LANDSCHAFT
Gewitter haben sich über den nachdonnernden Gipfeln entladen.
Noch zuckt unaufhörlich der Himmel im Wechsel der Hellen.
Die Wälder recken sich höher, wachsen tiefer und baden
Die blanken Füsse in den wiedergetrösteten Quellen.
Gewölk dampft aus den Schluchten: die Tore der Wasser haben
Sich mächtiger aufgetan, ihre Geister steigen
Die Felsen an, hängen still dort wie Waben
Unirdischen Lichtes, schimmern lange, steigen, steigen . . .
Die Täler läuten zur Nacht: ihr Schatten lehnt schon an des Westens Pforte.
Fs schliesst sie langsam eine rosenfarbne Hand.
Noch wechselt auf der Schwelle wundersame Worte
Ihr heiliger Knabe, der im Licht entschwand.
Und Schlaf taut auf das Land.
Hündin Hunger
Von Norbert Jacques
Glucke Zornebalzens Jüngstes war ein Hähn-
chen. Es hiest Knippi Knipp. Es war weil; und
frech. Es war das Erste des Hühnerhofes, das
den Gemüsegarten entdeckte und gclcgentlid) bis
zu den Erdbeerfeidcrn gelangte. Tas Erste, das
in die Küche einzudringen wagte. Kaum sproßte
ihm der Kamm, so setzte es die Halsfedern auf
und boxte mit den Geschwistern, und als die Schar
selbständig wurde, begann es der Mutter die In-
fektchcn streitig zu machen, die sie aus dem Boden
pickte. Seine Stimme mutierte früh und joden
gegebenen Augenblick fehle es sie in Tätigkeit. Es
streckte den Kopf wagrecht über dem Halse vor
und schrie: Kck!... woraufhin die Kehle für einige
Laute versagte, bis schließlich nod; ein zaghafte-
res: . . . rckkee! hervordrang. Auch in den andern
Übungen, denen ein Hahn fein Leben zu widmen
hat, versuchte es sich rechtzeitig.
So wäre Knippi Knipp eine ntdjt uubcfdicibcnc
Zukunft eröffnet gewesen, wäre nicht seine Frech-
heit sein Schicksal geworden.
Unter deni Schlosse gab es am Ende eines langen
Flurs einen Keller, der nur geöffnet wurde, wenn
etwas an der Wasserleitung zu ordnen war. Der
Sammclkasten der Leitungen befand sich in ihm.
Sonst war er leer.
An einem Sommertag stand die Kellertür auf,
und Knipp, obgleidj er nicht das Geringste weder
im Flur noch im Keller zu tun hatte, spazierte
den langen Gang hinab und stieg neugierig in die
Tiefe. Niemand sah ihn. Das steigerte feine Un-
ternehmungslust, und er drang der Sache bis auf
den Grund.
Als sich der Hahn ganz zuhinterst im Keller
befand, wurde die Tür geschlossen. Nun sas; er
da. Er suchte nach dem Loch, durch das er hercin-
gckommcn war. Er fand kein Loch mehr. Seine
Geographie kam in Unordnung. Er lief erschrocken
zu dem Hellen Kellerfenster, flatterte hinauf; aber
die Glasscheibe warf ihn zurück.
Da wurde er etwas betäubt, hockte sich nieder
und wartete eine Stunde lang auf ein Wunder.
Dabei bekam er auf einmal wieder seit langer
Zeit Schnsucl>! nach seiner Mutter Zornebalz. Sie
hatte ihn Scharrefüßchcn und Pickepick gelehrt und
sogleich pickte er den Boden ab. Jedoch fand er
nichts anders, als Sandkörnchen. Bon den Sand-
Körnchen ward sein Kropf voll und srliwer und
sein Hunger wuchs. Da lief; er das Picken zu-
nächst etwas bleiben.
Wo war denn das Loch? Er ging oft hin und
her und erregte sich. Er versuchte noch einmal
HANS KYSER
Meister über das Fenster zu werden, das das
freie Licht hcreinwarf. Er sprang mit grösster Ent-
schlossenheit gegen die Scheibe, Aber in einem
Prall schleuderte ihn ein Bündel Licht auf den
tiefen Boden zurück. Sein Schnabel schmerzte ihn.
Er kam fiel) verzaubert vor. Er pickte wieder, und
cs gab keine Nahrung. Er pickte wie wild! Wel-
ches verdammte Geheimnis! Die Stunden wuchsen.
Der Hunger stieg an in ihm wie ein Spiralbohrer.
