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Vor dem Schneesturm am Hilsenfirst

©tabincier indessen, seiner fattjam bewusst,
9>ng zu seiner, die Korridore kehrenden Gattin
zurück und sagte, es sei gut, wenn man die Leute
an militärische Disziplin gewöhne. Frau Barbara
aber stemmte die Arme in die Seiten und fragte,
ab der Korbinian etwa übergeschnappt sei. Seht
werde es freilich gar sein mit den guten Trink-
geldern und den Küchenüberresten. Und er solle
lhh nicht noch einmal unterstehen .... sondern
lieber den Rock ausziehen und die Haustorglocken
prüfen. Der Herr Geheimrat im dritten Stock-
werk habe sich schon zweiuial beschwert. Herr
©rabmeier brummte nun seinerseits, das; es sich
liier um das Vaterland handele, wovon Weibs-
leute freilid) nicht viel verstünden, aber er ge-
horchte doch und plagte sich, hemdsärmelig und
>n seines Angesichts biblischem Schweiße.

Als er nun gerade nüt dem Schraubenzieher
den; ©lockenichild kunstvoll zuleibe ging, öffnete
sich wieder einmal die Tür der Parterrewohnung
und Dr. Fittich, im eleganten Zivil, den leichten
Hausrock über den Schultern, rief in sehr ener-
gischem Tone: „©rabmeier!"

Entsetzt wandt sich der, getroffen, und schon
wollte er das Donnerwetter loslaffen, das er kaum
noch bezähmen konnte, da sah er, datz Fittich
Ipitze Lackstiefeletten trug und eine strenggebügelte
Besuchshose. Und jäh zerstieb des Herrn ©rab-
meier Zorn vor der festlichen Eleganz des über-
legenen Untergebenen und ihm, selbst hemdsärmelig,
schwand alles Selbstbewußtsein seines Vorgesetzten-
l»'us. Denn in der Atmosphäre dieses Hauses
hauchte Frau Grabmeiers geistiger Einfluß, und
da sie Partei ergriffen für Fittich, den trefflichen
Mieter, versagte vor der Hosenfalte des frijch-
gebügelten Zivilisten das Herrn ©rabmeiern inne-
wohnende Bewußtsein von militärischer Disziplin.
Eohl kochte es in seinem Herzen, als ihm, dem

Feldwebel, der Rekrut Aufträge erteilte, der ‘SIrt
etwa: Der Gasofen funktioniere wieder einmal
nicht, und in der Küche amüsierten sich die Schwa-
ben und Russen . . . aber er folgte doch dem Rufe
und war uni Abhilfe der Schäden besorgt.

Doch auch in des befriedigt grinsenden Doktor
Fittich Gemüt brachten diese Vorgänge manche
Wendung hervor. 2hm schwand völlig der Sinn
für das Pathos der großen Zeit, und in der Be-
haglichkeit der Dreizimmerwohnung wurde an der
Zentralheizung der Gedanke in ihm warm: 2ch
werde von nun an Satiren schreiben. Immerhin
tat er dies vorerst noch nicht. Er empfand das
Bedürfnis, elegante Leute zu sehen und sich von
Kellnern bedienen zu lassen. Aber auch späterhin
schwand Herrn Doktor Fittich die Lust, diese
Satiren zu schreiben.

Denn es geschah, daß ©rabmeier das Nie-
mögliche möglich machte: Eines Morgens, als
die holde Ehegesponsin ihn einer Unterlassungs-
sünde wegen energisch zur Rede stellte, verfiel er,
statt in das übliche leidende Schweigen, in den
Zustand einer nach Körperverletzung geradezu
dürstenden Erregtheit. Und jene Hochachtung, die
ihm während einer vierzehnjährigen Ehe von
seiner Barbara versagt geblieben war, — mit
einen, Schlage hatte er sie errungen, als er mit
einer kräftigen Watsche die weibliche Anmaßung
der erbosten Gattin quittierte. Und da von nun
an Herr Grabmeier selbst in seinem Hause
regierte, ward in allen Dingen nach seinem
Wunsche verfahren: Und von nun an vergaß sich
kein Fuß des Feldwebel-Ehepaares soweit, die
Schwelle des rekrutlichen Parterremieters zu über-
schreiten. Und selbst die Zigarrenspende, die Herrn
©rabmeier eines Sonntags auf den Küchentisch
gestellt wurde, fand den Weg in das Herren-
zimmer Dr. Fittichs zurück, und ein beigefügter



Anton Schönmann (Schütze)

Zettel klärte den Spender darüber auf, daß es
höchstens Sache des Vorgesetzten wäre, seinem
Untergebenen rauchbare .Belohnungen zu ge-
währen. . . .

Das gab Herrn Fittich viel zu denken. Er
hatte schon lange keine Kriegsgedichte mehr ge-
schrieben und auch sein „Kriegshumor" war ihm
völlig eingetrockuet. Run aber sagte er, gekränkt,
seiner Kriegsmuse auf ewig Valet. Denn in der
Person seines Feldwebels hatte ihn das deutsche
Vaterland beleidigt.

Diese Tage brachten aber noch ein anderes Be-
gebnis von Bedeutung und Tragweite: Bei der
Turnübung nämlich ward dem Musketier Fittich
befohlen, sein noch immer rundliches Embon-
point über das Reck zu winden. Da der Unter-
offizier ihn herzlich darum bat und schwor: „Und
wenn Sie bis morgen früh dort oben . . .!", lat
Fittich sein Äußerstes. Es nützte nur wenig, doch
als der „Hilfegeber" dem Müden ein wenig nach-
helfen wollte und Fittich des Kameraden schützende
Hände an seinem verlängerten Rücken spürte,
glaubte er sich geborgen und ließ die Reckstange
fahren. Dumpf plumpste sein Körper von der
Höhe hernieder. — Langsam nur erholte er sich
von seinem Schrecken. Niemals hätte er es für
möglich gehalten, daß eines Kulturmenschen Nerven
solch ein Erlebnis zu überstehen imstande sein
könnten, und er glaubte, während er im Staube
lag, er sei den Heldentod für's Vaterland ge-
storben. Und ihn faßte ehrliches Verwundern, als
man ihn, noch leidlich lebend, ins Revierzimmer
schleppte.

Ein paar Tage mußte er dort bleiben. Daun
ward er dem ©arnisonsdicnst zurückgegeben.
Neuen Ansporn und neue Kraft gab ihm dieses
Erleben, in dem er ein „Soldaten-Schicksal" sah.
Und er glaubte auch die Energie und Uberlegen-

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Anton Schönmann: Vor dem Schneesturm am Hilsenfirst
 
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