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Die Hochzeiterinnen

Von Lena Christ

Hans Ulrich, dem Kreutweber von Lindach
sein ältester Bub, ist aus dem Krieg als der
einzige heimgekehrt, heil und gesund, gerad so
wie er hinauszog vor 2ahr und Tag.

Und nun, da er wieder daheim sitzt bei
seinen, Vater, deui alten, halbtauben Kreut-
weber, da er wieder die alte pichige Lodenjoppe
trägt, da fällt ihm ein, er könnt sich justament
um eine Hochzeiterin umschauen. Um eine,
die ihm die armseligen Werkeltage seines Da-
seins ein bissel in Sonntage umgestalten würde.

Die ihm so viel einbrächte, daß er sich auch
einmal an einem andern Tag, als gerad an
dem des Herrn, ein kleines Rauscher! vergön-
nen kunnt. Denn er liebt den Trunk zur
guten Stund und noch mehr zur schlechten gleich
seinen Vorfahren.

Und so hockt er denn bei seinem Alten am
Webstuhl und betrachtet eine Weile stumpfsinnig
die geschäftigen Hände und Füße des Webers, -
der gerade Seihtücher für die Milcheimer der
reichen Leinthalerin webt und dazu allerhand
gurgelnde, peifende und lachende Töne ausstößt.
Denn obgleich er schier taub ist, so singt er
doch immer noch gern die Lieder seiner Burschen-
tage. Das Gehör verlor er ja erst anno siebzig
als Kanonier bei Sedan. —

Also, sein Bub sitzt bei ihm und schaut ihm zu.
Und dann stößt er ihn in die Seite: „He, Voda!"

° Der Alte lacht verschmitzt: „F siechs fcho. Macht
nix. Auf oan oder zwoa Fehler gehts net zsamm."

Sein Sohn schüttelt den Kopf. „Naa. Auf-
hörn sollst."

Aber wieder lacht der Weber: „Dees glaab i!
Freist mag i a Maß! Dees woaßt, Bua, 's Bier
mag i alleweil."

Da gibt er es auf, der Hans: „Ah was! Mit
dir kann ma ja net redn. Jetz dischkriert er vom
Bier, bal izwcgn an Heirntn mit eahin redn möcht!"

Und erzürnt schreit er dom Alten ins Ohr.
„Nix Bier! A Hochzeiterin brauch i!"

Diesmal versteht ihn. der Vater eher.

„Ja so! A Hochzeiterin woaßt mir?"

Der Hans lacht laut auf: „Dees höretst gern,
gelll Naa naa, mei Liaberl Nix vorhanden. Ha-
ben sagt der Stummerll — Suacha sollst mir
oane Verraten — mirl"

Jetzt hat er ihn ganz, der Alte. Aber er
schüttelt lachend den Kopf: „O mei Bua! Da bist
irr! 2 woaß dir koane. 2 brauchet selm oane,
die mi a bissl zsammfuattern tat und a weng auf-
warma, bals kalt is."

Mittendrinn aber fällt ihm doch etwas ein:
„Bist scho bei der Krankahausurschl gwen?" fragt
er; ,,D' Urschl wisset dir doch gwiß a paar Weibs-
bilder, die wo für di passen! Für mi sans alle
z' jung. I brauch epps übertragns."

Worauf der Hans meint: „Du brauchst Über-
haupts koane mehr. Bat nur anial i oane hätt!
Soviel wirds mir nachher scho einbringa, daß du
a epps davo profitierst."

Der Alte hat ja die Hälfte nicht verstanden;
aber er sagt doch recht zufrieden: „Recht hast Bua!"
und werkt darnach weiter.

Der Hans aber nimmt seinen Hut vom Nagel,
sagt der alten Susanne, die dem Weber aus
christlicher Barmherzigkeit das Hauswesen schlecht
und recht versieht, Pfüagott und geht.

Sein Weg aber führt ihn kerzengerad zum
Krankenhaus.

Da steht eben die Urschl, ein schier neunzig--
jähriges Weiblein, am Fenster ihres Stübleins
und zupft die welken Blätter von einem Blu-
menstock.

