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üfenfter. Vielleicht ist eine geheime Hoffnung in
dieser unscheinbaren Handlung; wenn sie darin
'ft, wird sie enttäuscht. Draußen regnet es. Ein
femer, durchdringender Regen strömt in grauen,
endlosen Fäden vom Himmel, macht die ganze
-Welt grau, leblos, erstarrt — löscht sie aus hinter
einem stumpfen, grauen, farblosen Schleier. Ge-
stern war sie noch da — morgen wird sie auch
wieder da sein — für heute besteht sie aus Regen,
leinen, durchdringenden, endlosen Regenfäden, die
>n gleichmäßigen Abständen auf den Bodeii auf-
sallen und in kleinen Tröpflein wieder empor-
lpritzen. Diese Art des Regnens ist eigens für
r’e Sonntagnachmittage erfunden worden Es
'» Ä'^ögiiG, sich etwas Trostloseres vorzustellen,
u durchaus nicht gesagt sein soll, dnh es

uue Sonntagnachmittage regnet. Aber schönes
-tvetter macht die Sache noch bei weitem grüß-
mt,er, sozusagen verzweifelt. Dann hat sich der
-negen in eine niemals endende Menschenreihe
s"<> bell wie eine zähe. unaufhaltsame

Mir wird's schrecklich wehmütig »ms Herz.
Am liebsten möchte ich weinen, bitterlich weine».

Oh diese schwindsüchtigen Jungfrauen —, denn
es ist ja nicht eine, unendlich viele sind's. Wie
initiier kleiner werdende Schachteln wächst ein
Stübchen aus dem andern heraus, alle genau
gleich eingerichtet. In jedem sitzt eine schwind-
süchtige Jungfrau vor dem Klavier und spielt die
Arie ans der Regimentstochter. Es gibt über-
haupt nur noch schwindsüchtige Jungfrauen auf
der Welt. Und dabei soll man nicht traurig
werden und weinen! Man müßte ja ein Herz
von Marmelsteiti in der Brust tragen! — So
hoffnutigsleer ist das Leben und grau und trüb-
selig — ach, und gestern war ich noch so vergnügt,
ja selbst heute Vormittag »och — und kann's
mir jetzt gar nicht vorstellen, daß ich jemals wieder
vergnügt sein werde. Wie sollte ich auch? Alles
Mögliche, Klägliche und Betrübliche fällt mir ein,
drückt mir das Herz zusammen — und wäre
doch sehnsüchtig nael, ein bißchen Glück und
Freude — —, aber diese jamniervolle Melodie läßt
- - ■ *■ —" "»kkommen. Die Töne schwimmen

geravezu >>, m>m—

und Kümmernis-. Und ich war vou,

einmal jung und habe geglaubt, es könnte etwas

mir werden I — Das ist wohl die
1Cl’~

»erainnhpit r")em<?10 .endende Mensch eure, ye
Masse durcl/ “t elne 3‘iI)e' »»aufhaltsame ooiy — „

Frauen .rTL? wälzt und schiebt. Die Freude-, aber diese jainmervmm -- ..

3di welk nn.r,,r7KÄIe'ber wil blauen Schleifen. nichts davon auskoninie». Die Töne schwimmen
nicht 5W i eine solche Kleidung jetzt geradezu in angstvoller Verlassenheit, in Gram

irqendwseIft esbW*ml,\nie Mode war, aber ' .>emis - -. Und ich war doä, auch

6*ii»i:Äw,S£il“,mb -» . .'

sagen will. Die Mäm>,-r ° l ^ ^ wie man

tragen unmögliche »' Schwarz und

Anstrengung vemM. "Ile schwitzen vor

unaufhörlich mitS er“1'Säuf7>.e"- Sie reden
gemurmel auf einer =17 - eß wie Bolks-

