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Jugend: Münchner illustrierte Wochenschrift für Kunst und Leben — 20.1915, Band 2 (Nr. 27-52)

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Friedrichs Einzug in Berlin 1762

Adolf Menzel ■}•

Zu

Höolf Denzels hundertstem lkeburtstag

(am 8. Dezember)

An einem Frühlingsnachmittag des Jahres
1856 bewegten sich zwei Männer von recht ver-
schiedenartigem Aussehen durch die Pappel-Allee
der alten Militärstrahe in Berlin deni Tempelhofer
Felde zu. Der eine von ihnen war fast unwahr-
scheinlich klein, er sah aus wie ein Gnom und
dazu stimmte auch der dünne Küsterbart, der von
einem Obr zmn anderen das schon ein wenig
ältliche und grämliche Gesicht umrahmte, in dem
aber hinter scharfe» Brillengläsern ein paar leb-
hafte, kleine Augen blitzten und aus dem das
energisch geformte Kinn keck hervorsprang. Sein
Weggenosse, um viele Jahre jünger, robust, vier-
schrötig, ein richtiger Schlagetot, überragte ihn
um nündestens drei Haupteslängen; aus der
Art, wie er mit wuchtigen Schritten auf der
Landstraße fürbaß marschierte, konnte man so-
fort den gedienten preußischen Gardisten er-
kennen. Das Seltsamste an ihm war seine
Kleidung. Man mochte glauben, daß er ge-
raden Wegs von einem Karnevalsfeste komme
oder daß er ein Iabrhundert in einen, Dorn-
röschenschloß verschlafe» habe, denn es schien,
daß in ihm einer der glorreichen Grenadiere
des rnhmgekröntcn Fridericus Rex wieder-
auferstanden sei. Der lange tressenbesetzte
Waffenrock schlug ihm um die Beine, die in
Gamaschen steckten, uni die Schulter hing das
Bandelier und unter dem Arm trug er die
historische hohe Blechmütze.

D,e beiden schritten wacker aus und es
war komisch anzusehen, wie der Kleine immer
zwei hüpfende Schritlchen machen mußte,
mährend der Lange einmal seine Grenadier-
stiefel auf die Landnraße trommeln ließ. Das
Paar hielt auf den Kreuzberg zu, den damals
noch nidit der zierlich zugestutzte Viktoria-
Park schmückte, sondern der noch eine herr-
liche Wildnis war, ein Sandhügel, der aus
Büschen und staubigem Unkraut aufstieg, ein
richtiger markbrandenburgiicher „Berg".

Als man endlich am Fuße des Hügels
stand, nahm der Kleine seinen Schlapphut
ab, holte etwas umständlich ein geblümtes
Tuch aus der Tasche und fuhr sich danut über
die glänzende Glatze, denn der scharfe Marsch
mit dem ungleichen Gefährten hatte ihm heiß
gemacht. Ohne viel Un,stände nahm er auf
einem Sandhaufen unter Haselnußstauden
Platz, schlug sein großes Skizzenbuch auf, legte
Kohle, Kreide und Bleistift zurecht und l,ieß
den andern „wie das letztemal" den Sandhügel
chinaufklimmen. Das ging nicht ohne humori-

stische Zwischenfälle ab, der Sand gab nach, der mas-
kierte Grenadier fiel, kollerte ein Stückchen bergab,
machte sich unter vielen Mühen wieder ans Werk,
aber sein Ziel, die Höhe des Berges, erreichte er
nicht. Mit seltsamem Glanz in den Augen ver-
folgte der Kleine die Bewegungen seines Modells.
Nicht das geringste Spiel der Muskeln entging ihm,
jede Drehung und Wendung prägte er sich ein und
skizzierte sie mit knappen, markigen Strichen . . .

