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Die Frau Vorstand

Von Marictta von Bronneck

Sie lieferte dem kleinen Ort genügend Ge-
sprächsstoff. Jeder fand etwas an ihr auszusetzen:

Sie hieß Liesa. Hieß etwa sonst noch jemand
so in der ganzen Stadt? Die Frau Oberforst-
kontrollor. die doch wirklich etwas auf sich hielt
und so vornehm war. daß sie sich nicht einmal im
Winter zu den geselligen Abenden cinfand, — die
hieß einfach Lieschen. Aber die Frau Stations-
vorstand mußte natürlich einen ganz besonders
hochtrabenden Namen haben! Und sie hatte keine
Kinder! Sie war sieben Jahre lang verheiratet
und hatte noch kein einziges Kind! Gewiß: die
Frau Apotheker hatte auch keine. Aber da wußte
doch ein jeder wenigstens warum. Man brauchte
nur den Blick gesehen zu haben, mit dem die Frau
Apotheker ihren Gatten maß. wenn die Rede auf
Familienzuwachs kam! Aber die Frau Vorstand
sagte ganz ruhig (— als ob das die natürlichste
Sache von der Welt gewesen wäre —): „Ach nein,
ich will keine Kinder!" Und sie warf dabei in
ihrer eigentümlichen Art den Kopf in den Nacken.
Heimlich übten die Frauen und Mädchen von
Bohlenau, alle den Kopf so in den Nacken zu werfen.

Die Fra» Vorstand trug den ganzen Sommer
lang weiße Kleider. Es war einfach lächerlich
immer weiße Kleider zu tragen, wenn doch jeder-
mann wußte, daß sie sie selber waschen und bügeln
mußte. Auch hatte es doch wirklich keinen Sinn,
sich so aufzuputzen, wenn mau nie unter Leute
ging und immer nur in den: kleinen Gärtchen
saß oder auf der Bank vor dem Stationsgebäude!
Die Damen von Bohlenau hatten schon alle spitze
Bemerkungen darüber fallen lassen, aber die Frau
Vorstand schien sie gar nicht zu verstehen. Sie
lächelte nur. Was sie doch für ein merkwürdiges
Lächeln hatte.

Die Frau Obcrforstkontrollor sagte: „Alles tut
sie nur für sich. Für die Kinder möchte sie keine
Hand rühren!"

Der Lehrer (er war der einzige, der zur Frau
Liesa hielt) wandte bescheiden ein: „Aber sie hat
doch gar keine Kinder."

Da kam er schön an! „Natürlich," sagte die
Frau Obcrforstkontrollor giftig, „das ist ja der
Skandal!" —

Die Frau Vorstand besaß eine ganz lächer-
liche Liebhaberei: sie stand immer am Perron
draußen, wenn die Züge einfuhren. Ob sie in
der Küche beschäftigt war oder bei ihren Gemüse-
beeten im Garten — wenn die Signalglocken er-
tönten, dann ließ sie alles stehn und liegen und
lief hinaus. Alle Leute in Bohlenau wußten es
schon: wenn sie auf den Bahnhof kamen, dann
stand dort irgendwo ihre schntale Gestalt, die Hände
ineinandergelegt, den Kopf ein wenig zurückge-
bogen. Mit sehnsüchtigen Blicken sah sie dem her-
anrollenden Zug entgegen, tastete längs der Wagen-
fenster — und trat dann endlich still und fast
glücklich wieder in das Haus zurück, wenn der
Zug sich wieder in Bewegung setzte.

Ihr ganzes Leben war so dahingegangen, Kind-
heit und Jugend. All ihre Träume gingen immer
wieder den gleichen Weg. Irgendwo da draußen
im Land stand ihr Elternhaus, blickte mit hellen
spiegelnden Scheiben auf die Geleise, über die das
ganze märchenhafte Treiben der Welt auf vielen
eiligen Rädern heranstürmte — und wieder vor-
bei. Liesa lehnte an der efeubesponnenen Wand,
sie hörte das Surren der vielen geheimnisvollen
Drähte, das Läuten der vielen wunderbaren Glocken

— und lächelte.

Als sie dann später ihren Mann heiraten mußte

— da hatte sich ja eigentlich gar nichts in ihrem
Leben geändert. Ein anderer Bahnhof. Aber alle
Bahnhöfe der ganzen Welt waren doch gleich.
Einmal kommt das Glück; einmal muß es kommen.
Man braucht nur zu warten und zu glauben. —

Der Lehrer ging sehr oft zur Station. Was
hatte er nur immer dort zu tun?

„Ah — guten Tag, Frau VorstandI"

„Guten Tag, Herr Lehrer!"

A. Wirrer

Die alte Truhe

was üie Zeit an wert unü Wort
Je mir gab, üie alte Truhe
Hegt in üämmertiefer Ruhe
Meiner jungen Tage hart.

Manchmal in üer Kcicrzeit
Rrame ich in ihren Tiefen,

Unü aus halbvergilbten Briefen
Weht ein namenloses Leib.

Leib, üas einmal Liebe war.

Tob, üer einst vor Lebe» lachte . . .
Sa, ein altes Bilü erwachte »

Traurig sinnt ein Augenpaar.

Locken quellen voll unü schwer
Unü ein Ringlein glänzt üaneben,

SaS ich einer wollte geben,

Einer » ach, ich weist nichts mehr.

wissen geht üem Herzen nah.

Sehnsucht nur Üarf selig säumen
Unü in's Glück hinüberträumen,
hehle, Truhe, was geschah.

