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Die wartenden Frauen

Manchmal wohl, daß sie am hohen Tage,
Wie Verwandelte anr Fenster stehn,
Starr und ohne Seufzer, ohne Klage
In die überwölkte Ferne sehn.

Daß die Hand, wie sie in leiser Regung
Über ihres Kindes Scheitel streist,
-Künder unaussprechlicher Bewegung-
Ein geheimes Zittern überläufl... —

Doch schon wenden sie, getrost, ja heiter,
Sich zurück und jede spinnt und spinnt
Unentwegt an ihrem Tagwerk weiter:
Wissend, nur der Wirkende gewinnt.

Tief bezwungen hinter Tat und Rede
Bergen sie der Herzen bitt'res Weh,
Siegerinnen sie der schwersten Fehde,
Königinnen des Geduldens — jede
Eine Schwester der Peirelope.

Walter Britting (im Felde)
*

Eine Predigt

Bon Max Zungnickel

Als der Pastor Mausmüller hörte, daß
dle Frau vom Kleinbauer einen Zungen
bekommen hatte, da lächelte er ganz selig.

Der Kleinbauer war vor einer Woche
bei Arras gefallen: da draußen, wo die
Schwerter Blut trinken und sich die Ra-
ben satt fressen.

Und am Sonntag sprach der Pastor
Mausmüller von der Kanzel herunter so
ein Paar ganz liebe Worte zu den Bauern.

So ein Paar Worte, als wären sie
von den Sternen heruntergefallen, in die
Bauernkirche hinein.

Und als der Mausmüller sprach, da
summte eine Biene durch die Kirche und
ein verirrter Schmetterling flog auf den
Altar. -

„ — — Und dle Frau vom Kleinbauer
hat einen kräftigen Jungen bekommen.

- Wir wissen 's alle, daß vor einer
Woche der Kleinbauer vor Arras gefallen

ist.-Aber er ist nicht tot, der tapfere,

gute Kleinbauer. — — Daheim, in der
Stube, wo der Himmel hineinleuchtet, in
der Wiege, da liegt die kleine, lustige,
kichernde Unsterblichkeit vom Kleinbauer.

--- Und die kleine Unsterblichkeit stram-
pelt mit den Beinen, klatscht mit den Händ-
chen -" Und dann war 's, als ob

aus den glücklichen Pastoraugen zwei
Tränen fielen.

Und der Mausmüller kniete nieder,
faltete die Hände und betete: — „Wir
danken Dir alle, lieber Gott, daß Du dem
Kleinbauer einen kleinen Jungen geschenkt
hast.-" *

Am Nachmittag dachte der Pastor
Mausmüller an die einzige Flasche Wein,
die ihm mal der Landrat geschenkt hatte,
und die er sich für eine ganz besondere
Gelegenheit aufgespart hatte.

Er holte die Flasche Wein aus dem
Keller, setzte sich ganz allein in eine ver-
schwiegene Gartenecke, hob das erste Glas
und murmelte:

Auf dem Kleinbauer seinen Jun-
gen -"

Dann trank er.

Zwei Baumblüten flogen lustig in 's
Glas hinein.

IM

Am Kalvarienberg in Tölz

Eng. Ludsv. Ilocss (Immenstadt)

Kultur und Zivilisation

Bon Gustav Schneider

Wir Deutschen sind uns seit Ausbruch
des Weltkrieges klar über die wahren
Ursacheu gewesen, die ihn entfesselt haben.
Der von Frankreich Jahrzehnte lang ge-
hegte Rachegedanke, der die Niederlage
von 1870 und 1871 nicht vergessen konnte:
der schrankenlose Trieb der Russen nach
weiterer Ausdehnung ihres ungeheuren
Reiches bis zur Erreichung Konstautindpels
und des Weltmeeres; und vor allem der
Neid und die Mißgunst Englands gegen-
über unserem ständig wachsenden Welt-
handel und der wunderbaren Entwickelung
unserer Industrie, gegenüber unserer
Handelsstärke, unserer Seegeltung und
unserem Volksreichtum: diese Faktoren
heben sich für uns scharf als die eigent-
lichen Triebkräfte der Entstehung des
Krieges heraus. Wir vertrauen auch da-
rauf, daß das unparteiische Urteil späterer
Geschlechter unsere Ansicht durchaus be-
stätigen wird. Unsere Feinde aber konn-
ten ihre so wenig edlen Beweggründe
nicht einmal ihren eigenen Völkern gegen-
über nackt enthüllen; vor allem aber
mußten sie der Neutralen wegen ihren
Willen, Deutschlands Macht zu vernichten
und es in eine Vielheit einflußloser und
unbedeutender Kleinstaaten zu zerschlagen,
mit einem moralischen Gewand umkleiden.
So erfanden sie das Schlagwort: der
Krieg werde geführt als ein Kreuzzug,
als ein Krieg der Zivilisation gegen die
deutsche Barbarei: als ein Krieg der
westeuropäischen Kultur gegen den deut-
schcn Militarismus zum Schutz der Un-
abhängigkeit der kleinen Staaten und zur
Befreiung des deutschen Volkes selbst aus
den Fesseln uitd Bandett des Potsdamer
Geistes. Auf diese Weise ward der Ber-
nichtungskrieg gegen uns zum Kullurkrieg
gestempelt. Das deutsche Volk, das allein
auf dciit Gebiete der Musik tind der
Philosophie die zahlreichsten Genien in
einer fast unheimlich anmutendcn Größe,
das einen Goethe ttnd einen Kleist, einen
Schiller und einen Hebbel, einen Dürer
und einen Max Klinger und unzählige
andere führende Geister hervorgebracht
hat: cs mußte sich mit den Schimpfwörter,
Hunnen und Barbaren, Kindermörder
und Kannibalen belegen und sich seine
angebliche Rückständigkeit auf allen Ge-
bieten der Zivilisation vorwcrfen lassen.
Halb ernsthaft, halb belustigt haben wir
unsere Kultur, ihre Höhe und ihren Wert,
gegenüber diesen Angriffen verteidigt:
„Seht, wir ,Wilden' sind doch bessere
Menschen." Die Feinde haben darauf
unsere Kultur, die „Kultur mit K", weiter
verhöhnt und zwar immer dann am mei-
sten, wenn unsere Erfolge im Kriege wieder
auf einem Höhepunkt angelangt waren.
Bei dem Kampfe, der mit den geistigen
Waffel, neben dem anderen geführt wurde,
war es aber nicht zufällig, daß wir mit
Vorliebe das Wort Kultur gebrauchten,
während unsere westeuropäischen Feinde
ständig auf ihre höhere Zivilisation
hinwiesen, Uns bedeuten die beiden Worte
nicht im Wesentlichen dasselbe wie unseren
westlichen Nachbarn, sondern wir sehen
in der Kultur etwas Anderes, etwas
Besseres und Höheres als in der bloßen
Zivilisation. Worin besteht nun der Unter-
schied zwischen beiden Begriffen?

Das Wort Kultur weist schon seinem
Ursprung nach auf die Kultur des Ackers,
auf dessen Urbarmachung und Veredlung
hin. So steht der Begriff der Kultur von
vornherein in einem innigen Zusammen-
Register
Eugen Ludwig Hoess (Höß, Hoeß): Am Kalvarienberg in Tölz
Max Jungnickel: Eine Predigt
Gustav Schneider: Kultur und Zivilisation
Walter Britting: Die wartenden Frauen
 
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