Die Sehnsucht rtarf) Mutter Zornebalz kribbelte
ihm immer heftiger in den Füßen. Aber er mochte
scharren und Pickepick machen, kein Würmchen
und kein Körnchen kam aus dem Boden.
Da rief er. Ja, er besann sich jetzt erst, daß
er doch dies Getön, diese stolze junge sonderbare
Macht seines Gesthlechtes im Halse hatte. Er rief
Kek . . . rekkee! tjlbcr die nahen finstern Wände
stürzten seine eigene Stimme über ihn her. Cr
duckte sich nieder und fürchtete sich.
Es wurde Nacht. Er schlief etwas ein, weil
er ein Leitungsrohr gefunden hatte, das seine Füße
umkrallen konnten. Er träumte rasch, heiß und
kurz, er sei jetzt zwischen den andern im Stall auf
der Stange. Die Dunkelheit war süß. Das grelle
Loch, daß ihn zurückgeworfen hatte, war nicht mehr
da. Nun war alles gut!
Bis er von deni absonderlichen Gewicht seines
Freßkropfes von der Stange gezogen wurde. So
schwer war der Kropf. Aber drinnen im Leib
war ein Icidjtes leeres Loch. Stopf! Stopf! ba-
ten alle feine Adern. Er scharrte wieder im Sand.
Nein! Nichts! Aber es war doch ein Loch da,
durch das er hereingekommen war. Er wollte es
nochmals aufsuchen.
Da konnte er nidjt mehr gehn. Eine große Last
zog seinen Hals zu Boden, und zugleich war es
ihm, als wollte fein Leib auffliegen ... fort fliegen.
Doch der Hals hielt ihn ja am Boden fest wie ein
Stein. Knippi Knipp fdjlug mit den Flügeln.
Da wurde die Last nur noch schwerer.
Als er stundenlang da gelegen hatte, begann
draußen das Weiße wieder ins Fenster zu treten.
Es war zunäclist klein, wie ein Körnchen Hirse.
Das war ihnr sehr spmpathisch. Und ein Körnchen
wuchs ans andere und aus den vielen Punkten
wurde allmählich eine lichte Gestalt. Die versuchte
siel, burd) das Löst) zu zwängen. Sie sah leicht
beschwingt aus und frei wie ein Hahnenruf über
der Wiese.
Knippi Knipp hegte eine tiefe Zuversicht. Die
Leere taumelte schwarz durch seinen Leib. Aber
eine Frage entschwebte seinen Adern: Es gab mal
früher in feinem Leben eine ©cftalt; die war ihm
sonst nebensächlich erschienen. Aber jetzt erinnerte
er sich aus der Bedrängnis feiner Eingeweide
heraus an sie. Sie hatte zu einer Zeit, wo das
nicht so nötig war wie jeßt, Nahrung gebracht.
Sie war immer zu deni Stall gekommen, wo er
mit den andern war, und hatte stets etwas dage-
lassen . . . süßes Pickepick!
Und die Poesie und die Erinnerung dieser sorg-
losen Zeit umschwebt n den gebändigten Knippi
Knipp wie Engelsatem. In, und was sich da in
dem Loch so freudig hell herausdehnte, um zu ihm
in die dunkle Grube herabzukommen . . . zur Ret-
tung . . . süße endliche Rettung! das konnte nur
jene Gestalt sein. Denn sie war im Schlosse um
Gutes zu tun.
Da erhob Knipp das schwarze Köpfchen nnd
fragte mit erneuten Lebenssinnen zu dem Fen-
ster hin:
Bist Du der Landmann Hal?
Mit einemmal hatte sich die Gestalt ganz vom
Fenster befreit. Sie sprang herein, glühend und
riesenhaft, und wie eine Flamme bellte eine Stimme
das kleine Hähnchen an:
Nein, der Hunger!
Da sah Knippi Knipp, daß die Gestalt garnicht
der Landmann Hal war, sondern die struppige böse
Hündin Letta. Sie war dazu entseßensvoll ver-
größert und warf wildes Licht auf. Und Knippi
Knipp wurde von der Berzweifolung und der To-
desangst aus seiner Erschöpfung aufgeschlcudcrt
wie ein Ball.
Er erinnerte sich, wie die Hündin ihn einmal
erwischt hatte. Er schrie Kekk. . . kekk! und
torkelte fliehend dahin und suchte eine Ecke, stopfte
den Kopf hinein, aber vergeblich. . . schwankte
wieder fort. Kaum trugen ihn noch die Beine.
