Er aber spielte darüber hinweg. Sorglos und
ungekränkt. Hätte er etwa gewagt, es unschön
zu finden, oder gar zu tadeln, wenn in dem Ge-
sang einer vaterländisch erregten Menge eine all-
zu eifrige Stimme sich überschlagen hätte? Trotz
der Rechtfertigung, die er sich selbst zugute kom-
men lieh, wollte ihn ein kleines Unbehagen nicht
wieder frcigcbcn. „'s ist doch verteufelt schwer",
murrte er mit zusammengcpreßten Zähnen, und
seine Augenbrauen begegneten sich über einer
tiefen Falte, dann nahm er mit entschiedenem
Ruck eine Tonleiter in Angriff.
Unweit seiner Kammer holte die Mutter mit
ausgebreiteten Armen die Wäsche von der
Leine. Durch die dünnen Bodenwände drang
sein Spiel zu ihr herüber.
„Franz! Zum Donnerwetter, so hör doch
endlich auf! — Das kann ja kein Mensch mit
anhören!"
Sie hatte den Wäschekorb hochgenom-
men und stiefz mit dem Ellbogen die Türe zu
seiner Kammer auf, das; sie gegen den Flügel
prallte.
Franzens Spiel verstummte. Er sah sie
erschrocken an, so daß die Mutter ein kleines
Verstehen spürte.
„Die Leute regen sich drüber auf! Wenn du
nod) was Palriotsches spielen tätst! Aber was
ist denn das wieder für ein Lärm!" Sie fuhr
mit ihren dicken Händen erläuternd rechts hin
und links zurück und bewegte die kurzen
Finger in äußerster Anstrengung.
„Das waren Fugen, Mutter", sagte Franz
wie entschuldigend. „Fugen vom großen Johann
Sebastian Bach."
„Ach was, Fugen! Unfug ifts! Laß das
und tu was Gefcheits!"
Franz fühlte eine Erregung, die ihm heiß
in Kopf und Lippen stieg; er zwang sie nur
mühsam nieder. „Mutter, heute laß mich hier:
morgen will ich wieder arbeiten."
Dieser Widerspruch war etwas so Neues,
Unerhörtes, daß die Mutter nicht sogleich eine
Antwort fand. Sie stemmte beide Arme in die
Seiten und beugte sich nieder zu ihm, der immer
noch auf deni Hocker saß. Breit, mit dem Ver-
fndjc, ihren Zorn zu rmterdrücken, rief sie: „Sag
mal, du Esel, bei dir rappelts wohl?" Und
wütend fuhr sic ihn an: „Haste mich verstan-
den?"
„Aber Mutter, sei doch nicht so hart! Du
kannst dir nirlst denken, wie es mich verstim-
men muß, wenn ich gerade dann aufhörcn soll,
wenn die Finger anfangen gelenkig zu werden.
Und ich habe wirklich meine Not mit solchen
Händen,"
„Is dir recht: der Schuster soll bei seinem
Leisten bleiben!"
„Es ist schon gut", sagte er ärgerlich und
legte das Heft zu den anderen in den Notcn-
kaftcn.
„Du solltest wissen, daß ich das Tischlerhnnd-
werk nie als meinen eigentlichen Beruf betrachtet
habe."
„So? Kommste mir wieder mit diesen ver-
rückten Reden! Was soll aus dem Geschäft
werden, wenn der Große — — der Himmel
mögs verhüten! aber man kann ja nich wissen. . ."
Sie holte den Schürzenzipfel hoch und schneuzte sich.
„Dann müssen wir eben verkaufen", sagte
Franz und zwar so energisch, daß die Mutter ganz
verdutzt die Brauen in die Höhe zog.
„Dich prickt wohl der Hafer? Dämlack!" rief
sic. „Freilich, dir kanns gleich sein, wos Essen
herkommt, wenns nur auf deinem Teller liegt.
Oder gedcnkfte von deinem Stu-u-dium" — sie
spitzte die wulstigen Lippen, so gut es gehen wollte
— „zu leben?" — Er biß die Zähne aufeinander
und schwieg. „Oder willsle warten, bis sich eine
Anstellung findt; gar als Musikdirekter? cs will
ja heut jedes Direkter sein."
„Du weißt sehr gut, Mutter, daß ich gar nicht
so hoch hinaus will", sagte er mit stillgewordenem
Troß.
