Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Überblick
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
Carl O. Petersen

Nach Bier Kricgsjahren verzehrender Sehnsucht
und Sorge ist der Dichter fern im asiatischen Sü-
den gestorben. Die lange, unerhört und unnötig
grausame Trennung von allem, was er liebte, ging
über seine Kraft. Seine -hier mitgeleilten Briefe,
die zum Teil aus glücklicheren Reisejahren, zum
Teil aus der Verbannung stammen und au die
Schwester in Würzburg gerichtet sind, mögen das
Gedächtnis an einen unserer liebenswertesten Poeten
bewahren helfen, dessen glühendes Herz an seiner
eigenen Fülle brach. Die Schristleitnug.

*

Bombay, 20. Januar 1906.

Also hier bin ich jetzt zwei Tage. Gestern
sahen wir die Eingeborenenstadt im Wagen den
ganzen Nachmittag. Und heute früh die Insel
„Elephanta" mit den mystischen Felsentempeln,
und heute Nachmittag die Türme des Schweigens,
die von Aasgeiern besetzt sind, die die Parsen-
lcichen auffresscn, jede Woche ungefähr drei. Die
Türme liegen in herrlichen Gärten voll tropischer
greller roter, lila und himmelblauer Blumen und
Blumentöpfe und Kokospalmen und Bananen.
Und in einer Viertelstunde sind die Leichen ge-
fressen, die Knochen zerstäuben an der fressenden
Tropensonnc. Es war schauerlich feierlich in den
Gürten mit den vielen weißen Türmen und wieder
lustig zugleich wie in einem Caföhausgarten, wie
im ulten Smolenskgarten aut Rennwegertor, so
gemütlich altmodisch. Nur die pechschwarzen Geier,
die ewig kreischen und hungrig sind, sind entsetzlich!

Ach, wie schön ist dies Indien! Du würdest
nie wieder umkchrcn und Annie würde hier ster-
ben vor Genuß, — so schön und leidenschaftlich
in allem ist dies festliche Land. Die Frauen gehen
wie Griechinnen in bunten Schleiern und sehr
keusch und sehen wie Kommunionsbräute alle aus.
Die Luft riecht heiß parfümiert nach undefinier-
baren hitzigen und wollüstigen Gerüchen. Ach...
warum sind wir hier nicht alle zu Hause? Die
Häuser sind wie Mürchenpaläste und Märchen-
hütten, ich bin immer und inmier in Ekstase und
Bewunderung. Wie goldene Vogelbauer für Sing-

vögel und Prinzessinnen sind die bunten geschnitz-
ten Säulenhäuser voller Erker, Balkone, Blumen
und Hängematten.

Das Hotel liegt am Meer, mein Zimmer am
Meer, meine Seele in einem Meer von glück-
lichen und doch auch viel schmerzhaften Eindrücken.
*

Colombo (Ceylon), 12. März 1906.

Eben bekam ich deinen Brief vom 21. Januar,
wo du ganz von Metaphysik trunken bist und
deine Seele zähneklappert. Dein Brief war so
genial-humoristisch. Du hast so recht, das; du
schneller reist als ich, eben in Madras, dann
Colombo in selber Stunde. Ich hinke dagegen
weiter um die Erde wie ein überhitzter Dampf-
kessel, geräuschvoll und überspannt, und jeden
Augenblick vor komesickness zum Platzetr nuf-
gclegt.

Und nun habe ich mich entschließen müssen,
rund um die Erde zu gehen; mein heiliger Geist,
der über meinen Trünenwassern der Sehnsucht
schwebt, will cs trotz aller Tränen. Der Geist ist
ein Tyrann und behauptet: du mußt Alles ge-
sehen haben, um völlig zufrieden dann zu Hause
hinterm Ofen dichterisch phantasieren zu können.
Und da hier die letzte Cookoffice ist, sagte ich zu
und reise also von Japan durch Amerika und
sehe auch diesen Rippenteil der Muttererde.

Du würdest das Hotel aufessen vor Vergnügen,
wenn du sehen würdest, wo ich an dich schreibe.
Der Saal liegt direkt am Meer, der Palmen-
garten direkt am Meer, mein Zimmer direkt am
Meer. Korridore, Hallen, Galerien direkt am
Meer. Dahinter uralte Palmengärten voll Brot-
fruchtbäumen, Ananas, Mangos, Kokos, Ziml-
und Bananenpalmen. Es ist eben seit einer Woche
Frühling, d. h. der Bratensommer: die Wüsten-
trockenheit, die hier Winter bedeutet, ist feucht und
elektrisch geworden. Diese ganze Nacht flogen
Blitze und machten mich hinter meinem Moskito-
netz glauben, ich läge in einem brennenden Haus.
Dazu rauscht Regen, Sturzregen und das glut-
warme Meer. Man glaubt, die Wellen kommen

die Treppen herauf in alle Säle, so braust es
nachts um die Ohren. In den Gärten sehen die
Bäume alle voll gelbweißer, schwefclfarbener Blätter
aus, als wenn man die Palmen aus Kellern herauf-
geholt hätte. Diese Schwefelfarbe, das ist die
Frühlingsfarbe.

*

Colombo (Ceylon), 22. Mürz 1906.

Der Zahn des Buddah ließ sich nicht sehen.
Er ist in vielen Goldkapseln, aber im Tenrpcl,
der voll Lotosblättern und Wachskerzen liegt und
wo den ganzen Tag Gong unb Tam-Tam dröh-
nen und Menschen wie Kinder mit dem Zahn
plaudern. Alles das sah ich und fühlte mich sehr
behaglich unter den gemütlichen Singhalesen. Ach,
Kandy, der Zahnwallfahrtsort ist wunderbar idyl-
lisch zwischen Hügeln ein Teich, am Teich der
Tempel und unser Hotel, und man fährt auf
japanischenRikschas (Wägelchen, von einem Mann
gezogen) immer um den Teich. Wenn man am
Tag nicht gefahren ist, so fährt man Abends bei
Mondschein, wo die Feurrfliegen aus den Palmen
auf dich regnen. Wenn man bei schöner Nacht
nicht fahren will, fährt man bei Gewittornacht
abends im Smoking, nach dem Dinner, ohne Hut
und alle Damen im Evcningdreß, Schleppe und halb-
nackt, bis zum letzten Rückenwirbel und Bauchfell.

Du solltest mein Fürslenleben sehen. Immer
umwimmelt von indischen Boys in weißer Livree.
Morgens holen mich drei Bediente ab ins Bad.
Beim Essen wimmeln zehn um mich, bei der Aus-
fahrt fitzen zwei am Bock, zwei hinter mir mit
Fliegenwedeln. Die Tage und Nächte sind nicht
in Sekunden und Minuten eingctcilt, sondern in
indische Diener. Jeden Augenblick tut mir ein
anderer etwas. Dabei sind sie wie Prinzen und
meistens aus der Brahmanenkaste und alle sehr
elegant, sehr ideal, und ich komme mir vor wie
Napoleon, umgeben von einem Parquet von
Königen im Theater zu Cassel oder Weimar im
Jahr 1810, nur daß mich alle diese Könige noch
dazu bedienen und mich nicht nur umgeben. Hier
nach Ceylon mußt du einen Winter herkom-
Register
Maximilian Dauthendey: Briefe
Redaktioneller Beitrag: Briefe
Carl Olof Petersen: Illustration zum Text "Max Dauthendey zum Gedächtnis"
 
Annotationen