Fröhliche Jagd
Bila antwortete ohne Zögern: „Ich habe keinen
Wunsch mehr!"
Worauf der Engel: (abermals mit „silbernei
Stimme') „Warum?!"
»Weil morgen Geburtstag ist und da habt
ich mich heute schon ganz ausgcwunscl>cn."
„Sol?" sagte der Engel. „So?!" Dann dranc
er nicht weiter in das träumende Kind und vcr-
fchwand — aus pädagogischen Gründen.
,, Wie unangenehm," dachte er, „von alten Rech'
er, keinen Gebrauch nrachen zu dürfen." „Wie pcin
und blickte gedankenvoll durrl, die Maue,
?,? ^'nz,miner wo eben die Mutter Bila'-
'N'b L'cht machte. Mit ihr war eint
Freundin. Die Damen waren sehr anaereat liatter
Ä^^nckten Hutformen, auch hlcinc
unb hlc,rtftcjpahcte, d.e Flaschen enthielten mit
Chokoladenbonbons: so ein Engelsblick der durck
Mauern dringt, geht ja spielend durch Bavie,
und Karton hindurc>>. — > f
Auf dem Tisch lag ein eben gelieferter Pelz-
mantel neuester Mode. Beide Frauen betrachteten
eingehend das kostbare Stück. Beide zogen ihn
nacheinander an, stellten Kragen hoch, klappten
ihii wieder herunter, knöpften auf, knöpften z»
gingen hin und her, zum Spiegel und zurück
u. s. f. eine halbe Stunde lang. Dann nahmen
beide zwei Spiegel zu Hilfe. Die Dichterfran
holte alle Hüte heran, auch die ihr nicht gutstanden
Auch diese wurden anprobiert, mit Pelz, ohne Pelz,
mit Schleier, ohne Schleier, wieder eine halbe
Stunde lang. . „ ,
Das Seidenfuttcr wurde befühlt, bewertet,
dazwischen Bonbons gegessen und überhaupt jede
Art „natürlicher Anmut" vor dem Spiegel aus-
studiert.
Der Engel, der nicht viel vom Ernst dieser
Dinge verstand, hätte sich gerne gebogen vor
Lachen, wenn er nicht ein Engel gewesen wäre.
So aber hielt er sich an seine himmlische Instruk-
tion und lächelte nur milde. Seine Blicke aber
drangen durch die Mauer mitten in die Seele
der Dichtcrsfrau. Wie Engel in der Seele lesen,
kann man sich am besten so vorstellen. Sie sehen
etwas, das einer photographischeii Platte gleicht,
auf der alles, was im Leben des betreffenden
Menschen passiert ist. größer oder kleiner, schwärzer
oder blässer markiert ist. (Im Himmel soll auck,
eine Registratur, eine Art Seelenzettelkasten, exi-
stieren.) Aber Genaueres ist darüber noch nicht
bekannt.
Die Scelenplatte der Bila-Frau war übrigens
etwas ganz Besonderes. Voll und gerade stand
darauf geschrieben „Liebe, Liebe, Liebe, Mann,
Bila, Kind, Mann, Liebe" und ganz klein und
krizzelig fand man eingestreut Kaffee, Kunstaus-
stellung, Geld, Scliokolade und Ähnliches. Ganz
am Schülß stand dann groß 3 mal Bila, Ge-
burtstag und ganz klein und blaß daneben war
das Bild eines Pelzmantels oder einer Jacke.
Vielleicht war cs aber nur ein Klex.
Denn nian kann oft stundenlang sich mit
etwas beschäftigen, ohne daß mehr auf die See-
lenplatte kommt als ein Klex.
Das wußte auch der Engel ganz genau und
so zog er denn schnell eine Bilanz über den
inneren Wert der Dichtersfrau und beschloß hier
sein Recht auf Wunscherfllllung schonungslos
auszuüben.
