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igurinchen war ein PorzcIIangeschöpf. 3n
einer Künstlerwerkstatt wurde es geboren.
Ein junger Künstler huste es geschahen, aus
seinen verliebtesten Träumen heraus. Gertenschlank
und graziös war der geschmeidige Körper wie
der einer Sechzehnjährigen. Pfirsischröte hauchte
ein Pinsel auf feine Wangen, sepiabraun waren
die lockigen Haare und die feinen strichförmigen
Brauen über blauen Augen, und schimmernd
unter der zarten Glasur der Ton des Fleisches
bis zu den halbkugeligen Brüsten, die ein weißer
porzellanener Spitzensaum voller Koketterie nur
halb versteckte. Tiefrot und voll Schelmerei der
kleine Mund. Ter Künstler hatte bei seiirem
Werke vor sich hingelarl,t, sah ein Mädchengesicht
vor fid), das er oft geküßt, einen wundervollen
Körper, den er in den Armen gehalten. Figurin-
d)en war nur ein Spiegelbild einer andern, eine
launige Schöpfung junger Verliebtheit, und lächelte
ahnungslos. Es wollte glücklich fein. Das war
die Hauptsache. Spinnwebzart war das Kleid
und lose der Faltenwurf um seine Schenkel.
Barfuß stand es auf einer Rasenfläche, die mit
buntesten Blumen übersternt war. Was wußte
Figurinchen von der großen Welt, auf die es sich
freute? Was von der Bedeutung der beiden ge-
kreuzten blauen Schwerter, die man uerfterfrt auf
die Unterseite seines Podestes eingebrannt?

Locker und leidjt hob es feine Arme und
ftredrte sie verlangend dem Glücke entgegen.

Figurinchen kam in eine Kunsthandlung. Ein
alter Herr kaufte es für einen hohen Preis, nach-
dem er die blauen Sd>werter betrachtet hatte.
Figurindiens. Lachen sah er nicht. Die Kreuze
sd)ienen wichtiger zu fein.

Der alte Herr schenkte Figurindien einer jungen
Dame, die einen erdbeerfarbenen Salon besaß und
eine Vitrine, in der Figurinchen drei Fahre zwi-
fdjen Kristall und Schalen, silbernen Büdislein

und goldenen Tassen lebte. Figurindien fühlte
fid) unbeachtet und vernachlässigt und war froh,
als die Dame mit dem erdbeerfarbenen Salon es
eines Tages in dem Kunftgefdiäfte umtaufdite ge-
gen eine silberne Zuckerdose.

Bald darauf war sie Eigentum eines Hage-
stolzes. Es sd>ien ihre Bestimmung zu sein, in
die Hände alter Herren zu fallen. Figurindien
war zu unphilosophisch, daraus tiefere Sdilüsse zu
ziehen. Der alte Hagestolz mit der goldenen Brille
reihte sie seiner Sammlung ein. Und diese war
so groß, daß sie aud> hier nur ein Stück unter
vielen war.

Der Hagestolz hatte Freunde eingeladen, denen
er seine Sammlung zeigte. Audi Figurindien wurde
hervorgeholt, betrachtet und eingeschätzt.

„Wie kokett das Figürd>en ist!"

„Eine verliebte kleine Schäferin!"

Figurindien fdjiimte sich zum ersten Male in
ihrem Leben und fror ein wenig unter den Män-
nerblicken, die über ihren Körper glitten. Plötzlid>
durdizudrte sie ein brennender Schmerz. Eine
unad>tsame Hand hatte sie mit einem Brillantring
gestreift, gerade über das Herz Ijin; und die ge-
fühllos merkte es nid)t einmal.

Erst na di Fahren entdedrte der Hagestolz die
Verletzung, besdiuldigte seinen Diener der Unacht-
samkeit und erklärte, daß Figurinchen jetzt wert-
los wäre. Der Diener mußte sie zunr Althänd-
ler sdiaffen, der sie zunädist nid)t kaufen wollte,
dann eine lächerlich niedrige Summe bezahlte und,
als der Diener fortgegangen war, sie sorgsam ab-
staubte und I)crrid)tctc. Figurinchen jubelte. Es
verstand nirhts von Geschäften und glaubte, daß
der Alte mit der krummen Nase und den gütigen
Augen sie genommen habe, weil sie ihnr gefiel.
Ihr wurde warm ums Porzellanherz. Er ist dod>
gut! dad>te sie. Und war zufrieden. Wunderschön
war es übrigens in denr Laden, der nad) hundert

feinen Düften rod), rindj gilbendem Pergamente
alter Sdiweinslederbände, nach Fuditenleder, Spe-
zereien und trockenem Zirbelholze. Audi die Nach-
barsd)aft mar erträglich und nicht ohne Reiz. Ein
uralter Bronzepagode mit wadrelndem Kopfe
sdinitt ihr die Kur, ein Porzellanharlekin sang
ihr Lieder zur Laute, ein Kopenhagener Kakadu
nidrte bedachtsam, wenn sie über den Harlekin
lnd)tc und erging sich in philosophisd)en Glossen
über die Nichtsnutzigkeit der Welt.

Da verkaufte sie der Allhändler weiter. Und
Figurindien kam wieder in einen Salon, diesmal
in Blau. Er gehörte einem Ehepaare, das fid)
beständig und laut zankte. Es waren dirke, rote
Hände, die sie jetzt tüglid, betasteten, und vor dem
Glanze erbsengroßer Brillanten mußte Figurinchen
immer die Augen srhließen. So blendeten sie.
Der dicken, zankenden Frau aber gefiel Figurin-
dien garnirht. Sie nannte den Mann lüstern,
daß er ein solches freches Weibsbild in seine
„gute Stube" stellte. Und Figurinchen zitterte vor
der Stunde, in der fid) die beiden Parvenüs in
der „guten Stube" aufzuhalten pflegten.

Das ertrug sie nid)t auf die Dauer. Und einmal
brad, sie zwischen den fleischroten Fingern entzwei.

Eiir feiner Knax! Klirr! Ein weid)er Perser-
teppidi dämpfte diskret den Srhluß ihrer Lebens-
tragödie, als ihr Kopfteil iriederfiel.

„Das fdjönc Geld ..

Figurinchen war tot.

Ein Dienstmädchen, das ihre Überreste auf den
Kehricht werfen sollte, annektierte sie rurd füllte
ihre Körperhöhle mit blauer Kaisertinte, benutzte
ihr Sterblid>xs als Tintenfaß. Und mit Figurin-
diens imaginärem Herzblut, das die blaue Kaiser-
tinte purpurn färbte, fdjrieb sie die schönsten Lie-
besbriefe an einen nidjt imaginären Bräutigam.

Und es lag ein Hauch von Unsterblid)keit
darüber.

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Register
Hellmuth Unger: Figurinchen
Fritz Burger-Mühlfeld: Illustration zum Text "Figurinchen"
 
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