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Else Mehrle (München)


Letztes Lauten

Nun habt Ihr Euren letzten Schlag getan.
Zum letztenmal zu Gottes Wort gerufen.
Umsonst der Segen, der den Guß begann,

Als Euch des Meisters fleißige Hände schufen!

Wo ist die Weihe, die ein frommer Mund
Euch über Euren blanken Leib gesprochen?

Ach hättet Leben Ihr. in dieser Stund,

Da wäre Euer Glockenherz gebrochen.

Hoch in den Lüften habt Ihr Jahr um Jahr
Der armen Menschen Leib und Lust gesungen,
Ein dröhnend Beten, einfach, schlicht und klar.
Hat Euer Tönen himmelwärts geklungen.

So wird auch Euch zu teil ein Menschenlos:
Mit frommem Spruch und Segenswunsch

empfangen.

Ein hohes Himmelsstreben, rein und groß,

Und an der Nützlichkeit zu Grund gegangen.

G. Böhm

*

Oie Bratwurst

Groteske von H. Steinitzer

Ein Hund findet eine Bratwurst. Kommt ein
zweiter Hund daher, jucht sie ihm zu entreißen.
Sieht ein Mann die beiden Hunde balgen, schlägt
auf sie los, daß sie die Bratwurst fallen lassen und
heulend davontaufen. Hebt der Mann die Brat-
wurst auf, tnerkt, daß sie bis auf ein paar Riffe
von den Hundszähnen noch heil ist, trägt sie nach
Hause, gibt sie seiner Frau, sagt: „Brat mir die
Bratwurst I"

Fragt die Frau: „Woher kommen die Risse
in der Bratwurst?"

Erzählt ihr der Mann, wie er zu der Brat-
wurst gekommen ist.

Sagt die Frau: „Für Menschen ist es eine
Schande, etwas zu essen, was ein Tier berührt
hat. Wenn Du Luft auf Bratwurst hast, kann
ich zum Fleischer gehen und eine kaufen. Wir
habend ja dazu, Gott sei Dank,"

Sagt der Mann: „Man soll kein Geld ver-
schwenden, wenn man's ersparen kann. Auch
die Tiere hat der liebe Gott erschaffen. Brat
mir jetzt diese Bratwurst,"

Sagt die Frau: „Ich tu's nicht, und wenn
Du mich totschlägst!"

Wird der Mann zornig, gibt seiner Frau einen
Schlag, daß sie umfällt und kein Glied mehr rührt.

Geht der Mann zum Richter, sagt: „Ich Hab
meine Frau totgeschlagen,"

Frägt der Richter: „Warum hast Du das
getan?"

Erzählt der Mann die Geschichte mit der
Bratwurst,

Sagt der Richter: „Die Bratwurst gehörte
doch nicht Dir, Du hast sie gestohlen, also bist Du
ein Dieb und muht hängen."

Sagt der Mann: „Ich bin's zufrieden, aber
zuerst muß der als Klüger auftreten, dem ich sie
gestohlen habe,"

Läßt der Richter die Hunde aus der ganzen
Stadt zusammenjagen, fragt: „Wem von Euch
hat die Bratwurst gehört?"

Bellen alle Hunde zu gleicher Zeit: Wau, wau.

Sagt der Mann: „Das gilt nicht, ich Hab' sie
nur zweien genommen."

Schickt der Richter seinen Schreiber zum Rat,
läßt fragen, was da zu tun sei.

Erscheint der Rat, den Bürgermeister an der
Spitze im schwarzen Amtskleide, die goldne Kette
um den Hals.

Frägt der Bürgermeister: „Was ist geschehen?"

Erzählt der Richter, erzählt der Mann, bellen
die Hunde.

Kommt ein Bäuerlein daher, gibt an, daß
ihm seine Bratwurst sei gestohlen worden.

Frägt der Bürgermeister die Hunde, wer von
ihnen sie gestohlen hat?

Bellen wieder alle Hunde zur gleichen Zeit.

Sagt der Bürgermeister: „Da haben wir das
Geständnis." Befiehlt, daß alle Hunde gehängt
werden.

Laufen die Leute herbei, denen die Hunde
gehören, wollen's nicht leiden. Behauptet jeder,
sein Hund sei unschuldig.

Kraut sich der Bürgermeister in den Haaren,
sagt: „Was ist da zu machen? Wir wollen zum
Kaiser schicken, der soll Recht sprechen."

Schicken also zum Kaiser, Der kommt nüt
2000 Rittern im Gefolge, Wird ein prächtiges
Zelt aufgeschlagen, sitzt drin der Kaiser auf gol-
denem Throne, das Reichsschwert in den Händen.
Stehen die 2000 Ritter um ihn herum.

Frägt der Kaiser, worum es sich handelt?

Erzählt der Bürgermeister, erzählt der Richter,
erzählt der Bauer, schreien die Leute, bellen die
Hunde.

Denkt der Kaiser lange nach, frägt dann den
Bauer: „Was kostet eine Bratwurst?"

Sagt der Bauer: „Einen roten Heller."

Läßt der Kaiser durch seinen Obcrschatzmeister
dem Bauer einen roten Heller reichen, sagt:
„Und das von Rechtens!"

Nimmt der Bauer den roten Heller und geht
seines Wegs.

Sind alle erstaunt ob der Weisheit des Kai-
sers, rufen: „Hoch!" Nur die Hunde bellen, da
sie nicht wissen, wie man „hoch" ruft.

Zieht der Kaiser wieder fort, gehen alle aus-
einander, kommt der Mann nach Hause.

Steht seine Frau am Herde, eine große Beule
an der Stirn, wo sie der Mann hingeschlagen.
Brozzelt etwas in der Pfanne.

Sagt die Frau: „Warum kommst Du so
spät? Ich habe die Bratwurst gebraten, nun ist
sie verbrannt."

Nimmt der Mann die Bratwurst, sieht, daß
sie nicht mehr zu genießen ist, wirst sie vor die
Türe auf die Straße.

Kommt ein Hund daher, schnappt sie auf und
läuft weg.

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Register
Else Mehrle: Zeichnung ohne Titel
Georg v. Böhm: Letztes Läuten
Heinrich Steinitzer: Die Bratwurst
 
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