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R Lantfner

O Himmel linermessen . . .

D Himmel imeemessen.

Wer dürste sich erfrechen.

Zu deinem Licht zu sprechen:

Ich bin von dir vergessen?! Hans Kpsec

*

Äer Kranke

Es zuckt und zerrt in Hirn und Hank und Händen —
die Lider hängen schwer — es hebert mich —;
dies Hämmern, ist es unabänderlich,
dies dumpfe Hämmern in den Schädelwänden?

... Es stampft der Zug — nnd So ni mermitteruachk
umfließt mich, still, wie Traum, weich,

wie Vergessen . . .

ich schlürfe sie; — ihr Hauch umfächelt facht
die Stirn, die tageswund lind läriuzerfressen . . .

Satt all des Tagwehs, all des Lärmes kr'auk
kehr ich ja heim, — mühselig und beladen . . .

. . . war einst mir steile Glut, —

nun brennt sie schivaiik . . .
. . . Erlischt sie? . . . Lebt sie auf? —

Wer wills erraten!

. . . Der Zug stampft durch die Nacht . . .

eS pocht das Blut . . .

Ein müder Segler bin ich vor dein Hafen! —

. . . Tut auf die Schleuse! —

Bergt mich vor der Flut! —
. . . Nur schlafen! — schlafen! —-

Leop old Schwarzschild

Das erleuchtete Fenster

Bon H. Steinitzer

Man lernt nie aus, sagen die Leute Die Lento
haben recht: man macht immer wieder dieselben
Dummheiten. Die tiefste Einsicht, die man noch
da,zu meist recht teuer bezahlen muh, rctdjt gerade
aus zu wissen, das; es Dummheiten sind, aber
niemals dazu, sie zu vermeiden. Es ist dafür
gesorgt, das; auch die Weisheitsbäume nicht in
den Himmel wachsen. —

Meine Wohnung geht auf einen schönen Gar-
ten. Jenseits dieses Gartens erhebeil sich wieder
Häuser, vier Stock hohe, häßliche, widerwärtige
Ungetüme. Das mittelste von ihnen trägt ganz
oben, aus dem Dache vorspringend, einen Kleinen,
halbkreisförmigen. Vorbau, in den ein einziges,
ungewöhnlich großes Fenster eingefügt ist. Lügen
die Häuser nach Norden zu, würde ich glauben,
daß es das Fenster eines Ateliers ist, da sie'aber
nach Süden gerichtet sind, befindet sich hinter ihm
wohl nur ein eigenartig und jedenfalls erfrculiä;
abwechslungsreich geformtes Zimmer.

Bei Tage fällt das Fenster nicht besonders
auf; des Nachts aber, wenn es erleuchtet ist, sieht
es aus wie ein ungeheures Auge, das von feiner
Höhe aus ruhig und unbeweglich gerade zt> mir
herüber blickt. "Ein strahlendes, freudiges, zuver-
sichtliches Licht geht von ihm aus; es müssen viele
und stark leuchtende Lampen in dem Zimmer
brennen. Niemals fitid die Rolladen herabge-
lafsen oder die Vorhänge zugezogen. Die In-
wohner brauchen keine Furcht vor neugierigen
Blicken zu haben, sie leben hoch über den anderen
Menschen, und niemand kann zu ihnen herein-
schauen.

Das Fenster beginn! erst zu später Stunde zu
leucliten, kaum jemals vor Mitternacht; wann sein
Glanz erlischt, vermag ich nicht zu sagen. Ich
mag noch so spät zu Bette gehen, wenn die ge-
wöhnlichen Häuseraugen sich schon längst geschlossen
habeti, sein warmes Licht schneidet noch immer in
wacher Einsamkeit durch das lautlose Dunkel.

Natürlich machte ich mir Gedanken, wer hinter
dein erleuchteten Fenster wohnen niochtc. Ein Ge-
lehrter? Ein Kranker? Ein Sonderling, der erst
um Mitternacht zu leben begann und den Tag
verschlief? Oder ein armer Teufel, dessen Be-
schäftigung ihn die halbe Nacht außer dem Hause
festhieli? Meme Gedanken tasteten spieleriscli und
ohne rechte Anteilnahme um die verschiedenen
Möglichkeiten, bis einmal die Stunde kam, die
mir unversehens Gewißheit brachte. Da war es,
als ginge vvtn erleuchteten Fenster zu mir und
von mir zu ihm ein Austausch von Reden und
heimlichen Erklärungen, ohne daß deutlich wurde,
wer von uns das erste Wort ausgesprochen und
dem andern das Geheimnis anvcrtraut hatte. Aber
ich wußte nun, daß hinter dem Fenster zwei Men-
schen lebten, ein Mann und ein Weib, und als
das Eis erst eintnal gebrochen war, ging's schnell
mit der Freundschaft. Das war freilich kein Wun-
der, weil wir doch so außerordentlich gut zusammen-
paßten, die beiden und ich. Sie richteten fiel) in
allem und jedem nach mir. Wenn ich in jener
vergnügten, frohgesüttigten Stimmung nach Hause
kam, wie sie bind) Burgunder und die Gesell-
schaft heiterer Menschen erzeugt wird und zu dem
erleuchteten Fenster hinaufblickte, war ich sicher,
daß sie in eben so fröhlicher Laune dahintersaßen,
den köstlichen Wciti aus dünnwandigen, lang-
gestielten Gläsern tranken und allerlei Allotria
trieben. Der junge Eheniann ging im Zimmer
ans und ab und hielt großtönende und tiefsinnige
Reden, wie junge Ehemänner das zu tun lieben,
im Vorbeigehen versäumte er aber nie, seiner Frau,
die natürlich voll Bewunderung zu !hn> aufsah,
den Kopf herabzubiegen und sie auf die blonden,
gekräuselten Nackenhärchen zu küssen. Sie be-
nahmen sich gerade so. als ob sie allein gewesen
wären; ein schönes Zeichen von unbefangener,
freundschaftlicher Vertraulichkeit, nicht? Zuweilen
mußte ich ein wenig mahnen; „Machl's nicht zu
toll, ihr kleines Gelichter, es kommen noch viele,

