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Bachanten

Hermine Goossens (München)

Farbige Majolika

Der grasgrüne Wagen

Von Elisabeth Mayer

Chaja hatte den grasgrünen Wage» mitgebracht
in die Ehe und Schachre die große Trommel und
das lange Seif. Ein Junge, der Frau Bruder,
und ein Mädchen, des Mannes Schwester, dürfen
mitziehen durch die Welt.

Den Grasgrünen zieht ein Esel. Dem werfen
sie eine rote Schabracke über, wenn sie ins Dorf
kommen. Die Jungen springen schreiend voraus.
Schachre schlägt die große Trommel, Chaja gibt
lachend und winkend ihre üppige Schönheit den
frechen Blicken der lüsternen Burschen frei. Was
schert fic's, wenn die sie beschwatzenden Weiber
mit langen Fingern auf sie zeigen. Die zwingt
schon ihr Mann, weil» er halbnackt vom hohen
Seil herab ihnen Kußhände zuwirft.

Es ist Albend, und sie ziehen den Wagen in
einen allen Hof. Der Esel kommt in ben Stall.
Spät in der Nacht erst gehen die vier zur Ruhe.
Grasgrünes Häuschen, schlafe nun! Hörst Du, sie
siygcn Dir ein Schlummcrliedchen von Liebe ulld
Nacht und Seligfeiu. Dein Holz knarrt! Die
bunten Borhänglein ziehen sie vor Deine gläsernen
Augen: Du sollst schlafen! — Die Narrenkleider,
die sie trugen mit gespieltem Lustigseiu, legen sie
gähnend ab. Das Lied verstummt. Wenn derNacht-
wächtcr durchs Dorf wandert und im alten Hof su-

chend die flackernde Laterne emporhebt, geht durch
den grasgrünen Wagen ein letztes Zittern. — —
So war's im Wald gewesen damals, unb im Feld,
und morgen wird's auf der Landstraße sein. —

Der große Bruder wird wohl eines Tages vom
Seile stürzen und dis große Schwester mit einem
Tröster in die Weite gehen. Danil sind der gras-
grüne Wagen mit dem Esel lind die große Trom-
mel herrenlos geworden. Der Junge wird aufs
Seil stcigcll und vom Wagen herab das Mädchen
zur Dirne werden. Das lernen sic jetzt. Die
Fahrt im grasgrünen Häuschen ist traurig. Men-
schen bieteil siel) an imb schlagen die große Trom-
uiel, um zu leben und am Ende siel) zu Tode z»
stürzen. Plakate, bunt imb grell, schreien diese
Kunst ins Publikum. Fragt nicht, wo sie gebo-
ren, wo sie enden wird. Staunt das Weib an,
das beim Esel mit der roten Schabracke steht, und
die Kinder tanzen lehrt, wie sie es kann: und
bewundert den Mann auf dem hohen Seil. Bricht
er siel, den Hals, folgt ein anderer ihm nael,.
Zwischen Himmel und Erde schweben viele, und
das Weib lockt sie. —

Der Esel zieht stolz den grasgrünen Wagcil
mit Mann und Weib und Kindern, die sich lieben,
von Dorf zu Dorf und deiikt nur an die rote
Schabracke, um die ihil jeder Ackergaul beneidet.
Hänge dir noch Glocken an deine langen Ohren,
Grauer, und laute den Reigen ein, den die Bier,
die du durch Staub und Schmutz ziehst, tanzen! —

Der Lmpfang

Der Mann kam nach vier Feldzugsjahren in
sein Neckartal zurück, und die Frau sank ihm iit
die Arme.

Aber nach der schönen menschlichen Szene wurde
der Mann offiziell, schüttelte das lfaupt und be
kannte, voil dein (Empfang enttäuscht zu fein.

Die Frau riß die Augen weit auf, schluckte eine
Träne hinab und machte auf die Dinge aufmcik«
sam, die Männer nie sehen: die festliche Stöbernng,
beu Glanz der Gardinen, die Freudcufeuer in einem
Frauenherzen und — die Rüche, die Rüche, die
das übrige erst noch zeigen werde.

Aber der alte Soldat sagte cs ruild heraus:
„Mo sind die Blumen? lind über der Tür das
Herzlich Willkommen?" Mcnil einer vier Jahre
lang draußen im Dreck an solche Zukunftsbilder
gedacht hat, dann will er die Erfüllung aller Einzel-
heiten seiner Träume. —

Die Frau weinte.

Aber der Mann legte feierlich einen Zwanzig
markschein ans den Tisch. „Sieh, da kaufst du
nun Blumen undsoweiter und richtest alles schön
her. Und ich geh unterdessen in eine Mirtschaft
und komnie dann erst eigentlich vom Felde heim."

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Nt
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W.: Der Empfang
Elisabeth Mayer-Wolff: Der grasgrüne Wagen
Hermine (Minnie) Goossens: Bacchanten (Majolika)
 
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