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Heimkehr

Von Roderich Müller

Franz sprang ungestüm die finstere Treppe
der Mietskaserne hinauf, als er an jemand an-
prallte.

„Na nu," rief Hannchen Richter, „das find
ja Sie, Herr Kupke."

Ja, Herr Kupke war es und drückte Hann-
chen Rid>ter die Hand. Er war ganz außer Allein
und brachte es mit Mühe zu ein paar Warten.

„Ich wallte nur eben im Keller nach den Kar-
laffeln sehen," sagte Hannchen „Das hat aber
gut Zeit bis später. Sie kommen bod) mit her-
auf?"

Kupke stieg init ihr die Treppe hinauf und
gestand stell, daß er enttäuscht war. Er hatte sich
nun einmal dieses Wiedersehen anders gedacht;
er hatte keine Phantasie und wußte deshalb nicht,
wie es hätte fein fallen, aber jedenfalls anders.

„Meine Mutter ist doch seit acht Monaten tat,
nun wohne ich ganz alleine," sagte Hannrlien.

Franz murmelte etwas, stolperte und muhte
stell fest am Geländer halten, denn die Treppe
hatte harte Windungen.

Oben roch es narl> Essen. Es war Sonntag
und rach nach Sauerkraut. Auch hatte das Wohn-
zimmcr noch reichliches Tageslicht. So konnte
Kupke bemerken, das; cs weder behagl!ä> noch
festtägig aufgeräumt war. Alles das gefiel ihm
nicht. —

„Drei Jahre haben wir uns nicht gesehen.
Das ist eine lange Zeit," sagte Hannchen. „Wie
glücklich waren wir damals."

„Jawohl," erwiderte Franz, „sel>r glücklich.
Dann mußte id) in den Krieg. Schade, jetzt hat
sich alles verändert."

Er bliäite auf einen großen Pickel an Hann-
elicns linkem Nasenflügel und bedachte, wie stharf
ihre Züge geworden waren.

„Wie lange sind Sie denn schon wieder hier?"
fragte Hannchen.

„Bier, fünf Tage."

Kupke lag. Er war erst heute angekommen.
Nu» schämte er sich, das; er gleid> zu diesem un-
bedeutenden und gealterten Hannchen gelaufen
war.

„Das ist hübsch voti Ihnen, daß Sie da so-
bald mid; besuchen kommen," sagte Fräulein
Rirlitcr. „Wie schön war es früher, wenn wir
zusammen spazieren gingen. . Seit einem Viertel-
jahr bin id) in einem Wanderklub. Sie müssen
da midi beitreten. Wir sind fünf Damen und
drei Herren. Einer davon war draußen Vizc-
wachtmeister."

Hannchen erwähnte das, weil ihr Inneres
einen Vergleich zog. Franzens ganz neugefaßte
Uniform paßte ihm wie ein Sd)lafrodt, und in
der Mühe ohne Schirm und Kokarde sah er aus
wie ein Sträfling.

„Mit Militär und Krieg ist cs jetzt zu Ende.
Ich werde wieder als Steindrudrer arbeiten," er-
klärte Franz. „Gefallen wird es mir nid>t gleich.
Überhaupt hier bei uns. Alles ist so nüchtern.
Id) war zuleht ein halbes Jahr in Brüssel. Dort
ist ein Leben. Die Frauen haben da nun sd>on
einen ganz anderen Schmiß."

Er sagte das aus Überzeugung. Zugleich
aber gab er hiermit den Vizewadstmeistcr zurück.

Hnnndzen sah auf Franz; diese große, häß-
liche Brille, die er trug, und im ganzen so mager
und unbedeutend. Die Damen von Brüssel hatten
sid> wohl sdiwertid) um ihn zerrissen.

„Id> lernte dort ein nettes Mädchen kennen,"
erzählte Kupke weiter. „Sie hieß Delphine. Zwar
färbte sie sich die Lippen und die Augenbrauen
und.war wähl etwas oberfläd)lid>, aber sehr sdstrk
und lustig und sang immer."

Er hatte sicl> in einem Tanzhaus ganz aus
der Ferne in sie verliebt und sie niemals ge-
sprochen. Zuweilen dachte er nod) an sie.

„Wir hier haben frcilid) das Singen ver-
lernt," erwiderte Hannchen und flrid; mit ihrer
mageren Hand über das Tischtuch.

Ahn litt gen

Wir schweben und lauern! — —

Schwanke Gestalten, von Keinem gerufen,
Gleiten wir über der Zukunft Mauern,

Scheu verhüllt aus der Gegeinvart Stufen.

Unö scheucht keine Wehr!

stricht trotziges Wollen noch kraftvolles Wagen!

Kämpfend noch wächst unser graues Heer,

Bis auch die Mutigsten zögern — und zagen.

fzm Toben des Ringens

Reißen die Schleier der Zukunft wir nieder!

Im Taumel des Sieges, UN Glück des Gelingens

Bannen den Geist wir, lähmen die Glieder.

»

Des Krieges Genossen,

Sind ivir des Schicksals Diener und Boten.
Selber dein Granu der Vernichtung eutsproffen,
Weisen den Weg wir künftigen Toten.

Nur wem die Gier

Nach dem Leben, das Hoffen und Fürchten,

gefchivunden.

Der ist unser Herr, der ist stärker als wir:

Wer die Todesfurcht zwang, hat auch uns

überwunden!

Doch wir schwebe» und lauern! — —

Denn wir kennen das Leben, wir einigen Geister:
Einst lernt wohl auch er wieder lachen und trauern,
lind ineini Sterbliche fühlen,

dann sind wir die Meister!

stk i ih a r d A b c l

*

Was klagst btt, Seele---

Was klagst du, Seele, über Nacht?