viele Nächte, die alle euch gehören!" Aber das
sagte ich nur so; im Stillen hoffte ich, daß sie's
noch viel toller treiben würden; man kann's doch
gar nicht toll genug treiben in diesem kurzen Leben.
— Na, und datin ging ich zu Bett und nahm
das Bewußtsein in den Traum hinüber, daß da
hoch droben jenseits des Gartens zwei kreuzuer-
gnügtc Menschen häuften und am anderen Tage
wachte ich aus, nicht als alter, einsamer Jung-
geselle, sondern wie einer, der selbst ein wenig an
dem Glückskclch genippt hat.

War ich aber einmal trübgestimmt durch all
das Ungute und die Plackereien, die das Leben
eben so mit sich bringt und konnte mit der Arbeit
nicht voni Fleck kommen, so zogen die zwei gleich
andere Saiten aus. Nun saßen sie in mächtigen
Lehnstühlen am Teetisch, hatten graue oder auch
weiße Haare und lasen in dicken Büchern. Das
seine hatte einen Pergamentrücken, ihres einen
von Saffian oder korallenrotem Korduanleder.
Von Zeit zu Zeit sahen sie auf und lächelten sich
an oder sie gerieten auch in ein Gespräch über
längst — längst Vergangenes. Dann sagte wohl
der alte Herr: „Weißt du noch — — — ?" und
seufzte wehmütig: „Ach ja, schön war s!" und sie
streckte ihm die Hand über den Tisch hinüber mit
einem ruhig-zärtlichen Blick und meinte: „Schön
war's, und schön ist es geblieben." — Und ich
setzte mich wieder an die Arbeit und dachte: „Ellies
in allen, ist es doch nicht so schlimm aus der Welt.
Hat denen da drüben das Leben nichts anzutun
vertiiocht, so werde ich auch nicht klein beigebcn.
Nie und nimmer! —"

Ja, wir hatten uns prächtig miteinander ein-
gclebt, wir Drei. Allerdings, das darf ich nicht
verschweigen, es war auch viel günstiger Zufall
dabei. Sonst — — —? Mein Gott, wer ist dem
Neide ganz unzugänglich? Aber es fügte sich
immer alles auf's Schönste. Hatte ich z. B. vom
Lande eine Schachtel mit zwölf Eiern bekommen
(von denen übrigens regelmäßig mindestens zwei
zerbrochen waren), so konnte ich Gift darauf neh-
men, daß die beiden nachtniltags ein Paket mit
fünfzig erhalten hatten, alle unversehrt und ohne
den leisesten Sprung. Nun läget! sie in fünf Reihen
zu zehn Stück auf dem Tische, die junge Fralt
überzählte sie mit glänzenden Augen zum Lösten
Male und fragte: „Was soll ich dir also morgen
Mittag machen, Liebster? Hast du lieber Rühr-
eier oder Ochsenaugen oder eine Omlette oder
Scnfcier oder — - — ?" — „Oder Eier ä la
Rossini oder ä la Megerbeer oder oeufs ä la
cocotte?" fuhr er lustig fort.

„Nun, wenn du mich schon fragst, dann möchte
ich eine Creme, wie wir neulich bei Onkel Ge-
heimrat eine gegessen haben."

Das Gesicht der jungen Frau zog sich etwas
in die Länge.

„Eine Creme!" meinte sie bedenklich. „Die
wäre freilich gut, aber dazu braucht man ja min-
destens fünf Stück, wenn nicht gar scchse. Und
du weißt doch: die Kinder — — —!"

Ein Glück, daß er in diesen! Augenblick zu
mir herübersah und auf meine Zeichensprache
achtete.

„Das macht doch nichts, Liebste," warf er
frohgeinut hin, „wir bekonunen ja morgen wieder
ein Paket, diesnnrl mit sechzig Eiern, du wirst's
sehen."

„Fa dann, das ist was andres, dann sollst du
auch deine Creme haben — —."

Fetzt frage ich einen Menschen: wenn die so
schlenunten und praßten, durfte ich mir doch auch
dann und wann ein weiches Ei zum Frühstück
ohne Gewissensbisse erlauben? Was? —

Immer ging's ja nicht so gemütlich her bei
mir und ineinen Freunden. Während der Re-
volutionszeit — nun ja, man hat eben Befürch-
tungen und denkt sich, weiß Gott was alles zu-
sammen, wenn man so allein in der Wohnung
herumsitzt — da sind sie drüben wirklich einge-
drungen, die Plünderer.

„Her mit dein Schmuck und dein Geld, und
zu essen wollen wir auch, und wenn Waffen da
sind, dann — — —II"

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Register
Heinrich Steinitzer: Das erleuchtete Fenster
Richard Langner: Vignette
Leopold Schwarzschild: Der Kranke
Hans Kyser: O Himmel unermessen
 
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