Carl O. Petersen (Dachau)
Eine gute Anekdote
Der angehende Oberlehrer sagt gequält: „Aber
ich — ich kann es einfad) moralisch nicht vertra-
gen! Fertig! Aber dafür hast du ja kein Verständ-
nis!" Kitti sagt: „Nee, dafür habe ich auch kein
Verständnis. Ich pfeife auf dein moralisches Ge-
fühl. Du hast mich einfach nicht mehr lieb. Und
wegen einer Ehe überlege ich mir das noch sehr.
Wenn du mir jetzt schon alle Bitten abschlägst. . ."
Der Lehrer wird entrüstet. „Was habe id] dir
alles abgeschlagen! Du redest ja gottloses Zeug,
du ... Du bist ja ein Kind . . ."
Dann wird er wieder weich. Er nimmt ihre
Hand und sagt zärtlich: „Du bist mein kleines
dummes Mäuschen!" Sie sagt: „Bilde dir das
tiici)t ein! Ich bin durchaus kein Kind mehr! Icl>
weih durchaus was ich will!" Sie wird auf ein-
mal ganz kühl und vornehm. Wie eine feiden-
rauschendc Dame. „Ich werde eben heute Abend
mit einer Freundin hingehen," sagt sie. „Gottlob
gibt cs ja noch Ersatz! Ich must auch jetzt zur
Stunde! Leb wohl!" Der Lehrer sagt vorwurfs-
voll: „Willst du so van mir gehen!" Kitti sagt:
„Kommst du mit ins Kino?" Er beißt die Zähne
zusammen. „Nein," sagt er fest. „Leb wohl,"
sagt Kitti kurz. „Du zahlst ja für mich, nicht-
wahr?" Ihre Stimme wird ganz klirrig und kühl.
Das Naschen schnubbert wie eine vorwitzige Fliege
in der Luft. Der angehende Oberlehrer sagt nichts
mehr. Er nimmt die Zeitung und starrt auf die
schwarzen Buchstaben. Kitti verschwindet hinter
der Türe. Das Orchester setzt an mit der Barca-
role aus Hoffmanns Erzählungen Der zukünftige
Oberlehrer wirft die Zeitung hin. Er ist nervös.
Er bestellt einen frischen Tee. Mit Rum. Er
braucht Mut. Zwischen den Zähnen beißt er ein
Wort heraus: „Weiber!" Die Lichter gehen an.
Die Wärme und ein feiner Dunst von Wohlge-
rüchen legen sich wie ein schwerer samtener Man-
tel über ihn. Der angehende Oberlehrer wird
immer nervöser. Der Tee mit Rum erhitzt ihn.
Das Orchester tut ihm weh. Der Geiger schluclizt
ihm zu sehr. Er betrachtet die Frauen ringsum.
Sie sind alle nichts gegen Kitti. Er ruft: „Ober,
bringen Sie ein Bier!" Das Bier ist eiskalt. Er
wird Magenschmerzen darauf bekomnien. Was
schadet es!
Kitti wird natürlich jetzt in Tränen aufgelöst
sein! Schließlich, es war ja eine kleine Freude,
dis man nid)t zerstören sollte. Aber Herrgott,
man ist doch Mann! Man ist doch Mann! Man
kann sich docl> nicht ewig diesen Weiberlaunen
preisgeben. Wohin soll das denn führen! Man
ist doch Mann! Der angehende Oberlehrer trinkt
nod) einen Schnaps. Er hat fd)on Magenschmer-
zen. Er ist überhaupt furchtbar nervös.
Am Albend geht er in das Kino, wo der „Blaue
Schein" gegeben wird. Er findet Kitti niclit.
Das rührt ihn. Sie hat kein Vergnügen ohne
ihn. Er bittet ihr lo vieles ab. Das Kino lang-
weilt ihn endlos. Er hält nur aus, weil er denkt,
Kitti kommt noch. Kitti kommt niclit. Es rührt
den zukünftigen Oberlehrer namenlos.
