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In der Münchner Au

Richard Langner (München)

Geh ich nachts . . .

Nach Rabindranath Tagore

von Richard Flakrer

Geh ich nachts zuni Stelldichein,

Regt sich nicht ein Vogel in den Zweigen,
Steht das ganze Dorf in tiefsteni Schweigen,
Zieht der Wind sogar den Atem ein.

Nur die Spangen meiner Füße klappern —
lind ich schäme mich und weiß nicht.

Wie ich mich verbergen soll.

Steh ich nachts vom Lager aus.

Ans des Liebsten leisen Schritt zu lauschen.

Hebt sich, ach, kein Laut, kein Blätterranschen,
Selbst der Fluß hält ein in seinem Lauf.

Nur mein Herz pocht laut durch all die Stille —
Und ich schäme mich und weiß nicht.

Wie ich es verbergen soll.

Wenn er meine Hände hält,

Zitternd sinken meine Augenlider,

Hinter Schleier senkt der Mond sich nieder,

Ties inö Dunkle sinkt die weite Welt,

Der Rubin auf meiner Brust nur leuchtet —
Und ich schäme mtch uiid weiß nicht.

Wie ich ihn verbergen soll.

Seelenverfettung

Von A. M. Frey

Frau Amelie Stern galt in der mittelgroßen
Stadt, in der sie lebte, für eine der hübscheste»
und schicksten Frauen. Sie war den spärlichen
Liebesbedllrfnissen eines Mannes Vorbehalten, ben
nichts wichtiger dünkte als sein Geschäft. Ob-
wohl er von Jugend auf soviel Vermögen be-
sah, dah er vom Geldverdienen unabhängig hätte
leben können, kannte er doch nichts Besseres, als
von morgens bis abends Zahlen im Kopf und
auf dem Papier hin- und herzuschieben.

Ein geistiges Band verknüpfte die Ehegatten
nid>t, was keineswegs als Mangel empfunden
wurde. In ben diuftigen Stunden, die sie zu
zweien verlebten, staiid immer noch etwas neben
ihnen. Bei ihm mar es das Geschäft und stets
das Gesdiäft. Bei ihr dreierlei: die Toiletten, der
Familieniratsdi und, wenn sie hod> hinaus wollte,
der Stndtklatsch. Uber diese Dinge redeten sie mit-
einander in den Pausen, die ihm das Geldverdienen
ließ und die er gleid>zeitig mit Essen ausfüllte.

Er trennte fid) abends spät von seinen Zahlen,
kam dumpf und hungrig nach Hause, speiste, ver-
grub sid> im Rauchzimmer in einen Klubsessel,
darin er einschlief, während die Frau berichtete,
dah heute im Tee außer ihr nur Fräulein Telz
die neue Frisur gehabt habe.

Am nädislen Morgen um acht Uhr begann ein
neuer Tag, und man war zufrieden mit dem Ge-
schick, nicht nur der Zahlcnmcmch, sondern mid,
die Frau. Eie verwandte den Vormittag auf die
Pfleae ihres schönen Körpers, siaubie eigenhändig
ein paar cd)tc Bronzen und Kopenhagener Por-

zellanfiguren ab, an welche die Dienstmädchen nid,t
rühren durften, zog fid) sehr umständlich und mit
einem Aufwand an Geist, der täglich in dieser
Besd)äftigung seinen Höhepunkt errcidjte, für die
Strasse an und machte ein paar Besorgungen,
die jemand von der Dienerschaft aud) hätte machen
können — die ganz belanglos waren, aber dazu
verhelfen sollten, ihre wid>tige und unersetzliche
Stellung als Frau des Hauses zu erweisen.

In Konzerte oder Theater ging sie nid)t. „Ohne
meinen Mann macht es mir keinen Späh, und
mein Mann hat keine Zeit dazu", pflegte sie zu
sagen. Hödistens sd)wang man sich Sonntags
einmal zum Besuch des Varietes auf, oder lieber
nod)t man ging in das erste Hotel der Stadt und
soupierte dort vornehm.

Kinder hatten sie nidjt. Sie war schaudernd
dagegen gewesen und er aud). Die Mutterschaft
verdirbt die Figur, und eine sd)lanke, müdchen-
haft blühende Frau ist besser als eine würdige
Matrone. — Dafür hielten sie zwei kostbare kleine
Hunde, die maßlos verzogen waren und in ebenso
gesd)>nadrlosen wie prunkvollen Häuschen wohnten,
um deren Preis eine Arbeiterfamilie von sedis
Köpfen zwei Jahre lang Obdach bekommen hätte.

Eines Tages — mid) Jahren ihrer tauben
Ehe — fühlte sie fid) dcnnod, Mutter. Anfangs
waren beide bös verstimmt, schließlich gewann bei
ihm die Eitelkeit, so etwas zu Wege gebradit zu
haben, die Oberhand. Er war stolz auf fid) und
besorgt um sie, das heiht um ihre Schönheit und
überhaupt in einer Gemütsverfassung, die ihm
fremd und verwirrend und deshalb alles in allem
bod) recht unbehaglich war.

Eie begann eine umsländlidie Tätigkeit zu ent-
falten, ■ die sich um das kommende Kind drehte
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