Die Urschl ist sozusagen ein Erbstück des
Hauses. Denn ihr Eheherr, Gott Hab ihn selig,
bestimmte, da er mit ihr kinderlos blieb, sein Haus
zu einem Obdach für Kranke und Sterbende;
unter der Bedingung aber, daß man sein Weib,
die Urschl, Zeit ihres Lebens darinnen belassen
und wohl halten müsse.

8tek ick in finstrer Mitternacht E. ^^olteraclc

Die Urschl nun weiß alles, was rings in der
Welt vorgcht. Freilich reicht diese bei ihr nur
etwa die Spanne von fünf — sechs Stunden im
Umkreis. Bon denen aber, die diesen Fleck Erde
bewohnen, ist keiner, den sie nicht mit Namen
wüßten — er hätte denn keinen.

Dieses alte Weiberleut also soll nun dem Kreut-
webcrhans eine Hochzeiterin verraten.

Deshalb putzt er vor der Haustür draußen
feine Stiefel gut ab und stapft darnach hinein.

Gleich bei der ersten Tür klopft er an.

Und — richtig: „Gsegn dirs Goot — der
Kreutweberhans kimmt gar zu mir!" so begrüßt
ihn auch schon die Urschl.

Und fragt darnach: „Bist eppa marod oder
feit dahoam epps?"

Nein, das wär Gottseidank nicht der Fall, meint
der Hans. Er hätt einen ganz andern Schmerz,
— das heißt, wenn sie es ihm nicht für übel
nähm I

Aber die Alte lacht: „Ach beileib: Wia werd
i Dir denn 's Heiratn in Übel nehma! Bist ja
no jung! Hast ja ganz recht I"

Der Hans reißt Augen und Mund auf: „2a —
wia kannst denn- du wissen . . ."

Die Urschl lacht noch mehr: „2etz wundert er
sich! Mei, dees is do leicht zum dcrraten, was
d' möchst! Du bist gsund, bei Boda is net krank —
und enka Susann is aa heunt no in der Kirch
gwen. Also, — was kunnt da oana von der
Urschl wolln? Natürli a Hochzeiterin!"

Der Bursch hat einen heiligen Respekt vor der
Alten. Diese aber fährt fort: „Siechst, und i woaß
dir na oane. — Naa, zwoa. — Halt — naa, drei
woaß i dir. Paß auf: die erscht is d' Noimerzenz vo
Kreiz. A weng bollifch und zwider. Aber achttausad
March glei und no amal soviel darnachst. Daß f
den oan Hax a weng nachziagt, dees woaßt ja."

Lenzmorgen

Wie Knospen sind alle Herzen
Wunderselig geschwellt,

Lerchen streuen in Liedern
Die Schöpfung auf die Welt.

Zitternde Birken bieten
Sich lodernden Küssen dar, —
Weißgekleidete Mädchen
Im aufgelösten Haar.

Max Bittrich

Jawohl. Der Hans weiß es. Und er rechnet:
„No mal soviel, dees stmsechzechatausadMarch.
Und acht dazua is vicrazwanzg. Der Hax tat nix
macha, und 's Bollischsein treibet i ihr bald aus.
Aber ob s' halt Kreutweberin werdn will . . ."

2ndcfsen fährt die Urschl fort: „Und da is
no d' Wimmerlies vo Haslach. Bildsauber,
brav und riegelsam. Kennst es ja selm. Wird
aber kaam mehra als wie viertausad March
mitkriagn. Bals es kriagt. — Und nachher
is no da die buckelt Schneiderresl vo Münster.
A weng übertragn, — i glaab, fünfadreißg
2ahr is f' alt: aber Geld is da. Ausgmachts
Heiratguat dreißgtausad March. Und 's Haus.
Die Alt mußt halt in Austrag nehma. Aber
sie is guat habn. — So — und jetz woaßt es."

2awohl. 2etzt weiß ers, der Hans.