In der Nacht träumt er verzweifelt. Kitti
hängt auf einer Kirchturmspitze und die Flammen
züngeln nach ihrem Kleid. Sie schreit: „Das
kommt nur davon, weil du nicht im Kino bist,
Theodor. Iü> soll filmen, aber ich verbrenne ja."
Der angehende Oberlehrer erwacht säiweißgebadet.
Am Nachmittag kauft er eine kleine feine Par-
fümflasche für Kitti. Er will sie um Verzeihung
bitten. Es wird zwar schwer halten. Aber die
Flasche wird schon helfen!
Als er klingelt, kommt Kitti ihm sü>on ent-
gegen. Sie läßt ihn kaum zu Wort kommen.
Sie sagt: „Ich bin so schrecklich stolz auf dich.
Du bist ein ganzer Mann! Ein Held bist du!"
Der angehende Oberlehrer steht wie vor den Kopf
gesclilagen. Kitti sagt: „Weißt Du, diese Männer,
die immer nachgcben, die mag ich garnicht. Das
kommt mir immer erst so hinterher, verstehst du!
Männer müssen einen Willen haben, weißt du.
Sie dürfen sich nicht von Frauen klein kriegen
lassen!" Der angehende Oberlehrer hat sich lang-
sam gefaßt. Er sagt sehr bewußt und gütig: „Das
ist eine alte Wahrheit, mein liebes Kind." „Du
bist ein ganzer Mann," sagt Kitti. „Du bist ein
Held. Ich habe bid) seit gestern noch viel lieber!"
Der angehende Oberlehrer küßt sie und sagt in
dem selben stolzbewußten Ton: „Folge du mir
nur immer, mein Liebling. Dann wirst du schon
das Rechte tun!" Und dann steckt er sehr vorsichtig
die kleine Parfümflasche wieder in seine Tasche.
Jochcns Ansicht
Jochen Pagel, der Kutsü>er in Bruckshöven,
ist seil etlidjer Zeit Witwer und kann absolut
keine passende Partie finden. Eines Tages aber
kommt er freudestrahlend zum Gutsherrn. „Na,
Herring, nau heww ick een!" Jochen ist ein Ju-
wel von Kutscher und aufrichtig erfreut ruft Herr
Bruck: „Na, Jochen, dat is ja heil und prächtig!"
„Je, Herring, nee düchl'ge Deern! Ick heww el,r
bi de Arbeet taukiekt — dat ging as de Düwcl!"
Und leiser setzt er hinzu: „Sei hett jo 'n lütten
Jung-- üwer bet kunn de orrentlichst Deern
passieren!" „Freilich, freilich! Wenn sie nur tüch-
tig und häuslich ist!" stimmt der Herr zu. „Dal
is sei — unn an'n Sünndag gah ick frigen!"
Am Sonntag trifft der Gutsherr den Frei-
wcrber. „Na, Jochen, nu kunn ick woll grateliercn .'"
Aber mit düsterer Gebärde wehrt Jochen ab.
„Ne, Herring, dat is nicks!"
„Nanu — worum denn nich?!"
„Je — — sei hett jo Twäschen!!" (Zwillinge)
„Wo hadd ick dat von ehr dacht!!" und Jochen
schüttelt entrüstet sein Haupt.
„Na, äwer Jochen, dau hest doch sülben seggi,
dat kunn de orrentlichst Deern passieren!" ruft
Herr Bruck ganz baff. Aber energisch belehrt
Jochen ihn: „Je, Herring, een lütt Jung oder
Deren, dat woll — dat woll! Äwer Twäschen?!
nee, ick dank sihr!"
Und was der Gutsherr auch sagen mag, Jo-
chen bleibt dabei, ein Kleines, das tut nichts —
aber Zwillinge! Ausgeschlossen! —
Thomas Merten
*
Liebe Jugend
Demonstrationszug. Auch die weiblichen Arbeiter
waren stark vertreten; sie gingen lang'am dahin
und plauderten.
„Herrgottsaxn!" schimpfte ein starker Männer-
ton im Nachirab, „machts doch weiter! Dös is
a Demonstrationszug — mir genga doch net wall-
fahrtn!" k D.
