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Christiane

Von Slnrlernft ffnafj

3ebcn Morgen spülte Christiane Töpfe
und Teller, wischte die Stuben auf, wobei sie
gewissenhaft das Wasser im Eimer wechselte,
sobald durch Ausspülen des Tuches die Klar-
heit einer gleichmäßigen braunschwarzen Trü-
bung gewichen war, schüttelte Betten und
klopfte Möbel, Bon halb acht Uhr in der
Frühe bis tief in den Mittag hinein tat sie
ihre Pflicht als Aufwärterin, der man die
Stunden bezahlt. Zuerst bei dem Junggesellen
in der kleinen schönen Wohnung, in der eigen-
willig gewählter Hausrat etwas unvollkommen
die Räume füllte, dann in der kinderreichen
Familie des wohlhabenden Kaufmanns im
gleichen Hause und schließlich einige Straßen
weiter in den paar Stübchen der ewig von
klagst vor schrecklichen Ereignissen bedrückten
Geheimratswitwe.

Jeden Morgen, Christiane kannte vom Leben
der Menschen, die sie bediente, eigentlich nichts
als den Schmutz und Staub, den der Ab-
lauf des Daseins täglich in Tassen gerinnen,
auf Polstern und Laken sich lagern, an Mes-
sern und Gabeln sich festlegen ließ. Das
Mädchen war keine Heldin für die handwerk-
liche Erfindungsgabe romantischer Allerwells-
dichter, die sie aus den Habseligkeiten der
Arbeitgeber Leben und Schicksal, Laster und
Tugenden, Beruf und Gewohnheiten durch träu-
merisch verknüpfende Nachdenklichkeit würden
herauslesen lassen. Nein, Christiane hatte keine
Ahnung, was dieser lebhafte Herr eigentlich trieb,
in dessen Schlafzimmer zwei Betten standen, ohne
daß er verheiratet war, und der über Wäsche und
Fensterputzcn in einer ihr nur halb verständlichen
Sprache redete; sie wußte auch nicht, ob die Ehe
des Kaufmanns glücklich war, noch wo die Ge-
heimratswitwe ihre zwecklosen Nachmittage ver-
brachte. Für Christiane waren die drei Wohnungen
drei Maschinen, die sie bediente. Wenn sie von
der einen zur andern ging, so legte sich, ihr un-
bewußt, ein Hebel um und dann wußte ihr ar-
beitender Körper, daß hier die Scheuer- und Putz-
tücher knapp waren, daß dort aus unbekannten
Gründen diese und an der dritten Stelle jene
Reihenfolge ihrer Arbeit vorgeschrieben war, und
daß in der einen Wohnung die Arbeit sauberer
und deshalb leichter, in jener mühevoller und un-
angenehmer war. Ihre Arme und Füße paßten sich
wie ein Uhrwerk den Räumen und den Wünschen
an, die man an sie stellte. Die vielen unbekannten
Geräte, die ihr anvertraut waren, nahm sie be-
hutsam in ihre großen und doch so geschickten
Hände mit stiller Verwunderung. Doch war sie
nicht neugierig, Zweck und Gebrauchsart kennen
zu lernen.

Niemand außer den Eltern daheim in dem
Sprcewalddorf hätte sagen können, weshalb dieses
derbe, von Gesundheit strotzende Mädchen auf den
Namen Christiane getauft worden war, der wie
ei» Klang einer zarten Saite von empfindsamer
Weichheit tönt. Irgendeine Wellenbewegung in
der wechselnden Zeitsitte der Namensgebung mochte
diese Christiane aus bäurischer Taufe gehoben haben.
Unter vielen Liesen, Maries und Christinen wuchs
sie heran! Trieb sich wie alle andern halberweckt
durch die Schule, wurde eingesegnet, dem Schweiß
der Landwirtschaft überliefert, bald von einem
Burschen verführt und war in alledem mit der
Natur ihrer Welt im Einklang, wie das Schilf,
das aus den Wassern ihrer Heimat sprießt.

Da stob die Kunde in die Dörfer, wieviel
teures Geld die städtischen Leute in dem großen
Steinbaukasten Berlin für die geringsten Hand-
reichungen zahlten.

