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Verschneit

Alwin Seifert (Sonneberg)

Lin heit

Don 3na Seidel

DH, dunkel lieb ich dich, du Baum, -
DH, dunkel bin ich dein, du Land. —
Ich liebe euch und weiß es kaum,

XPie meinen Leib, wie meine Hand.

Denn ihr beginnt, wo ich begrenzt.
Und einmal werd ich grenzenlos
Und liege sternenüberglänzt
Nit euch in einem Nutterjchoh.

Norike

Dom Lpheu deines jnngergrllnten Grabes nahm,
vorzeiten wandernd, ich ein feingezackies Blatt
Und ließ es sterben zwischen deinen Liedern. Tot
Und doch nicht tot. in Schuhhaft der unsterblichen.
Ruht es. vom Wechsel meiner Tage leicht berührt.
Venn jahrelang, gekannt von keinem außer mir,
Vurllroandert es das liebe Buch, bald hier, bald dort
Vie Stelle deutend, die mir grad die schönste scheint.
Vas dunkle Zeichen! Linstens wird es tiefer noch
verborgen bleiben, wenn auch meine Zeit herum,
vann ruht cs ganz, vielleicht zerfällt es ungesehn.
vielleicht erstöbert's eine fremde Kinderhand
Und wirft es lustig aus dem Fenster. Voch vielleicht
Mag einst ein Lnkel oder eine Lnkeiin,

Zn dem zerlef'nen Buche blätternd, fellgebannt
vom Wunderspiegel eigner 3ugend, spielerisch
Vas schlankgestislte zwischen jungen Fingern drehn
Und dann, versonnen in die süße Nclodie,

Vas tiefverschwiegne in den jungen Norgenstrahl

Ver Frühlingssonne jenes Tages heben: Sich!

Vas zierliche Geäder, die gejchlojs'ne Form
Durchscelt von Liebe! Und vielleicht beginnt auf's neu
Vas unbekannte Blatt die alte Wanderung.

Auch das wird enden eines Tags. — Vu endest nie:
Vie Gräber grünen und der deutsche Frühling glänzt,
verjüngt in ahnungsvollen Lüften schwebt dein Lied.

Frih Gränh

Andre

Ein Brüsseler Kriegsbild
von Friedrich Eisenlohr

Sein Name ist vollliommen gleichgültig. Wahr-
scheinlich hatte er deren auch schon mehrere besessen.
Er nannte sich Andre, und ob das ein Borname
oder Familienname sein sollte, war nie einwand-
frei festzustellen. Infolge seines etwas eigentüm-
lichen Vorlebens war er auch in keinem Brüsseler
Einwohncrverzeichnis zu finden. Auf den Boule-
vards jedoch kannte feit einiger Zeit jedermann
seinen Namen und seine ein wenig auffallende
Erscheinung.

Vielleicht war er deutscher Abkunft. Er selbst
machte davon auch Gebrauch ... bei der richtigen
Gelegenheit. Bei Ausbruch des Weltkrieges hatte
er schon durch unttnterbrochenen zehnjährigen Auf-
enthalt im Auslande seine Staatsangehörigkeit
verloren. Er behauptete, daß es die holländische
gewesen sei. Man darf aber beileibe nidjf glauben,
baß er über das alle und neue deutsche Staats-
angehörigkeitsgesetz nicht ganz genau Bescheid
wußte. Das bewies er am eingehendsten, als in-
folge der deutschen Besetzung Belgiens eine straffe
Organisation das ganze Land überzog und er auf
einem deutschen Büro einem klugen und energischen
Unteroffizier seine Staatsangehörigkeit auseinan-

derzusetzen hatte. Wie schon so oft in seinem
Leben gelang es ihm auch diesmal, mittels „Mangel
an Beweisen" als „staatenlos" anerkannt zu
werden.

Da er fließend deutsch sprach, sogar mit einem
Einschlag von unverkennbarem kölnischen Dialekt,
war es ihm nicht schwer gefallen, sich beim Durch-
marsch der Armeen mit einzelnen Soldaten und
Truppenteilen in Verbindung zu bringen. Mit
einem „angemessenen" Aufschlag, der in seine
eigenen, damals noch etwas abstehenden und aus-
gcbesserten Taschen floß, vermittelte er Ankäufe
von Lebensmitteln, Weinen und allen inöglichen
und unmöglichen Marketenderwaren. Diese Er-
folge, und die paar braunen Scheine, die seine
neuangeschaffte, große Brieftasche schwellten, stärk-
ten sein Selbstvertrauen derart, daß er sich bei
einem guten Schneider neu einkleiden ließ, sich
einen grauen, steifen Hut anfdjaffte und ein ele-
gantes Stöckchcit schwingend, als „homme d’af-
faires“ jeden Mittwoch zum Grand-Cafe schlen-
derte, worin und wovor die Börse „gemacht" wurde.

Das Geld lag auf der Straße. Auch Andre
bog seinen Rücken und hob es auf, und wenn es
in der tiefsten Pfütze lag. Den Schmutz, der da-
von an seinen großen, dicken Fingern hängen blieb,
wusch er mit der teuersten, parfümierieslen Pariser
Seife ab und steckte Brillanten darüber.

Eines Tages traf Andre zufällig im Bois
einen alten Bekannten wieder, einen ehemaligen
Allhändler aus Andcrlellit, der bald nach Aus-
bruch des Krieges aus feiner staubigen Trödel-
bude hervorgekrochen war, und seit einiger Zeit an
der Börse als einer der größten und verwegensten
Spekulanten genannt wurde. Man sprach von
vielen Millionen. Jetzt legte Andre das Wenige,
was er bisher beiseite gebracht hatte, zu diesem
mächtigen Haufen. Und nun ging es im Großen.
Was er alles kaufte und vertrieb, blieb im Dunkeln.
Bon vielem, was Andre weitergab, wußte er ge-
rade den Namen, doch bezeichnete er es als „erste
Register
Alwin Seifert: Verschneit
Ina Seidel: Einheit
Fritz Gräntz: Mörike
Friedrich Eisenlohr: André
 
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