Zur gleichen Stunde spazierte der Maier Eduard
Meyerheim mit seinem vierzehnjährigen Sohn
Paul über das Tempelhofer Feld; und der Knabe
erspähte den seltsamen Bergsteiger und brach in
lautes Lachen aus, der Vater aber schüttelte fast
ärgerlich den Kopf und beschrieb mit dem Zeige-
finger der rechten Hand eine» Kreis vor der
Stirn: „Der ist verrückt," sagte er mit dem kurz
angebundenen Urteil des Berliners. Sie traten
näher herzu, und da erblickten sie den Kleinen
mit dem Skizzenbuch, eilten freudig auf ihn- und
schüttelten ihm die Hände.

„Menzel, Adolf, Mensch, ja was machst du
denn da?" rief ihm Eduard Meyerheim zu, „was

Der junge Frledrick Adolf Menzel

hast du dir denn da milgebracht? Das ist ja
ein ganz verrückter Mensch "

„Zä> arbeite nach dem bewegten Modell, das
siehst du doch," war die Antwort. „Der Kerl, der
den Hang hinauskriecht, kommt in den Vordergrund
meines Hochkirch-Bildes. Zch arbeite schon seit ein
paar Nachmittag » da heraußen. Die Uniform habe
ich mir beim Monlierungs-Depol ausgepumpt. Ich
kann mi>" das nun einmal nicht aus den Fingern
saugen. Wenn ich es nicht gesehen und erlebt
Habe, kann ich es nicht malen. Ich kann nur so
arbeiten. Ich muß den Dingen die Authentizität
geben oder ich muß sie bleiben lassen. Basta!"

„Und gebt deine Arbeit vorwärts, wird das
Bild, bringst du's noch in diesem Jahr auf die
Ausstellung?"

„Ich möchte wohl. Die Studien sind auch
weit genug gediehen. Die Farbskizze ist fertig,
das Bild selbst ist untermalt. Aber da ist noch
eins. Du weißt doch, daß man im Hintergrund
das brennende Hochkirch sehen soll. Die Gestalt
des Königs, der auf feinem Schimmel dahersprengt,
soll ganz von Flammen umloht sein. Ich muß
nun eben noch auf einen Brand warten."

„Wie??"

„Na, das ist doch ganz einfach! Wie soll
iri) denn einen Brand malen, wenn ich seit
Jahren keinen mehr gesehen habe. Ich kann
den Lewen doäi nichts vorsckwindeln l Weißt
du, ich habe mit dem Nachtwächter meines Re-
viers ein Abkommen getroffen. Er muß mich
wecken, sobald in der Stadt gegen Morgen ein
großes Feuer auskommt. Ich habe ihm zwei
Taler dafür versprochen... Aber verzeiht mir,
Liebe, ich muß wieder zeichnen. Mein Kerl
klettert immer noch. Es gebt gegen Abend.
Lebt wohl und grüßt schönstens zu Hausl"

Die beiden Meyerheim gingen. Ein End-
chen Wegs schritten sie wortlos nebeneinander
hin. Dann brach der Sohn das Schweigen.
„Vater," sagte er, „was hat der Men-el da-
mit gemeint, als er sagte, er müsse den Dingen
die Authentizität geben?"

Vater Meyerheim lächelte: „Ja, Junge,
wie soll ich dir das nun erklären? Aber siehst
du, in dem Wort hast du den ganzen Menzel
in seinem grundehrlichen Wesen. Er will nur
malen, was er im tiefsten erkannt hat. Sein
- Fleiß schreckt vor keiner Mühe zurück. Wo
sich andere leiä>tferiig auf ihre Einbildungs-
kraft verlassen, da breitet er eine Fülle von
Erkenntnissen aus. Es genügt ihm nicht, daß
die Dinge ungefähr so arisgesehen haben
könnten, sondern er dringt in ihren Kern ein.
Seine Historienbilder sind wahrhaft treu. Die
hätte kein Zeitgenosse des alten Fritz getreuer
malen können. Da ist alles echt daran, alles
studiert und belegt bis zum letzten Uniform-
Register
Adolf v. Menzel: Der junge Friedrich
Georg Jacob Wolf: Zu Adolf Menzels hundertstem Geburtstag
Adolf v. Menzel: Friedrichs Einzug in Berlin 1762
 
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