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ben gesehen . . .

Am Ende des Jahres 1916 drückte ihm
der Ahhändier grinsend ein Papier in die
Hand, und darauf stand eine Summe, die
Andre schwindlig machte ... Denn das war
sein Eigentum! Sein Vermögen! Das hatte
£5 verdient in weniger als einem Jahr! —
ptcilirlj wußte er nichts davon, daß ihn
sein Auftraggeber ganz gehörig übers Ohr
gehauen hatte und froh war, daß ihmAndre
mit seiner guten deutschen Aussprache und
seinen deutschen Verbindungen und in seiner
sorglosen, ahnungslosen Art viele „Ge-
idjäfte“ vermittelt und zustande gebracht
halte, die hart am Zuchthaus vorbciführten.

Andre setzte fid) kurz entschlossen zur
Auhe. Dabei dachte er, das; es jetzt wohl
an der Zeit sei, sid; eine Mailresse zu
halten. Nach kurzer Umschau traf er seine
Wahl in einem Kabarett beim Dbeä re
de la Monnaie, wo er sid; am liebsten
aufhielt.

Georgette war 20 Jahre alt, sd>lank und
blond und bewies in der Folge einen viel
jrijärfercn Blick und mehr prahtifdjc Klug-
heit für alle Äußerlichkeiten des Lebens, auf
die es ankam, als Andre je geahnt hatte.
Bor dem Kriege war sie Kammcrmädd>en
bei einer bekannten Brüsseler Chanteuse
gewesen, die sid; nad; Paris „gerettet" halte.
Die paar allen, wertvollen Toiletten, die
ste in ihrer Wohnung zurück gelassen hatte,
nahn, Georgette an sich, ließ sie von ihren
Liebhabern ihrer Person und der Mode
anpassen und trug sie in den versdpedenslen
Bars und Cabarcts auf. Daß sie Andre
kennen lernte, war ein großes, unverdientes
Gludr für sie, dod; zeigte sie sid, dem voll-
auf gewadpen.

Wild madste sic Aussehen. Keine Toilette
war ihr zu gewagt, kein Schmuck zu extra-
vagant, keine Farbe zu herausfordernd und
mchts ... zu teuer! Ed;munzelnd zog Andre
>n den verschiedensten Läden seine didie
Brieftasche, beglid; pfeifend die unerhörle-
sten Red;nungen und sonnte sid; in der “3ln-
rebe „Baron", mit der man ihn halb ironisd;
anknidiste. Seine Wohnung in der Avenue
Louise wurde ein Sammelsurium teurer
und sonderbarer Dinge. Georgette gelang
es, wenigstens einigermaßen Ordnung da-
runter zu sd;affen. And; ihr kleiner Wagen
Mit einem hübschen Traber davor stand ihr
nicht übel. Aber alle ihre Bemühungen, and;
aus Andrö selbst eine etwas präsentable Er-
sd;einung zu mad;en, sdstugcn fehl. Er sah
stets wie eine verunglückte Karikatur Na-
poleons des III. aus. Dazu sing er an,
gewaltige Mengen Burgunder zu trinken,
was Georgette nid,t verhinderte, obwohl sie
Champagner vorzog.

Fast jeden Abend saßen sie in der Bar
beim Dbeärrc de la Monnaie, nachdem sic
einige Male versucht halten, sid; in den Pro-
szeniumslogcn der Theater zu zeigen, aber
jedesmal rettungslos nebeneinander eingc-
schlafen waren. Tagsüber hatten sic so-
viel zu tun mit Anziehen, Frisieren, Re-
staurants, Cafäs und Spazierengehen, daß
sie sid; jedesmal redlid; auf die „Burgundcr-
stunde" in „ihrer Bar" freuten.

Eines Abends aber bemerkten sie beim
Eintreten, daß ihr reservierter Tisd; besetzt
war. Der Kellner zudNe verbindlich die
Achseln und zeigte mit den Augen entschul-
digend auf die feldgraue Uniform, die un-
bekümmert dort Platz genommen hatte. Mit
festen Sd;riltcn ging Andre auf den Sol-
daten zu, sprad; ihn im Kölner Dialekt an,
Aog zwei Stühle heran und setzte sid; mit
seiner rausd;enden, glitzernden Georgette zu
ihm an den Tisd;. Der Feldgraue grüßte
ilöflid; und nahm weiter keine Notiz von
lhnen. Nach der zweiten Flasd;e spürte
Andrö eine sonderbare Rührung: Er legte
dem Soldaten die Hand auf die Schulter

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Carl Spitzweg: Der Stutzer
 
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