Die Gespensterhündin hinter ihm her, immer hin-
ter ihm her! Ein Loch! Ein Loch! Er vertraute
in diesen legten Augenblicken nur der Erde der
Mutter. . . Und fand das Locli, wo die Wusser-
leitungsröhren in dem zementierten Kasten zusam-
menstießen.
Dorthinein fiel er, verkroch firfj . . . Aber un-
aufhaltsam wuchs die Hündin Hunger aus dem
Fensterloch herab burd) den ganzen Keller. Uber
dem Hahn schallte Gespensterstimme: Der Land-
mann Hat! höhnte sie auf. Sonst nichts? Bis-
kuit und Milch!? — Nein! . . . brüllte es . . .
der einfache uralte Landsknecht Hunger unter allen
Steinen, auf allen Aston, in allen Löchern!
Knippi Knipp rollte sich unter einem Rohr-
knoten zusammen. Und die grausige Hündin wuchs
und füllte das Gewölbe, floß gell in alle Mauor-
löcher ein und über das Wasserkastenloch. Die
Schnauzhaare sprühten weg wie feurige Lanzen.
Durch die Augen flammten grüne Vulkane hervor.
Der Atem ging wie ein sengender Dunst.
Und die Bellstimme brüllte: Mein Körper ist
so groß, wie ein Berg. Meine Hände aber sind
winzigste Zangen, damit id) dir wie dem kleinsten
Wurm überall in die Eingeweide hineinlange!
Der Hahn preßte das Köpfchen in den Boden,
zog einen Flügel drüber und die Gingst zitterte in
Stößen burd) seinen Leib. Die Beine krümmten
sich im Grauen zusammen. Knippi Knipps Hirn-
chen frl>rie: Erde Mutter . . . Mutter . . . Hilfe!
Aber über ihm schwoll die Stimme der Hün-
din an. donnerte und die langen spitzen Zangen
der Pfoten fuhren ihm wie Blitze schon knisternd
unter die Federn .. .Keine Rettung, Knippi Knipp!
%■!), keine Rettung!
Der Tod aber riß Knippi Knipps Seele ins
Bett zur Mutter Erde, bevor die Hündin Hunger
mit ihren spitzen Zangen seine Eingeweide erreichte.
4
Gedankensplitter
Geduld ist des ehrlichen Mannes Rache.
Die Toilelle ist die Vorrede der Frau,
wenn sie nicht das ganze Buch ist.
Alfred Friedmaim
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Gewitter haben sich über den nachdonnernden Gipfeln entladen.
Noch zuckt unaufhörlich der Himmel im Wechsel der Hellen.
Die Wälder recken sich höher, wachsen tiefer und baden
Die blanken Füsse in den wiedergetrösteten Quellen.
Gewölk dampft aus den Schluchten: die Tore der Wasser haben
Sich mächtiger aufgetan, ihre Geister steigen
Die Felsen an, hängen still dort wie Waben
Unirdischen Lichtes, schimmern lange, steigen, steigen . . .
Die Täler läuten zur Nacht: ihr Schatten lehnt schon an des Westens Pforte.
Fs schliesst sie langsam eine rosenfarbne Hand.
Noch wechselt auf der Schwelle wundersame Worte
Ihr heiliger Knabe, der im Licht entschwand.
Und Schlaf taut auf das Land.
Hündin Hunger
Von Norbert Jacques
Glucke Zornebalzens Jüngstes war ein Hähn-
chen. Es hiest Knippi Knipp. Es war weil; und
frech. Es war das Erste des Hühnerhofes, das
den Gemüsegarten entdeckte und gclcgentlid) bis
zu den Erdbeerfeidcrn gelangte. Tas Erste, das
in die Küche einzudringen wagte. Kaum sproßte
ihm der Kamm, so setzte es die Halsfedern auf
und boxte mit den Geschwistern, und als die Schar
selbständig wurde, begann es der Mutter die In-
fektchcn streitig zu machen, die sie aus dem Boden
pickte. Seine Stimme mutierte früh und joden
gegebenen Augenblick fehle es sie in Tätigkeit. Es
streckte den Kopf wagrecht über dem Halse vor
und schrie: Kck!... woraufhin die Kehle für einige
Laute versagte, bis schließlich nod; ein zaghafte-
res: . . . rckkee! hervordrang. Auch in den andern
Übungen, denen ein Hahn fein Leben zu widmen
hat, versuchte es sich rechtzeitig.
So wäre Knippi Knipp eine ntdjt uubcfdicibcnc
Zukunft eröffnet gewesen, wäre nicht seine Frech-
heit sein Schicksal geworden.
