Hinter Haremsgittern
Von
Else Marquardsen-Kamphövener
„Hinter Haremsgittern!" welche schauerlich
süße Vorstellungen weckt dieser Titel und wie
lieb sind diese Vorstellungen dem Sinn des West-
europäers ? Wie wenig dankbar ist er dem Forscher
mit seiner Wahrheitslampe, der unbarmherzig
diese schwülen Ideen zerstört. Und doch muh es
sein; doch muh endlich begriffen werden, das; hinter
den Haremsgittern nicht in schwerem duftgeschwän-
gerteni Dämmern geheimnisvolle Tränke des Ent-
zückens gebraut werden, sondern dah hinter ihnen
hervor der lebendige Strom der Kraft flieht, der
das Osmanenreich durchströmt.
Denn hinter den Haremsgittern lebt die Mutter.
Die Mutter aber ist der Inbegriff türkischen
Frauenseins und Männerwerdens; die Mutter
ist des bunten Lebens Hintergrund in frommem
Gottesblau; die Mutter ist aller Leiden Hilfe,
alles Trostes Kraft, aller Reinheit Stütze und
aller Liebe Ziel.
Aus dein tiefen Erfassen dieses Mutterge-
dankens heraus ersteht dem Türken das Bild des
Weibes, wie es durch sein Leben geht und wie
es ihm die sonnige Ruhe hinter Haremsgittern
schenkt.
Die Türe der Welt füllt zu hinter ihm. wenn
er die Schwelle des Raumes betritt, der seiner
Gattin Wohnung ist und wo nur er, einzig er,
Zutritt hat. Wo niemand, auch von Freundinnen
niemand eindringen darf, wenn er dort weilt.
Die Türe der Welt fällt zu und seine Gattin
läßt auch die Türe der Welt der Kleinlichkeiten
zufallen in ihrem Sinn, wenn ihr Gemahl die
Schwelle ihres Gemaches betritt. Sie empfängt
ihn, wie den liebsten und geehrtesten Gast, den
Haus und Herz haben können, sich für ihn
schmückend mit den Blumen der Anmut an Geist
und Gefühl, sich kränzend mit den Blättern der
Demut an Sinn und Verstand. Er ist der Herr;
sie zeigt ihm, wo sie nur kann, dah den: so ist,
unb er ruht gesichert in dem Bewußtsein, der Herr
zu sein. Jahrhunderte haben es ihm zur Selbst-
verständlichkeit gemacht, das; der Mund der
Frau verstummt, wenn der Mann die Hand
hebt; das; das Haupt der Frau sich neigt,
wenn der Mann die Stirne aufrichtet. Ge-
wiß, er ist der Herr. —
Höre ich nicht ein leises, ganz feines
Kichern? Ein fpielenbes Flüstern, ein
huschendes Murmeln? Sehe ich nicht un-
zählige schalkhafte Frauenaugen auf mich ge-
richtet, die mich von der Seite versteckt lächelnd
betrachten? Er ist der Herr!? O Herrentum
des Mannes, nie bist du geringer, als wenn
du so ganz unzweifelhaft fest dastehst! Nie
ist dein Thron wackeliger, als wenn demütige
Frauen ihn tragen! Gewiß, die Frau schweigt,
wenn der Mann die Hand hebt. Gewiß, sie
erhebt sich bei seinem Eintritt, und sie grüßt ihn
still, wenn er geht ... aber die Herrin ist s i e.
Ich plaudre hier ein Geheimnis aus; ich
verletze die ungeschriebenen Regeln inter-
nationaler (darf man das Wort noch ge-
brauchen?) weiblicher Solidarität. Aber ich
tue es mit dem sicheren Bewußtsein, daß
mir doch kein Mann glauben wird, und
somit auch keine Lehre daraus ziehen wird.
