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Hindenburg

Bon Raul BIcibteeu

Bel so erschreckender Minderzahl die
Innere Linie zwischen zwei getrennten,
docl> jedes weit überlegenen Russen-
heeren zu benutzen, dazu gehörte ein
Meister, dessen eiserne Entschlossenheit
sich mit vollendetem Könne» paart. In
Hannover putzte ein alter Herr a. D.
seinen Zylinder. Nie, solange man
Krieg führt, hat ein soeben auf seinen
Posten Berufener. bloß durch fern-
hintreffenden Donnerkeil seines hell-
sichtigen Genius „den Feind mit den
Augen geschlagen" (Napoleon). Alles
beruhte auf peinliri) scharfer, zeitlicher
und räumlicher Berechnung, Snmso-
now _ durfte weder vor noch n a ch
Überschreitung der Seenplatte ange-
fallen werden; es gehörte wunder-
barer Feldherrntakt dazu, ihn im rich-
tigen Augenblick anzufallen. Hinden-
burg, auf die Schwelle seiner Laufbahn
gestellt, besah den kaltblütigen Nerv,
auf einem Schlag das Vaterland zu
retten. Die unbehilflich aufeinander-
gepackte Masse in Gewässer und Mo-
raste hineindrängend, errang er bei-
spiellosen Vernichtungssieg über mehr
als doppelte Uebcrmacht (100000
Deutsche gegen 200000 russische Ge-
wehre, 246 Geschütze gegen ZOO nach
unserer genaueren Errechnung).

Friedrich der Große dichtete sein
Haßlied gegen Rußland französisch,
doch schrieb den Sinn mit gutdeutscher
Frakturschrift den Mongolenfratzcn
bei Zorndorf mit dem Schwerte ein.
Doch das war nur ein Kinderspiel
neben diesem vergrößerten Cannä.
Wie Hannibal dort sein Zentrum ab-
sichtlich eindrücken ließ, so warfen sich
hier nur vier Reserveregimenter und
Marienwerder Landwehr bei Hohen-
stein entgegen, die jedoch später durch
andre Landwehr-Truppen verstärkt
wurden. Daß Hindenburg, wie Goeben
bei St. Quentin, kein Zentrum gehabt,
also eigentlich in Moltkescher Methode
geschlagen habe, geht fehl. Wohl aber
ist ungeheuerlich genial in seiner Kühn-
heit, die nur dem strategischen Denker
zu Gebote steht, daß er das Korps,
hinter Gumbinnen in innigster Füh-
lung mit der Wilnaarmee, blitzschnell
loslöste und von der linken auf die
äußerste rechte Flanke verpflanzte mit
voller Ausnutzung des Bahnnetzes.
Nur 16 aktive und Reservebataillone,

3 Landwehr-Regimenter, 3 Ersatz-,

4 Landsturinbataillone, 5 Artillerie-
regimenter, 4 Landwehrbattcrien be-
schäftigten im Norden längs Düna
und Pregel die riesige Wilnaarmee.
Diese lag keineswegs ruhig und ge-
mächlich uni Insterburg, es fanden
Gefechte statt, wie Studium der Ver-
lustlisten lehrt. Nach russischen Be-
griffen verhielt sich Rennenkamps
keineswegs tatlos, es handelte sich
höchstens um drei Tage Zeitverlust.
Sie unwiederbringlich zu machen ist
eben Hindenburgs große Tat.

Die Innere Linie erfordert, soll sie
strategischen in taktischen Vorteil um-
setzen, äußerste Beweglichkeit. Den
Truppen das Äußerste zumuten, ziemt
der unerbittlichen Logik der Erfolgs-
möglichkeiten. So holte Hindenburg
sofort nach Vernichtung der Narew-
armee zu neuem Schlagen aus. Über
seine Reserven verfügend, warf er die
frisch anlangenden 3 Divisionen als
vorgeschobene Linke vor. Zwei Land-

Zpieimaun der Schneeschuh-Truppe W. Böhmer (.München)

Än einen Freund

Nun bist atich du dem Tode heiingefallen,

Du Jugendlichster von den Freunden allen.

So gleichen unsre Herzen schon den Steinen,

Daß kaum der Mund noch zuckt. Und wer kann weinen?

Du liebtest stets das Leben zu verschwenden,

Den übervollen Becher in den Händen.

Und starbst auch so. — Schon war der Feind geschlagen,
Dir aber galt's ein Äußerstes zu wagen.

Des Feindes Fahne schwankt im Sturm der Klingen:
„Drauf! Grenadiere! Brecht ihr Flug und Schwingen!"