Kaum hatte er das gedacht, so sagte schon die
Bila-Frau zu ihrer Freundin: „Jetzt wünsche ich
Thomas Laumxarrner ftKünchent
mir, daß cs schon kalt wäre, damit ich den Pelz-
mantel tragen kann. Das wünsche ich mir!"
Dem Schutzengel genügte diese Aeußerung
vollkommen. Er eilte zum nächsten Tclcgraphcn-
amt und gab folgende Depesche auf:
„An den lieben Gott! Wetternbteiliing.
Sendet gesamten greifbaren Vorrat sibirischer
Kälte nach hier. Halleluja! Engel 207021."
Dann stürzte er zurück zu seinem Schützling
Bila.
Auf dem Weg begegnete ihm eine Arbeiter-
frau, die mit einem Kind am Arm, eins an der
Hand mit einem Marktnetz, mühselig beladen
dahcrhumpelte. Das Kind trug ein Kattnnklcid-
chen, hatte bloße Waden und »in den Hals ein
Stück falschen Astrachan. Beide waren gelblich
schinutzig. — — „Mutti, ick Hab' scheen warm
uin'n Hals mit mei'in Pelz, aber in die Becne
Au! Mutti! wird cs heuer wieder kalt im Win-
ter? Mutti!" Die Mutter trottet weiter, denkt
und sck>leppt und schleppt und hört iiicht. — —
„Mutti!"
„Wat willste denn?" „Mutti! ob es kalt
wird den Winter?" „Ree!" sagt die Mutti mehr
zu sich als zum Kind, „bet wär' doch zu ville
vom Herrgott! Wolle gibt's kccne für die armcii
Leutei Pelz is nischt. Kohle oda Sck>naps is
Essig (hier staunte der Eiigel über die neuen
Entdeckungen der Chemie). „Ree!" fuhr die
Fra» fort, „bet dut a nid) da olle Herrjott. Macht
a nick), such ick> Dir," uiid trottet weiter, irgend
einem schleck>t gelüfteten Heim zu.
Auf diese Weise wurde dem Engel-Ersatz auf
einmal klar, daß Engclsein oft eine ganz pein-
8/7
Bila antwortete ohne Zögern: „Ich habe keinen
Wunsch mehr!"
Worauf der Engel: (abermals mit „silbernei
Stimme') „Warum?!"
»Weil morgen Geburtstag ist und da habt
ich mich heute schon ganz ausgcwunscl>cn."
„Sol?" sagte der Engel. „So?!" Dann dranc
er nicht weiter in das träumende Kind und vcr-
fchwand — aus pädagogischen Gründen.
,, Wie unangenehm," dachte er, „von alten Rech'
er, keinen Gebrauch nrachen zu dürfen." „Wie pcin
und blickte gedankenvoll durrl, die Maue,
?,? ^'nz,miner wo eben die Mutter Bila'-
'N'b L'cht machte. Mit ihr war eint
Freundin. Die Damen waren sehr anaereat liatter
Ä^^nckten Hutformen, auch hlcinc
unb hlc,rtftcjpahcte, d.e Flaschen enthielten mit
Chokoladenbonbons: so ein Engelsblick der durck
Mauern dringt, geht ja spielend durch Bavie,
und Karton hindurc>>. — > f
Auf dem Tisch lag ein eben gelieferter Pelz-
mantel neuester Mode. Beide Frauen betrachteten
eingehend das kostbare Stück. Beide zogen ihn
nacheinander an, stellten Kragen hoch, klappten
ihii wieder herunter, knöpften auf, knöpften z»
gingen hin und her, zum Spiegel und zurück
u. s. f. eine halbe Stunde lang. Dann nahmen
beide zwei Spiegel zu Hilfe. Die Dichterfran
holte alle Hüte heran, auch die ihr nicht gutstanden
Auch diese wurden anprobiert, mit Pelz, ohne Pelz,
mit Schleier, ohne Schleier, wieder eine halbe
Stunde lang. . „ ,
Das Seidenfuttcr wurde befühlt, bewertet,
dazwischen Bonbons gegessen und überhaupt jede
Art „natürlicher Anmut" vor dem Spiegel aus-
studiert.
