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Ein Dichter

Bon Robert Walser

Dieser Dichter hat auf mich keinen üblen Ein-
druck gemacht, obwohl er mir freilich etwas son-
derbar vorkam. Er wohnt in einer Dachstube,
wo ich ihn neulich aufsuchte. An der Wand
hängen Landkarten, auf dem Tisch liegen wenige
Bücher. An einem Nagel hängt der wunderlichste
alte Hut, den ich je zu Gesicht bekommen habe.

Mit der Begründung, einen Aufsatz über ihn
schreiben zu wollen, bat ich ihn um diese und jene
Lebensnotiz. Er sprach frei, wenn auch etwas
zurückhaltend. Seine Manieren sind denkbar
einfach, beinah volkstümlich. Bon Weltent-
fremdung ist keine Spur an ihm.

Er stammt aus guter Familie. Einer seiner
Vorfahren schrieb ein umfangreiches Geschichts-
werk. Die Großeltern mütterlicherseits trieben
Landwirtschaft. Er erzählte mir, er habe kaum
den Augenblick abzuwarten vermocht, wo ihm
gestattet war, von zu Hause wegzueilen.

Im Gefühl, daß er jung und kräftig sei, ver-
zichtete er auf ausdauerliches Sitzen gern, war
vielmehr lebhaft für Abwechslung besorgt, indem
er jeweilen munter wieder fortlief. Für Ansäßig-
keit besaß er herzlich wenig Verständnis; lebte bald
im Dorf, bald in der Großstadt, mithin in aller-
hand Verhältnissen, an denen er sich tüchtig ab-
rieb, was ihm gut zu tun schien.

Er mag sowohl klug wie unklug gewesen sein.
Wenn er nicht im Freien wunderte, so war er
eingezwängt im Engen und in irgend einem Büro
beschäftigt. Nebenbei übte er sich im Dichten, in-
dem er abseits ging.

Beständig war er arm und richtete sich danach
ein. Es hat sich bei ihm hauptsächlich um not-
dürftiges Fortkommen und um ein Frohlocken
hierüber gehandelt. Mit allem Vorhandenen war
er stets innig einverstanden und daher im An-
passen äußerst flink. Entweder war er stellenlos
und frei wie der Wind oder angestellt und arbeit-
sam wie irgend einer. Wo es ihm notwendig
schien, duckte und geduldete er sich. Später freute
er sich, daß er etlichen Druck tapfer ausgehalten
hatte, warf den Kopf hoch und lachte hellauf. Wie
er glaubt, wäre es schwierig gewesen, ihn in punkto
Sparsamkeit zu übertreffen.

So viel er sich erinnere, sei er einmal mit
einem Gipserjungcn verwechselt worden. Da der-
selbe ganz artig aussah, so machte ihm die Ähn-
lichkeit, die in der Tat existierte, ziemlich viel Ver-
gnügen.

Kurze Zeit ragte er dadurch angenehm her-
vor, daß er die Gutmütigkeit besaß, sich als Ziel-
scheibe für in Tinte getauchte Papierkügelchen
darzubieten, wobei er lachen durfte, da derlei Ge-
schoß keinen großen Schaden anrichtete.

Zeitweise schlief er auf Stroh, woraus er sich
eine Art Genuß machte und hantierte mit einem
Gewehr, wovon er sagt, daß er es häufig auf die
Schulter warf und wieder herunterriß.

Daß er monatelang in eine n Landh aus wahr-
haft herrenmäßig lebte, mag etwas unglaubhaft
klingen und darum fraglich bleiben. Dichter er-
leben freilich mitunter Seltsames.

Einmal war er am Erfrieren, lag jedoch bald
danach im schönsten Gemach, auf kostbarem Divan,
und während er Nosenduft einatmete, sagte ihm
eine liebreiche Stimme ins Ohr: „Träunie süß."

Um einen sauber gearbeiteten Artikel in Schwung
zu bringen, zog er jahrelang mit einem Handwagen
durch verschiedene Gegenden. Das Gelände war
meist holperig und der Absatz spärlich, was ihn
aber keineswegs verdroß.

Zu erwähnen bliebe ein Schloß, ein Badeort,
eine Studentin und zuletzt ein wohnungsnach-
weiscndes Bermietungsbüro.

Inzwischen hat er sein Wanderleben aufgegebcn
und sitzt nun schon ziemlich lang als regelrechter
Schriftsteller im Verborgenen, derart, daß es aus-
steht, wie wenn er sich verkrochen Hütte: er liebt
aber die Welt nach wie vor, nur daß er sie jetzt
mehr betrachtet als beschreilet.

Oer foul« Jupiter

Rud. Kosl (München)

Auf die Frage, ob er sich nicht allzusehr von
der einstigen Lebensweise entfernt habe, antwortete
er, es sei ihni unmöglich, zu gleicher Zeit zweierlei
Richtungen zu verfolgen.

Er gibt gerne zu, daß er sich etwas sonderling-
haft verhalle. Wahrscheinlich ist cs sein Beruf, der
ihn nötigt, sich mehr zu verschließen, als ihm lieb ist.

Da er sich bis hierher durchgerungen hat, so
wird ihm dies wohl auch fernerhin gelingen. Den
Mut verliert er sicher nicht schnell. Er arbeitet
und stützt sich auf sein Selbstvertrauen. Was er
tut, hält er für richtig, und er hofft, sich aufrecht
zu halten.

Liedchen

Noch ist nicht viel zu fehlt/

Der Himmel schwebt gedeckt,

Doch aufgelockert schon,

Wie Knospen, drin sich's streckt.

Lichtgrauer Buchenwald.

