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Am Klubhaus der „Vosges Trotters“

Ant. Schönmann (Schütze)

Fltticd

Bon Richard 71ieß

Der Zeitgenosse Harry Felix Fittich versuchte
durch literarische Mitarbeit an etlichen Provinz-
zeitungen fein Brot zu verdienen, um für die
Butter und den Kaviar der väterlichen Erb-
schafts-Koupons die bürgerliche Grundlage zu ge-
winnen. Da ihm.dies gelang, besaß er bald außer
seinem guten Sinne für die praktischen und an-
genehmen Dinge des Lebens und außer seinem
goldumrahmten Monocle eine beruhigende Zu-
friedenheit mit sich und der Welt. Außerdem
waren ihm zu eigen! ein Dichter-Klubsessel, freund-
liches Wohlwollen für die Mitglieder der besitz-
losen Klasse und schließlich moralische Gründe für
alles, was er — zur Aufrechterhaltung seines
Lebensbehagens — tat oder unterließ.

Als der Krieg ausbrach, entdeckte er seine
patriotische und militärische Gesinnung und lieferte
seinen Blättern marschfeste Soldatenlieder. Nicht
minder gut bearbeitete er die Rubrik „Kriegs-
humor" in dem 1000 Abonnenten zählenden
Wochenblättchen jenes Kleinstädtchens, in dem die
Maschinen seines verstorbenen Vaters noch immer
in seinem Dienste standen.

Harry Felix Fittich war stark, fleischig, wie-
genden Ganges, gut frisiert, belackschuht und un-
gedienter Landsturm. In seinen Versen verstand
er es trefflich, den „Deutschen! bieder, fromm
und stark" dem „britischen Krämer" und dem
„welschen Schuft" gegenüber zu stellen. Er feierte
den Sieg der Kanone über „die weichliche Zeit
des Genusses" und ermahnte fein Volk zur Spar-
samkeit und Enthaltsamkeit. Als das Brot knapp
wurde, schwor er, auf seine tägliche Morgen-
semmel von nun an zu verzichten und ließ sich

daher zum Frühstück ein paar Stückchen Torte
servieren. Er erinnerte seine Zeitgenossen an Sparta
und sprach begeistert von der „Reifung durch den
Krieg". Dann verkaufte er seine 3hr "/«igen Obli-
gationen und legte das freigewordeue Kapital in
5 °/o iger Kriegsanleihe an. Er erinnerte sein Volk
an die vaterländische Pflicht, ein Gleiches zu tun,
und dichtete darauf einen Hymnus auf Deutsch-
lands Macht, auf die kleinen Rentner, auf Hinden-
burg und den Sieg von Gorlize.

Eines Tages hieß es, er müsse zur Musterung.
Da badete er dann zum letzten Male in seiner
fichtennadelduftenden Marmorwanne, aß mit be-
sonderem Appetit ein gewähltes Frühstück und
steckte in die seidene Seitentasche seines Freundes,
des Medizinalpraktikanten Matthias M. Maus,
fachmännisches Gutachten, sein nervöses Herz-
leidend betreffend. All diese Umstände trugen das
Ihre bei, daß es hieß: Tauglich, Infanterie I.

Vierzehn Tage später, zwei Tage nachdem der
Gestellungsbefehl in sein Haus geflattert war, be-
gann für Harry Felix Fittich der Krieg. Er be-
gann mit den Unannehmlichkeiten des Stroh-
lagers und der individualitätsfeindlichen Behand-
lung durch die Unteroffiziere.

„Dieser Krieg wird für die Kultur geführt,"
hatte Fittich vom Klubsessel aus geschrieben.
„Unsere ganze Kultur scheint vernichtet," erzählte
er am Stammtisch bei seinem ersten „Ausgang".

„Der Krieg löst alle Probleme durch natür-
liche Kräfte. Oh, es ist herrlich zu leben!", schrieb
er einst am Schreibtisch daheim morgens 11 Uhr
im gelbseidenen Pyjama; „Probleme über Pro-
bleme!" grübelte er auf dem Strohlager. „Ich-
Dichter, Ich-Künstler, dem Kultur Lebensvoraus-
setzung, Lebensnotwendigkeit ist, — auf dem
Strohlager?" Probleme über Probleme! „Wie
läßt sich das Verhältnis zwischen Rekruten und

Unteroffizier in die Gebote von Knigges „Um-
gang mit Menschen" einordnen? Oh! Oh!

Da seine Wohnung in einem Villenviertel nicht
weit von der Kaserne gelegen war, gelang es ihm,
die Erlaubnis zu erhalten, daheim schlafen zu dürfen.

Als er zum ersten Male wieder die Freitreppe
seines Hauses hinanstieg, gab es ihm plötzüch
einen militärischen Ruck. Auf dem Etagenabstand
stand ein Vorgesetzter, ein Feldwebel. Und als
Dr. Fittich näher hinsah, ruckte es noch einmal
in ihm. Erbleichend erkannte er Herrn Grab-
meier, seines Hauses wachsamen Cerberus, der
allsonntäglich zu ihm zu kommen pflegte, um sich
zwei Feiertagszigarren zu holen. In diesem
Augenblick aber war jede Wohltat vergangener
Ziviltage vergessen und geradezu trinkgeldfeindlich
legte Grabmeier mit verächtlicher Lässigkeit die
Hand an die Mütze, um den strammen Gruß des
Etagenherren zu quittieren. Doch das Wohl-
wollen, das der Vorgesetzte dem Rekruten gegen-
über immerhin noch zur Schau trug, schwand
sichtlich, als die Flurtür hinter Dr. Fittich plötz-
lich mit bemerkenswertem Knalle zuklappte. Mit
wildem Satze sprang Grabmeier die Stufen em-
por, schellte an Fittichs Glocke und fuhr den
öffnenden Hausherrn an! „Tun Sie denn gar
keine Bildung ha'm, Sie. . . Soll i Eahna beim
Regiment melden z'weg'n ungebührlichem Ver-
halten . . . schlagt man mit die Türen umanand,
wann ein Vorg'setzter in der Nähe?"

„Zu Befehl!" sagte Dr. Fittich, und sah nicht
sehr gescheit aus in diesem Augenblicke.

Als er schließlich allein war, bewunderte er
seine Ruhe und Selbstsicherheit. „Ich Hab cs ihm
gut gesagt, dieses! ,Zu Befehlt Wie Hohn klang
es. Wie Maskerade. Töne von Verachtung
zitterten in diesem: ,Zu Befehl!* mit. Ob der
Prolet das verstanden hat?!"

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Anton Schönmann: Am Klubhaus der "Vosges Trotters"
Richard Rieß: Fittich
 
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