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Anno Domini MCMXIV

Bon I. Anker - Larse»

Erste Szene
(Borhof des Himmelreiches)

Ft. Peter steht über dos Geländer gebengt und schont auf
die Erde hinab. So steht ec lange. Er sieht aus wie
ein Mensch, der sich über Vermögen angestrengt hat.
um zu begreifen, endlich begriffen hat und nun nicht
erwachen kan» aus seinem Staunen über das Ber-
nuaftwidrige. das er begriffen hat. und an das er
trotzdem nicht recht glauben kann.

Das Huninelstoc wird aufgeschlossen, und ein
Engel tritt heraus. Sein Auge ist groß und gut, wie
das eines Kindes, seine Gestalt ist wie die eines
kräftige» Jünglings, aber sein Antlitz ist rein von
den Zeichen der Erbsünde.

Oer Engel (ruft gedämpft): Peter!

Peter (bleibt stehen ohne zu hören).

Oer Engel: Peter! — Peter!

Peter (wendet sich um und sieht den Engel langsam an.
wie ein alter Mann, der seine Gedanken mit Mühe
zur Gegenwart zwingt): Was willst du!

Oer Engel: Der Herr ruft.

Peter (noch nicht ganz ans seinem Staunen erwacht):
Der Herr ruft — ? Es ist lange her —

Oer Engel: Der Herr ruft dich zur Versammlung
der zwölf Apostel.

Peter (langsam-: Der zwölf Apostel — ? Es ist
lange her —

Oer Engel: Paulus bat um eine Versammlung
der Zwölf.

p:ter: Pan—lus? Ja. Paulus — ich kenne seinen
Eifer.

Ser Engel: Ich soll deinen Platz einnehmen.

Peter: (reicht ihm die Schlüssel).

Oer Engel: Behalte sie.

Peter: Wenn jemand kommt —

Oer Engel: Sie sollen warten.

Peter: Der Herr ruft — endlich.

Oer Engel: (tritt an das Geländer und sieht hinaus).

Peter: Sieh nicht hinunter!

Oer Engel: Warum nicht?

Peter: Dort unten liegt die Erde.

Oer Engel: Eden die will ich sehen.

Peter: Sieh nicht hinunter.

Oec Engel: Warum soll ich sie nicht sehen? Des-
halb kam ich ja. Ich bat den Herrn, deinen
Platz einnehmen zu dürfen. Ich wollte so gern
die Erde sehen, wo der Erlöser gelebt hat. wo
die Zwölf gepredigt und, wie ihr es nennt.
..gelitten" haben, und wo die Seligen „ge-
boren" wurden. Ich möchte gern sehen,
was es heißt, zu leiden, und was es heißt,
geboren zu werden.

Peter: Sieh nicht hinunter. Man muß unter
ihnen gelebt haben, um sie verstehen und
ihren Anblick ertragen zu können.

Oer Engel: Was ist das für ein Ausdruck
in deinem Auge? Keiner von uns. die
immer nur hier waren, hat ihn. Aber ich
sah ihn bei den Zwölfen und bei den
Seligen. Er gleicht einer Last. Tragt ihr
an etwas, was ihr nicht vergessen wollt
und dessen ihr euch nicht zu erinnern wagt?

Ist es das, was ihr „früher" nennt? Ich
kenne nur „jetzt" — und ich möchte gern
euer „früher" sehen.

Peter: Sieh nicht hinunter. Tu deine Pflicht,
ohne zu sehen und ohne zu denken —
wie es den Engeln des Himmels gebührt.

(Er geht hinein. Der Engel setzt sich in gedanken-
loser Freude.)

Zweite Szene.

(Der Versammlungssaal des Himmelreiches.)

Peter kommt aus dem Borhof. Die übrigen der
Zwölf kommen aus de» Wohnungen der Se-
ligen, voran geht Paulus, als letzte Johannes'

Brüder, die den schlummernde» Johannes tragen
und nun auf ein Ruhebett legen. Er schläft ruhig,
glücklich und sicher, wie ein Kind an der Mutterbrust

Peter: Warum versammeln wir uns?

Paulus: Die Wohnung der Seligen ist bedroht.

Peter (erstaunt): Die Wohnung der Seligen — ?

. Was sollen wir da tun?

Paulus: Die Gebete erörtern.

Peter: Die Gebete?

pauluö: Die Gebete der Menschen.

Peter: Kommen keine mehr?

Paulus: Es kommen ihrer zu viele. Ihr Strom
droht den Damnl zu durchbrechen, der die Woh-
nung der Seligen schützt.

Peter: Ja, aber wenn sie erhört werden, hören
sie ja auf zu beten.

Paulus: Sie werden nicht erhört.

Peter: Warum nicht?

Paulus: Der Herr kann es nicht.

Peter: Er kann nicht? — Der Allmächtige?

Paulus: Ihre Gebete richten sich gegeneinander.
Die Erhörung des einen ist eine Strafe für
seinen Nächsten.

Peter: Ich verstehe. Wären sie doch nicht gläubig.

Paulus (sicht ihn streng an'.

Peter: Ihre Sünde wäre dann geringer.

Paulus: Ich bat den Herrn um eine Versamm-
lung der Zwölf. Diejenigen, von denen wir
einstimmig erklären, daß sie im Recht sind,
sollen erhört werden.