Heimkehr E. Mainzer
„Nu, da därf man vielleicht fragen?" Sie
sah eine feine Staubschicht auf dem Flügel und
wischte mit der flachen Hand darüber; nicht eben
sorglich und liebevoll, aus reiner Gewohnheit.
„Ich könnte doch unterrichten", entgegnete
Franz einlenkend. Das hatte nie in seiner Ab-
sicht gelegen; der Gedanke daran war ihm viel-
mehr ungeheuerlich und störend. Mit seinem tief-
sten Herzenswünsche, immer weiter lernen zu dürfen
und aus ungestörter Stille heraus auch eigenes
zu schaffen, wagte er siel) gar nicht hervor. „Es
ist gewiß ein schöner Beruf, anderen die Musik
zugänglich zu machen", fügte er, sich selbst er-
mutigend, hinzu.
„So — — ? Du meinst: andere verführen,
daß sie auch Tagediebe werden?"
„Mutter", rief er verzweifelnd, „ich bitte dich!
Du willst mich nicht verstehen. Du machst mir
das Leben schwerer als es schon ist."
„Und du mir etwa nicht! Da hat man seine
ewige Sorge mit dem Jungen, und dann kommt
er einem noch fred)!"
Er überhörte den Einwurf vor dem drohen-
den Sturme, der sein Inneres aufwühlte und den
stolzgehegtcn Bau von der Möglichkeit eines still-
beschaulichen Lebens umwarf und ihn selbst dar-
unter begrub. Die Mutter sah ihn nicht an; sonst
hätte sie erschrecken müssen über den Berfall seiner
Züge und die scharfen Linien um die tiefhängen-
den Lippen. Sie war aufs äußerste erbost über
seine Anklage und sä>lcuderte aus ihren eingeengten
Augen ergrimmte Blicke in alle vier Ecken seiner
abendlich beschienenen Kammer.
„Hat dir deine Musike schon was cingebracht?
Am Hungertuche wirste nagen!!" Sie haute mit
den Händen durch die Luft, machte Kehrt, daß
die Röcke einen großen Bogen schlugen und warf
die Türe knallend hinter sich zu. — —
Sein Kopf knickte vornüber und siel auf die
Hände, die sich ihm nicht einmal zu öffnen ver-
mochten. Die Ellenbogen hatten ein paar Tasten
niedergedrückt, die in ihrem Mißklange seinen
ganzen Schmerz zuni Ausdruck brachten.
„Was soll ich tun?" stöhnte er. „Was —
soll — ich — tun?" Er blickte sich um, hilflos.
Die Türe hatte sich hinter der Mutier geschloffen.
Da war ja der Wall, den er früher so oft als
Wohltat empfunden! Und doch sprang er ge-
guält vom Hocker und floh in den äußersten
Winkel der Kammer. Dann schl ch er wie-
der an den Notcnkastcn zurück, ruckweise, wie
ein Dieb, mit ausgestreckten Fingern, die nichts
Gutes Vorhaben. Zu linierst lag eine Mappe
mit Noten, die ihm die wertvollsten waren.
Er zog sie hervor und blätterte darin mit
müde gewordenen Fingern, wie man über den
Efeu eines verlassenen Grabes streicht. Aber
dann, — che er sich noch bei den Notenpunktcn
der Töne bewußt wurde, zuckte der Haß in
ihm auf, der jählings ausbrechende Haß. Ge-
fühllos rissen seine Hände das kleine Heft in
Stücke. . .
Als hätte ihn erst jetzt die feindliche Kugel ge-
troffen, sckrie er mit heiser gurgelndem Laute,
schüttelte Kopf und Hände voll Ingrimm und
schlug wie zum tödlichen Gegenstoße mit harter
Faust die wirr aufklirrendenTasten.Aufgeschrcckt
und wie in Grausen vor der kommenden Stille
sprang er flüchtend nach der offenen Luke, ver-
folgt von den schmerzhaften Töne", die von der
Decke und aus den Winkeln der Kammer ver-
rinnend nachsummten. . .
Draußen wehte noch eine leichte Abendbrisc in
den aufgehängtcn Fahnen, die von den letzten
reinen Strahlen derHcrbstsonne durä,ricselt wur-
den. Hier und da zog man sie wieder ein: der
Franz sah es mit schmerzhafter Erkenntnis.. . .