Glaubt mir aber eine Frau, so . . . ist der
Syrern der Mannes Herrschaft wieder rim eini-
ges wackeliger geworden! — Ich meine hier
die Herrschaft nach außen: sie, um die immer
so heftig gerungen wird; sie, um derent-
willen weibliche Anmut mit wildem Ana-
thema belegt wird und das Wort „Demut"
ausgespien wird wie etwas Ekelhaftes. Und
es macht mir eine besondere und herzliche
Freude feststellen zu können, daß in dem Lande,
das anscheinend aller „Frauenrechte" hoff-
nungslosestes Darniederliegen sieht, daß in
der Türkei, wo die Frau „hinter Harems-
gittern schmachtet", die Frauenherrschast die
tiefste und mächtigste ist, die man sich nur wün-
schen kann. Denn — es herrscht die Mutter.
Nicht die sorgende, stickende, kochende, jchellende
Mutter; nein, die Mutter, die über allem steht und
in allem waltet, die Mutter, die über unsrem Da-
sein thront, als sei sie eine Abgesandte der Vor-
sehung. Und mit ihr herrscht das ganze Geschlecht
der liebenden, wissenden Frau, der garnichts daran
liegt, nach außen hin die Gebietende zu sein, die
es aber eben deshalb in Wahrheit immer sein und
bleiben wird. Nie ein Befehl; nie ein schroff aus-
gesprochener Wunsch; nie ein trotzendes Schmei-
cheln. Nur immer der Panzer unbezwinglicher
Demut, das Schild lächelnder Unterordnung und
dahinter das sichere Wissen von der eigenen un-
überwindlichen Macht.
Das wuchs alles hinter Haremsgittern; wie
wird es sein, nun wo die neue Zeit diese Gitter
herunter reißen will? Wie wird der Osmane es
ertragen, sein sorgsam behütetes Heiligtum, das
Weib, sich neben ihm im Kampfe des Daseins
die zarten hennehgefärbten Hände beschmutzen zu
sehen und wie vor allem die Erkenntnis ver-
schmerzen, was alles an Kraft in diesem Wesen
steckt, das... so glaubte er. . . ihm demutsvoll
ergeben war?
Es gärt und tobt da unten am goldenen Horne,
wie es das überall in der Welt tut und im Ringen
nach außen und innen wird ein Volkstum er-
starken, das sich seiner gemeinsamen Wesens-
einheit bisher nur auf religiöser Grundlage bewußt
war, das hinter den Gittern des Glaubens lebte,
die es vor einer anderen Welt und einer neuen
Zeit abschlossen.
Jetzt aber heißt es plötzlich Mauern nationaler
Kraft bauen, aus festgefügtem Gestein, das Regen
und Sturm trotzen muß, Jahrhunderte lang . . .
so grau, so dicht, so rauh.
Und die Gitter des Glaubens, die aus Sonne
und Frohsinn gewebt waren, aus Ruhe und Gottes-
gedenken, sie werden nichts mehr sein hinter diesen
drohenden Mauern als ein liebliches Spielzeug,
das sich jeder in seinem eigenen Garten nach Be-
lieben aufstellen kann. Genau wie die Harems-
gitter.
Eine große Türe der Welt und ihrem lauten
Treiben zugekehrt wird das ganze Land haben
und jedes Haus in ihm .... Wohin aber wird
die schöne Stille schwinden, die hinter den ver-
goldeten Gittern webte . . . denen des Glaubens
und denen des Liebens?
0cr türkische Gasttreund
O. Hernpel (im Felde)
Wohin werden die Märchen-Erzähler ihre
Schritte wenden, wenn sie im Schatten jener
großen rauhen Mauer nationaler Kraft wandeln
müssen. sie, die es gewohnt waren auf den
Märkten des Lebens in der Sonne des sorglosen
Genießens unter Gottes Hand zu schreiten? Wer
wird noch Zeit finden in den Kawehs auf den
Straßen, unter Blätterdächern träumend zu sitzen
und das Tanzen des Sonnenstrahles zu ver-
folgen, wie er in den vergoldeten Zieraten des
Marmor-Brunnens dort spielt und auf dem
Rücken des geduldigen Esels, der die großen
Wasserschläuche trägt und noch lange aus seinen
Herrn warten kann, welcher neben ihm hockt
und in die Ferne des Himmels und seiner Seele
starrt?
