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wollte. Die Spaßmacher und die Mißtrau-
ischen ließen es nicht an Bemerkungen fehlen.
Patscheider lächelte aber nur zu allem über-
legen, und als es wieder ruhig geworden
war, fuhr er in feiner langsamen und be-
dachtsamen Art zu reden fort: „Wia i jetzt
z' Innichen unt' im Spital g'legen bin, Han
s' ma a Menge Büachel zum Lesen geb'n
und da woar oans dabei mit Kriegsg'lchicht'n
von die früheren Zeiten. Dös selbige war
recht lehisam und da drin ischt aa g'standen,
wia ma den Alpini derpacken muaß, nämlich

die G'schicht von da Achillesfersen-"

„Oan Achillesfersen," wiederholte der
Unterjäger, „von dera Han i no nia nix
g'hört."

,

Patscheider winkte dem Kameraden ab und
erzählte nun in seiner Weise das schlimme
Abenteuer des seligen Achilles vor den Toren
Trojas, wo ihn Paris' Pfeilschuß an der be-
kannten verwundbaren Sielle traf, und schloß
seine Ausführungen mit den Worten: „Oan
so an verwundbaren Punkt, oan so a schwache
Stell, so a Achillesfersen, wo man oan Men-
schen arg treffen kann, hat nun oan Jeder.

Der oane hat's am Fuaß, der andere wo
anders und man braucht bloß mit 'n Vastand
rausz'bringa, wo sie ischt."

Man riet sehr verschieden, wo sie bei dem
Alpini - Leutnant sein könnte, bis Patscheider
das erlö ende Wort sagte: „Bei den Frauen-
zimmer ischt sie! Dort muaß ma ihn der-
packen --"

Ein paar Tage später hatte Patscheider schon
Gelegenheit wieder aus Patrouille zu gehen. Er
wählte sich ein paar Leute aus, die ihm für seine
Pläne die tauglichsten schienen, und stieg dann
zu Tal.

* *

*

Am nächsten Tag gab'« auf der Stellung, die
das Bataillon inne hatte, dem der Zugsführer
Patscheider angehörte, ein großes Lachen, denn
gar Seltsames hatte sich zugetragen. Der Zugs-
führer Patscheider brachte von seinem Patrouillen-
gang einen Alpimoffizier ohne Uniform in Unter-
hosen mit! Der Gefangene saß jetzt in Mäntel
gehüllt in einem der Unterstände, von seinem Er-
oberer bewacht, der nicht wenig stolz auf diese
Akquisition war.

Der Hauptmann kam endlich herbei. „Ja,
Patscheider," sagte der Hauptmann beim Anblick
des zähneklappernden Gefangenen lachend, „der
ist ja halb nackt — was haben S' denn da
gemacht?"

„Melde gehorsamst, Herr Hauptmann, das ischt
der Alpinileutnant Giuseppe. Den han i bei der
Achillesfersen derpackt-“

„Bei der Achillesfersen?" wiederholte der
Hauptmann.

„Jawohl," erwiderte Patscheider, „bei der
schönen Maria Battistini unten, die wo die Achil-
lesfersen von dem Herrn Alpinileutnant gegen-
wärtig ischt."

„Passeil S' nur auf," sagte warnend und
lachend der Hauptmann, „daß man Sie nicht
auch bei Ihrer Achillesfersen erwischt, mein lieber
Patscheider!"

„Ich meid' gehorsamst, daß das net niehr
möglich ischt, denn der Ort ischt voni Feind be-
setzt worden, aber den oan Hab i ma no in der
G'schwindigkeit herausg'holt-."

Marktplatz in Krusevac Curt Ziegra (Kriegsmaler)

Der Bogumilenftein

Bon Karl Hans Stein

Als der Abend kam, ging ich noch ein wenig
aus Bilek fort, gegen den Barbar zu. Drüben
in Mazedonien heißt ein großer Fluß so, hier ist
es ein Berg, der ein uraltes Bauwerk trägt.
Gott weiß, wer die Grundmauern gelegt hat,
Serben saßen dann später drauf und noch später
Türken und zuletzt österreichische Gendarmen als
Grenzwächter gegen die Montenegriner und jetzt
hat man die alten Wände gesprengt und feindliche
Streifuni sollen manchmal drinnen übernachten
und auf die Straße hinunterschauen, die da von
der Kobila glava nach Bilek führt.

Die Flanken des Berges aber sind von un-
zähligen Felsengräbern durchlöchert und von Grab-
steinen eines verschollenen Geschlechtes übersäet.
Hier herum hatten die Bogumilen ein großes und
mächtiges Reich, und vielleicht lag hier irgendwo
eine ihrer Städte. Es hat sich aber nichts von
ihr erhalten, als vielleicht das Bruchstück eines
Turmes auf dem Bardar oben und dieses Ge-
wimmel von Gräbern, die Totenstadt auf den
Flanken des Berges. Alles übrige Bauwerk ist
von blutigen Kriegen oder unter dem Hammer
der Zeit zerbrochen und manchmal meine ich, die
Gegend sei so wüst und öde, weil die Trümmer
der Bogumilenstädte über alle Acker gestreut sind.

Ich wich auf einem schmalen Steig von der
Straße ab ins Felsengewirr und brauchte nicht
lange nach den Gräbern zu suchen. Ich war mitten
unter ihnen. Bei Christen, Juden und Türken
haben die Grabsteine bestimmte Formen, aber bei
den Bogumilen scheint kein Gesetz für sie bestan-
den zu haben. Willkür der Hinterbliebenen schuf
mannigfaltigste Steingcstalten: Sarkophage, Urnen,
einfachste Steinplatten, aufrecht und wagrecht, dann
aber grub man auch Löcher in den Felsen . . .