Morgen würden die Straßen wieder leer und
ohne Freuden liegen, vielleicht in den ersten
schlciernden Nebeln.
Was war nun sein Leben? Draußen rangen
und wüteten die Völker; hier stand er allein, rat-
los und müde Er seufzte hinein in den bleichen-
den Abend. Ein paar Stimmen tönten herauf
zu ihm, geschäftig, fragend, gleichsam durchzittcrl
von der Hast und Sorge dieser erregten Zeiten.
Er aber war abseits, fremd, verloren im eigenen
Gram. Wer hatte Mitleid mit ihm, wer wußte
um feinen Schmerz, um seine Hoffnungslosig-
keit? . . .
Es dunkelte langsam. Aus der Ferne schwam-
men ihm einige Töne entgegen, ein Lied aus
freudigen Kinderkehlen: O Deutschland hoch in
Ehren, Der Franz zuckte zusammen; ihn fröstelte.
Trüge, mit schlürfenden Schritten wandte er sich
und stieg hinunter in die feiernde Werkstatt. Sie
lag leer; die Hobel ruhten, die Säge schwieg. In
einem versteckten Winkel ließ er sich schwer aus
einen alten, wackligen Stuhl nieder, hielt die Hände
gefaltet zwischen den Knien und starrte ohtie Ge-
danken auf den Boden, der, wie er flüchtig be-
merkte, noch nicht gekehrt war. So saß er gleich
einein Flüchtling, bis die Nacht kam und die
Dinge mitleidsvoll verhüllte.
*
Wink er ab en d
Das Dämmern fällt. Die Wiese atmet schwer,
ihr Odem schwebt in feuchten Nebelschwaden.
Es kani der Winter und die Nacht kommt her,
kaum irrt ein Licht auf den verwirrten Pfaden.
Der Mauerbogen der verwehten Stadt,
weitfchwingcnd um das sterbensmüde Weben
ist selbst versunken; nur zuweilen matt
hebt sich ein Giebel aus vcrgcßnem Leben.
VergeßneS Lebe», graue Ewigkeit —
und wenn Gestalten durch die Dämmrung schreiten,
sind sie wie Schatten einer andren Zeit,
die, wie ich ihnen, lautlos mir entgleiten.
§. Lang Heinrich
ungekränkt. Hätte er etwa gewagt, es unschön
zu finden, oder gar zu tadeln, wenn in dem Ge-
sang einer vaterländisch erregten Menge eine all-
zu eifrige Stimme sich überschlagen hätte? Trotz
der Rechtfertigung, die er sich selbst zugute kom-
men lieh, wollte ihn ein kleines Unbehagen nicht
wieder frcigcbcn. „'s ist doch verteufelt schwer",
murrte er mit zusammengcpreßten Zähnen, und
seine Augenbrauen begegneten sich über einer
tiefen Falte, dann nahm er mit entschiedenem
Ruck eine Tonleiter in Angriff.
Unweit seiner Kammer holte die Mutter mit
ausgebreiteten Armen die Wäsche von der
Leine. Durch die dünnen Bodenwände drang
sein Spiel zu ihr herüber.
„Franz! Zum Donnerwetter, so hör doch
endlich auf! — Das kann ja kein Mensch mit
anhören!"
Sie hatte den Wäschekorb hochgenom-
men und stiefz mit dem Ellbogen die Türe zu
seiner Kammer auf, das; sie gegen den Flügel
prallte.
Franzens Spiel verstummte. Er sah sie
erschrocken an, so daß die Mutter ein kleines
Verstehen spürte.
„Die Leute regen sich drüber auf! Wenn du
nod) was Palriotsches spielen tätst! Aber was
ist denn das wieder für ein Lärm!" Sie fuhr
mit ihren dicken Händen erläuternd rechts hin
und links zurück und bewegte die kurzen
Finger in äußerster Anstrengung.
„Das waren Fugen, Mutter", sagte Franz
wie entschuldigend. „Fugen vom großen Johann
Sebastian Bach."
„Ach was, Fugen! Unfug ifts! Laß das
und tu was Gefcheits!"
Franz fühlte eine Erregung, die ihm heiß
in Kopf und Lippen stieg; er zwang sie nur
mühsam nieder. „Mutter, heute laß mich hier:
morgen will ich wieder arbeiten."