Unter deni Schlosse gab es am Ende eines langen
Flurs einen Keller, der nur geöffnet wurde, wenn
etwas an der Wasserleitung zu ordnen war. Der
Sammclkasten der Leitungen befand sich in ihm.
Sonst war er leer.
An einem Sommertag stand die Kellertür auf,
und Knipp, obgleidj er nicht das Geringste weder
im Flur noch im Keller zu tun hatte, spazierte
den langen Gang hinab und stieg neugierig in die
Tiefe. Niemand sah ihn. Das steigerte feine Un-
ternehmungslust, und er drang der Sache bis auf
den Grund.
Als sich der Hahn ganz zuhinterst im Keller
befand, wurde die Tür geschlossen. Nun sas; er
da. Er suchte nach dem Loch, durch das er hercin-
gckommcn war. Er fand kein Loch mehr. Seine
Geographie kam in Unordnung. Er lief erschrocken
zu dem Hellen Kellerfenster, flatterte hinauf; aber
die Glasscheibe warf ihn zurück.
Da wurde er etwas betäubt, hockte sich nieder
und wartete eine Stunde lang auf ein Wunder.
Dabei bekam er auf einmal wieder seit langer
Zeit Schnsucl>! nach seiner Mutter Zornebalz. Sie
hatte ihn Scharrefüßchcn und Pickepick gelehrt und
sogleich pickte er den Boden ab. Jedoch fand er
nichts anders, als Sandkörnchen. Bon den Sand-
Körnchen ward sein Kropf voll und srliwer und
sein Hunger wuchs. Da lief; er das Picken zu-
nächst etwas bleiben.
Wo war denn das Loch? Er ging oft hin und
her und erregte sich. Er versuchte noch einmal
HANS KYSER
Meister über das Fenster zu werden, das das
freie Licht hcreinwarf. Er sprang mit grösster Ent-
schlossenheit gegen die Scheibe, Aber in einem
Prall schleuderte ihn ein Bündel Licht auf den
tiefen Boden zurück. Sein Schnabel schmerzte ihn.
Er kam fiel) verzaubert vor. Er pickte wieder, und
cs gab keine Nahrung. Er pickte wie wild! Wel-
ches verdammte Geheimnis! Die Stunden wuchsen.
Der Hunger stieg an in ihm wie ein Spiralbohrer.
Die Sehnsucht rtarf) Mutter Zornebalz kribbelte
ihm immer heftiger in den Füßen. Aber er mochte
scharren und Pickepick machen, kein Würmchen
und kein Körnchen kam aus dem Boden.
Da rief er. Ja, er besann sich jetzt erst, daß
er doch dies Getön, diese stolze junge sonderbare
Macht seines Gesthlechtes im Halse hatte. Er rief
Kek . . . rekkee! tjlbcr die nahen finstern Wände
stürzten seine eigene Stimme über ihn her. Cr
duckte sich nieder und fürchtete sich.
Es wurde Nacht. Er schlief etwas ein, weil
er ein Leitungsrohr gefunden hatte, das seine Füße
umkrallen konnten. Er träumte rasch, heiß und
kurz, er sei jetzt zwischen den andern im Stall auf
der Stange. Die Dunkelheit war süß. Das grelle
Loch, daß ihn zurückgeworfen hatte, war nicht mehr
da. Nun war alles gut!
Bis er von deni absonderlichen Gewicht seines
Freßkropfes von der Stange gezogen wurde. So
schwer war der Kropf. Aber drinnen im Leib
war ein Icidjtes leeres Loch. Stopf! Stopf! ba-
ten alle feine Adern. Er scharrte wieder im Sand.
Nein! Nichts! Aber es war doch ein Loch da,
durch das er hereingekommen war. Er wollte es
nochmals aufsuchen.
Da konnte er nidjt mehr gehn. Eine große Last
zog seinen Hals zu Boden, und zugleich war es
ihm, als wollte fein Leib auffliegen ... fort fliegen.
Doch der Hals hielt ihn ja am Boden fest wie ein
Stein. Knippi Knipp fdjlug mit den Flügeln.
Da wurde die Last nur noch schwerer.
Als er stundenlang da gelegen hatte, begann
draußen das Weiße wieder ins Fenster zu treten.
Es war zunäclist klein, wie ein Körnchen Hirse.
Das war ihnr sehr spmpathisch. Und ein Körnchen
wuchs ans andere und aus den vielen Punkten
wurde allmählich eine lichte Gestalt. Die versuchte
siel, burd) das Löst) zu zwängen. Sie sah leicht
beschwingt aus und frei wie ein Hahnenruf über
der Wiese.