Wer wird in Ruhe auf einem großen träu-
merisch-stillen Platze Stambuls zuhören können,
was der Besitzer des Karagiös, des Kasperle,
für wilde Schwänke Jung und Alt zum besten
gibt, wenn mitten hinein ein geschäftiges Auto
rast? — — — Platz da, für die neue, die
laute Zeit!
Was wird werden aus jenen stillen Betern,
die, wenn die Zeit des Gebetes gekommen war,
wo immer sie sich befanden auf ihrem Lendentuche
niedersanken und ihre Andacht verrichteten, ganz
hingegeben an den Gottesgedanken, was immer
um sie her vorging.... wohl wissend, daß nie-
mand, sei er wer er auch sei, sie stören würde?
Sie werden nur noch ein Verkehrshindernis
bilden.
Und die Studenten in den Höfen der Moscheen,
immer wieder versunken in alles, was ihnen der
Koran und die Hadith geben konnte; lebend in
den kleinen zellenartigen Räumen, die nach der
sonnigen Mitte offen sind . . . diese ganze Jugend,
die mit dem modernen Hasten nichts zu tun
hatte, die hinter den Goldgittern des Glaubens
ein Leben des Sonnenschweigens führte. . . was
wird werden aus ihr, im Schatten der großen
Mauer?
Wird in der heiligen Nacht, zur Mitte des
Ramasans, noch in der Aya Sophia das gewal-
tige Rauschen erklingen von all den Hunderten,
die sich schweigend erheben und schweigend nieder-
sinken, alle von dem gleichen Wort, dem gleichen
Wissen, dem gleichen Hoffen beseelt, wie ein
Mensch-alle diese Vielen, die nur Män-
ner sind, während ihre Weiber daheim alleine
für sich beten, hinter den Gittern ihres Lebens-
geheimniffes eingeschlossen?
Was wird werden aus all der seltsamen
Schönheit, die aus Verfall und Vergessen her-
aus nur immer leuchtender hervorglühte, wie
eine Wunderblüte, die sich vom Vergehen nährt?
Die Steine des großen Byzanz, die im
alten Stambul verstreut die Sprache der Un-
vergänglichkeit redeten, sie werden fortge-
räumt werden von der Neuerungswut, die das
Streben, ein ganz moderner Staat zu werden.
Hervorrufen wird. Scheußlichkeiten werden
entstehen mit Stuckfassaden und „allem Kom-
fort der Neuzeit"; stolz werden die Klein-
asiaten davor bewundern, und stolz neben
ihnen ein kleines zierliches Dämchen, nach
neuestem Pariser Geschmack gekleidet, dessen
unverschleiertes Gesicht alle geheimen Schön-
heiten der Vergangenheit nicht schnell genug
verleugnen kann.
Die unverschleierte Türkin . . . das Sym-
bol der Zukunft des osmanifchen Reiches.
Noch ist es nur wenig zu finden und zu sehen,
dieses seltsame kleine Zwitterwesen, das dem
Dämmern seines früheren Daseins entwachsen
zu sein glaubt, und sich in die grelle Hellig-
keit des neuen Lebens noch nicht hinein zu
finden vermag. ^ Noch ist es immer wieder
möglich, durch Verordnungen des Scheich-ül-
Islam den Schleier auf den Zügen der Os-
manin festzuhalten . . . wenn er auch zurück
geschlagen wird. Das macht nichts; jeder
obligate Schleier wird von jeder richtigen
Frau zurück geschlagen . . . aber er ist doch
da, als Begriff da! Er mahnt durch sein
Vorhandensein an die Tatsache, daß jeder
Männerblick eine Beleidigung ist ... wenn
Von
Else Marquardsen-Kamphövener
„Hinter Haremsgittern!" welche schauerlich
süße Vorstellungen weckt dieser Titel und wie
lieb sind diese Vorstellungen dem Sinn des West-
europäers ? Wie wenig dankbar ist er dem Forscher
mit seiner Wahrheitslampe, der unbarmherzig
diese schwülen Ideen zerstört. Und doch muh es
sein; doch muh endlich begriffen werden, das; hinter
den Haremsgittern nicht in schwerem duftgeschwän-
gerteni Dämmern geheimnisvolle Tränke des Ent-
zückens gebraut werden, sondern dah hinter ihnen
hervor der lebendige Strom der Kraft flieht, der
das Osmanenreich durchströmt.