Dieser Widerspruch war etwas so Neues,
Unerhörtes, daß die Mutter nicht sogleich eine
Antwort fand. Sie stemmte beide Arme in die
Seiten und beugte sich nieder zu ihm, der immer
noch auf deni Hocker saß. Breit, mit dem Ver-
fndjc, ihren Zorn zu rmterdrücken, rief sie: „Sag
mal, du Esel, bei dir rappelts wohl?" Und
wütend fuhr sic ihn an: „Haste mich verstan-
den?"
„Aber Mutter, sei doch nicht so hart! Du
kannst dir nirlst denken, wie es mich verstim-
men muß, wenn ich gerade dann aufhörcn soll,
wenn die Finger anfangen gelenkig zu werden.
Und ich habe wirklich meine Not mit solchen
Händen,"
„Is dir recht: der Schuster soll bei seinem
Leisten bleiben!"
„Es ist schon gut", sagte er ärgerlich und
legte das Heft zu den anderen in den Notcn-
kaftcn.
„Du solltest wissen, daß ich das Tischlerhnnd-
werk nie als meinen eigentlichen Beruf betrachtet
habe."
„So? Kommste mir wieder mit diesen ver-
rückten Reden! Was soll aus dem Geschäft
werden, wenn der Große — — der Himmel
mögs verhüten! aber man kann ja nich wissen. . ."
Sie holte den Schürzenzipfel hoch und schneuzte sich.
„Dann müssen wir eben verkaufen", sagte
Franz und zwar so energisch, daß die Mutter ganz
verdutzt die Brauen in die Höhe zog.
„Dich prickt wohl der Hafer? Dämlack!" rief
sic. „Freilich, dir kanns gleich sein, wos Essen
herkommt, wenns nur auf deinem Teller liegt.
Oder gedcnkfte von deinem Stu-u-dium" — sie
spitzte die wulstigen Lippen, so gut es gehen wollte
— „zu leben?" — Er biß die Zähne aufeinander
und schwieg. „Oder willsle warten, bis sich eine
Anstellung findt; gar als Musikdirekter? cs will
ja heut jedes Direkter sein."
„Du weißt sehr gut, Mutter, daß ich gar nicht
so hoch hinaus will", sagte er mit stillgewordenem
Troß.
Heimkehr E. Mainzer
„Nu, da därf man vielleicht fragen?" Sie
sah eine feine Staubschicht auf dem Flügel und
wischte mit der flachen Hand darüber; nicht eben
sorglich und liebevoll, aus reiner Gewohnheit.
„Ich könnte doch unterrichten", entgegnete
Franz einlenkend. Das hatte nie in seiner Ab-
sicht gelegen; der Gedanke daran war ihm viel-
mehr ungeheuerlich und störend. Mit seinem tief-
sten Herzenswünsche, immer weiter lernen zu dürfen
und aus ungestörter Stille heraus auch eigenes
zu schaffen, wagte er siel) gar nicht hervor. „Es
ist gewiß ein schöner Beruf, anderen die Musik
zugänglich zu machen", fügte er, sich selbst er-
mutigend, hinzu.
„So — — ? Du meinst: andere verführen,
daß sie auch Tagediebe werden?"
„Mutter", rief er verzweifelnd, „ich bitte dich!
Du willst mich nicht verstehen. Du machst mir
das Leben schwerer als es schon ist."
„Und du mir etwa nicht! Da hat man seine
ewige Sorge mit dem Jungen, und dann kommt
er einem noch fred)!"
Er überhörte den Einwurf vor dem drohen-
den Sturme, der sein Inneres aufwühlte und den
stolzgehegtcn Bau von der Möglichkeit eines still-
beschaulichen Lebens umwarf und ihn selbst dar-
unter begrub. Die Mutter sah ihn nicht an; sonst
hätte sie erschrecken müssen über den Berfall seiner
Züge und die scharfen Linien um die tiefhängen-
den Lippen. Sie war aufs äußerste erbost über
seine Anklage und sä>lcuderte aus ihren eingeengten
Augen ergrimmte Blicke in alle vier Ecken seiner
abendlich beschienenen Kammer.
„Hat dir deine Musike schon was cingebracht?
Am Hungertuche wirste nagen!!" Sie haute mit
den Händen durch die Luft, machte Kehrt, daß
die Röcke einen großen Bogen schlugen und warf
die Türe knallend hinter sich zu. — —
Sein Kopf knickte vornüber und siel auf die
Hände, die sich ihm nicht einmal zu öffnen ver-
mochten. Die Ellenbogen hatten ein paar Tasten
niedergedrückt, die in ihrem Mißklange seinen
ganzen Schmerz zuni Ausdruck brachten.
