„Verjüngung" der Revolution
Auf dem Tempelhofer Feld in Berlin demon-
strierten um 15. Dezember etwa tausend 13- bis
17jährige Madels und Buben und stellten ihre For-
derungen auf — im Falle der Nichterfüllung droh-
ten sie mit dem „Generalstreik der Jugendlichen".
Auster der Volljährigkeit und Wahlfähigkeit
mit dem 18. Lebensjahre verlangten sie auch obli-
gatorischen Fortbildungsunterricht an den
Werklagvormittagen unter Bezahlung
der Schulzeit.
Warum soll die Bezahlung der Schulzeit nur
für die Fortbildungsschule gelten? Ist nicht der
Unterricht in der Volksschule viel lästiger und
sollte er nicht erst recht den Schülern bezahlt
werden? Man könnte einen Tarif je nach der
Unbeliebtheit oder Beliebtheit der. Führer ein-
führen. Jedenfalls must die Bezahlung so ein-
gerichtet werden, dast der A-V-C-Schüler eine
Familie ernähren kann!
Zu verlangen wäre dann noch: Züchtigungs-
rccht gegen die Lehrer. Abschaffung des Schön-
und Rechtschreibe-Unterrichts, weil er die persön-
liche Freiheit des Individuums zu unterdrücken
geeignet ist; der Geographie, weil sie dem inter-
nationalen Gedanken zuwiderläuft; der großen
Buchstaben im Alphabet, weil sie dem Prinzip
der Gleichheit widersprechen.
Dann: Einführung des zweimonatlichen Schul-
femefters, des zweistündigen Schultages, der
lOminutigen Schulstunde und der lOsekundigen
Schulminute!
Ferner: Sclbstzensurl Jeder Schüler schreibt
sich sein Zeugnis selbst und wenn er noch nicht
schreiben kann, tut es die Frau Mama für ihn. —
Der Embryonenrat, der. wie gemeldet, jüngst
gegründet wurde, tritt ebenfalls mit neuen For-
derungen hervor:
1. Abkürzung der neunmonatlichen „Warte-
zeit" auf 6 Monate.
2. Bezahlung eines angemessenen Wartcgcldes
während dieser Zeit.
3. Erlaubnis zum Zigarettenrauchen vom
3. Monat ab.
Sollte die Regierung Einwendungen erheben,
so beabsichtigen die Fräuleins und Herren Em-
bryonen ihr Erscheinen am Licht so lange zu ver-
zögern, bis ihre Forderungen bewilligt sind.
Protektoren
Die Volksbeauftrag lcn Ebert und Hache haben das
Protektorat über eine in Berlin stattfindende Baustoff-
ausstcllung übernommen.
„Freie Aussprache"
Zu der Wahlversammlung schritt Herr Müller,
Münchner Bürger, in den Wagner-Saal,
Als erlöster freier Bayer will er
Sich beteiligen an dem Kampf der Wahl.
Sittsam auf des Redners Worte hört er,
Bis „Oho!I" er unwillkürlich krisch.
„Aff' gefeldjtcr' „Dummer Lackel, gschcrter!"
Klang es lieblich drauf vom Rsbentisch.
Der Frontsoldat spricht:
Für Recht und Ordnung stehn wir Frontsoldaten
Wir danken bestens für die Bolschewisten.
Wir kennen dieser Burschen Heldentaten
Zu gut, um nach dergleichen zu gelüsten.
Der Radikalen törichtes Beginnet,
Läßt uns gerechten Zorn im Busen kochen:
Am lautesten schrein nachGewalt hier innen
Die Herrn, die draußen niemals Pulver
Schweigend drum ließ er den Redner enden.
Da erscholl des Beifalls lauter Ton,
Stark vermischt mit „Pfui!" und Pfeifenspenden -
Müller meldet sich zur Diskussion.
Kaum hat er das Rednerpult bezogen,
Zu erproben seine Stimmgewalt.
Schau, da kam ein Maßkrug angeflogen,
Der an seinem Riechorgan zerknallt.
Dies hat unfern Müller hast verdrossen.
Dennoch hält' er wcitcrdiskutiert.
Hätte man ihn nicht mit Wurfgeschossen
Aller Arten heftig irritiert.
Im Gebiß entstanden ihm zwei Lücken,
Merklich störend seinen Monolog.
Einer roten Fahne glich sein Rücken,
Als er'schwungvoll aus dem Saale flog.
Eingemunimt in Tücher bis zur Rose
Liegt er nun mit schmerzendem Gesäß,
Und er flüstert wirr in der Narkose:
„Redefreiheit.. . Ja, was war' dann dees?!" ...