Blau ist der Himmel anfgeivacht,
die Sterne schwirren silbern iveit
in bebende llnendlichkeit,
und hinter Wipfeln goldet sacht
des Mondes Pracht
Wie herrlich klirrend schwebt die Zeit!
fzhr Flügelschlagen, schön befreit,
rührt noch an dunkle Eröenfracht,
und ist so hoch ins Blau entfacht,
daß über Strömen, uferbreit,
und schwerer Walöverioorrenheit
Gott selber leise klingend lacht.

Was klagst du, Seele, über Nacht?

Bernhard Fl eines

Franz sah, wie sic sdstaff und müde auf ihrem
Stuhle saß und hatte Mitleid mit ihr.

„Könnten wir nicht noch ein Stlldi spazieren
gehen," sdstiig er vor. — „auch wenn id) nid)t
Vizewachtmeister bin?"

„Ach ja, gerne," rief Hannchen und lächelte.
„Eie sind wohl eifersüd>t!g?"

„Eifersüdpig? Wieso denn? nein, keine Spur."
Franz sagte das völlig ehrlich. Denn Hanndien
gefiel ihm gar nicht mehr, und er verstand es
nicht, daß er über drei Jahre hindurch immer an
sie halte denken müssen.

„Einen Augenblick, Herr Kupke. Idi ziehe
bloß mein sdiwarzes Kleid an. Sie wissen schon,
das mit den gestickten roten Rosen am Halse, das,
was Ihnen immer so»gut gefiel."

„Jawohl, jawohl," sagte Franz, und es faßte
ihn etwas wie Rührung und Wehmut.

Aber and) als Hanndien fid) umgezogen hatte,
gefiel sie ihm nidst besser. Das Kleid hatten dis
Kriegsjahre ebenfalls verbraucht. Es hatte zli
oft auf dem Kontorschemmel gesessen und glänzte
hinten wie ein Spiegel.

Es ist fdjpn am besten, id) mache heute Schluß,
dachte Kupke. Sie hat mir immerzu gesd>rieben
und so viel geschickt, als sie bei ihrer Armut
konnte. Das ist richtig. Aber die Sache hat ja
bod) keinen Zweck.

Auf der Straße gingen sie langsam neben-
einander her. Es fiel ein feiner Regen, und beide
wußten im Grunde nicht, was sie hier draußen
sollten.

„Spazierengehen ist der einzige Genuß, den
man fid) jetzt gönnen kann, weil er nidsts kostet,"
sagte Hannchen. „Früher, wenn wir draußen ab-
kochten, Gulasd) und Kartoffeln, Herr Kupke, da
machten »ns die Ausflüge mehr Spaß."

„Ja damals," antwortete Kupke, ohne zuzu-
hören und überlegte, wo er zu Abend essen könne.

Sie kamen cm einem Ballhaus vorüber. Bor
dessen Tür fädielten fid) ein paar erhitzte Dienst-
mädchen in Gesellschaft lärmender Soldaten mit
ihren Taschentüdiern Luft zu.

„Hier waren wir and) einmal darin, 1912,
als uns die Himmelfahrt verregnete," erinnerte
Hannchen.

„Wollen mir etwa einen Sprung da hinein-
gehen?" fragte Franz. „Id) habe Hunger."

Es war ein billiger Tanzsaal. Die Tänzer
waren eine handvoll Zivilisten mit durchschwißten
Halskrägen, im übrigen Soldaten, die Mädchen
von gewöhnlichster Art.

Franz und Hanncl,en fanden mit Mühe Play
in einer entlegenen Ecke Denn in dem engen
und sd>lcd>tbeleud)tcten Raum drängten fid) die
Menschen in ungeheuerlicher Fülle. Der Gc-
md) von Staub, Tabak itnd Schweiß, von der
ganz üblen Luft des Saales und der noch schlech-
Icrcn der Küche mcid>te den Aufenthalt fast un-
erträglich.

Aber die Tanzenden spürten das nicht, jeden-
falls störte sie es »iri)t. Sie waren bei dünnem
Bier und Limonade von einer bacchantisch-rasenden
Ausgelassenheit und drehten und schoben fid) mit
einer Leidenschaft, die das Tanzen zum panto-
mimischen Ausdruck ihrer innersten Wü»sd>c machte.
Als sei an diesem Nachmittag alles nachzuholen,
was die Jahre des Krieges, der Todesnähe und
der Trennung vom Heimatboden ihnen an Enl-
haltsamkeit auferlegt hatten, so stürzten sich die
Soldaten auf die Mädd>en und mit ihnen auf
den Tanz. Wie Sdiladst und Sturm wogte es
über das Parkett. Den Soldaten genügte niri)t
der Schwung der bloßen Bewegung, sie ver-
stärkten den Rhythmus durd) wildes Mitschreien
der Melodien, sodaß die Musik des sd>wäd)lid>en
Orchesters im Lärm der brüllenden Stimmen gänz-
iid) erstarb.

Franz und Hanndien saßen in ihrer Ecke wie
zwei kleine Vögel, die fid) verflogen haben.

„Herr Gott noch einmal," sagte Franz, „so
ordinär ging es in Brüssel frcilid) nid>t zu."

Hanndien zuckte die Achseln.

„Die Soldaten sind eben wie freigewordene
Tiere."

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Register
Bernhard Flemes: Was klagst du, Seele
Richard Abel: Ahnungen
Roderich Müller-Guttenbrunn: Heimkehr
Richard Seewald: Frühling
 
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