dächtnis hatte, wie die Iungenpranke den Konka-
ven! „Der Dionys! jetzt kommst du dran!"
„Ieß, die Lies!" zuckt's ihm mit Erkennungs-
schreck durchs Auge. „Ieß, der Dionys!" zuckt's
ihr durchs ihre. Schade, schade, daß Augen nicht
so unbefangen sind wie Finger und Konvexe —
„Mein Herr!"
„Gnädige Frau!"
Mannsgestammel. Frauenwürde. — Marms-
vcrbeugung. Frauensprühen: „Wie konnten Eie
sich unterstehen —!"
„Verzeihung — nicht ich — Ferien — Schul-
haus — A bis B. —"
„Mein Herr, Sie sind ein —!"
„Vergebung — Sie hatten damals auch nicht
schlecht gehauen — weih selber nicht, wie es kam —
ich dachte — glaubte — meinte —11
„Unverschämtheit — ich werde — Polizei —
jetzt — wenn ich erst daheim bin — es ist un-
er—hört. . ."
Dies und einiges sprachen ihre Augen — nicht
der Mund — als sie, korrekt die Nase m der Lufl,
erkennungsvcrkniffen auseinandersegelten. Keins
hat den Kopf zurückgedreht. Jedes war im Krampf
bemüht, sich vorzureden: „Verflucht, verflucht —
da wär' ich beinah — hätt' ich beinah . . ."
Und als es Abend war, glaubten sie ans
beinah, denn ohne beinah wär's nicht auszudenkcn,
welche Folgen . . .
Und als es Nacht war, hielten sie die Begeg-
nung selbst für eine komische Sonnenhalluzination
des Ludwigsftratzen-Afphalts, denn ohne Halluzi-
nationen wär's nicht auszudenken, welche Folgen...
Und als es Morgen wurde und der Bank-
buchhalter von seinem Pult aus eine Dame —
Taillenumfang eins Komma achtunddreißig auf
den Scheckschaller A-T zurauschen sah, begegneten
sich zwei leere, völlig leere Blicke, denn ohne leere
Blicke wär's nicht auszudcnken, welche Folgen ...
Fritz Müller
Sprüche
Was der Ungebildete nicht begreift, be-
schimpft er; der Halbgebildete verhimmelt es.
Sittlichkeit ist nicht Satzung, nicht Zustand;
Sittlichkeit ist Betätigung, ist lebendige Kruft.
*
Der konventionelle Imperativ: Sei ge-
wöhnlich, auf daß es dir wohlergehe auf
Erden! ^ Horst Dietrich
Der gründliche Einbruch
Von Richard Rietz
Märchen
Woher es kam, daß das Pflaster der stillen
Ludwigstratze eines Tages sowohl den Bankbuch-
halter nis die v. Ganggerl mit dem gleichen Wohl-
wollen trug. Immerhin sie zuerst, und erst fünf-
zehn Schritte weiter hinten, ihn.
Es war recht heiß. Für den Umfang der
v. Ganggerl kein Vergnügen. Noch dazu, wo
jetzt die engen Röcke Mode waren. Natürlich
ging auch jetzt noch die rcä,le Schnhlitze auf.
Schauderhaft, wie das Ding bei jedem Schritte
hin- und hcrfchlankcltc. Gleich konnte man da-
rüberfallen. Wenn man sich nur bücken könnte.
Die Baroniir sah die stille Straße hinauf, hinab.
Gottlob, man kann's. Kein Mensch. Daß sich
zwischen sie und Dionys in diefenr Augenblick die
Plakatsäule schob, war Schicksal.
Alb. Weisgerber T
Wenn die glatten Häuserwände nur einen Bor-
sprung hätten, um den Fuß daraufzusctzen. Der
Randstein? hm, in Gottesnamcn. Bücken, inten-
sive Rückwärtswölbung, äußerst überspannte Stoff-
beziehung, leises Knistern, aber, Gottscidank, es
geht — na, wo ist denn nun die Litze. . .
Dionys Bruckner hat nach der Kirchenuhr ge-
sehen. Erst zwei Schritte vor der konvexen Stra-
ßensperrung steigt ihm eine Bluse durchs- Gehirn.
Eine aus der Jugendzeit von sieben Jahren. Vom
Gehirne durch den Arm zur Hand gehn Zwangs-
reflexe. Ausholt die Hand: „A — hui — wer
war's, he wer war's!"
„Der Dionys!" ruft's im gleichen Zwangs-
rcflex aus halber Höh im Auftrag des Konvexen,
der die unverschänite Iungenpranke gradso im Ge-
Abotf ist ein gründlicher Mensch.
Adolf hat alles Experimentelle aus seinem Le-
ben ausgeschaltet und sich zu einem geordneten
Etaatsbürgerleben bekannt.
Er hat sein Leben eingcteilt und seine Zeit. In
seiner Kasse herrscht Ordnung. Wie in seiner Ge-
sinnung. Fix und fertig ist sein Testament. Ihm
kann das Leben nichts Schlimmes mehr bieten. Er
ist gegen alles versichert.
Gegen Unfall und Brand, gegen Einbruch und
Beinbruch. Und für den Fall seines Todes erhalte
ich zehntausend Mark. (Bleib leben, mein Adolf!)
Pünktlich zahlt er seine Prämien, pünktlich
notiert er auf den Polizei! die fälligen Summen,
pünktlich legt er die Polizen wieder in das ver-
schlossene Fach seines Schreibtisches.
Mag Feuer kommen! Mag der Ziegel vom
Dache fallen! Diebe und Einbrecher, nur her mit
ihnen!!
Diebe und Einbrecher lassen sich das nicht
zweimal sagen. Reise nur erst einmal ins Bad,
mein Adolf, und Du wirft zufrieden fein.