Kärtchen
*
Neujahrswunsch
Ein neues Jahr — was cs wohl bringt?
Ach, schwer ist heut das Prophezeien!
Ob man ihm einst ein Loblied singt?
Wird man es laut vermaledeien?
Revoluzzerlieder
Meine Tochter ist vierzehn und besucht die
städtische Töchterschule.
Sie brachte mir gestern ein kleines Erlebnis
heim: Der alte Gesangslehrer war in Nöten gewesen.
Ging ratlos auf und ab und klagte den höheren
Töchtern: „Ich weest nich, was mr singen follri —
badriotische Lieder sind uischt, wo nir kcen Keenig
ham — relichiöse Lieder — na, den lieben Gott,
den schmeissen se nächstens ooch zur Schule naus'-
was solln mr nu eechentlich singn??"
„Liebeslieder!" sagte die Klaffe vergnügt. lt
*
Liebe Zugend:
Mein Freund hatte Konkurs gemacht. Es war
Kriegspech: er hatte in feinem Leben viel gearbeitet
und sich vorwärts gebracht, aber der Sturm der
Zeit hatte sein lsaus gestürzt.
Er war indessen in fröhlichster Stimmung-. „Non
jetzt au," sagte er, „wird gut gelebt. Alles will ich
nachholen, was ich in meinem arheitsreichen Leben
versäumt habe."
Ich warf ein: „Jetzt heißt es erst recht arbeite»
und sparen, um wieder in die ksöhe zu kommen."
„Neenee," widersprach er. „5ieh dir mal Deutsch-
land an: bettelarm und zu Boden gedrückt, lind
was beschließen wir: Verminderung, der Arbeitszeit,
Erhöhung der Löhne, Einkommen und Gehälter!"
Ich werfe ein, wo denn das viele Geld Her-
kommen soll?
„von was? — Du Reaktionär." Und wendete mir
den Rücken. K.. u.
*
Als Optimist, der stets ich war,
Begrüß' ich es mit Hoffnungsfreude:
Gott geb' uns mit dem neuen Jahr
Auf manchem Platz auch neue Leute!
„Jugend"
Tanz!
Don allen Anschlagsäulen
Mit 5t>reifd)en und Geschrei
Grellbunte Plakate heulen:
Der „Schwof" ist wieder frei!
Fürsten gibt es jetzt nicht mehr,
Diese haben wir verlor.n.
Ach, wo kriegen wir jetzt her,
Wenn es not tut, Protektoren?
Ein Protektor niußte sein,
Wenn 'ne Ausstellung man machte
Oder irgend ein Verein
Stiftungsfest zu feiern dachte.
Ach, es klang doch in der Tat
Zu bestechend in die Ohren:
„Unter dem Protektorat
Des und des Hochwohlgeboren."
Gott sei Dank, die neue Zeit,
Räumte sie auch mit dem Alten,
Hat uns diese Herrlichkeit
In der alten Form erhalten.
Keine Ausstellung floriert,
Jedes Süngerfcst verregnet,
Wenn's nicht Ebert protegiert,
Wenn's nicht Hanse huldvoll segnet.
Mancher Mensch, der dachte schon:
Ecl>luß mit diesen alten Sachen! —
Kinder, ohne Protektion
Ist auch heitt noch nischt zu machen.
Fra uze aus Berlin
Kurl Schiedermair
„Jetzt muh ich wieücr eure Giftschnäpse saufen. Sie fetnülichen KItcgcr stnö
weg/ unü meine Krau rückt den Uellerschlüsscl nicht mehr heraus."
Erstandet, von den Toten
Ist er nun Gott sei Dank,
Bier Jahre war er verbo en,
Bier schreckliche Jahre lang.
Schon hält der blasse Geniester
Monokel und Lackschuh bereit,
Schon pirsi.t auf reiche Spießer
Die Friedrichslraßenmaid.
Von Fox-Trott und Tango spricht man,
Sofern inan auf fid) hält,
Als Fordrung des Tages verficht man:
Tanze und lebe, Welt!
Sie tanzen — ob auch in Sorgen
Ein ganzes Volk vergeht,
Sie tanzen — und wenn uns morgen
Das Wasser mn Halse steht.
Der Hitngcr vor den Toren,
Die Feinde im deutschen Land.
Sie tanzen — als sei verloren
Auch mit dem Krieg der Verstand.
Was schiert sie die Not des Ganzen?
Hoppla, macht frei die Bahn!
Sie merken's nicht, dast sie tanzen,
Tanzen auf einem Vulkan.