Der Engel, der nicht viel vom Ernst dieser
Dinge verstand, hätte sich gerne gebogen vor
Lachen, wenn er nicht ein Engel gewesen wäre.
So aber hielt er sich an seine himmlische Instruk-
tion und lächelte nur milde. Seine Blicke aber
drangen durch die Mauer mitten in die Seele
der Dichtcrsfrau. Wie Engel in der Seele lesen,
kann man sich am besten so vorstellen. Sie sehen
etwas, das einer photographischeii Platte gleicht,
auf der alles, was im Leben des betreffenden
Menschen passiert ist. größer oder kleiner, schwärzer
oder blässer markiert ist. (Im Himmel soll auck,
eine Registratur, eine Art Seelenzettelkasten, exi-
stieren.) Aber Genaueres ist darüber noch nicht
bekannt.
Die Scelenplatte der Bila-Frau war übrigens
etwas ganz Besonderes. Voll und gerade stand
darauf geschrieben „Liebe, Liebe, Liebe, Mann,
Bila, Kind, Mann, Liebe" und ganz klein und
krizzelig fand man eingestreut Kaffee, Kunstaus-
stellung, Geld, Scliokolade und Ähnliches. Ganz
am Schülß stand dann groß 3 mal Bila, Ge-
burtstag und ganz klein und blaß daneben war
das Bild eines Pelzmantels oder einer Jacke.
Vielleicht war cs aber nur ein Klex.
Denn nian kann oft stundenlang sich mit
etwas beschäftigen, ohne daß mehr auf die See-
lenplatte kommt als ein Klex.
Das wußte auch der Engel ganz genau und
so zog er denn schnell eine Bilanz über den
inneren Wert der Dichtersfrau und beschloß hier
sein Recht auf Wunscherfllllung schonungslos
auszuüben.
Kaum hatte er das gedacht, so sagte schon die
Bila-Frau zu ihrer Freundin: „Jetzt wünsche ich
Thomas Laumxarrner ftKünchent
mir, daß cs schon kalt wäre, damit ich den Pelz-
mantel tragen kann. Das wünsche ich mir!"
Dem Schutzengel genügte diese Aeußerung
vollkommen. Er eilte zum nächsten Tclcgraphcn-
amt und gab folgende Depesche auf:
„An den lieben Gott! Wetternbteiliing.
Sendet gesamten greifbaren Vorrat sibirischer
Kälte nach hier. Halleluja! Engel 207021."
Dann stürzte er zurück zu seinem Schützling
Bila.
Auf dem Weg begegnete ihm eine Arbeiter-
frau, die mit einem Kind am Arm, eins an der
Hand mit einem Marktnetz, mühselig beladen
dahcrhumpelte. Das Kind trug ein Kattnnklcid-
chen, hatte bloße Waden und »in den Hals ein
Stück falschen Astrachan. Beide waren gelblich
schinutzig. — — „Mutti, ick Hab' scheen warm
uin'n Hals mit mei'in Pelz, aber in die Becne
Au! Mutti! wird cs heuer wieder kalt im Win-
ter? Mutti!" Die Mutter trottet weiter, denkt
und sck>leppt und schleppt und hört iiicht. — —
„Mutti!"
„Wat willste denn?" „Mutti! ob es kalt
wird den Winter?" „Ree!" sagt die Mutti mehr
zu sich als zum Kind, „bet wär' doch zu ville
vom Herrgott! Wolle gibt's kccne für die armcii
Leutei Pelz is nischt. Kohle oda Sck>naps is
Essig (hier staunte der Eiigel über die neuen
Entdeckungen der Chemie). „Ree!" fuhr die
Fra» fort, „bet dut a nid) da olle Herrjott. Macht
a nick), such ick> Dir," uiid trottet weiter, irgend
einem schleck>t gelüfteten Heim zu.
Auf diese Weise wurde dem Engel-Ersatz auf
einmal klar, daß Engclsein oft eine ganz pein-
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