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Hang mit der Natur, mit ihrer Zeu-
gungskruft, ihrer schöpferischen Fülle
und ihrem organischen Bilden. Indem
man aber den Begriff der Kultur
später auf die Veredelung und Aus-
bildung des Geistes übertrug, trat jene
in einen gewissen Gegensatz zu der
Natur, sodaß man unter Kultur ge-
radezu die Erhebung des Menschen
über die Natur durch die Ausbildung
aller seiner geistigen, künstlerischen und
fittlidjcn Kräfte verstehen konnte.

Die Zivilisation dagegen deutet auf
Civis, heil Stadtbürger hi», den Mau-
ern und Wälle schützen. Auch sie schützt
den Menschen und friedigt ihn ein:
sie legt ihm aber auch Zaum und
Fesseln an. Sic bringt den Menschen
dazu, sich mit seinesgleichen in einem
geordneten bürgerlichen Zusammenleben
zu vertragen. Sic glättet und poliert,
sie schleift ab und uniformiert; sie gibt
den allgemeinen Schliff und bringt
die äußerliche Gesittung; sie verfeinert
endlich ständig die Formen, die die
Menschen im Verkehr miteinander be-
obachten. Sie ertötet aber auch damit
leicht die Eigenart des Einzelnen, er-
stickt die Individualität und würde,
wenn allein herrschte, die Mensch-
heit einem Ameisenstaatendasein ent-
gegcnführen, gegen das das heutige
Chinesentum einen kulturellen Höhe-
punkt bedeuten würde. Sie will alles
gleichmachen und nicht nur die indivi-
duellen, sondern sogar die nationalen
Unterschiede verwischen. Sie ist ihrem
Wesen nach Massenregel und Zwangs-
ordnung, die von außen, gewissermaßen
mechanisch, an die Menschen herantritt
und in letzter Linie die ganze Mensch-
heit einer äußerlichen Norm, einer Form zu
unterwerfen sucl)t.

Die Kultur dagegen, die an eine vorhandene
Natur anknüpfen muß, ist ihrem Wesen nach
individuell. Sie wächst aus der inneren Eigenart
heraus, entfaltet von innen und organisch,- sie
entwickelt das Einzelne von innen her, während
die Zivilisation von außen her sittigend und sänf-
tigend das mechanische Gleichmaß bringt. Die
Kultur ist Höherführung der organischen Natur,
Organisierung, „Bildung" in dem Sinne, wie
wir Deutschen seit Lessing, Herder und Goethe
dieses Wort verstehen. Der organische Trieb aber
ist Lebenskraft und Lebenstrieb, der zeugt und
gebiert, schöpferisch tätig ist, vom Einzelnen aus-
gehl und dieses erhöht, aber sich ausbreitet und
innig zusammenwächst mit allem, was ihm gleich-
artig ist, fodaß schließlich eine nationale Kultur
oder eine gemeinsame Kultur einer Zcitepoche,
wie zur Zeit der Renaissance, entstehen mag.
Dagegen kann man nicht von einer Geschichte dcr
curopäischen Kultur reden, sondern muß l,ier — wie
dies Guizot getan hat — das Wort Zivilisation
gebrauchen, weil nur sie etwas Einheitliches ist.

Kultur und Zivilisation verhalten sich also wie
das Organische zum Mechanischen oder auch wie
äußerer Zwang zu innerem Drang. Wo der
Mensch etwas schafft und hervorbringt, weil ihn
nur äußere Not dazu zwingt, da entsteht immer
nur bloße Zivilisation: also bei aller Technik im
weitesten Sinne des Wortes, auch bei der Wissen-
schaft, soweit diese allein technischen und prak-
tischen Zwecken dient; vor allem aber bei der
Hervorbringung von materiellen Gütern, die zur
Befriedigung wirtschaftlicher Bedürfnisse nötig sind
Mögen diese Erzeugnisse auch das Leben immer
bequemer und behaglicher gestalten, einen wirk-
lichen Wert haben sie doch nur dann, wenn sie die
Grundlage für eine reidjere geistige und künstle-
rische Gestaltung des Lebens bieten oder zu einer
innerlichen fittlidjcn Läuterung, kurz: wenn sie
zu einer reichen Kultur führen.

Wo dagegen innerer Drang und innere Not
den Menschen zum Erfinden und Scljaffcn an-

treiben, da entstehen die eigentlichen Schöpfungen
der Kultur: Die Gebilde der Kunst und die Werke
der Musik und der Dichtung; die Feststellungen
der Wissensäjaft, soweit diese der reinen Erkennt-
nis dient (in erster Linie wird man hier wieder
die geistigen Großtaten der Philosophie nennen,
die das Wesen der Welt zu ergründen sucht);
cublid) die Leistungen einer höheren Sittlichkeit,
die dadurch, daß sie das Leben pflichtbewußt ge-
staltet, dieses zum Gottesdienst weiht. Der Mensch
handelt immer da am freiesten, wo er aus der
Nötigung seines eigensten Wesens heraus schafft.
Deshalb sind die Schöpfungen der Kultur gleich-
zeitig Erzeugnisse der wahren Freiheit.