Kunz Franzeudorf
Auf dem Tempelhofer Feld in Berlin demon-
strierten um 15. Dezember etwa tausend 13- bis
17jährige Madels und Buben und stellten ihre For-
derungen auf — im Falle der Nichterfüllung droh-
ten sie mit dem „Generalstreik der Jugendlichen".
Auster der Volljährigkeit und Wahlfähigkeit
mit dem 18. Lebensjahre verlangten sie auch obli-
gatorischen Fortbildungsunterricht an den
Werklagvormittagen unter Bezahlung
der Schulzeit.
Warum soll die Bezahlung der Schulzeit nur
für die Fortbildungsschule gelten? Ist nicht der
Unterricht in der Volksschule viel lästiger und
sollte er nicht erst recht den Schülern bezahlt
werden? Man könnte einen Tarif je nach der
Unbeliebtheit oder Beliebtheit der. Führer ein-
führen. Jedenfalls must die Bezahlung so ein-
gerichtet werden, dast der A-V-C-Schüler eine
Familie ernähren kann!
Zu verlangen wäre dann noch: Züchtigungs-
rccht gegen die Lehrer. Abschaffung des Schön-
und Rechtschreibe-Unterrichts, weil er die persön-
liche Freiheit des Individuums zu unterdrücken
geeignet ist; der Geographie, weil sie dem inter-
nationalen Gedanken zuwiderläuft; der großen
Buchstaben im Alphabet, weil sie dem Prinzip
der Gleichheit widersprechen.
Dann: Einführung des zweimonatlichen Schul-
femefters, des zweistündigen Schultages, der
lOminutigen Schulstunde und der lOsekundigen
Schulminute!
Ferner: Sclbstzensurl Jeder Schüler schreibt
sich sein Zeugnis selbst und wenn er noch nicht
schreiben kann, tut es die Frau Mama für ihn. —
Der Embryonenrat, der. wie gemeldet, jüngst
gegründet wurde, tritt ebenfalls mit neuen For-
derungen hervor:
1. Abkürzung der neunmonatlichen „Warte-
zeit" auf 6 Monate.
2. Bezahlung eines angemessenen Wartcgcldes
während dieser Zeit.
3. Erlaubnis zum Zigarettenrauchen vom
3. Monat ab.
Sollte die Regierung Einwendungen erheben,
so beabsichtigen die Fräuleins und Herren Em-
bryonen ihr Erscheinen am Licht so lange zu ver-
zögern, bis ihre Forderungen bewilligt sind.
Protektoren
Die Volksbeauftrag lcn Ebert und Hache haben das
Protektorat über eine in Berlin stattfindende Baustoff-
ausstcllung übernommen.
„Freie Aussprache"
Zu der Wahlversammlung schritt Herr Müller,
Münchner Bürger, in den Wagner-Saal,
Als erlöster freier Bayer will er
Sich beteiligen an dem Kampf der Wahl.
Sittsam auf des Redners Worte hört er,
Bis „Oho!I" er unwillkürlich krisch.
„Aff' gefeldjtcr' „Dummer Lackel, gschcrter!"
Klang es lieblich drauf vom Rsbentisch.
Der Frontsoldat spricht:
Für Recht und Ordnung stehn wir Frontsoldaten
Wir danken bestens für die Bolschewisten.
Wir kennen dieser Burschen Heldentaten
Zu gut, um nach dergleichen zu gelüsten.
Der Radikalen törichtes Beginnet,
Läßt uns gerechten Zorn im Busen kochen:
Am lautesten schrein nachGewalt hier innen
Die Herrn, die draußen niemals Pulver
Schweigend drum ließ er den Redner enden.
Da erscholl des Beifalls lauter Ton,
Stark vermischt mit „Pfui!" und Pfeifenspenden -
Müller meldet sich zur Diskussion.
Kaum hat er das Rednerpult bezogen,
Zu erproben seine Stimmgewalt.
Schau, da kam ein Maßkrug angeflogen,
Der an seinem Riechorgan zerknallt.
Dies hat unfern Müller hast verdrossen.
Dennoch hält' er wcitcrdiskutiert.
Hätte man ihn nicht mit Wurfgeschossen
Aller Arten heftig irritiert.
Im Gebiß entstanden ihm zwei Lücken,
Merklich störend seinen Monolog.
Einer roten Fahne glich sein Rücken,
Als er'schwungvoll aus dem Saale flog.
Eingemunimt in Tücher bis zur Rose
Liegt er nun mit schmerzendem Gesäß,
Und er flüstert wirr in der Narkose:
„Redefreiheit.. . Ja, was war' dann dees?!" ...