Knippi Knipp hegte eine tiefe Zuversicht. Die
Leere taumelte schwarz durch seinen Leib. Aber
eine Frage entschwebte seinen Adern: Es gab mal
früher in feinem Leben eine ©cftalt; die war ihm
sonst nebensächlich erschienen. Aber jetzt erinnerte
er sich aus der Bedrängnis feiner Eingeweide
heraus an sie. Sie hatte zu einer Zeit, wo das
nicht so nötig war wie jeßt, Nahrung gebracht.
Sie war immer zu deni Stall gekommen, wo er
mit den andern war, und hatte stets etwas dage-
lassen . . . süßes Pickepick!
Und die Poesie und die Erinnerung dieser sorg-
losen Zeit umschwebt n den gebändigten Knippi
Knipp wie Engelsatem. In, und was sich da in
dem Loch so freudig hell herausdehnte, um zu ihm
in die dunkle Grube herabzukommen . . . zur Ret-
tung . . . süße endliche Rettung! das konnte nur
jene Gestalt sein. Denn sie war im Schlosse um
Gutes zu tun.
Da erhob Knipp das schwarze Köpfchen nnd
fragte mit erneuten Lebenssinnen zu dem Fen-
ster hin:
Bist Du der Landmann Hal?
Mit einemmal hatte sich die Gestalt ganz vom
Fenster befreit. Sie sprang herein, glühend und
riesenhaft, und wie eine Flamme bellte eine Stimme
das kleine Hähnchen an:
Nein, der Hunger!
Da sah Knippi Knipp, daß die Gestalt garnicht
der Landmann Hal war, sondern die struppige böse
Hündin Letta. Sie war dazu entseßensvoll ver-
größert und warf wildes Licht auf. Und Knippi
Knipp wurde von der Berzweifolung und der To-
desangst aus seiner Erschöpfung aufgeschlcudcrt
wie ein Ball.
Er erinnerte sich, wie die Hündin ihn einmal
erwischt hatte. Er schrie Kekk. . . kekk! und
torkelte fliehend dahin und suchte eine Ecke, stopfte
den Kopf hinein, aber vergeblich. . . schwankte
wieder fort. Kaum trugen ihn noch die Beine.
Die Gespensterhündin hinter ihm her, immer hin-
ter ihm her! Ein Loch! Ein Loch! Er vertraute
in diesen legten Augenblicken nur der Erde der
Mutter. . . Und fand das Locli, wo die Wusser-
leitungsröhren in dem zementierten Kasten zusam-
menstießen.
Dorthinein fiel er, verkroch firfj . . . Aber un-
aufhaltsam wuchs die Hündin Hunger aus dem
Fensterloch herab burd) den ganzen Keller. Uber
dem Hahn schallte Gespensterstimme: Der Land-
mann Hat! höhnte sie auf. Sonst nichts? Bis-
kuit und Milch!? — Nein! . . . brüllte es . . .
der einfache uralte Landsknecht Hunger unter allen
Steinen, auf allen Aston, in allen Löchern!
Knippi Knipp rollte sich unter einem Rohr-
knoten zusammen. Und die grausige Hündin wuchs
und füllte das Gewölbe, floß gell in alle Mauor-
löcher ein und über das Wasserkastenloch. Die
Schnauzhaare sprühten weg wie feurige Lanzen.
Durch die Augen flammten grüne Vulkane hervor.
Der Atem ging wie ein sengender Dunst.
Und die Bellstimme brüllte: Mein Körper ist
so groß, wie ein Berg. Meine Hände aber sind
winzigste Zangen, damit id) dir wie dem kleinsten
Wurm überall in die Eingeweide hineinlange!
Der Hahn preßte das Köpfchen in den Boden,
zog einen Flügel drüber und die Gingst zitterte in
Stößen burd) seinen Leib. Die Beine krümmten
sich im Grauen zusammen. Knippi Knipps Hirn-
chen frl>rie: Erde Mutter . . . Mutter . . . Hilfe!
Aber über ihm schwoll die Stimme der Hün-
din an. donnerte und die langen spitzen Zangen
der Pfoten fuhren ihm wie Blitze schon knisternd
unter die Federn .. .Keine Rettung, Knippi Knipp!
%■!), keine Rettung!
Der Tod aber riß Knippi Knipps Seele ins
Bett zur Mutter Erde, bevor die Hündin Hunger
mit ihren spitzen Zangen seine Eingeweide erreichte.
4
Gedankensplitter
Geduld ist des ehrlichen Mannes Rache.
Die Toilelle ist die Vorrede der Frau,
wenn sie nicht das ganze Buch ist.
Alfred Friedmaim
90