- ^iiabatb r- 4im?Trenbül>nc: Rhabarber

beständige Fa sten d»R ° ^ ^ aderwie das

Pflaster - -oder »tif den. Stein-

von Millionen r da,- leise, tappende Scharren

lrüglichen Gesännnl7^"®^' die aus einem uner-
sind - - auszubrechen in, Begriffe

schmierten 9K,ii„4 ,-lUlrC b,n® Knarren der iinge»
ausgemackt ift * 1 C ^obci noch gar nicht einmal
wenn, ob sie 'bmir .7 Weltachse gibt, und

heimtückisch arauS r» ßf.kUuq[ lächerlich,

zu gleicher Iei^ur,k unsäglich niederdrückend

und versuüw"^ nIf° wieder in mein Buch
Buchstaben fw ®S ®mnes der unendlich vielen
unter mir u. w"rden. Run fängt Jemand
armes, behn.,»* °mcr 311 fa'elcn- Es ist ein
süchtige 3„>mfv7Sl7ttls Geschöpf, eine schwind-
und die ber ber ®e|iebte untreu wurde

ist. Fje ,n! , wnwer unheilbar krank geworden
tochter. Ewe Arie aus der Regiments-
wurde sie sie aus »«einer Kindheit, da

ck immer am Sonntagsnaäimittag

tochter. Ich kenne sie aus ».einer Kindheit, ou
wurde sie auch immer am Sonntagsnachmittag
gespielt. Du—du—du—du — du geht die Melodie.
Sie spielt sie mit ergreifendem Ausdrucke, be-
i anders das langausgehaltene du ist geradezu
erschütternd. Der ganze Schmerz des llnschul-
o>g-Serratenseins liegt drin. Sie spielt immer
insK’lbe: acht Takte sind's, dann beginnt sie
an neuem. An jedem andern Tage der Woche
ich daraus schwören, es sei der pen-
77.7 Kavallerierittmeister, der unter mir
Ridll'Ä7°" Pügerchor aus einer Oper von
jrn . n. »öner trommelt —. aber Sonntags-
's' 0 die Arie aus der Olegiments-
tochter, kann gar nichts anderes sein. Und
die schwindsüchtige Jungfrau ist außer allen,
Iweisel. Ich feb)e sie deutlich vor mir in ihren,
engen, lichtlosen Stübchen. Ein schmales Bett
R'm dort, von einer schlichten, kunstlosen
-Hakeidecke ke.isch verhüllt, eine altertümliche
Kommode, drauf ein Glasschränkchen, in dem
sch die Andenken an bessere, ach, und glück-
i'.chere Zeiten befinden, ein Tisch., ein Stuhl,
em Vogelbauer am Fenster mit einem Häist-
»»3 drin, dem einzigen Freunde, die arge Ein-
lanikeit zu teilen, und, über die Ecke gestellt,
das Klavier. Dort sitzt die Ärmste auf einem
Hocker, dessen dürftige Sitzfläche durch reichliche
Straminslickereien um nichts weicher geworden
m, trägt natürlich ein weißes Kleid mit einer
blauen Schleife hinten oder rückwärts und
hustet erbärmlich, so oft sie aufs Pedal tritt,
was sie beinahe beständig tut: das Trete» und
das Husten. So entkräftet hat sie der Grani. —

einmal ,u»g uuu

Rechtes aus mir werden! — Das ist wohl die
Strafe für meinen Übermut — nun ift's verspielt
auf Lebenszeit — nun hilft nichts mehr, wenn
ich auch in mich gehe — nie mehr soll ich froh
sein dürfen — nie mehr — ach Gott — — ach
Gott —-

Es fängt zu dämmern an; ich kann nicht mehr
lesen. Auch die unendlich vielen Stübchen werden
undeutlicher — die schwindsüchtigen Jungfrauen
verflüchtigen sich sogar ganz — und die Arie
aus der Regimentstochter klingt leiser zu mir

herauf.

Bon der Straße draußen kommt das Geräusch
harter, kräftiger Tritte; sie halte» einen Augen-
blick, gehen weiter. Aha, der Laternenanzünder.
— Schon so spät! Vielleicht hat der Regen jetzt
aufgehört? Ich trete ans Fenster. Es hat ja
gar nicht geregnet, das Pflaster ist trocken, der
ganze Himmel klar. Die Straße ist voll von
fröhiichen Menschen — und mir war doch noch
soeben, als ob — —. Daran ist nur diese ver-
wünschte Melodie schuld: du—du—du—du—du —.
Aber das ist ja der Pilgerchor aus dem Tann-
häuser! Wie der Kerl heut wieder dreinhaut! —
Er soll nur hauen, wenn's ihn freut, mir ».acht

das gar nichts — nicht das Geringste-. Gott

sei Dank, das fehlte mir gerade noch, daß so ein
bißchen Klavierspielerei — —! Ach, ich bin so
froh, es ist so schön auf der Welt — —, wenn
der Sonnlagnachmittag vorüber ist — —!

Zwei Grotesken

Bon Iueundus Fröhlich

I.