Kärtchen
*
Neujahrswunsch
Ein neues Jahr — was cs wohl bringt?
Ach, schwer ist heut das Prophezeien!
Ob man ihm einst ein Loblied singt?
Wird man es laut vermaledeien?
Revoluzzerlieder
Meine Tochter ist vierzehn und besucht die
städtische Töchterschule.
Sie brachte mir gestern ein kleines Erlebnis
heim: Der alte Gesangslehrer war in Nöten gewesen.
Ging ratlos auf und ab und klagte den höheren
Töchtern: „Ich weest nich, was mr singen follri —
badriotische Lieder sind uischt, wo nir kcen Keenig
ham — relichiöse Lieder — na, den lieben Gott,
den schmeissen se nächstens ooch zur Schule naus'-
was solln mr nu eechentlich singn??"
„Liebeslieder!" sagte die Klaffe vergnügt. lt
*
Liebe Zugend:
Mein Freund hatte Konkurs gemacht. Es war
Kriegspech: er hatte in feinem Leben viel gearbeitet
und sich vorwärts gebracht, aber der Sturm der
Zeit hatte sein lsaus gestürzt.
Er war indessen in fröhlichster Stimmung-. „Non
jetzt au," sagte er, „wird gut gelebt. Alles will ich
nachholen, was ich in meinem arheitsreichen Leben
versäumt habe."
Ich warf ein: „Jetzt heißt es erst recht arbeite»
und sparen, um wieder in die ksöhe zu kommen."
„Neenee," widersprach er. „5ieh dir mal Deutsch-
land an: bettelarm und zu Boden gedrückt, lind
was beschließen wir: Verminderung, der Arbeitszeit,
Erhöhung der Löhne, Einkommen und Gehälter!"
Ich werfe ein, wo denn das viele Geld Her-
kommen soll?
„von was? — Du Reaktionär." Und wendete mir
den Rücken. K.. u.
*
Als Optimist, der stets ich war,
Begrüß' ich es mit Hoffnungsfreude:
Gott geb' uns mit dem neuen Jahr
Auf manchem Platz auch neue Leute!
„Jugend"
Tanz!
Don allen Anschlagsäulen
Mit 5t>reifd)en und Geschrei
Grellbunte Plakate heulen:
Der „Schwof" ist wieder frei!
Fürsten gibt es jetzt nicht mehr,
Diese haben wir verlor.n.
Ach, wo kriegen wir jetzt her,
Wenn es not tut, Protektoren?
Ein Protektor niußte sein,
Wenn 'ne Ausstellung man machte
Oder irgend ein Verein
Stiftungsfest zu feiern dachte.
Ach, es klang doch in der Tat
Zu bestechend in die Ohren:
„Unter dem Protektorat
Des und des Hochwohlgeboren."
Gott sei Dank, die neue Zeit,
Räumte sie auch mit dem Alten,
Hat uns diese Herrlichkeit
In der alten Form erhalten.
Keine Ausstellung floriert,
Jedes Süngerfcst verregnet,
Wenn's nicht Ebert protegiert,
Wenn's nicht Hanse huldvoll segnet.
Mancher Mensch, der dachte schon:
Ecl>luß mit diesen alten Sachen! —
Kinder, ohne Protektion
Ist auch heitt noch nischt zu machen.
Fra uze aus Berlin
Kurl Schiedermair
„Jetzt muh ich wieücr eure Giftschnäpse saufen. Sie fetnülichen KItcgcr stnö
weg/ unü meine Krau rückt den Uellerschlüsscl nicht mehr heraus."
Erstandet, von den Toten
Ist er nun Gott sei Dank,
Bier Jahre war er verbo en,
Bier schreckliche Jahre lang.
Schon hält der blasse Geniester
Monokel und Lackschuh bereit,
Schon pirsi.t auf reiche Spießer
Die Friedrichslraßenmaid.
Von Fox-Trott und Tango spricht man,
Sofern inan auf fid) hält,
Als Fordrung des Tages verficht man:
Tanze und lebe, Welt!
Sie tanzen — ob auch in Sorgen
Ein ganzes Volk vergeht,
Sie tanzen — und wenn uns morgen
Das Wasser mn Halse steht.
Der Hitngcr vor den Toren,
Die Feinde im deutschen Land.
Sie tanzen — als sei verloren
Auch mit dem Krieg der Verstand.
Was schiert sie die Not des Ganzen?
Hoppla, macht frei die Bahn!
Sie merken's nicht, dast sie tanzen,
Tanzen auf einem Vulkan.
Kunz Franzeudorf