„Was soll ich tun?" stöhnte er. „Was —
soll — ich — tun?" Er blickte sich um, hilflos.
Die Türe hatte sich hinter der Mutier geschloffen.
Da war ja der Wall, den er früher so oft als
Wohltat empfunden! Und doch sprang er ge-
guält vom Hocker und floh in den äußersten
Winkel der Kammer. Dann schl ch er wie-
der an den Notcnkastcn zurück, ruckweise, wie
ein Dieb, mit ausgestreckten Fingern, die nichts
Gutes Vorhaben. Zu linierst lag eine Mappe
mit Noten, die ihm die wertvollsten waren.
Er zog sie hervor und blätterte darin mit
müde gewordenen Fingern, wie man über den
Efeu eines verlassenen Grabes streicht. Aber
dann, — che er sich noch bei den Notenpunktcn
der Töne bewußt wurde, zuckte der Haß in
ihm auf, der jählings ausbrechende Haß. Ge-
fühllos rissen seine Hände das kleine Heft in
Stücke. . .
Als hätte ihn erst jetzt die feindliche Kugel ge-
troffen, sckrie er mit heiser gurgelndem Laute,
schüttelte Kopf und Hände voll Ingrimm und
schlug wie zum tödlichen Gegenstoße mit harter
Faust die wirr aufklirrendenTasten.Aufgeschrcckt
und wie in Grausen vor der kommenden Stille
sprang er flüchtend nach der offenen Luke, ver-
folgt von den schmerzhaften Töne", die von der
Decke und aus den Winkeln der Kammer ver-
rinnend nachsummten. . .
Draußen wehte noch eine leichte Abendbrisc in
den aufgehängtcn Fahnen, die von den letzten
reinen Strahlen derHcrbstsonne durä,ricselt wur-
den. Hier und da zog man sie wieder ein: der
Franz sah es mit schmerzhafter Erkenntnis.. . .
Morgen würden die Straßen wieder leer und
ohne Freuden liegen, vielleicht in den ersten
schlciernden Nebeln.
Was war nun sein Leben? Draußen rangen
und wüteten die Völker; hier stand er allein, rat-
los und müde Er seufzte hinein in den bleichen-
den Abend. Ein paar Stimmen tönten herauf
zu ihm, geschäftig, fragend, gleichsam durchzittcrl
von der Hast und Sorge dieser erregten Zeiten.
Er aber war abseits, fremd, verloren im eigenen
Gram. Wer hatte Mitleid mit ihm, wer wußte
um feinen Schmerz, um seine Hoffnungslosig-
keit? . . .
Es dunkelte langsam. Aus der Ferne schwam-
men ihm einige Töne entgegen, ein Lied aus
freudigen Kinderkehlen: O Deutschland hoch in
Ehren, Der Franz zuckte zusammen; ihn fröstelte.
Trüge, mit schlürfenden Schritten wandte er sich
und stieg hinunter in die feiernde Werkstatt. Sie
lag leer; die Hobel ruhten, die Säge schwieg. In
einem versteckten Winkel ließ er sich schwer aus
einen alten, wackligen Stuhl nieder, hielt die Hände
gefaltet zwischen den Knien und starrte ohtie Ge-
danken auf den Boden, der, wie er flüchtig be-
merkte, noch nicht gekehrt war. So saß er gleich
einein Flüchtling, bis die Nacht kam und die
Dinge mitleidsvoll verhüllte.
*
Wink er ab en d
Das Dämmern fällt. Die Wiese atmet schwer,
ihr Odem schwebt in feuchten Nebelschwaden.
Es kani der Winter und die Nacht kommt her,
kaum irrt ein Licht auf den verwirrten Pfaden.
Der Mauerbogen der verwehten Stadt,
weitfchwingcnd um das sterbensmüde Weben
ist selbst versunken; nur zuweilen matt
hebt sich ein Giebel aus vcrgcßnem Leben.
VergeßneS Lebe», graue Ewigkeit —
und wenn Gestalten durch die Dämmrung schreiten,
sind sie wie Schatten einer andren Zeit,
die, wie ich ihnen, lautlos mir entgleiten.
§. Lang Heinrich