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Eine gute Anekdote
Der angehende Oberlehrer sagt gequält: „Aber
ich — ich kann es einfad) moralisch nicht vertra-
gen! Fertig! Aber dafür hast du ja kein Verständ-
nis!" Kitti sagt: „Nee, dafür habe ich auch kein
Verständnis. Ich pfeife auf dein moralisches Ge-
fühl. Du hast mich einfach nicht mehr lieb. Und
wegen einer Ehe überlege ich mir das noch sehr.
Wenn du mir jetzt schon alle Bitten abschlägst. . ."
Der Lehrer wird entrüstet. „Was habe id] dir
alles abgeschlagen! Du redest ja gottloses Zeug,
du ... Du bist ja ein Kind . . ."
Dann wird er wieder weich. Er nimmt ihre
Hand und sagt zärtlich: „Du bist mein kleines
dummes Mäuschen!" Sie sagt: „Bilde dir das
tiici)t ein! Ich bin durchaus kein Kind mehr! Icl>
weih durchaus was ich will!" Sie wird auf ein-
mal ganz kühl und vornehm. Wie eine feiden-
rauschendc Dame. „Ich werde eben heute Abend
mit einer Freundin hingehen," sagt sie. „Gottlob
gibt cs ja noch Ersatz! Ich must auch jetzt zur
Stunde! Leb wohl!" Der Lehrer sagt vorwurfs-
voll: „Willst du so van mir gehen!" Kitti sagt:
„Kommst du mit ins Kino?" Er beißt die Zähne
zusammen. „Nein," sagt er fest. „Leb wohl,"
sagt Kitti kurz. „Du zahlst ja für mich, nicht-
wahr?" Ihre Stimme wird ganz klirrig und kühl.
Das Naschen schnubbert wie eine vorwitzige Fliege
in der Luft. Der angehende Oberlehrer sagt nichts
mehr. Er nimmt die Zeitung und starrt auf die
schwarzen Buchstaben. Kitti verschwindet hinter
der Türe. Das Orchester setzt an mit der Barca-
role aus Hoffmanns Erzählungen Der zukünftige
Oberlehrer wirft die Zeitung hin. Er ist nervös.
Er bestellt einen frischen Tee. Mit Rum. Er
braucht Mut. Zwischen den Zähnen beißt er ein
Wort heraus: „Weiber!" Die Lichter gehen an.
Die Wärme und ein feiner Dunst von Wohlge-
rüchen legen sich wie ein schwerer samtener Man-
tel über ihn. Der angehende Oberlehrer wird
immer nervöser. Der Tee mit Rum erhitzt ihn.
Das Orchester tut ihm weh. Der Geiger schluclizt
ihm zu sehr. Er betrachtet die Frauen ringsum.
Sie sind alle nichts gegen Kitti. Er ruft: „Ober,
bringen Sie ein Bier!" Das Bier ist eiskalt. Er
wird Magenschmerzen darauf bekomnien. Was
schadet es!
Kitti wird natürlich jetzt in Tränen aufgelöst
sein! Schließlich, es war ja eine kleine Freude,
dis man nid)t zerstören sollte. Aber Herrgott,
man ist doch Mann! Man ist doch Mann! Man
kann sich docl> nicht ewig diesen Weiberlaunen
preisgeben. Wohin soll das denn führen! Man
ist doch Mann! Der angehende Oberlehrer trinkt
nod) einen Schnaps. Er hat fd)on Magenschmer-
zen. Er ist überhaupt furchtbar nervös.
Am Albend geht er in das Kino, wo der „Blaue
Schein" gegeben wird. Er findet Kitti niclit.
Das rührt ihn. Sie hat kein Vergnügen ohne
ihn. Er bittet ihr lo vieles ab. Das Kino lang-
weilt ihn endlos. Er hält nur aus, weil er denkt,
Kitti kommt noch. Kitti kommt niclit. Es rührt
den zukünftigen Oberlehrer namenlos.