Und er denkt gar nicht lang an die brave
Wimmerlies: er läßt auch die Noimerzenz
wieder fallen und sagt: „Aha. Dreißgtausad,
Und die Alt im Austrag. Aha. — Wia alt
is jetzt d' Schneiderin? — Bald sicbazg, sagst? —
Aha. — No ja. — 2etz werdn mits nachher
scho sehgn. 2 sag dir halt derweil an scheen
Dankgood. — Und mei Schuldigkeit werd i
scho bereininga, bals epps werd mit oana. Und
jetz pfüate. —"

Die Urschl streckt ihm die Hand hin.
Aber nicht zum Abschied! — Nur ein etlichs
paar Mark wenns wären! Well man so viel
Hunger leiden muß in dem Haus! —

Es ist nicht leicht, einem Bauern den Geld-
beutel aus dem Sack zu locken: aber die Urschl
bringt es wahrhaftig fertig, daß ihr der Hans
am End drei schmierige Papierfetzen in die Hand
legt als Aufgeld für den Schmuhferlohn, den sie
für ihre Vermittlung zu Kriegen hat. —

Nach diesem Abschied aber rennt der gute Hans
nachhaus, als hätt er Flügel an den Siiefelfohlen!

„2a, Himmelherrschaft! Dreißgtausad und 's
Haus! — 2a, scheener kunnts ja gar net geh'! —
Was kümmert mi der Buckel und die Alt! —
D' Hauptfach is, daß f' einschlagt. Und einschlagn
tuats, dees woaß i. — Herrschaftseiten, dees Glück!
2 lach ja die ganze Welt aus! 2uhu!" —
2uchzend tritt er daheim in die Wohnstube.
Doch — was sieht er! —

Da sitzt am Tisch ein ihm gar wohl und gut
bekanntes Weibsbild, — die Annemirl vom Sim-
merbauern I

Und auf ihrem Schoß tummeln sich zwei Büb-
lein, so an die vier 2ahr alt — seine eigenen!

Hei, da fallen ihm plötzlich alle seine Todsün-
den ein! Auf die er doch so gern vergessen hält.

„Himmellaudon!" denkt er: „Akrat jetz, wo
mir epps rars einstand ... jetz muaß sie dahockal"
Dem Hans wird ganz schwül: „Annemirl..."
Aber die Annemirl ninunt ihre beiden Buben
vom Schooß und sagt: „Da schaugts, da is er
ja, der Ata! — So, jetz gehts nur glei schee hi
zu eahm und sagts eahm Grüaßgood!"

Und sie hilft ihm aus aller Not und Verlegen-
heit, indem sie sagt: „Gell, hättst bald vergessen
auf uns drei! Aber mir rühm uns scho, woaßt!"

Ah so! Sie ist bloß wegen dem Kostgeld da!
Der Hans beeilt sich, zu fragen, was er zu zahlen
hätt. Er möcht gern die Geschicht in der Ordnung
haben, bevor er heiratet. ..

Aber die Annemirl unterbricht ihn: „2a freist!
Sinst nix mehr! Wirst dir jetz no lang Unkösten
macha, wenn darnach doch alls aus oan Sack
geht! — Mir werdns aa so derfüttern die zwoa;
und übrigens Hab i auf Lichtmeß mein Platz
aufgebn. 2 bin jetz lang gnuag Stalldirn gwen.
2etz möcht i amal a Zeit! als K:eutweberin Hausen.
Meine Papiere Hab i dabei, — dein Bodan is's
recht, also — bals dir aa recht is, kinnan mir
morgn fcho zum Herr Pfarrer gehn! . . ."

Wenns ihm recht ist!

2a, himmelherrgott! — Dreißigtaufend wärens
gewesen! — Und da stehen ein paar Bllrschcrln
vor ihm und sagen „Ata"!

2e nun! Es w-rd ihm wohl recht fein müssen!—
Trotz der drei Mark Aufgeld und der reichen
Hochzeiterin!-
Register
E. Woltereck: Steh ich in finstrer Mitternacht
Max Bittrich: Lenzmorgen
Lena Christ: Die Hochzeiterinnen
 
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