Denn hinter den Haremsgittern lebt die Mutter.
Die Mutter aber ist der Inbegriff türkischen
Frauenseins und Männerwerdens; die Mutter
ist des bunten Lebens Hintergrund in frommem
Gottesblau; die Mutter ist aller Leiden Hilfe,
alles Trostes Kraft, aller Reinheit Stütze und
aller Liebe Ziel.
Aus dein tiefen Erfassen dieses Mutterge-
dankens heraus ersteht dem Türken das Bild des
Weibes, wie es durch sein Leben geht und wie
es ihm die sonnige Ruhe hinter Haremsgittern
schenkt.
Die Türe der Welt füllt zu hinter ihm. wenn
er die Schwelle des Raumes betritt, der seiner
Gattin Wohnung ist und wo nur er, einzig er,
Zutritt hat. Wo niemand, auch von Freundinnen
niemand eindringen darf, wenn er dort weilt.
Die Türe der Welt fällt zu und seine Gattin
läßt auch die Türe der Welt der Kleinlichkeiten
zufallen in ihrem Sinn, wenn ihr Gemahl die
Schwelle ihres Gemaches betritt. Sie empfängt
ihn, wie den liebsten und geehrtesten Gast, den
Haus und Herz haben können, sich für ihn
schmückend mit den Blumen der Anmut an Geist
und Gefühl, sich kränzend mit den Blättern der
Demut an Sinn und Verstand. Er ist der Herr;
sie zeigt ihm, wo sie nur kann, dah den: so ist,
unb er ruht gesichert in dem Bewußtsein, der Herr
zu sein. Jahrhunderte haben es ihm zur Selbst-
verständlichkeit gemacht, das; der Mund der
Frau verstummt, wenn der Mann die Hand
hebt; das; das Haupt der Frau sich neigt,
wenn der Mann die Stirne aufrichtet. Ge-
wiß, er ist der Herr. —
Höre ich nicht ein leises, ganz feines
Kichern? Ein fpielenbes Flüstern, ein
huschendes Murmeln? Sehe ich nicht un-
zählige schalkhafte Frauenaugen auf mich ge-
richtet, die mich von der Seite versteckt lächelnd
betrachten? Er ist der Herr!? O Herrentum
des Mannes, nie bist du geringer, als wenn
du so ganz unzweifelhaft fest dastehst! Nie
ist dein Thron wackeliger, als wenn demütige
Frauen ihn tragen! Gewiß, die Frau schweigt,
wenn der Mann die Hand hebt. Gewiß, sie
erhebt sich bei seinem Eintritt, und sie grüßt ihn
still, wenn er geht ... aber die Herrin ist s i e.
Ich plaudre hier ein Geheimnis aus; ich
verletze die ungeschriebenen Regeln inter-
nationaler (darf man das Wort noch ge-
brauchen?) weiblicher Solidarität. Aber ich
tue es mit dem sicheren Bewußtsein, daß
mir doch kein Mann glauben wird, und
somit auch keine Lehre daraus ziehen wird.
