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Wie (DMn, der -^immelsgott,
fein -Luge verlor

3n di- fjallc des Königs 1)1 ein tDunberjamer Aller getreten In
»ettlergeitolt: die Hunde, ftatt anzujchiagen, umringen Ihn
wedelnd. Aber von den Mannen achtet teiner auj ldn. Kur
der junge Sohn des Königs bringt ihm einen Lecher Weines.

Da erhebt sich der Greis und singt ihm zum vanke von seiner
Weisheit.

lausche, Agnar, dem liede des Alten,
wie Ddin sein Auge verlor:

So köstlichen lohn reicht dir keiner als labe
Zm Lrdkreis für einen Trunk wein.

kummervoll keuchen Nnechte durchs Leben,
Speise und Trank ist ihr Trost.

Nach wissen dürstet des Waltenden Seele,

Nach Weisheit hungert den Herrn . . .

Ls ragt eine Lsche vom Lrdengrunde
Hoch in den Himmel hinein.

Die schattenden Zweige breitet sie schuhend
Über das atmende All.

Unten am Stamme spinnen drei Schwestern,
Die hohen Häupter verhüllt:

Töchter der Riesen aus Thursenreichen
weben das Schicksal der Welt.

Hoch in den Lüsten der leuchtenden Herne
Hallt es von hellem Getön:

Ls gellt ein Aar aus dem Lschenwipfel
Sonncnberauscht seinen Sang.

Tief aus dem Loden unter dem Baume
Nnirscht es im Dunkel und kracht:

Ls nagt an den wurzeln in wütendem Neide
Drunten der Drache der Hel.

Ls funkelt ein Brunnen am 5uße des Baumes,
vom Raunen des Laubes umrauscht:
weither sprudelt des Weihers (Quelle
Vom Innern der Lrde herauf.

Dort fiht der Alte im Silberbarte,

Mime, vom Mose vermummt:

Ls lauscht und lugt in das licht der Lüfte
Der Geist der Gewässer vom Grund.

Linst blitzte ein Speer aus imSchatten desBaumes,
Ls stand am Strande ein Gott:

Walvater spähte ins spiegelnde Wasser,

Vas Haupt im Helme geneigt.

„Heimlicher Horcher am Herzen der Lrde,
„Mime, hervor aus der §lut!

„weife dein wissen, Geist der Gewässer,

„Ls ruft dich der Walter der Welt!"

Dämmerung quoll aus dem dunklen Boden,
Das Zwielicht erlosch im Gezweig,

Da teilte sich rauschend die ruhende Hläche,

Da hob sich ein Haupt aus dem See.

„willst du dir, Walvater, Weisheit erwerben,
„vom Znncrn der Lrde erlauscht,

„So leihe mir, (vdin, dein leuchtendes Auge
"Oer Tiefe zu schimmerndem Schmuck."

lange murmelte Mime mit (vdin
Zm Dunkel am dämmernden See.

Ls hörte kein Dhr auf dem Lrdenrunde,
was heim! ch die Herrscher geraunt.

Der Reichste ward (Vdin an Runenweisheit,

An zwingender Zaubergewalt —

Herne funkelt in feuchter Tiefe
Das Auge des Gottes vom Grund.

Leopold Weber

Am Wegrand Frido Witte

Der Franz

Erzählung von Elisabeth Schelleilberg-Bukow

Regungslos lag seine schwarze Katze in glühen-
der Mitagssonne auf einem Clos; zersägter Bretter.
Das in der Wärme guellende Harz wogte träge
über den verlassenen Platz, niedergedrückt von der
Schwüle des wolkenleeren Sommertages. Als der
Franz über den Hof ging, strich er der Schnur-
rcnden.über den heißen Pelz. Diese Hand war
trotz der harten Arbeit, der sie diente, weis; und
schmal. Kaum war er zur Türe des Hinter-
hauses gekommen mit seinem langsamen Schritte,
der etwas träumend Trunkenes hatte, als man
ihn vom Laden her anricf. Zweimal mußte man
rufen, ehe er sich besinnend wandte und umkehrtc.

„Franz, du sollst der Dame die Preise sagen
für ein Eßzimmer in Eiche und eine Schlafstuben-
einrichtung, Nußbaum, innen Eiä,e furniert."

Er sah über die aufgeregte Mutter hinweg,
die immer noch die trockenen Hände in Beflissen-
heit an der Schürze abrieb, nach der stark ge-
rundeten Dame hin im engen Taffctkleide, das
bei jedem ihrer Atemzüge leise knisterte — wie
das Fell seiner Katze —, und die nun das Lorg-
non von den klugen ließ, mit dem sie prüfend
eine Tischplatte gemustert hatte. Als er nach dem
Schirm seiner Mütze griff, bemerkte er, daß er
keine trug; so machte er eine Verbeugung, die
etwas seitwärts einknickte. Ohne weitere Ein-
leitung nahm er aus der Schublade eines zier-
lichen, netten Toilettentisches sorgsam die Kata-
loge und suchte umständlich nach den Preisen.
Hier und da verrückte er mit schwachen Kräften
einige Möbelstücke, schob allerlei Türen auf, und
wie sie mit leisem, schrillem Tone siä> öffneten
und wieder schlossen, so klagend unerfüllt, verfiel
er darüber ins Grübeln: 's ist wie eine Dissonanz,
die aufzulöscn vergessen wurde.

„Entsetzlich!" rief die Dame. Franz erschrak.
„Türen müssen geräuschlos schließen, das mache
ich zur Bedingung."