530
ven! „Der Dionys! jetzt kommst du dran!"
„Ieß, die Lies!" zuckt's ihm mit Erkennungs-
schreck durchs Auge. „Ieß, der Dionys!" zuckt's
ihr durchs ihre. Schade, schade, daß Augen nicht
so unbefangen sind wie Finger und Konvexe —
„Mein Herr!"
„Gnädige Frau!"
Mannsgestammel. Frauenwürde. — Marms-
vcrbeugung. Frauensprühen: „Wie konnten Eie
sich unterstehen —!"
„Verzeihung — nicht ich — Ferien — Schul-
haus — A bis B. —"
„Mein Herr, Sie sind ein —!"
„Vergebung — Sie hatten damals auch nicht
schlecht gehauen — weih selber nicht, wie es kam —
ich dachte — glaubte — meinte —11
„Unverschämtheit — ich werde — Polizei —
jetzt — wenn ich erst daheim bin — es ist un-
er—hört. . ."
Dies und einiges sprachen ihre Augen — nicht
der Mund — als sie, korrekt die Nase m der Lufl,
erkennungsvcrkniffen auseinandersegelten. Keins
hat den Kopf zurückgedreht. Jedes war im Krampf
bemüht, sich vorzureden: „Verflucht, verflucht —
da wär' ich beinah — hätt' ich beinah . . ."
Und als es Abend war, glaubten sie ans
beinah, denn ohne beinah wär's nicht auszudenkcn,
welche Folgen . . .
Und als es Nacht war, hielten sie die Begeg-
nung selbst für eine komische Sonnenhalluzination
des Ludwigsftratzen-Afphalts, denn ohne Halluzi-
nationen wär's nicht auszudenken, welche Folgen...
Und als es Morgen wurde und der Bank-
buchhalter von seinem Pult aus eine Dame —
Taillenumfang eins Komma achtunddreißig auf
den Scheckschaller A-T zurauschen sah, begegneten
sich zwei leere, völlig leere Blicke, denn ohne leere
Blicke wär's nicht auszudcnken, welche Folgen ...
Fritz Müller
Sprüche
Was der Ungebildete nicht begreift, be-
schimpft er; der Halbgebildete verhimmelt es.
Sittlichkeit ist nicht Satzung, nicht Zustand;
Sittlichkeit ist Betätigung, ist lebendige Kruft.
*
Der konventionelle Imperativ: Sei ge-
wöhnlich, auf daß es dir wohlergehe auf
Erden! ^ Horst Dietrich
Der gründliche Einbruch
Von Richard Rietz
Märchen
Woher es kam, daß das Pflaster der stillen
Ludwigstratze eines Tages sowohl den Bankbuch-
halter nis die v. Ganggerl mit dem gleichen Wohl-
wollen trug. Immerhin sie zuerst, und erst fünf-
zehn Schritte weiter hinten, ihn.
Es war recht heiß. Für den Umfang der
v. Ganggerl kein Vergnügen. Noch dazu, wo
jetzt die engen Röcke Mode waren. Natürlich
ging auch jetzt noch die rcä,le Schnhlitze auf.
Schauderhaft, wie das Ding bei jedem Schritte
hin- und hcrfchlankcltc. Gleich konnte man da-
rüberfallen. Wenn man sich nur bücken könnte.
Die Baroniir sah die stille Straße hinauf, hinab.
Gottlob, man kann's. Kein Mensch. Daß sich
zwischen sie und Dionys in diefenr Augenblick die
Plakatsäule schob, war Schicksal.
Alb. Weisgerber T
Wenn die glatten Häuserwände nur einen Bor-
sprung hätten, um den Fuß daraufzusctzen. Der
Randstein? hm, in Gottesnamcn. Bücken, inten-
sive Rückwärtswölbung, äußerst überspannte Stoff-
beziehung, leises Knistern, aber, Gottscidank, es
geht — na, wo ist denn nun die Litze. . .
Dionys Bruckner hat nach der Kirchenuhr ge-
sehen. Erst zwei Schritte vor der konvexen Stra-
ßensperrung steigt ihm eine Bluse durchs- Gehirn.
Eine aus der Jugendzeit von sieben Jahren. Vom
Gehirne durch den Arm zur Hand gehn Zwangs-
reflexe. Ausholt die Hand: „A — hui — wer
war's, he wer war's!"
„Der Dionys!" ruft's im gleichen Zwangs-
rcflex aus halber Höh im Auftrag des Konvexen,
der die unverschänite Iungenpranke gradso im Ge-
Abotf ist ein gründlicher Mensch.
Adolf hat alles Experimentelle aus seinem Le-
ben ausgeschaltet und sich zu einem geordneten
Etaatsbürgerleben bekannt.
Er hat sein Leben eingcteilt und seine Zeit. In
seiner Kasse herrscht Ordnung. Wie in seiner Ge-
sinnung. Fix und fertig ist sein Testament. Ihm
kann das Leben nichts Schlimmes mehr bieten. Er
ist gegen alles versichert.
Gegen Unfall und Brand, gegen Einbruch und
Beinbruch. Und für den Fall seines Todes erhalte
ich zehntausend Mark. (Bleib leben, mein Adolf!)
Pünktlich zahlt er seine Prämien, pünktlich
notiert er auf den Polizei! die fälligen Summen,
pünktlich legt er die Polizen wieder in das ver-
schlossene Fach seines Schreibtisches.
Mag Feuer kommen! Mag der Ziegel vom
Dache fallen! Diebe und Einbrecher, nur her mit
ihnen!!
Diebe und Einbrecher lassen sich das nicht
zweimal sagen. Reise nur erst einmal ins Bad,
mein Adolf, und Du wirft zufrieden fein.
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