„Geh Du nach Berlin," riet der Oheim, der
Vaterstelle bei Christianen vertrat, „da hat 'ne
Fleißige einen hübschen Zuschuß zur Aussteuer
jetzt bald beisammen."

Und Christiane fuhr nach Berlin, kroch zu
entfernten Verwandten in eine dumpfe Hofwoh-

nung in einem Berliner Vororte und siche da,
es war wie die Leute gesagt hatten — nach ei-
nigen Tagen schon hatte sie drei „Stellen" als
Zugängerin und Aufwärterin.

Wenn sie morgens die Rolläden in der ersten
Wohnung aufzog und das trübe Licht des kalten
Winterfrühmorgens sich mit dem weißen Strahl
der brennenden Küchenampel zu einem fahlen
Glanz vermengte, fing die kärgliche Well ihrer
Gedanken langsam an zu kreisen. Sie sah sich
im Eisenbahnzug, vierter Klasse, sie fühlte sich
herumgestoßen in dem brausenden Morgenlärm
des Berliner Riescnbahnhofs und erinnerte sich
an das Gefühl verlassener Fremdheit, mit der sie
am ersten Vormittag in der engen Stube des
Schwagers gestanden hatte. Die Stimme der
Schwester war scharf wie der Schrei des Erpels
in die stickige Luft gefahren. Dazwischen funkelte
auf einmal das Stückchen Wiese vor dem Haus
im Spreewald, vom Frühreif verzuckert, und der
Wald dahinter, in dem die vereisten Wasserläufe
wie gebohnerte Kegelbahnen durcheinander liefen.
Und sic selbst stand gähnend in der niedrigen Tür
und dehnte mit dankbarem Blick hinunter zum
letzten Haus der Gasse die Glieder, die von heiter
genützter Nacht noch wohlig gelöst waren.

Hier aber, in den, Hof des vornehmen Ber-
liner Mietshauses, türmten sich, so war ihr, Berge
von abgegessenen Tellern, Klumpen von unge-
klopften Teppichen und zahllose unentlccrte Spül-
eimer auf. Und alles herrschte Christiane an:
wisch michl gieß mich aus! klopfe mich! damit
ich morgen wieder schmutzig sein kann! Und eine
unendliche Kette von Tagen dämmerte durch des
Mädchens Seele, einer wie der andere, an denen
sie aus dem Abgrund der Spülwanne tausende
von Gefäßen herausholen, wischen und trocknen
würde, die am andern Morgen ein unentrinn-
bares Verhängnis wieder ungesäubert empor-
quellen ließ.

Es konnte geschehen, daß Christiane den Schlüssel
zum Geschirrschrank mit verbissener Wut ins Schloß
drehte, ihn abzog und den Drang fühlte, ihn aus
dem Fenster zu schleudern, damit Gläser und
Schüsseln, die sie blitzblank gerieben hatte, auf
immer darin gefangen sein möchten. Sie haßte
schließlich den Kampf gegen Speisereste, Staub
und Unordnung, weil sie undeutlich empfand, daß
er nie zu einem Siege, nie zu einem Ende, zu
einem Ausruhen führen konnte. Aber auf ihrem
gesunden Bauerngesicht war nichts von alledem
zu lesen. Schweigsam, auf dir immer gleichen
Fragen ihre» Berufe» schwerfällig antwortend,

vor

ging sie mit wuchtendem Schritt von Raum
zu Raum, von Wohnung zu Wohnung, und ihr
weiter roter wendischer Rock fegte fremd durch
all den städtischen Plunder und auch an den
städtischen Männern vorbei.

Die Wintertage schlichen dahin, einförmig:
kaum daß die Sonntage etwas heller vorbei-
huschtcn, an denen sic, von niemanden be-
obachtet „An Hochwohlgeboren Herrn Stall-
schweizer Wenzel Wistuba in B. bei Lübben"
mühsam wortkarge Briefe malte.