Die Mächte, die die Zivilisation am meisten
fördern, beschränken dagegen auch am stärksten
die Freiheit: einmal der Staat, soweit dieser nur
von außen das Verhalten der Staatsbürger regelt
und soweit er nicht Kulturstaat wird, der positive
Leistungen für die Kultur vollbringt; ferner die
Kirclje, solange fidj diese damit begnügt, von ihren
Gliedern nur eine äußere Befolgung der kirchlichen
Gebote zu heischen, endlich die Sitte, die dadurch,
daß sie häufig auch die Befolgung des Unver-
nünftigen verlangt, die allerschlimmste Tyrannin
werden kann.

Kindermund

Auch ich bin unter die „Selbstversorger" ge-
gangen. Meinem Tierpark von drei Kaninchen
habe ich noch ein Zwerghühnchen zugefügt, „pi-
pinchen" ist der besondere Liebling und Stolj un-
serer kleinen Lilly. Leider will es jedoch ihre
ljoffnung auf den reichen Liersegen, mit dein sie
ihre kleine Straßenkumpanei schon neidisch gemacht
hat. nicht erfüllen. Ihr erster Gang ist nach
Pipinchens Nestkorb. Doch heute kommt sie freu-
destrahlend gesprungen. In beiden Patschhändchen
das noch warme Ei emporhaltend, ruft sie in
stolzer Genugtuung: „Pipinchen hat doch 'n Ei
telegt, nn gleich 'n tekochles!"

Lehren.

Der Wellmschlaq

gnnncr dieses wunderbare stolz bewegte

vorwckrtsdrtngen
-Und mit lauter Siegfanfarc
Segen barte Klippen springen.

Und dann konniit das Rüstwckrtsglelten,
Sich bescheiden und entsagen.

Auf dem Wege noch ein leises
tiauswcn, wie ein wehes Klagen.

„S, SYr Kommenden, gyr Jungen,
kastt nur Euer Stegcssingcn,

Echt, man hat ja uns bezwungen
Und so wird man Such bezwingen."

Doch sic hören nicht und wieder
Dieses frische vorwstrtsdrlngcn
lind beim Klange wilder kleder
Segen harte Klippen springen.

Martha von Spcrling-Mansteln

Das verbotene Buch

Ein Märchen

von Eustachius Schrupp

Es war einmal ein Knabe, der hieß
der brave Anton. Sein Vater war
Oberamtsrichter in einer süddeutschen
Stadt und erzog seine Kinder in Got-
tesfurcht und Vaterlandsliebe, wie
das bei einem Beamten mit wenig
Geld und viel Bildung selbstverständ-
lich ist. Jeden Samstag, wann er
sein Mittagsschläfchen besorgt und
seine Verdauung in geregelten Gang
gebracht halte, versammelte er seine
Kinder um sich und gab ihnen gute
Er las ihnen auch wohl Geschichten
vor, den Robinson von Campe, die Ostereier von
Christoph von Schmid und Herzblättchens Zeit-
vertreib von Thekla von Gumpert. Auf diese Wcise
legte der treffliche Vater in die Brust des braven
Anton die edelsten Keime, und es konnte nicht
ausbleiben, daß sie wahrhaft herrliche Früchte
trugen. Anton faßte eine leidenschaftliche Liebe
zu schönen Büchern; oft spraclj er mit dem Vater
darüber, welch ein angenehmer Zeitvertreib doch
das Lesen sei. Der Vater hörte dies gern. Er
hatte selbst eine Büchersammluug, ein zweireihiges
Gestell, auf dem unten die Zigarrenkisten standen,
oben aber Meyers Konversationslexikon in einer
alten Auslage, das Adreßbuch vom vorigen Jahr
und ein Fahrplan für zwanzig Pfennig, Außer-
dem aber prangte hier ein dickes, geheimnisvolles
Buch mit der Aufschrift: Das Bürgerliche Gesetz-
buch für das Deutsche Reich.

Anton sprach häufig den Wunsch aus, in der
väterlichen Bibliothek stöbern und seinen Lese-
hunger daran stillen zu dürfen. Der Vater aber
erlaubte es nicht. „Das ist nichts für Kinder",
sprach er. „Siehe, lieber Anton, wenn ein un-
schuldiger Knabe solche Bücher liest, die nur für
die alten, gescheiten Leute geschrieben sind, so
kann er sich für sein ganzes Leben verderben.
Es ist so wie mit Adam und Eva im Paradies.
Als sic von der verbotenen Frucht gegessen hat-
ten, verloren sie die Reinheit ihres Herzens; sie
schämten sich, weil sie pudelnackig herumliefen,
und wurden schließliä) vom Engel des Herrn
mit dem bekannten Flammenschwert aus dem
Garten des Paradieses hinausbefördert. Ich habe
als junger Mann einnial eine Auster gegessen,
die ein wenig möpselte. Ich mußte furchtbar
darauf brechen und habe mir seildeni den Ekel
an dieser feinen und teuren Gottesgabe geholt.
Du wirst Diclj nicht erinnern, daß jemals Austern
bei uns auf den Tisch gekommen sind. Gerade so
kann man sich durch ein ungeeignetes Buch den Ge-
schmack an passender Lektüre verderben. Iä, habe
als Knabe in Deinem Alter den Faust gelesen,
ein Theaterstück von Exzellenz Goethe, Groß-
Index
Julius Carben: Der Dorfschulmeister
Martha v. Sperling-Manstein: Der Wellenschlag
Eustachius Schrupp: Das verbotene Buch
 
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