„Natürlich, natürlich!" bestätigte die Mutter.
„Franz, ündre das noch heute! Was sinnst du
wieder? Komm zur Sache! — Wissens, Gnädige",
sie beugte sich ein wenig näher, so daß die andre
unmerklich zurückwich und sie mit abfälliger Miene
musterte, „derZunge ist mir nichts als ein Träumer;
daß Gott erbarm! Mein Mann fehlt mir gar
sehr. Und der Älteste ist weg zum Möbeln auf-
stellcn. — Halt, da kommt er gerade. Franz,
ruf ihn mal her!"

Und Franz wandte sich zur Tür, die Kataloge
vergessen in der Hand haltend, winkte dem Bruder
und stahl sich dann mit plötzlich erwachender Freude
zum Hinterhause hinauf. — —

Zn der Türe stand der Franz erst regungs-
los; ihm zur Seite an der einzigen hohen Wand
der Kammer ein geftrichner Schrank, hart in die
Ecke gedrückt wie ein gcsäioltencr Zunge, der die
Arme dicht an den ängstlichen Leib gezogen hat.
Sein Zimmer hatte ein fdjcucs Aussehen. Zu
Seiten des Fensters, das im G>ebel herausragte,
wie ein weitsichtiges Auge über die Brillengläser
in die Ferne sieht, stand hier Bett und dort nied-
rige Waschkommode unter dem schräg herab-

fallendcn Dache. Sie waren nur eben geduldet
diese beiden; — denn was waren sic gegen den
Flügel! Der wirkte gewaltig in dem kleinen
Raume, wenn er auch gestutzt war; und all die
geschnitzten Borde und Bilder und Möbel standen
um ihn her, wie hungrige Hühner bettelnd ge-
schart um ein hohes Pferd, das aus der vollen
Krippe einigeKörner fallen läßt.FranzensFlügel
hatte die vornehme Welt gesehen; doch er war
nicht stolz geworden, dazu besaß er zu viel Ge-
müt.Manchmal aber durchzitterle ihn ein fremder
Ton: er hatte bei dem häufigen Lcbcnswechsel

— die Unverständigen nannten cs „Transport"

— einigen Schaden genommen. Wenn Franz
im pisnwsimo das a anschlug, so klang cs ge-
quält und kurz, als sei es eine wunde Taste, die
erschreckt die Berührung des Fingers zurücksließ.
Aber gerade diesen Ton liebte er zärtlich; er

fühlte siä> verwandt mit der Suite, die zugleich
schrill und sehnend klang.

Wehmütig öffnete Franz den Deckel und strei-
chelte die vergilbten kühlen Tasten. So tat er
immer, wenn er aus Furcht vor Schelten nicht
zu spielen wagte. Wie er allmählich seine stillen
blauen klugen nach dem kleinen Fenster gleiten
ließ, wo das lichte Laub der Linde Schatten auf
die winzigen Gardinen flattern machte, — da kam
es ihm plötzliä) in den Sinn, daß die Mutter zur
Stadt hatte gehen wollen. Wie ein Jauchzen
traf ihn dies Erinnern. Seine beiden Hände
schossen durch das helle Haar, als suchten sie et-
was, an dem sie ihre Freude auslasse» könnten,
und sein Herz schlug in harten, aufgeregten
Schlägen. Dann stand der Flügel weit geöffnet,
und die kleine Kammer war zur Kirche gewor-
den. . . .

Ehe er sich dessen bewußt war, versuchte er
sich an einer Messe des alten Haydn: gesammelt,
demütig vor Glück und Dankbarkeit; dann strah-
lend im Glauben und endlich hingerissen vor der
Allmacht. Seine Lippen preßten fid) zusammen,
und die Hände falteten sich tief in die klingenden
Tasten hinein.

* *

*

„Franz! — Da sitzt er scl,on wieder und klim-
pert!" rief auf der Treppe eine keifende Stimme.
„Ist denn die Truhe für Schulzens fertig? Sie
soll noch heute hin. — Franz!"

Das Spiel verstummte. Der Franz sah er-
schrocken um sich und lauschte in den süllgewordcnen
Raum.

„Hörst du nicht, wenn ich dich rufe, Zunge!"
klang es nun näher, und völlig außer Atem schob
sich die Mutter herein. Alles an ihr war fett und
rund: von, Scheitel bis zum strammen Schürzcn-
latz und dem spannenden Rock um die Hüften;
man ahnte die Stämmigkeit der Beine.

„Ja", sprach Franz leise, ohne aufzusehen,
und der Tonfall blieb ganz im Einklang mit der
verhallenden Note. „Za . . . ." sung er noch
einmal.

„Ob sie fertig ist, zum Kuckuck!"

„Wer denn?" sagte er und dachte noch an die
verklungene Melodie.

„Die Truhe, dummer Junge; dein Gesellen-
stück!"

„Ach so . . . die Truhe. Za, Mutter, gleich.
Was fehlte doch noch? Die Schlösser, glaube ich,
und die Riegel."

„Natürlich, ich sags ja!" Sie zog vor Arger
die Schürzcnbänder zusammen. „Bei deinem
ewigen Klimpern vergißt du das Nötigste. Jetzt
wird hier Schluß gemacht!" Sie klappte rauh
den Deckel zu, ehe er es verhindern konnte. Die
Saiten erzitterten unter dem Schlage.

Seufzend erhob sich der Franz, legte einen
Augenblick seine eiskalten Finger vor die ver-
wirrten Augen und stolperte dann die Treppe
hinab.

* *



Eines Tages stieg der Franz aufs steinerne
flaäje Dach empor. Die Nacht war erfüllt von einem
hellen, imnierwährenden Pfeifen: langsam undübcr-

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Register
Leopold Weber: Wie Odin, der Himmelsgott, sein Auge verlor
Elisabeth Schellenberg-Bukow: Der Franz
Frido Witte: Am Wegrand
 
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