Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Overview
loading ...
Facsimile
0.5
1 cm
facsimile
Scroll
OCR fulltext
„Als ob dos ein Wunder gewesen wäre!"
Weiß wird er. In einem weißen Krampf ver-
zerren sich die Züge des Gesichts, ganz klein und
dunkeltief werden die Augenhöhlen und wie Pfeile
schießen die Blicke daraus auf sic hin. „Vom
ersten Augenblick an — auf nichts anderes warst
Du bedacht, als mich zu peinigen, zu reizen, zu
kreuzigen. Ich konnte tun, was ich wollte, es
war: ,unrittcrlich', , rücksichtslos', .so ist man
nicht zu seiner Frau'!" „Du hast kein Gefühl für
die Würde einer Frau! Meine Ansichten vom
Leben — , verrückt' I Meine Impulsivität —
.unmännlich'! Mein Bedürfnis nach Harmonie

,Charakterlosigkeit' I Meine Leidenschaftlichkeit
- .Brutalität'. Alles zusammen aber: .Egois-
mus'. Niedrigster, tierischer Egoismus! Und
das ging in allen Tonarten so weiter, bis auch
das letzte gute Haar ausgerissen war. Und" —
grinsend, ja gerade wollüstig: „Das tut natürlich
riesig wohl! Das beglückt Einen! Damit Einem
das endlich einmal geschehe, heiratet man ja!
Wie kommt man dazu, sich vorher für einen
anständigen Meirschen zu halten und dafür auch
gehalten zu werden? Wär'nicht übel! Ein Ver-
brecher ist man! Ein erbärmlicher Wicht! Das
bringt einem die Fra» bei, die man aus Liebe
heiratet. Und: Liebe? In der Ehe Liebe erleben
wollen? Davon träumen, daß man nun einen
Kameraden haben wird, der einem..."

Raketenschnell: „Weil Du vor jeder Kellnerin
mehr Ehrfurcht hast ..."

„Weil ich mich bei jedem Menschen auf der
Welt wohler fühle als bei Dir! Weil cs gar keinen
Menschen mehr gibt auf der Welt, der mich so ..."

„Zugrundegcrichtet hast Du mich! Zugrunde-
gerichtet !"

Fäusteballend: „. . . systematisch und in jeder
Faser ruiniert hat wie Du! Ein Mörder bist Du!
Ein Scheusal! Ein — Teufel!"

„Nur mehr hassen kann ich! Hassen! Mit
jeden, Blutstropfen hassen . . ."

„Alles könnt' irt) Dir antun!" Fanatisch ge-
radezu und mit den Tränen
des fassungslosesten Hasses:

„Kein Verbrechen wäre mir
groß genug, scheußlich ge-
nug ..."

„Furie!"

„Henker, Du!"

„Hexe!"

„Und wenn Du glaubst,
daß Du mir noch einmal
entkommst ..

„Eine Frau, die das
sagt! Die sich hundertmal
sagen läßt . .."

Wie eine Viper nuf-
schießend.weiß wie der Tod.

„Ah? I ä, so'l gehen? Auf
die Straße hinaus? Aus
meinem eigenen Hause...?"

„Mein Haus!"

„D u bist es, der gehen
muß! Du hast mich herein-
gesetzt. Du hast es zugrunde-
gerichtet. Du hast es soweit
gebracht! Und Du hast die
Stirne..."

„Eine Frau, der der
Mann deutlich sagt: .. ."

„Ein Mann, vor dem
die eigenen Kinder, — die
eigene Mutter . .."

Aber — sie vollendet
nicht! Und er, die letzte
und böseste Anklage schon
im Mund, spricht sie nicht
aus. Jäh, und im selben
Augenblick, fühlen sich bei-
de gelähmt, brechen sie das
Duell unvermittelt ab. Noch
in Erregung zitternd, er-
liegt der Leib der Frau einer
bewußtlos empfundenen Ge-
walt. Noch weiß im Gesicht

und den Schweiß der Raserei auf der Stirn, sinkt
die Gestalt des Mannes langsam zusammen. Jeder
hört noch den Atem des Anderen, sieht des Andern
entfesseltes Auge. Beide, in der sicheren Erwar-
tung, jetzt oder jetzt müsse der nächste Pcitschcn-
schlag fallen, suchen in fiebriger Eile nach der
Antwort, die peitschend zurückschlägt. Aber der
Schlag stillt nicht! Und ehe noch eine Minute in
diesem Schweigen vergangen ist, dessen Grund sie
nicht erfassen, um dessen Fortdauer sic im Ge-
heimen aber schon inständig betteln, treffen sich
ihre tappenden Augen auf dein Scheitel der Säule
des Springbrunns. Eine Handvoll Tropfen
schießt in entschlossenem Fächer empor in die
Luft, glaubt schon der verhaßten Verbindung auf
ewig entronnen zu sein, und jauchzt in der
Freiheit — sinkt aber plötzlich, von der Luft
nicht empfangen, in den Scheitel der Säule zu-
rück, wird von diesem mit höhnischen Griffen
gepackt, und ist — wieder im Becken.