In der Nacht träumt er verzweifelt. Kitti
hängt auf einer Kirchturmspitze und die Flammen
züngeln nach ihrem Kleid. Sie schreit: „Das
kommt nur davon, weil du nicht im Kino bist,
Theodor. Iü> soll filmen, aber ich verbrenne ja."
Der angehende Oberlehrer erwacht säiweißgebadet.
Am Nachmittag kauft er eine kleine feine Par-
fümflasche für Kitti. Er will sie um Verzeihung
bitten. Es wird zwar schwer halten. Aber die
Flasche wird schon helfen!
Als er klingelt, kommt Kitti ihm sü>on ent-
gegen. Sie läßt ihn kaum zu Wort kommen.
Sie sagt: „Ich bin so schrecklich stolz auf dich.
Du bist ein ganzer Mann! Ein Held bist du!"
Der angehende Oberlehrer steht wie vor den Kopf
gesclilagen. Kitti sagt: „Weißt Du, diese Männer,
die immer nachgcben, die mag ich garnicht. Das
kommt mir immer erst so hinterher, verstehst du!
Männer müssen einen Willen haben, weißt du.
Sie dürfen sich nicht von Frauen klein kriegen
lassen!" Der angehende Oberlehrer hat sich lang-
sam gefaßt. Er sagt sehr bewußt und gütig: „Das
ist eine alte Wahrheit, mein liebes Kind." „Du
bist ein ganzer Mann," sagt Kitti. „Du bist ein
Held. Ich habe bid) seit gestern noch viel lieber!"
Der angehende Oberlehrer küßt sie und sagt in
dem selben stolzbewußten Ton: „Folge du mir
nur immer, mein Liebling. Dann wirst du schon
das Rechte tun!" Und dann steckt er sehr vorsichtig
die kleine Parfümflasche wieder in seine Tasche.
Jochcns Ansicht
Jochen Pagel, der Kutsü>er in Bruckshöven,
ist seil etlidjer Zeit Witwer und kann absolut
keine passende Partie finden. Eines Tages aber
kommt er freudestrahlend zum Gutsherrn. „Na,
Herring, nau heww ick een!" Jochen ist ein Ju-
wel von Kutscher und aufrichtig erfreut ruft Herr
Bruck: „Na, Jochen, dat is ja heil und prächtig!"
„Je, Herring, nee düchl'ge Deern! Ick heww el,r
bi de Arbeet taukiekt — dat ging as de Düwcl!"
Und leiser setzt er hinzu: „Sei hett jo 'n lütten
Jung-- üwer bet kunn de orrentlichst Deern
passieren!" „Freilich, freilich! Wenn sie nur tüch-
tig und häuslich ist!" stimmt der Herr zu. „Dal
is sei — unn an'n Sünndag gah ick frigen!"
Am Sonntag trifft der Gutsherr den Frei-
wcrber. „Na, Jochen, nu kunn ick woll grateliercn .'"
Aber mit düsterer Gebärde wehrt Jochen ab.
„Ne, Herring, dat is nicks!"
„Nanu — worum denn nich?!"
„Je — — sei hett jo Twäschen!!" (Zwillinge)
„Wo hadd ick dat von ehr dacht!!" und Jochen
schüttelt entrüstet sein Haupt.
„Na, äwer Jochen, dau hest doch sülben seggi,
dat kunn de orrentlichst Deern passieren!" ruft
Herr Bruck ganz baff. Aber energisch belehrt
Jochen ihn: „Je, Herring, een lütt Jung oder
Deren, dat woll — dat woll! Äwer Twäschen?!
nee, ick dank sihr!"
Und was der Gutsherr auch sagen mag, Jo-
chen bleibt dabei, ein Kleines, das tut nichts —
aber Zwillinge! Ausgeschlossen! —
Thomas Merten
*
Liebe Jugend
Demonstrationszug. Auch die weiblichen Arbeiter
waren stark vertreten; sie gingen lang'am dahin
und plauderten.
„Herrgottsaxn!" schimpfte ein starker Männer-
ton im Nachirab, „machts doch weiter! Dös is
a Demonstrationszug — mir genga doch net wall-
fahrtn!" k D.
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