnant Marsen meinte: „Ich werde
Ihnen schon ein Signal geben. Dann werden
Sie es wissen, Kamerad!"
Schließlich umstanden alle Pionieroffiziere
den Wagen. Und wieder dieselbe Frage von
jedem.
Da sagte Leutnant Marsen einfach: „Wie-
viel Stundet,, glauben Sie, brauche ich bis
W .. .?"
Einer glaubte zwei,' ein anderer: drei,
vier Stunden.
„Mensch," schrie plötzlich der Hauptmann,
„Sie wollen doch nicht etwa ins Fort?"
„Nein. Aber durch den Tunnel!"
Die Offiziere griffen die hohlen Hände au
die Ohrmuscheln und alle wie auf Kom-
mando —: „Durch den Tunnel . . .?"
„Ja," sagte Marsen noch einmal und
hielt den Blick der Kameraden. Fühlte, daß
sie begriffen hatten.
Da schüttelten sie ihm alle die Hand und
der Wagen fuhr langsam über die Brücke.
Hielt am jenseitigen Ufer und blendete die
Lichter ab.
Uber dem welligen Gclätide schwebte der
Mond groß und gelb und jagte die weiß-
geballten Wolken.
Nach einer Stunde langsamer Fahrt wurde
ein kleines Dorf gesichtet. Von dem spitzen
Turm spielten Signallichter grün und rot.
Dichtes Gestrüpp und heruntergeholzter Wald
flankierten den Weg. In einer Fichtenschonung
ließ Leutnant Marsen stoppen, den Wagen tief
in das Strauchdunkel zurückschieben und die
Kiepe aus dem Fond heben.
Deti Fahrer und den Burschen ließ er zurück
bei den. Geführt, schnallte sich die Fracht um,
eiitsichertc die Pistole und nahm den Hund lang
an den Riemen. Schnurgerade auf das Dorf
strich er zu.
Leutnant Marsen blieb alle hundert Schritt
stehen und horchte hinaus. Rundum brauste der
Eisenorkan der Haubitzen. Zuweilen bebte die
Erde unter dem Gestauipf jagender Schwadronen.
Alle zehn Minuten schmetterte ihm die Licht-
schlange den grellen Blitz entgegen. Das Gelände
lag stockdunkel und der Kontrast irritierte ihn.
Er fühlte ein Stechen in den Pupillen.
Nun stieg das Gelände. Patrouillen zöget,
in breiten Schwärmen.
Immer ging Leutnant Marsen ohne Scheu
hindurch. Aus einem finsteren Haufe Kain ein
Korporal gerauscht. Griff nach dem Arn, des
Leutnants, wie wenn man eine Tube ausquetscht
und quarrte ein unflätiges Wort. Leutnant
Marsen gab ihm einen Stoß und schritt weiter.
Aus einen, dünnen Gewirr kahler Zweige
ragte schon die geschweifte Hügellinie, die der
Tunnel an irgendeiner Stelle da vorn höhlte.
Leutnant Marsen keuchte. Die Tragbänder
schnitten unausstehlich. Die Furcht, über das
verfluchte Wurzelwerk zu stolpern, fuhr mit Frost-
ffngern über seinen Rücken. Er war so müde
letzt. Unglaublich müde. Und bezweifelte schließ-
lich die endliche Ausführung des Planes. Wut
überkam ihn. Eine widerliche Wut, ohne daß
er irgendeinen Anlaß fand. Das ärgerte ihn. Er
fühlte sich verschlafen. Hatte überhaupt in den
letzten 36 Stunden keine Minute die Augen zu-
gemacht. Das Dunkel klebte an ihm wie Teer
und die Kiepe drückte zu,» Berrücktwerden.
Eine Blonde fiel ihm ein. „Süße Mareile!"
flüsterte er. Er meinte, den Hauch ihrer weißen
Haut zu sch,necke» und ihr Lachen lag ihm wie
Finkentriller in den Ohren. — — — „Süße
Mareile!" flüsterte er buchstabierend nocheinmal.
Der Hund riß hart an der Leine.
Nun kam wieder ein Haus. Kein Fenster
war beleuchtet. Dunkel wie Wiegen ohne Kinder
lagen die glasigen Höhlungen i„ de», Gemäuer.
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