Da, eines Morgens als Christiane die
Fenster öffnete in des Kaufmanns eheliä>em
Schlafzimmer, das auf ein Stück Baugrund
und Laubengeländo hinaussah, strich ein Stroni
warmer Luft über ihr Haar hinweg in die
nachtgefangene Zimmerluft. Auf dem verfal-
lenen Zaun draußen piepste ein frecher Star
und äugte begehrlich in den schmalen Graben,
der zu den Lauben führte. Und Chrislianes
scharfes Auge erkannte einen fetten Schmetter-
ling, der aus lenzbrüchigcr Erde behutsam
ans Licht kroch. Pick! Jetzt hatte ihn der
Star.

Christiane sah auf einmal Felder und
Wiesen vor sich. Unermeßlicher Sonnenschein
zerstäubte in Millionen von Tautropfen, lang-
gezogene Rufe der Burschen rollten durch die
Kanäle des Spreewalds, das leise Plätschern
der ins Wasser gestoßenen Stangen verklang
in den stillen Ufergebüschen, und sie sah sich
selbst, den Rechen auf der Schulter, über
den schmalen Pfad zur Früharbeit im Heu
schreiten.

Langsam trat sie vom Fenster zurück und
stand dann einen Augenblick mit schlaff am Kör-
per niederhängendcn Armen, während ihr Hirn
einen Gedanken, einen Entschluß aus tiefsten
Tiefen zur Klarheit emporzurcißcn sich quälte.
Dann tat sie ihre Arbeit wie sonst. Sie schüttelte
die Betten, ordnete sie und strich sie glatt, spülte
die Mundgläscr peinlich, bis sie funkelten vor
Sauberkeit. Jetzt goß sie das schmutzige Wasch-
wasser zusammen, entleerte den Eimer, rieb den
Waschtisch blank, bürstete Kleider, fegte, wischte
auf, stellte die Hausschuhe an ihren Platz und
füllte die Wasserkaraffen.

Dann ging sic. Es war ein Freitag, und
Christiane dachte flüchtig daran, daß morgen ihr
wöchentlicher Lohn füllig war. Aber der randa-
lierende Star, der im Borgarten die wiederer-
reichte Heimat einer genauen Prüfung unterzog,
pickte diesen Gedanken weg und verschluckte ihn
heiter, wie den Engerling am frühen Morgen.

Christiane kam nicht wieder. Sie verschwand
stumm wie sie gekommen war. Der Junggeselle,
die Gattin des Kaufmanns, die Geheimratswitwe
forschten empört dem Mädchen nach, von dessen
bewiesener Zuverlässigkeit man solche Überraschung
nicht erwartet hatte. Aber auch die Verwandten
wußten nichts von ihr. Das Mädchen war ohne
Abschied gegangen. Auch Nachricht aus ihrer
Heimat traf nicht ein.

Christiane kam am Abend im Dorfe an. In
braungoldenen und dunstblauen Farben hing der
Frühlingshimmel wie eine bunte Glocke über den
Wäldern, leise gurgelnden Wassern und lautlosen
Feldern. Vom Wirtshaus her dröhnten und knall-
ten dumpf die Kegelkugeln. Gelächter und kräftige
Stimmen sprangen polternd in die Gassen und
schmiegten sich dann sanft in den weichen Mantel
des Abends. Geradenwegs, doch leise und wiegend,
wie sie auf dem Asphalt der Stadt nie gehen
gelernt hätte, schritt Christiane an das Häuschen
am Ende des Dorfes, wo die letzte Laterne kraft-
los die treibende Lenzwollust dieser Nacht ver-
gnüglichem Halbdunkel überließ, und pochte drei-
mal an ein Fenster. Das öffnete sich und sie
schwang sich hinein. Und in der derben Umar-
mung des Geliebten, den die Mädchen Bräutigam
und Schatz nennen dort auf dem Lande, löste sich
die Großstadt von ihr ab, wie ein klebriges
Spinnweb, und ihre einfältige Seele trieb wieder
wunschlos über die rüchige Erde und die stummen
Wasser der Heimat.
Register
Karl Ernst Knatz: Christiane
Theodor Ortner: Aus der guten alten Zeit
 
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