In zunehmender Dämmerung trug ich meine
Gedanken zwischen den Gräbern herum. Welches
Geschlecht, diese Bogumilen? Eine Rasse? Eine
Sekte? Ein Reich? Die Geschichte wußte nicht
viel über sie und ich wußte noch weniger. Ein
ernster und stiller Mensch, ein Oberleutnant in
Bilek hatte mir einiges erzählt: Ihre Religion
wäre gar keine Religion gewesen, sondern eine Art
Sitlenlehre, aus den besten Sätzen des Christen-
tums und des Mohammedanismus bestehend. Und
Spuren dieser Lehre fänden sich noch imnier hier
im Land, wo die Einwohner keine Moslemin
wären und auch keine Christen im äußeren Ver-
stände, da sie keine Kirchen hätten und auch keine
Priester brauchten. Die Bauern wären schlicht, red-
lich, gastfreundlich und sittenrein und niemandem
werde größeres Unrecht zugefügt als ihnen, wenn

man sie in ganz Europa schlechtweg als Ham
meldiebe verschreie.

So dachte ich darüber nach, wie Städte
zugrunde gehen können und Völker, und doch
ein Gedanke sie alle überlebt, und daß uns
unsere Feinde gewiß gerne dieses Bogumilen-
schickfal bereitet hätten, um dann vielleicht erst
den deutschen Gedanken als den Gedanken
der Menschheit zu erkennen. Darüber war
es recht dunkel geworden, ich kam ins Stol-
pern, sah mich ein wenig verwirrt zwischen
den Gräbern um und bemerkte erst jetzt un-
weit von mir den seltsamsten aller Bogumilen-
steine dieses wüsten Friedhofes.

Er sah wie ein Kreuz aus und hatte doch
auch plumpe Menschengestalt. Das obere
Ende des Längsbalkens war rund wie ein
Kopf und von ihm sank der Stein wie zwei
abfallende Schultern zu den Armen der Quer-
balken. Es schien mir, als ob er der Lange
und der Quere nach mit rät elhaften Sckrift-
zeichen bedeckt sei: und als ich mich nieder-
beugte, um sie zu betrachten, sagte jemand
dicht hinter mir, ja fast an meinem Nacken:
„Guten Abend, Herr."

Ich muß gestehen, daß ich zusammenfuhr
und es mich einen Schritt zur Seite riß. Meine
Hand mar im Nu in der Rocktasche, wo meine
Steyrer-Pistole stak. Der Mann blieb aber
ganz ruhig stecken, regungslos, als wäre er nur
ein Grabstein, der zu sprechen angefangen hätte.

„Du suchst die Alten, Herr," fuhr er fort. „Sie
sind weg. Es ist von ihnen nichts übrig, als diese
Steine. Das ganze Reich verloren."

Ich sah jetzt, daß ein alter Bauer vor mir
stand. Er trug die übliche Tracht, hatte ein Ge-
wehr über den Rücken hängen und, was weiß
an ihm war, die Umwicklung der Beine und
der ärmellose Rock leuch'ete ein wenig aus der
Finsternis hervor. Er war sicher um einen Kopf
größer als ich und es mar mir unbehaglich zu
Mut, so in der Dunkelheit einem fremden Mann
gegenüberstehen zu müssen, einem Wilden von
der Grenze Montenegros, vor dem ich mir so
klein vorkam.

„Komm weiter," sagte er, „ich bringe dich zur
Straße." Und er ging mir voran, während ich
bei mir bedachte, daß es doch ganz gewiß an-
gezeigt wäre, mich durch einen Sprung in die
Finsternis in Sicherheit zu bringen. Aber ich
wußte mit einemmal gar nicht mehr, wo die Straße
war, und mich im Gebiet der montenegrinischen
Streifuni zu verirren, war jedenfalls nicht sehr
zu empfehlen.

Nach einigem Wandern, das in Schlangen-
windungen zwischen Felsblöcken und um die
Ränder von Dolinentrichtern führte, blieb der
Mann stehen und sagte, als müsse er einen zwin-
genden Gedanken zu Ende bringen, denselben,
den er vorhin angesponnen hatte. „Alle Reiche
gehen hier verloren. Sie müssen alle hier ver-
loren gehen."

Ich verwunderte mich nicht weiter darüber,
daß der Mann so sprach, erst nachher, im Hellen
Licht der Offiziersmesse in Bilek fiel mir das
Erstaunliche dieser und seiner späteren Äußerungen
grell ins Gehirn. Rur die Frage, die ich tat, scheint
mir darauf hinzuweisen, daß unter der Schwelle
meines Bewußtseins sich vielleicht doch diese Ver-
wunderung regte: „Woher bist du?" fragte ich.

„Ich bin von hier," antwortete er. „Und du
bist einer von den Schwabas, die heute mit dem
Wagen ohne Pferde gekommen sind. Ich stand
an der Straße und habe euch gesehen."

„Bist du vom Schutzkorps?" fragte ich weiter.
Er antwortete nicht, aber es schien mir, daß
er den Kopf wendete und aus seiner Höhe auf
mich herabsah. Ich stolperte fraglos hinter ihnt
drein, bis er wieder stehen blieb und begann:
„Heute sind nichts als Steine hier, unbehauene
und behauene. Und weißt du, wodurch dieses
Reich zerfiel? Durch Zügellosigkeit. Das ist der
Fluch, der auf Land und Volk liegt. Es ist das
Blut, das uns um alles betrogen hat und betrügt.
Im Blut liegt es, in jedein von uns ist dieser wilde,
hitzige Strom, der alles sprengt. Weißt du, wodurch

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Karl Hans Stein: Der Bogumilenstein
Curt Ziegra: Marktplatz in Krusevac
 
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