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Brautwerbung

Otto Bauriedl (Mönchen)

Aphorismen

Von Dr. Bacr (Oberdorf)

Ein Recht auf Pessimismus erwirbt man
sich ausschließlich durch gute Taten — nicht
durch üble Erfahrungen.

*

Die meisten Menschen pflegen sich Schmei-
chelhaftes weit mehr aus Furcht vor einander
zu sagen als aus Hochachtung.

*

Durch Mangel an Aufrichtigkeit verrät
man seine Geheimnisse.

1-

Wozu Frauen aus Liebe fähig sind —
davon wissen Beichtväter mehr zu erzählen
— als alle Don Juans (& Herzensdiebe).

Auf einen, der seinen Erfolg seinem
Selbstvertrauen verdankt, kommen immer

hundert, die ihr Selbstvertrauen dem Erfolg
verdanken.

Für das moralische Niveau einer Zeit
bezeichnend ist nicht ihre Kriminalistik, son-
dern das Maß ihrer erlaubten Gemeinheileir.

*

Nerven

Von Emil Gradl (Wien)

„Hoher Gerichtshof!" begann der Angeklagte,
seine Verteidigung selbst führend, und seine Stimme
klang, als würde sie durch einen Filter gepreßt.
„Durch die Straße, in der meine Wohnung lag,
klapperten den ganzen Tag über die Holzsohlen
der Kinder, und wenn ein Rudel herangestürmt
kam, dann war cs wie das harte Holzratschen am
Charfreltag, wenn Christus im Grabe liegt. Aber
id) wußte ja, daß Christus sd>on lange bevor uns
das Sohlenleder ausgegangcn, gestorben ist, und
so mochten die Kinder ruhig ratsdien, es störte mich
nid)t, sondern gehörte zur Stimmung der Zeit."

Der Vorsitzende unterbrach ihn: „Bitte zur
Sodje zu sprechen".

„Ja. Es störte mich also nicht. Ich konnnte
in meiner Wohnung gut und gern meine Arbeiten
verrichten, auch das Surren der Elektrisd>en konnte
mich dabei nid)t beeinflussen. Es war eine Borstadt-
straße mit ein wenig Grün, wie id) es liebe..."

Der Vorsitzende ermahnte neuerdings, bei der
Saä>e zu bleiben.

„Ja. Mit ein wenig Grün, wie ich es liebe,
sagte ich, denn id) arbeitete damals an einem
Roman und konnte dabei ganz gut den Anblick
der Natur ertragen.

Die ganze Kette von Uniständen, durch die id) in
die Tat, deretwegen ich jetzt angeklagt bin, Hinein-
getrieben wurde, nahm ihren Anfang bei einer
praditvoll fetten Schmeißfliege. Diese Schmeiß-
fliege pumpste, als id, eben eine entzückende kleine
Idee niederschreiben wollte, mit einem lauten Knall
gegen das Fenster und verlangte durchaus hinaus.
Gut, dachte id) und tat dem Tier seinen Willen.
Als ich das Fenster öffnete, rief didst unter mir
eine Stimme: „Soeben Beginn der Vorstellung."
Es war 4 Uhr 12 Minuten nachmittags. Ich ent-
sann mich gleich, daß in der letzten Zeit im Haus
ein Kino eingeridstct worden war und fand es

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Otto Bauriedl: Brautwerbung
Emil Gradl: Nerven
Fritz Baer: Aphorismen
 
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