Glaubt mir aber eine Frau, so . . . ist der
Syrern der Mannes Herrschaft wieder rim eini-
ges wackeliger geworden! — Ich meine hier
die Herrschaft nach außen: sie, um die immer
so heftig gerungen wird; sie, um derent-
willen weibliche Anmut mit wildem Ana-
thema belegt wird und das Wort „Demut"
ausgespien wird wie etwas Ekelhaftes. Und
es macht mir eine besondere und herzliche
Freude feststellen zu können, daß in dem Lande,
das anscheinend aller „Frauenrechte" hoff-
nungslosestes Darniederliegen sieht, daß in
der Türkei, wo die Frau „hinter Harems-
gittern schmachtet", die Frauenherrschast die
tiefste und mächtigste ist, die man sich nur wün-
schen kann. Denn — es herrscht die Mutter.
Nicht die sorgende, stickende, kochende, jchellende
Mutter; nein, die Mutter, die über allem steht und
in allem waltet, die Mutter, die über unsrem Da-
sein thront, als sei sie eine Abgesandte der Vor-
sehung. Und mit ihr herrscht das ganze Geschlecht
der liebenden, wissenden Frau, der garnichts daran
liegt, nach außen hin die Gebietende zu sein, die
es aber eben deshalb in Wahrheit immer sein und
bleiben wird. Nie ein Befehl; nie ein schroff aus-
gesprochener Wunsch; nie ein trotzendes Schmei-
cheln. Nur immer der Panzer unbezwinglicher
Demut, das Schild lächelnder Unterordnung und
dahinter das sichere Wissen von der eigenen un-
überwindlichen Macht.
Das wuchs alles hinter Haremsgittern; wie
wird es sein, nun wo die neue Zeit diese Gitter
herunter reißen will? Wie wird der Osmane es
ertragen, sein sorgsam behütetes Heiligtum, das
Weib, sich neben ihm im Kampfe des Daseins
die zarten hennehgefärbten Hände beschmutzen zu
sehen und wie vor allem die Erkenntnis ver-
schmerzen, was alles an Kraft in diesem Wesen
steckt, das... so glaubte er. . . ihm demutsvoll
ergeben war?
Es gärt und tobt da unten am goldenen Horne,
wie es das überall in der Welt tut und im Ringen
nach außen und innen wird ein Volkstum er-
starken, das sich seiner gemeinsamen Wesens-
einheit bisher nur auf religiöser Grundlage bewußt
war, das hinter den Gittern des Glaubens lebte,
die es vor einer anderen Welt und einer neuen
Zeit abschlossen.
Jetzt aber heißt es plötzlich Mauern nationaler
Kraft bauen, aus festgefügtem Gestein, das Regen
und Sturm trotzen muß, Jahrhunderte lang . . .
so grau, so dicht, so rauh.
Und die Gitter des Glaubens, die aus Sonne
und Frohsinn gewebt waren, aus Ruhe und Gottes-
gedenken, sie werden nichts mehr sein hinter diesen
drohenden Mauern als ein liebliches Spielzeug,
das sich jeder in seinem eigenen Garten nach Be-
lieben aufstellen kann. Genau wie die Harems-
gitter.
Eine große Türe der Welt und ihrem lauten
Treiben zugekehrt wird das ganze Land haben
und jedes Haus in ihm .... Wohin aber wird
die schöne Stille schwinden, die hinter den ver-
goldeten Gittern webte . . . denen des Glaubens
und denen des Liebens?
0cr türkische Gasttreund
O. Hernpel (im Felde)
Wohin werden die Märchen-Erzähler ihre
Schritte wenden, wenn sie im Schatten jener
großen rauhen Mauer nationaler Kraft wandeln
müssen. sie, die es gewohnt waren auf den
Märkten des Lebens in der Sonne des sorglosen
Genießens unter Gottes Hand zu schreiten? Wer
wird noch Zeit finden in den Kawehs auf den
Straßen, unter Blätterdächern träumend zu sitzen
und das Tanzen des Sonnenstrahles zu ver-
folgen, wie er in den vergoldeten Zieraten des
Marmor-Brunnens dort spielt und auf dem
Rücken des geduldigen Esels, der die großen
Wasserschläuche trägt und noch lange aus seinen
Herrn warten kann, welcher neben ihm hockt
und in die Ferne des Himmels und seiner Seele
starrt?
