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Mitte einen roten Punkt aus Marmelade. Ja,
es war ein verdammt anspruchsvoller Hund, das
konnte man ganz objektiv wahrnehmen, am liebsten
fraß er die Königskroneu.

Es fd)ien Hart aber doch, als sei er der Dame
eine Erklärung für die rasche Fahrt schuldig und
so sagte er ihr, daß es sich um ein Darmgeschwür
handle. „Es sind bereits 58 Minuten versäumt
worden," sagte er, „glauben Sie, daß das ein
ausschlaggebender Zeitraum bei einer derartigen
Krankheit sein kann? Allerdings kommen ja Fülle
vor —" und er erzählte wieder den Fall, den er
dem Lokomotivführer erzählt hatte.

Die Dame meinte, das sei doch unerhört und
nahm ihren Hund schützend in den Arm. Sie sah
wohl voraus, daß jetzt allerlei geschehen könne
und wollte mit ihrem Hund gemeinsam sterben.
Bitte, mochte sie sterben, mit wem sie wolle, Hart
hatte dagegen nichts einzuwenden. Immerhin hätte
sie sich aber vorher noch mit ihm über das Schick-
sal eines Menschen aussprechen können, der nun
einmal das Unglück hat, mit einem Darmgesehwür
behaftet zu sein; es hätte viel zu seiner Beruhi-
gung beigetragen, wenn sie das getan hätte. Vielleicht
machte sie sieh über den Ernst der Lage gar keine
richtige Vorstellung, auch das war möglich, und
so sagte Hart, daß es notwendig sei, die höchste
Geschwindigkeit einzustellen. „Ich fütterte dieMa-,
schine mit Brot und Wurst, damit sie bei Kräf-'
len bleibe, auch Bier gab ich ihr. Jetzt saust sie
besoffen dahin, sehen Sie."

Er legte seine Hand auf ihren Arm und wun-
derte sich, wie eiskalt dieser war, mit der andern
zeigte er zum Fenster hinaus, wo die Bäume und
Telegraphenslangen in wahnsinniger Hast vorbei-
flitzten. „Sehen Sie," sagte er, aber die Dame
konnte nichts sehen, denn ihre klugen waren voll
Tränen, ihr entsetzter Blick hing immer an seinem
Gesicht. Ein hilfloses, wimmerdes Schluchzen hob -
sich aus ihrer Brust.

„Es wird Ihnen nichts geschehen," sagte Hart,
das war alles, was er für sie tun konnte, denn
die Geschwindigkeit durfte auf keinen Fall ver-
ringert werden. Ja, das hätte gerade noch gefehlt,
daß er sich wegen eines ängstlichen Frauenzimmers
verspätet hätte, davor sollte ihn Gott behüten.
Diese Vorstellung trieb ihm den Schweiß auf die
Stirn, er fühlte, wie auch seine Hände feucht und
schlüpfrig wurden und jede Kraft verloren. „Sie
sollen sich nicht ängstigen," schrie er der Dame in
höchster Erbitterung gerade ins Gesicht, aber seine
Worte wurden nur zu einem Flüstern.

Der Kondukteur schritt den Korridor ab, er
bewegte sich auf weichen Knien vorwärts wie ein
Seemann auf seinem Schiff und hatte seinen ge-
schwollenen Hals in ein rotes Tuch eingewickelt,
sodaß er den Kopf srliief stellen mußte. „Bleiben
Sie," sagte Hart zu der Dame, die auf den Kon-
dukteur zueilen wollte, und hielt sie zurück, „was
können Sie von ihm erhoffen? Er zwickt nur die
Karten, sonst hat er keinerlei Einfluß."

3ebenfnlls konnte es nicht schaden, wenn Hart
die Gedanken dieser Dame, die ja alle möglichen
Schwierigkeiten machen konnte, zu zerstreuen ver-
suchte, wenn er ihr eine kleine Aufheiterung bot.
Konnte man wissen? Soeben wollte sie sich an den
Kondukteur wenden, demnächst fällt es ihr ein,
den Eisenbahnminister zu interpellieren. Das war
durchaus nicht ausgeschlossen. Hart nahm daher
ein verbindliches Wesen an und brachte eine kleine
Erzählung in Gang, eine unscheinbare, harmlose
Sache von einem Hund, er glaube, Leonidas habe
er geheißen. „Ja, und denken Sie sich, der Hund
hatte keine Haare, sondern Federn," rief er, die
Dame war sichlich überrascht, wenn sie es and)
vorläufig noch zu keinem Laehen brachte. „Eie
sollen gleich noch viel merkwürdigere Dinge von

diesem Leonidas vernehmen-aber stehen wir

nicht auf offenem Feld?"

Er riß das Fenster herunter und beugte sich
weit hinaus, dann nahm er ebenso rasch wieder
seinen Platz ein.

„Er war ein seltenes Tier," setzte Hart fort,
aber sein Blick haftete jetzt immer auf der Land-
schaft, „das können Sie mir glauben. So hatte
er zum Beispiel die Eigenschaft, daß er sich aus-

Reinecke im Schnee

Eugen Ludwig Hoess (Immenstadt)

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