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Eislauf

Georg Pfeil •}•

Besuch

Bon Norbert Jacques

Dn meiner verlorenen Heimat starben die zwei
Leisten des Stammes. Sie starben an ein und
demselben Tag. in demselben Haus, Wand an
Wand.

3d) reifte hin; da waren sie schon begraben.

Ich ging aus den hochgelegenen Fr!edl>vf und
sah ins Tal meiner Jugend. Der leise Herbst-
dunst stieg aus den Wiesen und rang fid] an den
Schloten des Hoäiofenwerks empor. Und der
Herbstdunst entlieh die Erlebnisse meiner Jugend
mit einer Inbrunst, das; id) mich ihrer erwehren
musste und die Fauste über die Brust zusammen-
krallie und weinte.

Die Stadt sah id;, die mein Vaterhaus trägt,
hast! auf i ren Felsen liegen, süß und lieblich
in ihrer Silhouette, grau und hart in ihrer
Seele.

Ist, ging durd; die Strasien und sah Jugend-
freunde. Sie sdiauten mid, an, betroffen ob des
Fremden und erkannten midi bald. Da wandten
sie fid) ab, denn sie erinnerten fid), dasi ich einst
iti einer Rot, die sie nid>t verstanden, mid, öfsent-
lid) gegen dieses Land gewandt hatte. Ihre Augen
verloren vor mir die Neltgicrde, und zwisd>en ihnen
imö mir stieg ein kalter Rauch auf. Sie gingen
vorbei, ohne zu grüßen.

Aus meinen Sd)ritten auf dem Pflaster der
Stadt klang das Wort: Verräter! zurück.

Meine Gedanken ließen ihnen sagen: Wenn
ihr keine fremde Überzeugung mehr ad,ten liönnt,
so reicht -urc eigene Überzeugung nidjt höher, als
die kleinen Kirchtürme eurer Dörfer im Wiesental.

Und leidend ging id, weiter dem Bahnhof zu,
den Staub abzusd)ätieln dieser Gegend, verbohrt,
verstockt, verliebt. Eng errichteten die Straßen
beiderseits ihre glatten alten Häuser im herbst-
lidjcrt Dunst. Wie durd, Sd)lud)ten ging id).

Da rauschte es leidst rechts und links von mir,
und kühle harte Griffe nahmen meine beiden
Hände. «B’jourU sagte es zweimal zum Gruß,
redits und links. Ad) ihr! sagte id, und ersd)rnk
nid)t. Es waren die Skelette der Toten, die fid)
mir zugesellt hatten.

Aber die beiden sagten dann kein weiteres
Wort. Sie gingen bloß mit mir dahin. Sie
waren nur ein Hand). Id> hatte auf einmal den
zehrenden Wunsch: Segnet mid), geliebte Tote!
Segnet mid). Reste meiner Heimat, die mir treu
geblieben sind!

Iedod, durd, ihre harten Griffe strömten die
Erinnerungen und säu'elten in mid> hinein. Und
waren auf einmal sd)werer als Blei, sd,werer als
die Felsen, die die trügerisd, liebiid)e Silhouette
der Stadt trugen.

... Verflucht! Verstoßen!

Armer Kerl!

Die Familie stand um de» Sünder im Kreis
Mit wilden EntrüstungsgeberdeN.

Die Mutter schluchzte und weinte leis:

„Was soll aus dem Jungen noch werden!"

Die Tante hat schmppisch die Achseln gezuckt,
Der Onkel jedoch brach mit Wucht aus:

„Der Lausebengel! Er lügt wie gedruckt!
Der ettdet sicher im Zuchthaus!"

Der Vater attnete tief und sdiwer:

„Das Flennen nutzt gar n'chts, Ottilie!

Wo hat er nur diese Just nkie her?

In unsrer gediegnen Fam lie!"

Zerknirscht v.ruahm es der Bösewicht,

Z rknirscht, w il die Mutter so weuite.

Ich sah sei» Armesündergesicht

Mit he mlichcm Sd)munzeln und meinte:

„Ihr nehmt den Junge» zu heftig mit!

Ich denke milder und schlichter:

Entweder wi d er ei» großer Bandit
Oder ein Did)ter!" Karl Ettliiigex

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