Peter: Wer meint ihr, ist im Recht?

Thomas: Ich bezweifle, daß einer von ihnen recht hat.

Jakob: Entweder keiner oder alle — denn die
Gebete sind gleich.

Peter: So muß die Stimme des Herzens ent-
scheiden.

Paulus: Klingende Schellen und tönendes Erz zu
Häuf!

Matthäus: Der Herr kommt!

(Stille unter den Aposteln. Der Herr kommt, gefolgt
von den Engeln des Gebetes. Hinter ihnen vernimmt
man Töne, als lägen alle Elemente im Kampf.)

Peter: Was für Töne sind das? Sind die Höl-
lengeisler los?

Paulus: Es sind die Gebete der Menschen.

Oer Herr: Was beten sie heute?

Oie Engel öes Gebetes: Das gleiche wie gestern.
Sie beten um Mord, Tod, Hunger, Krankheit,
Untergang.

Oer Herr (sein Gesicht wird finster und zornig, seine
Stimme klingt wie der Donner, wenn der Blitz ein-

Frau von 8ckaurolk (Frankfurt a/M.)

schlägt : Ihr Wille geschehe! (Er wendet den
zwölf Aposteln den Rücken und geht.)

Paulus (nach einer Pause, erschüttert): So hart hat
der Herr noch nie gestraft

Peter (bang flüsternd): Rein — er erhörte sic.

Oer heilanü (kommt bleich und leidend).

Peter: Der Heiland! Ich sah ihn nicht seit —

Paulus: Sichst du sein Antlitz?

Thomas: Schlimmer als in Gethsemane!

Peter: Ist es möglich, so nimm diesen Kelch —

Oer Heiland: Ich will meine Kinder sehen und ihre
Mutter, die Erde. Sie bedürfen wieder meiner.
(Er schaut hinunter zur Erde, schaut lange schweigend
tind sagt dann): Ich sehe sie nicht. Sie sind
hinter einem rötlichen Dampf verborgen.

Jakob: Meister, schau nicht hinunter!

Oerheilanü: Warum soll ich nicht hinunterschauen?
Bin ich nid)t einer von ihnen? Sind sie nicht
alle meine Brüder? lLange schant er hinunter in
die blutigen Dämpfe. Banges Schweigen unter den
Aposteln. Der Heiland wendet sich um. totenbleich,
aber mit einem seligen Lächeln): Es ist vollbracht.
Unschuldiges Blut! Mein Blut entströmt ihnen
allen. Sie sterben für die Sünden der Welt, wie
ich. In Wahrheit sage ich curi): Die Räuber werden
mit mir im Paradiese sein. (Er geht schwankend
hinein und sinkt zur rechten Hand des Baters nieder).

Oie Apostel (sehen sich entsetzt an).

Paulus (kaum hörbar): Paranoia!

Peter (sieht ihn an, ohne daß er zu sprechen wagt.
Endlich sagt er wie einer, der seine eigenen Ge-
danken fürchtet): Ein Priester, der von hier ab-
gcwiesen wurde, sagte mir eines Tages, die
Schriftkundigen auf der Erde seien im Begriff
zu beweisen, das; der Heiland, schon als er dort
unten lebte, ein Wahnsinniger gewesen sei.

Thomas: Schon damals? — Ich bezweifle ja auch —

Paulus (heftig: Thomas zweifelte stets!

Peter: Thomas zweifelte stets — wir anderen
nur. so oft es galt.

Paulus: Aber die Lehre? Die Lehre, die er uns gab?

Johannes (lächelt im Schlaf: Liebet einander!

Paulus (blickt zu dem Ruhebett): Ja. Ein einziger
blieb ihrer eingedenk — und der sank beim
Abendmahl in Schlummer und ist nicht wieder
erwacht I

Dritte Szene.

Im Vorhof.

Peter (geht langsam in deu Vorhof hinaus, winkt dem
Engel, daß er hineingehe» soll. Der Engel geht.
Peter steht in tiefem Sinnen):

So war es also vergebens, daß er starb,
um die Welt zu erlösen, vergebens, daß
wir den Tod erlitten, wie er. Keiner von
uns hat eine Spur hinterlassen, der sie
folgen wollen.

(Ein gewaltiger Schatten fällt über den
Vorhof des Himmels und verdunkelt ihn. Eine
schneidende Kälte, die man wie Feuer empfin-
det, dringt bis dicht an das Tor.)

Peter (blickt längs des Schattens über die boden-
lose Tiefe zu der Stätte der Qual und gewahrt
vor dem Feuerschein eine einsame Gesten: >:
Du?!

AuöaS (von der Stätte der Qual): Ja, Ich!
Mein Geist lebt unter ihnen! Für dreißig
Silberlinge verraten sie einander. Aber sie
bekommen das Silber nicht! Es schmilzt
hier. Sie werden es sehen und werden
verzweifeln!

Oer Engel (kommt heraus): Der Herr ruft!
Peter: Wieder?

Oer Engel: Deine Arbeit ist vollbracht. Der
Herr ruft dich hinein.

Peter: Aber wenn jemand kommt?

Oec Engel: Es kommt keiner mehr.

(Er geht mit Peter hinein. DaS Tor wird
geschloffen).

Berechtigte Übertragung aus dem Dänischen

von Rhea Tteruberg

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Lina v. Schauroth: Vignette
 
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