Ein Paar geht stillvergnügt
Auf auögetautem Pfad,

Der sich zur Höhe schmiegt.

Ein nadelfeiner Ton,

Ein Triller wird geprobt/

Zwei Meisen üben schon,

Verliebt — vielleicht verlobt.

Am Himmel Stücke Blau,

Die wechselnd offen stehn,-
Und seht gelingt es auch
Der Sonne durchzusehn.

Gott fühlt sich plötzlich wohl:

Ihm fällt ein Liedchen ein!

Zwei Vögel singen vor,

Zwei Menschen fallen ein!

Paul Weber

4

Wandervögel

Die Wandervögel ziehn ins Glühn,
Bleich geht der Abend übers Moor,

Ein Vogelruf gellt aus dem Ried,
lind wie aus traumversunk'nem Chor
Klingt auf ein Sang,- und still erblüht
Ein Sehnsuchtslied, süs; und vertraut.
Singschwäne in den Abend ziehn — —
Und lächelnd denk ich meiner Braut.

Hanns Fischer

Verantwortung

Skizze von Marie Dinesen
Einzig berechtigte Übersetzung aus dem Dänischen
von Elisabeth Ermel

Mäuschen stand aus einem Stuhl hinten
am Fenster mit nackten Füßen und einem
kurzen Nachtkleidchen.

Sie war, sobald sie aufgewacht war, aus dem
Bett gesprungen, um zu sehen, ob die Sonne
scheine. Und das tat sie wirklich. — Im Arni
hielt sie Puppe Karen. Karen hatte blaue Augen,
die sie schließen und wieder aufmachcn konnte,
und langes goldenes Haar. Mäuschens eigenes
Haar war dunkel und lockig wie Mutters.
Nachts war es in zwei „Schweineschwänzchen"
geflochten und mit rotem Band gebunden.
Mäuschen wollte so gern Karens Haar ebenso
flechten. Aber das durste sie nicht, weil sie es
ihr sonst ausrisse, sagte Mutter.

Mäuschen und Karen untersuchten, ob das

Wetter wohl so aussähe, daß es sich halten würde.
Es waren wirklich nur einige kleine weiße Wölk-
chen hoch oben, so daß bestimmt von Regenwettcr
keine Rede sein würde.

„Das ist aber schön," dachte Mäuschen und
drückte Karen an sich. Nun würde Onkel Karl
sie heute mit in den Wald nehmen.

Während Vater verreist war, kam Onkel Karl
so oft, um sie abzuholen. Er war gewiß in Sorge
darum, daß sie sich sonst langweilen würden. —
Mutter war ja auch manchmal des Alleinseins so
überdrüssig. Mäuschen hatte gesehen, daß sie
mitunter sogar deshalb weinte. Und Mutter hatte
fast nie inehr Lust dazu, sie anzuhören oder mit
ihr zu spielen oder auf das Biele einzugehcn und
zu antworten, über das Mäuschen so gern Be-
scheid wissen wollte.

Mäuschen hatte in der letzten Zeit über Vieles
nachzudenken:

Jetzt plötzlich kam der Leutnant und wollte ihr
Onkel sein, obgleich Mäuschen so gut wußte, daß
er es gar nicht war. Und Mutter sagte bald „Du"
bald „Sie" zu ihm. Das tat sie doch nie bei den
anderen Onkeln.

Dann wollte Mäuschen so gern wissen, ob
Vater den Onkel Karl ebenso gern möchte wie
Mutter. Mäuschen selbst mochte ihn freilich sehr
gern.

Eigentlich schien er ihr viel lieber und unter-
haltsamer zu sein als Vater. Er war auch viel
hübscher, wenn er das feine Zeug trug mit all den
blinkenden Knöpfen, und wenn er lachte und alle
seine weißen Zähne zeigte.

Mäuschen seufzte ein wenig und vertraute
dann ihrer Karen an, wenn sie groß wäre, würde
sie einen Mann nehmen, der Onkel Karl gliche.
Nicht einen so langweiligen wie Vater, der immer
reiste! . . . Aber vielleicht schadete das auch nicht
so viel, wenn man nur auch solch einen Freund
hatte wie Onkel. Mutter hatte ja selbst einmal
gesagt, daß er ihr guter Freund sei.

Vater kannte ihn gar nicht, denn er war ja
gerade fort, als Onkel kam! Aber wie froh war
Mutter, wenn sie ihn sah! Und es war so merk-
würdig, daß sie es immer im voraus wußte,
wenn er kommen wollte. Mäuschen konnte
nicht verstehen, wie es zuging, daß jedesmal
Mutter selbst ihm öffnete, lang ehe Mine auf die
Bordiele kam.

Und dann bekam Mutter so frohe Augen und
so rote Backen.

Und einmal, als es Mäuschen schien, daß es
etwas lange dauerte, ehe sie hereinkamen, hatte
sie ganz leise die Tür zu dem dunklen Vorflur
aufgemacht, denn sie dachte, Onkel könne vielleicht
nicht genug sehen, um seine Mütze aufzuhüngen.

Aber als dann das Licht aus der Stube hinaus-
schien, sah sie, daß Onkel Karl seinen Arm um
Mutter geschlungen hatte und daß er sie küßte! —

Das war doch sonderbar, meinte Mäuschen.

Deshalb sagte sie Onkel „Guten Tag!" Aber
da hatte sich Mutter so erschreckt, daß sie fast
weinte und ins Eßzimmer flog.

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Register
Marie Dinesen: Verantwortung
Robert Walser: Ein Dichter
Hans Fischer: Wandervögel
Paul Weber: Liedchen
Rudolph Kos: Der faule Jupiter
 
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