§. Schrönghamer-Yeimöal

Sturm unö Klut

Su morgenfrisch atmenöe,
lächclnüe, schwcllenüe:
mir, üem witöfrohen
bebst üu unü schimmerst,
sollst ohne Grenzen
beseligt sein.

will rauh Sich streicheln,

Sich übergleiten,

Sich überstürmen
mit Zärtlichkeiten,
bis Üeine Wellen
sich an mich Ürängen,
will an üir hängen
in Tiefen unü Höhn:
wie üu üich anschmiegst,
bist üu so schon.

Will mit üir jagen,
gewiegt, getragen
von Himmel zu Himmel:
mein Reich, mein Rausch,
mein Abgrunü: tu üich auf!

Josef Schanüerl

„Schönes Wetter heute, nicht wahr?"

„Oh so schönes Wetter!" Wie ihre Augen
brannten!

„Gehn Sie gar nie spazieren, Frau Vorstand?"

„Nein, ich habe wirklich keine Zeit. Ich schau
immer zu, wenn die Züge kommen . . . Und dann
Hab' ich bod, auch so viel zu tun. Da seh'n Sie,
— meine Wäsdie hängt schon I"

Im Garten flatterte es lustig. Die nassen Hemd-
ärmel des Herrn Stationsvorstandes falteten fid)
beschwörend zum Himmel empor.

„Frau Vorstand tun immer so viel grobe Arbeit.
Aber man merkt es Ihren Händen gar nid;t an."

„Wirklich?" Sie betraä>tete ihre Hände. „Aber
das ist dock) ganz gleichgültig, nidst?"

„Oh nein, Frau Vorstand, es ist nidjt gleich-
gültig. Sie haben Hände wie eine Prinzessin.

Sie sind überhaupt so — so-ganz anders.

Man muß Sie immer anseh'n und staunen. Glauben
Sie, die andern wüßten das nidst? Alle beneiden
Sie. Alle!"

„Mir säieint, Sie wollen mir gar den Hof
machen, Herr Lehrer!" sagte die Frau Vorstand
und lachte.

Ihr Lad)en klang gut und doch irgendwie
fremd. Es war, als behielte sie dabei etwas für
fid) zurück: — vielleicht das Beste. Aud> ihr Gcsid,t
war so. Das Lächeln fdjtert darinnen wie ein
Geheimnis.

Der Lehrer wurde dunkelrot.

„Nein, Frau Vorstand, Sie verstehen mich
nid>t recht. Id, mödste Ihnen nur so gerne helfen.
Id) weiß, Sic sind ganz allein: die andern hassen
Sie, weil Sie besser sind und fdjöncr und stolzer.
Ich möd,te Ihnen nur so gerne helfen dürfen-“

„Oh," sagte die Frau Vorstand, und uian merkte
es ihrem Gesid>t an, daß sie ganz in ein fernes
Horchen versunken war und nur zerstreut seinen
Worten folgte, — „es ist wirklid, sehr gut von
Ihnen — sehr gut —"

Und nun hörte man schon ganz deutlid, das
Rollen des herannahenden Zuges. In ihren:
Gesid,t malte sid> hilflose Verwirrung.

„Id, will nidit stören," sagte der Lehrer. Er-
fühlte ftd) irgendwie beleidigt und wollte fid) zu-
rückziehen. „Sie erwarten viclleid)t Besuch."

Aber die Frau Vorstand sagte hastig, und es
klang säst übertrieben entschuldigend: „Ad, nein,
wen sollte id, denn erwarten? — — Id, sd,au
nur so gerne zu, wenn der Zug kommt und die
Leute ausstcigen oder vorüberfahren . . . Finden
Sie nid,t auch, daß cs sehr hübsd, ist?"

Trotz ihrer Abwehr merkte der Lehrer deutlid,,
daß er ihr nun ungelegen war. Aber irgend ein Ge-
sühl wie Trotz und Eifersucht zwang ihn zu bleiben.

„Id, weiß nidst redst," fügte er, „ich glaube,
id, mag die fremden Menschen gar nicht."

Er meinte, die Frau Vorstand habe gar nidst
mehr gehört, was er sagte, denn gerade suhr der
Zug donnernd über die Geleise und blieb langsam
und schütternd stehen. Der Stationsvorstand kam
heraus, nickte seiner Frau und dem Lehrer freund-
lid, zu und legte zwei Finger an den Rand seiner
roten Mütze. Er hatte ein gutmütiges, dickes
Gesidst und einen hinblidjen Mund.

Zwei Arbeiter stiegen aus. Sie trugen ihr
Handwerkszeug über der 6d,ulter und gingen
langsam dem Ausgang zu. Eine Frau, die ein
großes rolkarriertes Bündel trug, kletterte vor-
sid,tig die Stufen hinunter. Der Zug setzte sid,
wieder in Bewegung.

„Warum mögen Sie die fremden Mensd,en
nidst?" fragte Frau Liesa plötzlich und unver-
mittelt, während sie nun nebeneinander längs der
Geleise sd,ritten. „Wir wissen nidsts von ihnen
und können darum alles von ihnen erwarten." —
Und in die Stille hinein, die ihren Worten folgte,
sagte sie sehr leise: „Und das Wunderbare, von
den, wir immer träumen — das könnten uns
dod, diese fremden Mensd,en bringen!"

„Nein," sagte der Lehrer traurig und fast streng,
„sie bringen uns nidsts — nie. Mand,mal nehmen

sie uns nod, das weg, was wir besitzen.-Das

Wunderbare — das kann bod, vielleidst in unserer
Nähe sein-wir merken es nur nicht — —"
Register
Marietta v. Bronneck: Die Frau Vorstand
Alois Wierer: Vignette
Josef Schanderl: Sturm und Flut
Franz Schrönghamer-Heimdal: Die alte Truhe
 
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