Sie schauen die Wiederholung dieses Spiels
lange, ehe sie das Gleichnis begreifen. Aber sie
fühlen cs. Und dieses Gefühl besänftigt sie wirk-
samer, als es die gerechteste Ucberprüfung des
Streites je tun könnte. Plötzlich fühlen sie sich
nicht mehr durch ihr innerstes Schicksal ausge-
spcrrt vom Sinn der umgebenden Welt, entbunden
gleiten die Augen vom Wasscrspiel ab und er-
forschen die Bilder der Runde. Die sind in-
zwischen bescheiden belebt worden. Die Sonne
verzog sich aus der betäubenden Nähe in mildere
Ferne. Die Luft fächelt wieder. Die Weiße der
Hotels ist gebrochen von tüchtigen Schatten der
Gesimse und Balkons, und die Bäume stehen
nimmer aschfarben und regungslos. Auch wandeln
schon wieder Gestalten von Menschen herein in
den Platz, aus der Stummheit der Räume er-
heben sich rüstig die ausgeschlafenen Stinnnen.

So gelingt es ihnen, dem Kerker ihrer Seelen
zu entfliehen und das Mitdasein der unzähligen
Unbekannten wieder als Trost zu empfinden. So
gelingt es ihnen aber auch, den Bann der er

starrten Stunde nbzuwerfen und von neuem da-
mit zu rechnen, daß jede»! Nachmittag der Abend
und jedem Abend die Nacht folgt. Der Arm,
dann die Hand der Frau findet plötzlich auf die
Lehne der Bank. Die Gestalt des Mannes
richtet sich mählig empor. Nur durch einen schma-
len Zwischenraum voneinander getrennt, sitzen sie
mit cinemmale wieder so da, wie vor dem Augen-
blick, der das erregende Wort ausgesprochen hat,
streben aber, je länger die seltsam ausgefüllte
Zeit dieses Wartens währt, desto unwillkürlicher
zueinander. Jetzt schaut er, peinlich unsicher, zu
ihr hin; nun, ohne ihm gezeigt zu haben, daß
sie seinen Blick auffing, sie zu ihm. Einmal dann
kann der Blick des Einen dem zufällig gleich-
zeitigen des Andern nimmer ausweichen, — und
diese Ungeschicklichkeit verzögert die Ebnung! Da
beginnt auf der Terrasse des Kurhauses die Kur-
kapelle zu spielen. Mit einem jähen Walzertakt
setzt sie ein, er erschreckt die Bedürftigen wie
Wiederkehr des halb schon Ueberwundenen. Aber
der Zwang, auf der Bank sitzen zu bleiben, weiter-
hören zu müssen, und weiter zu sehen, wie die
zählbare Zahl der Menschen, die eine Teestunde
fest einhalten, zur kaum mehr zählbaren wird,
macht in einer kleinen Viertelstunde noä> bieg-
samer. Die Arbeit der Blicke, die immer ruh-
loser und ungeduldiger einander prüfen, weil sic
ein Anzeichen dafür haben möchten, ob irgend ein
Wort oder eine Gebärde schon Aussicht auf Er-
folg haben könnte, beginnt, vermehrt, wieder.
Gleichzeitig verändern sich die Haltungen der un-
bequem sitzenden Körper langsam und scheinbar
ganz unwillkürlich so, daß wenigstens niä>t mehr
sie das Hindernis einer allmählichen Ucberlcitung
des Streits zur gewohnten Neutralität bilden
können. Denn an einen Versöhnungsversuch denkt
keines von beiden. Die Szene von heute war
nicht die erste, und nicht die letzte. Sic sind auch
nicht etwa inzwischen der Meinung geworden,
besonders arg übertrieben zu haben. Aber —
der Springbrunn I Bis an sein Lebensende wird
keiner dem andern jemals
Fritz Heubner bekennen, daß er noch hun-
dertmal so empört wird auf-
schrcicn müssen, wie er cs
heute getan, — und daß
er trotzdem nirf)t mit einem
einzigen Gedanken daran
denkt, mit dieser lodernden
Auflehnung der eigenen Per-
son an die Fortdauer der
Ehe zu tasten. Ehe? Wenn
nur jedes von ihnen wüßte,
wie sicher sie!) plötzlich das
Andere fühlt an der Kette
— weil ihm die Offenbarung
desGleichnisses geschmeichelt
hat! Wenn sie nun erriete,
daß er —

Da wagt er die Tat!
„Nicht einmal ein ordent-
liches Schuhband kriegt man
in diesem Nest!" ruft er laut
und voll Eifer.

Erlöst zuckt sic zusam-
men. Aber, weil er sie nun
gerettet hat, darf sie in iljrer
Frauenpose noch ein Weil-
chen verharren, Und das
genießt sie! Trotz dem Dank-
gefühl, das sie durchströmt.
Unsichtbar lächelnd blickt sie
nieder auf ihn, der das
Schuhband fester knüpft;
lächelnd darüber, daß er
sich so geschickt einen Satz
ausgesucht hat, der ihm er-
laubt, das Gesir' t zu ver-
stecken. Und ße sagt wirk-
lich nichts, obwohl er das
Schuhband noch einmal
bindet.

Aber darauf kommt es
ihm jetzt nimmer an.

Begeisterung

„Das war n herrlicher Tag, — von früh bis abends das schönste Wetter — und
'n Schwcinsbratcn — ohne Marken I"

748
Index
Friedrich (Fritz) Heubner: Begeisterung
 
Annotationen