Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Overview
Facsimile
0.5
1 cm
facsimile
Scroll
OCR fulltext
füllt rollten die schweren Eisenbahnen mit den Truppen an die Grenze. Er
vermochte das Furchtbare kaum zu fassen; aber endlich brach sich die Gewiß-
heit Bahn. Sein einziger Bruder mußte ja mit hinaus, sein getreuer
Nebenmann in der Werkstatt, der ihm so manch kleine Arbeit schweigend
abgenommen hatte, wenn ihn selbst die Sehnsucht zur Musik getrieben. Und
Frau und Kindern wurde das Herz so schwer, und gar seiner Mutter!
Das mar ein Schmerz, der die Zurückgebliebenen unmcrklich einander näher-
brachte. Fast schien cs, als wollte das Gemüt der Mutter sich seinen Tönen
erschließen, denn ungeschälten durste er spielen, oft stundenlang: hauptsächlich
war cs aber, weil die Arbeit stillestand.

Wie durch sein fleißiges Spiel die Finger ihre Schwere verloren hatten, so
löste auch in seinem Innern eine Freude die Spannung der letzten Jahre
und machte ihn seltsam willig und genügsam: er vergaß die alte Scheu, stellte
sich manchmal zur Mutter und sprach ein paar nichtige Worte. Dabei
strich er ihr ungelenk über den Arm: er fand keinen andern Ausdruck für
dieses große Glück: ungehindert spielen zu dürfen.

Die Mutter sich ihn von der Seite an. „Na, Franz, mir scheint der Krieg
hat aus dir 'nen andern gemacht, he?"

Erst zog er ein verlegenes Gesicht, dann aber entgcgnete er beherzt: „Nun
ja, vom Frieden zum Krieg, das ist ein übermütiger Sprung, wie aus tiefem
Moll in Helles Dur."

Sie wiegte mißmutig den Kopf auf dem dicken Halse. „Schwatz nich so
albernes Zeug!" sagte sic, nahm mit der Rechten den linken Schürzenzipfel
und steckte ihn in den Leibgurt: den Arm ließ sic in die Seite gestemmt.
Aber ihre herrische Stellung beirrte ihn nicht: er wollte festhalten an dieser
beglückenden Stimmung und erzählte ihr ganz gegen seine Gewohnheit, wie
fleißig er gelernt habe.

„Und wann bitte endlich fertig?"

Er lachte verlegen und überlegen. „Das weiß ich nicht. Fertig kann man
in der Musik, wie in jeder Kunst, wohl niemals werden."

„Za, was hats dann für Zweck?"

„O, man kann viel erreichen."

„Na, was wirds sein? Deine Technik, oder wie du 's nennst, ist nicht
weit her, wie dein Lehrer sagt."

„Aber Mutter, das war damals!" Wie es ihn peinigte, immer nur
für sich cintrcten zu müssen! Und was konnte er ihr sagen von seinen kühnen
Träumen, seiner ganz eigenen Auffassung der Tonkunst und von seinem harten
Streben? Sie war nur eine einfache Frau, und wenn er das bedachte, fühlte
er wieder Milde und Geduld über sich kommen. Mit ungewohnt freiem
Schritt ging er durchs Zimmer, getragen von dem stolzen Gefühle, das Leben
rneistern zu wollen. Ein Verlangen brannte in ihm nach nie versagender Greift.
Dieser Kraft, die von der stärkenden Macht der Kunst ausgcht, sich an einem
Funken leicht entzündet — und doch von einem Stäubchen Asche oft erstickt

wird. Fühlte er das dumpf? Und wo lag die Schuld? An ihm?

An den anderen? Es war sein tiefes, so leicht verletzliches Sehnen nach
Harmonie, nach vollkommener Harmonie. —

Heute fand er die Kraft, das Gespenst zu bannen: er war in Feier-
tagsstimmung. Sorgfältig strich er über seine Rockärmel, als lügen noch
Sägespäne darauf. Vor der Mutter blieb er stehen, sah die Reinlichkeit
ihres Küchenanzuges und die Glätte ihres wässerig glänzenden Scheitels und
klopfte ihr versöhnt auf die Schulter.

„Heute habe ich rechte Ruhe zum Üben gehabt," sagte er tief Atem
schöpfend, „das macht mich froh. Jetzt fühle ich Riesenkräfte!" Dabei dehnte
er die magere Brust, die niä>t einmal die militärische Breite hatte. Nun war
ihm die ungeliebte Tischlerarbeit nichts mehr als eine kleine Ablenkung, wobei
er ungestört seinen Träumen nachhängen konnte. Ja, die genossene Freiheit
gab ihm fast ein Verlangen nach diesem Ausgleich. „Ich will unten nach
den Leuten sehen," sagte er vergnügt und ging.

* *

*

An einem Alltagmorgen erklang zu ungewohnter Stunde ein Glockenton!
Der Wind lud ihn auf seine Flügel und trug ihn weit hinaus. Stark wie
ein Adler strich er dahin; — das war: Siegesgeläut!

Welch ein Aufruhr in den Lüsten! Das war ein rcdjtcr stürmischer Braus,
in dem die Fahnen flattern mußten, alle die da aufrecht stehen am Maste,
stolz und bewußt. Erst hatte ein leichter Wind sie geweckt, ihr heiteres Wehen
klang wie zuversichtliches Singen ausziehender Krieger. Jetzt riß der Sturni
sie mit sich fort: in säinellcm Teinpo knatterten sie wie Kleingewehrfeuer,
sätlängelten sich hin und her, sprangen über und knallten, als wären sie das
Echo der Schlachten. Do sie endlich wieder zu sich kamen, gänzlich erschöpft,
hingen rote Streifen zersetzt über weißen, wie Blut über bleichen Stirnen.
Zn dem flügellahmen Schlagen lag es wie sehnendes Weh: dürften auch wir
in detn großen Kriege dem Feinde entgegenglänzen; wir können nur Siege
künden, die wir nicht miterrangen! Da richtete die Sonne sich hoch empor.
Sie blickte scharf, — es wurde einem heiß dabei. Und doch war es ein be-
glückendes Feuer: beim sie lächelte trostreich: wenn alle Fahnen da draußen
wären, wie sollten wir hier die Siege feiern? Da schwiegen die Fahnen
und legten sich glatt an den Mast. —

Der Franz fühlte es deutlich. Es war auch ihm ein Trost: nun stand
er nicht mehr seitab: er teilte die Freude. Ja, mit dem siegestollen Winde
war es wie Rausch über ihn gekommen. Er stürmte hinauf in seine kleine
Welt, schlug den Deckel des Flügels begierig zurück und griff in die Tasten,
als könnte auch er gleich dem Winde in Siegesfahnen zausen.

Die Begeisterung durchwogte ihn wohl, doch die Finger vermochten nicht,
so hastig zu folgen. Sie griffen oft daneben in ihrer Ungelenkigkeil.

Albert Welti
Index
There is no information available here for this page.

Temporarily hide column
 
Annotationen