Der Journalist

Nichts leichter als dies, dachte ein brünetter,
aber unsympathischer Jüngling und schickte ein
Säireiben folgenden Inhaltes an die Chefredak-
tion des „Generalanzeigers":

„Gestern kam in den Mittagsstunden auf der
wenig belebten Müllerstraße infolge des Glatt-
eises ein lahmer Greis zu Fall Er ritzte sich
seine Wange, so daß in Kürze der Schnee sich
in. Umfange von 1 em blutrot färbte, konnte
aber ohne ärztliche Hilfe infolge Eingreifens eines

Passanten seinen Weg fortsetzen."

Diese Notiz erschien am nächsten Tage unter
der Rubrik „Innerpolitisches" im Generalanzeiger
und der Jüngling, welcher sie entworfen hatte,
empfing nach einem halben Jahr 60 Pfennig
Honorar per Postanweisung. Dieser unerwartete
Erfolg ließ seinen Stolz und seine magere Hühner-
brust beträchtlich schwellen. Er setzte sich in eine
Gartenwirtschaft und bestellte sich ein paar Würst-
chen mit Saiat nebst einen, halben Hellen. Da-
rauf schrieb er:

„Die Terrainspekulationen des Kommerzien-
rates Z. haben sich im weitesten Umfang als un-
lauter und verfehlt herausgestellt. Die unsauberen
Machenschaften sind enthüllt. Der Uebeltäter sieht
seiner Bestrafung entgegen. So soll es allen
ergehen, welche am Mark des Volkes saugen."

Dieses Scriptum, ordentlich kuvertiert, sandte
der strebsame junge Mann an das „Schreiende
Unrecht", ein Druckblatt zweifelhafter Observanz,
in dem es am übernächsten Tage auf der ersten
Seite i» Fett- und Sperrdruck erschien unter der
Marke: Enthüllungen aus der Finanzwelt. Groß-
stadt Kavaliere.

Rach knapp drei Monaten empfing unser
junger Mann ein Honorar von Mk. 1,30 in
Briefmarken Er hatte wieder ein halbes Jahr
zu leben. Nachdem diese Summe aufgebraucht
war, beschloß er an eine Aktion großen Stiles
zu gehen. Er sandte ein Telegramm an die

„Tägliche Berliner Kohlrübe":

„Glänzend verlaufenes Gastspiel des Berliner
Intimen Theaters in unserer Stadt. Applaus
über Applaus. Kränze über Kränze. Direktor
Gummiballon 37 mal gerufen. Einige unver-
besserliche Enthusiasten wurden am nächsten Morgen
»och unter den Kleidern der Schauspielerinnen
l j. s.„„ remftfme(cs jft ein

KimM'J'Uegen

Feld. Staeger

liche Enthusiasten wurden am naayirn
noch unter den Kleidern der Schauspielerinnen
gefunden. Der Eindruck des Gastspieles ist ein

unvergeßlicher."

Umgehend erhielt unser junger Mann eine
telegraphische Postanweisung von 100 Mk.
von der Direktion des Intimen Theaters. Er
legte sie in Munitionsaktien an und setzte
sich zur Ruhe. Aus seiner Hühnerbrust ward
ein Fettbauch. Er läßt sich nur noch Herr-
Doktor nennen. Seiner geschätzten Feder be-
gegnet man nur noch selten in den Spalten
unserer führende» Blätter. Er hat es nicht
mehr nötig zu schreiben. Er hat sich aus in-
dische Philosophie geworfen. An Stelle des
Nabels betrachtet er seine dicke, goldene
Uhrkelte.

II.

F e n st e 1 l n

Ich kaufte mir ein echt oberbayrisches Ge-
birgskostüm: Lederhose und graugrünen Jan-
ker mit Hornknöpfen, Wadenstrümpfe, soge-
nannte Stutzer, ein grünes Hütl mit einem
Gemsbart daran.

Darauf begab ich inich bei Vollmond in
den Garte» des Speckbauern und rief unter
dem Fenster seiner liebliche» lebf.ischen Tochter:
„Marianderl, geh, laß mich eini!" Ich be-
mühte mich, den einheimischen Dialekt nicht
ohne einige Schwierigkeit fließend von nur zu
geben. „Marianderl," lockte ich noch einmal.

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Register
Ferdinand Staeger: Kunstkollegen
Jucundus Fröhlich: Zwei Grotesken
 
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