— Am Morgen fanden dich im Wald die Deinen,

Wie einen Schlummrer, wollt es ihnen scheinen;

Seitwärts den Kopf geneigt und an die Wange
Gedrückt des Feindes Fahnentuch, wie bange,

Daß dir im Traum die edle Beute schwinde;

Glichst einem ob dem Spiel entschlafnen Kinde;

Glichst dem Verliebten, der im Waldcsgrunde
Müd cingeschlafen an der Liebsten Munde,

Dem Schiffer, der entschlummert treibt zum Hafen, ,

Dem Schnitter, auf der Garbe eingeschlafen.

<Jlül Vesper

(Landsturmmann)

wehrdivisioncn liebst 8 aktiven Ersatz-
bataillonen bestinimte er als Flanken-
schutz der nunmehr nordwärtsgerich-
teten Front, über Mlawa die Trümmer
der ans Warschau eiligst verstärkten
Narewnrmee vor sich her zu treiben.
Der sich entwickelnde Kampf vereitelte
jede Flankenbedrohung, so daß der
Meister den Rücken völlig frei hatte,
und öffnete den Weg zum nördlichen
Weichselufer.

In gleicher Zeit (9.—14. September)
erlag die Wilnaarmee, ihr vorsprin-
gendes Zentrum durchbrochen, ihre
Linke durch das 55 Kilometer Tages-
marsch leistende Korps geschlagen.
Dem Schicksal, nordwestlich an die
Masurischen Seen geklemmt zu wer-
den, entzog sich Rcunenkampf durch
eiligen exzentrischen Rückzug am 12
teils nordwärts auf Insterburg mit
der ziemlich unversehrten Rechten, teils
nordöstlich über Stallupönen. Aus-
einandergerissen, erreichte er erst in
weitem Ausbicgen den Njemen. Reif-
ten also nicht so glänzende taktische
Früchte wie bei Tannenberg (wahr-
scheinlich 100000 Mau» Verlust nebst
160 Geschützen der Russen), so setzte
der Stratege seinen Willen durch. Er
zwang den Feind zu exzentrischem
Ausweichen auf verpflegungsunfähi-
ges Gebiet, von wo er erst wieder
ostwärts in weitem Bogcnmarsch An-
schluß an die Njemen-Basis gewann
und für mehrere Wochen außer Spiel
gesetzt blieb.

Diesen Zeitgewinn beutete Hinden-
burg mit wunderbarer Spannkraft
aus. Während die Verfolgung strah-
lenförmig weiterging, erfolgte hinter
der Front eine großartige Umgrup-
pierung. Die am leichtesten loszulösende
linke Flanke mit meisterlicher Hand-
habung des Bahnnetzes zur äußersten
Rechten seiner Gesamtaufstellung um-
bildeud, warf er sie aufs südliche
Weichselufer und ließ sie südöstlich bis
Iwangorod nusholen, während die bei
Tarnowka siegreiche Gruppe gleich-
falls cim Südufer sich über Rawa an
Warschau heranschob. Die jetzt über-
raschend weit aus ihrer ursprünglichen
Zusammenballung gespreizte Front
nahm dauernd nach Süden Fühlung,
das Korps stand Mitte Oktober vor
Warschau, das westpreußische zu bei-
den Seiten der Weichsel. Dies Zu-
sammenschieben nach dem rechten
Flügel erinnert an Napoleons Smo-
lenskmanöver, dem dieser einen be-
sonders hohen Rang in seiner Schätzung
zuwies, wobei ihn allerdings nicht wie
Hindenburg ein ausgedehntes Bahn-
netz begünstigte.

Das Wagnis so weiter Frontaus-
dehnung bezweckte, sich österreichischer
Mitwirkung zu versichern, Schlesien
zu decken und die russische Offensive
auf Krakau auf sich abzuziehen. Er
trug die Offensive so nahe heran, daß
in den Verlustlisten die Namen „War-
schau", „Iwangorod" prangen. Die
rechte Flankenkolonne schlug bei Opa-
tow, Alexandria, Granica, Slowiki am
4., 11., 13., 19. Oktober den Feind,
der in Richtung Petrikow-Czenstochau
vorstrebte, beschoß am 17. Iwangorod,
am gleichen Tage die linke Flügel-
Kolonne Warschau. In der Mitte
drangen die Landwehrdivisionen über
Heleuow und Bloniec an Warschau
dicht heran. Da aber trat Gefahr der
Überflügelung ei».

Mächtige russische Verstärkungen
aus West- und Ostgalizien und wohl

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Register
Will Vesper: An einen Freund
W. Böhmer: Spielmann der Schneeschuh-Truppe
Karl Bleibtreu: Hindenburg
 
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