Wer wird in Ruhe auf einem großen träu-
merisch-stillen Platze Stambuls zuhören können,
was der Besitzer des Karagiös, des Kasperle,
für wilde Schwänke Jung und Alt zum besten
gibt, wenn mitten hinein ein geschäftiges Auto
rast? — — — Platz da, für die neue, die
laute Zeit!
Was wird werden aus jenen stillen Betern,
die, wenn die Zeit des Gebetes gekommen war,
wo immer sie sich befanden auf ihrem Lendentuche
niedersanken und ihre Andacht verrichteten, ganz
hingegeben an den Gottesgedanken, was immer
um sie her vorging.... wohl wissend, daß nie-
mand, sei er wer er auch sei, sie stören würde?
Sie werden nur noch ein Verkehrshindernis
bilden.
Und die Studenten in den Höfen der Moscheen,
immer wieder versunken in alles, was ihnen der
Koran und die Hadith geben konnte; lebend in
den kleinen zellenartigen Räumen, die nach der
sonnigen Mitte offen sind . . . diese ganze Jugend,
die mit dem modernen Hasten nichts zu tun
hatte, die hinter den Goldgittern des Glaubens
ein Leben des Sonnenschweigens führte. . . was
wird werden aus ihr, im Schatten der großen
Mauer?
Wird in der heiligen Nacht, zur Mitte des
Ramasans, noch in der Aya Sophia das gewal-
tige Rauschen erklingen von all den Hunderten,
die sich schweigend erheben und schweigend nieder-
sinken, alle von dem gleichen Wort, dem gleichen
Wissen, dem gleichen Hoffen beseelt, wie ein
Mensch-alle diese Vielen, die nur Män-
ner sind, während ihre Weiber daheim alleine
für sich beten, hinter den Gittern ihres Lebens-
geheimniffes eingeschlossen?
Was wird werden aus all der seltsamen
Schönheit, die aus Verfall und Vergessen her-
aus nur immer leuchtender hervorglühte, wie
eine Wunderblüte, die sich vom Vergehen nährt?
Die Steine des großen Byzanz, die im
alten Stambul verstreut die Sprache der Un-
vergänglichkeit redeten, sie werden fortge-
räumt werden von der Neuerungswut, die das
Streben, ein ganz moderner Staat zu werden.
Hervorrufen wird. Scheußlichkeiten werden
entstehen mit Stuckfassaden und „allem Kom-
fort der Neuzeit"; stolz werden die Klein-
asiaten davor bewundern, und stolz neben
ihnen ein kleines zierliches Dämchen, nach
neuestem Pariser Geschmack gekleidet, dessen
unverschleiertes Gesicht alle geheimen Schön-
heiten der Vergangenheit nicht schnell genug
verleugnen kann.
Die unverschleierte Türkin . . . das Sym-
bol der Zukunft des osmanifchen Reiches.
Noch ist es nur wenig zu finden und zu sehen,
dieses seltsame kleine Zwitterwesen, das dem
Dämmern seines früheren Daseins entwachsen
zu sein glaubt, und sich in die grelle Hellig-
keit des neuen Lebens noch nicht hinein zu
finden vermag. ^ Noch ist es immer wieder
möglich, durch Verordnungen des Scheich-ül-
Islam den Schleier auf den Zügen der Os-
manin festzuhalten . . . wenn er auch zurück
geschlagen wird. Das macht nichts; jeder
obligate Schleier wird von jeder richtigen
Frau zurück geschlagen . . . aber er ist doch
da, als Begriff da! Er mahnt durch sein
Vorhandensein an die Tatsache, daß jeder
Männerblick eine Beleidigung ist ... wenn