Die rote Flagge
Die französischen Matrosen in Libau hißten die
rote Fahne auf ihren Schiffen und verlangten
Rückkehr nach Frankreich. Sie setzten die Forde-
rung glatt durch. Die Admiralität erklärt nun nach
einer T. U.-Meldung, daß es sich nur um Flaggen
gehandelt habe, die zum Trocknen aufgehängt waren.
Wir sind in der Lage, diese Darstellung noch
zu ergänzen. Am Tage zuvor lagen die Flaggen
natürlich noch frisch gebügelt im Wäscheschrank.
Als der Admiral beim Wäschezahlen an diese
Flaggen geriet, wurde er von namenlosen Heimweh
bei ihrem Anblick ergriffen, weil sie ihn an den
roten Unterrock seiner Frau und an die roten
Hosen seines Söhnchens erinnerten. Er zog die
Fahnen hervor und weinte bittere Tränen der
Sehnsucht darauf nieder. Zufällig nahte sein
Adjutant, sah sie, wurde vom selben Leid ergriffen
und weinte auch. Der Schiffsstab, die Leutnants,
schließlich sogar die ganze Mannschaft kam nach
und nach dazu und alle tränkten den roten Stoff
mit den Zähren ihres Heimwehs. Schließlich
waren alle einig, daß man sofort nach Frankreich,
denr schönen Frankreich zurückkehren müsse und
der Steuermann wandte unter stürmischen „vive
la France!“ den Kiel des Commodorcschiffs. Die
patschnaß geweinten Flaggen wurden zum Trock-
nen aufgehängt und sollen bereits wieder in der
Kommode liegen.
Dies ist der wahre Hergang der Sache.
^ A. D. N.
Woher stammt das Geld?
LeonDaudet schreibt in der„^ction Franfaise“:
„80 Millionen deutschen Goldes sind während
der letzten 14 Tage über die Schweiz nach Frank-
reich gekommen, lediglich zu dem Zwecke, Un-
ruhen, Streiks und Meutereien zu veranlassen . . .
Das Kabinett Clcmenceau ist unterrichtet. Es
ist höchste Zeit, gegen die Banditen von Berlin
vorzugehen, die mit Schiebern und Agenten
arbeiten."
Wie man zu dieser Sache erfährt, hat
Deutschland zuerst die Summe in Banknoten
den französischen Arbeitern angebolen. Die
Arbeiter lehnten natürlich glatt ab. Run stibitzten
Ebert und Scheidemann in einer mondhellen
Nacht ohne Vorwissen Dernburgs und des
Direktors der Rcichsbank unter Anwendung
von Nachschlüsseln aus dem Goldschatz der
Reichsbank soviel Goldmünzen, als sie in
einem Militärlastauto davonfahren konnten.
80 Millionen wurden sofort einem internatio-
nalen Botschafter zugesteckt, der das Gold in
Frankreich mit Erfolg an den Mann brachte.
Weitere 80 Millionen Gold wurden dem uer-
floffenen Münchner Polizeipräsidenten Dosch
ausgehändigt, der sie nach London verbringen
wird. Axelrod, der verflossene russische Ge-
sandte in München, erhielt 100 Millionen, die
er in einem Riesenflugzeug nach New Park
transportieren wird.
Eine große Anzahl ehemaliger Berliner
Rotgardisten hat über den Empfang von je
50 Millionen Mark in Gold quittiert, die
nach Belgien, Rumänien, Serbien, Monte-
negro, Italien, Ägypten, Griechenland, Polen,
Tschechoslowakien, Indien, Südafrika, Austra-
lien, an die amerikanischen Republiken und
nach Japan gehen sollen, mit dem gleichen
Zwecke, alle diese Länder zu revolutionieren,
da Ebert und Scheidemann geschworen haben,
lieber zu verhungern, als den Friedensver-
trag zu unterschreiben.
Leon Daudet hat alle Belege hierüber
in der Hand. Am Tag der Friedensunter-
schriflvcrweigerung wird er sie den Banditen
der deutschen Friedensdelegation unter die
Nase halten. Depp
Der Geist der Versöhnung
„Daily Mail" schreibt aus Paris: Es schwebt ein
Geist der Versöhnung in der Luft . . .
Nein, cs ist keine Verhöhnung
(Wer das denkt, ist ein Schuft):
Es schwebt ein Geist der Versöhnung
In der Pariser Luft.
Man sieht ihn ganz deutlich schweben
(Daß niemand was Falsches denkt!),
Er hat sich sogar soeben
Auf — Wilson herniedergesenkt.
Der hatte einen schönen
Völkerbund ausgeheckt;
Jetzt wird er sich, hofft man, versöhnen —
Mit Clemenceau's Mordprojekt.
F. Kf.
Die Spielwut
Uber Deutschland hängt die schwarze Wolke
Und der Blitzstrahl der Vernichtung droht.
Doch Schmarotzer gibts im deutschen Volke,
Spottend frech der allgemeinen Not:
Geil erklingt der Spielruf spät und früh:
„Rien ne va plus!“
Reiche Prunkgemächer, Pfropfenknallen.
Stiere Augen quellen: Geld! Geld! Geld!
Unterdrücktes Jubeln. Fäusteballen.
Schieber, Kriegsgewinner, Halbe Welt.
Nur ein heilig Wort noch kennen sie:
„Rien ne va plus!“
Hurentanz in Deutschlands Schicksalsslunde!
Deutschlands Schutzgeist wendet stumm sein Haupt,
Und ein Röcheln klingt aus seinem Munde:
„Nimmer hätt' ich solche Schmach geglaubt!
Deutsche Würde, Stolz und Energie,
Rien ne va plus . . .!“
Kärtchen
(ZÜ&l cfu-yfccAe£-
tuu) dce ’7£e(/enZ>og.en-&Liio&&-
i
Zeichnung von Ärpad Schmidhammer
Ganz meine Ansicht!
Schmunzelnd las ich's in den Feuilletönen,
Daß ein Arzt in einer großen Stadt
Jüngst den tiefen Halsausschnitt der Schönen
Als gesunden Brauch bezeichnet hat.
Daß der Blutlaus (sagt der Herr Professer)
Von und nach dem Kopfe muntrer fließt,
Ist die Busenfrciheit zehnfach besser
Als die Bluse, die hoch oben schließt.
Auch den Nerven gibt sie frisches Leben,
Wie sie andrerseits die Muskeln stärkt,
Und den Appetit soll sie beheben —
Dieses Hab' ich an mir selbst bemerkt.
Heil dem menschenfreundlichen Gelehrten,
Sing' ich drum den Mediziner an.
Dieser Doktor muß mein Hausarzt werden!
Der versteht etwas! Der ist mein Mann!
Und den Schönen rat' ich notabene:
Folgen Sie der neuen Theorie!
Meine Damen, üben Sie Hygiene —
Meiner Augen Beifall haben Sie!
Der freie Berliner
Im Berliner Siadtparlamcnt hat sich die schöne
Sitte eingebürgert, daß die Tribünenbesncher sich nicht
mehr auf die Rolle des stummen Zuhörers beschränken,
sondern unter weitestgehender Duldung des Stadt
verordnetenvorstehers Dr. Wehl (U. S. P.) lebhaften
tätigen Anteil an den Debatten nehmen. Zwischenrufe,
die sich bis zum Gebrüll steigern, Schinipfworte wie
Lügner, Feigling, Lump sind an der Tagesordnung.
In einer der letzten Sitzungen traten sogar die mit
Recht so beliebten Kindertrompeten in Aktion, ohne
daß der Vorsteher von seinem Recht, die Tribünen
räumen zu lassen, Gebrauch machte.
Will der Berliner sich vajniejen,
Denn macht er's uich uff diese Art,
Indem daß er in vollen Ziejen
Raus nach de Iungfernheide fahrt.
Jetzt macht er sich bet Ding bequemer
Und amüsiert sich doppelt jut,
Insofern nämlich als indem er
Nach's Rathaus sich bejeben tut.
Kaum hat een Redner sich erhoben,
Kaum öffnet seinen Mund er bloß,
Schon seht uff de Tribüne oben
Der scheenste Mordsspektakel los.
Det quietscht und kreischt und brüllt und wettert
- Noch eh' det Uujlickswurm besinnt,
Und eene Blechtrompcte schmettert
Det Lied „Du bist varückt, mein Kind!"
Der Präsident uff seinen Sessel
Denkt quietschvajniegt und lächelt still:
„Ick bin doch nich der selje Kessel*),
Det Volk kann machen wat et will.
Ick werd' mir hüten einzuschreiten,
Det brächte se erst recht in Wut;
Det is der Seift der neuen Zeiten,
Wat sich da oben äußern tut".
Der Redner kommt nich mehr zum Reden,
Det Publikum brüllt wütend: Schluß!
Indem daß eener von die beeden
j Dach seine Schnauze halten muß.
Ick freu' mir dieser Zeiterscheinung,
Hab' ick doch immer schon jesagt,
Det in Berlin die freie Meinung
Keen Mensch zu unterdrücken wagt.
Franze aus Berlin
*) Während des Krieges Obccstkommandierender
in den Marken und Berlin.
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