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Halligschatten

Von Hans F r i e i> r. SB I u it if

Elsbe Steen schüttelte hartnäckig den Kopf
»nd sah d.n langen Haltigbauer flehend an.

„Komm in drei Tagen wieder, Niest, dann
ist mein Vater hier, dann können wir alles
besprechen."

Der andere blickte vor sich hin. ,,3't ’ne
lange Weile, drei Tage. Wer weiß, ob dann
nicht schon Eisgang ist, — du kennst doch das
Watt!"

Das Mädchen lächelte froh. „Wird keinen
Frost geben, Niest, ich weist es bestimmt Aber
du mußt zurück, es wird Zeit, und der Nebel
kommt mit der Flut —

Der junge Bauer sah unruhig über die
endlose graue Weite, die sich vom Rand der
Hallig bis tief unter die Ferne reckte. Dann
lachte er wie verlegen über sich selbst. „Hab'
keinen rechten Mut, Elsbe, — ist so sonder-
bar, wie die Gingst über einen kommen kann.
Das ist, seitdem ich dich lieb habe —

Das Mädchen wiegte leise den Kopf. „Zn
drei Tagen kommst du zu Vater!" Sie drängte
ml, plötzlich an ihn wie in wunderlicher Angst;
„aber jetzt geh', es wird Zeit, du!"

Uber dem grünen Rand der Insel breitete
sich das Watt aus, braun und endlos Der
Westwind fuhr stöhnend vom Meer, das fern
unter der Kimmung lauerte, er zauste in Elsbe
Steens Haar und schlang dem Burschen ein paar
lange Strähnen über die Stirn.

„Siehst du, — ich halt' dich fest, du," lachte
das Mädchen, — „ich denk an dich, wo du auch
bist, Niest Broders. Dann wird das Watt frei
vor dir, sagen die Leute, dann bist du gefeit!"

Der junge Bursche versuchte zu lachen, wiegte
den Kopf und sah dankbar in die großen grauen
Augen, mit denen sein Mädchen ihn anblickte.
Dann schlang er den langen Arm um ihren Hals,
küßte sie und stapfte langsam zum Rand.

Der Schlick glänzte gelb und feucht unter der
Sonnenglut. Der Himmel war graublau, und die
Luft lag wie flimmernde Bänder weit über der
braunen Einöde. Mitunter wurde der Boden weich
und schwammig, dann sank Niest Broders bis zu
den Knöcheln ein, stapfte schwer und ruderte mit
den Armen, als könnte das ihm helfen. Ein paar
Lachen kamen, mit geriffelten Sandflächen, die
ausfuhen, als hätten die Unterirdischen mit zier-
lichen Pflügen den Boden gefurcht.

Der junge Bauer sah sich noä> einmal um.
Uber der alten Hallig lag ein Dunst, als hätte
jemand einen braunen Schleier um sie herum-
gelegt, aber ganz dünn und zierlich, so daß man
kaum den Anfang und das Ende sehen konnte
Der alte Ziehbrunnen, der so dicht am Rande
stand, daß man ihn weithin scharf über das Land
sehen konnte, ragte undeutlich aus der wiegen-
den Luft.

Drei Tage! Niest Broders schüttelte erzürnt
den Kopf. Er war rascher geworden, als die an-
deren. die die Tage nahmen, wie Gott sie ihnen
schenkte, gleichförmig und ewig. Er war Jahre
draußen gewesen, hatte gelernt zu fordern und
auf sich selbst zu pochen, und hatte doch die ganze
Zeit seine Liebe zu Elsbe Steen wie eine tiefe
Hoffnung getragen, wie etwas Gewaltiges, das
kommen müßte, wenn er heinikehrte. Und wenn
die anderen zu ihren Mädchen in der Stadt gingen,
zu den kleinen, zierlichen mit den bunten Hüten
und den lustigen Augen, hatte der Halligbauer
daheim gesessen und hatte gerechnet, wie lang die
Zeit rtoci) wäre, bis er heimkam, hatte heimlich
über die andern gelacht und hatte an das Mädchen
gedacht, das auf ihn warten wollte, lange, end-
lose Fahre. Und nun war Elsbe Steen wieder die
Zögernde, die ihn heimsandte mit der Hoffnung
auf morgen. Aber Niest Broders wollte nicht mehr
warten, nicht einen einzigen Tag darüber hinaus.
Unlustig ging der junge Bauer der neuen Hallig zu,
die irgendwo geradeaus aus der diesigen Kimmung
auftauchen mußte. Einmal versuchte er ein Lied
zu pfeifen, so wie er es draußen gelernt hatte,

R. von Hoerschelmann (München)

Alm»!) am Ufer

Du letztes Lieht, des Friedens sthon epfüllt.

Atu Weidenufer tvellenrveieh durrhklnngen,
Heimgang, von zager Bitterkeit umhüllt.
Verwitternd sanft in malte Dämmerungen;

Wie iveirhft du, letztes Licht, so abgeivandt,

2sn deinem Sterben alle Menschennot
Verleugnend, wie die tvderblihne Hand
Des Glaubenshelden leugnet Dual und Tod!

Du letzte Göttin, gehst du gramunifattgen
Volt dieser haßbetäubten Menschenerde,

Bailnst du das srhnierzvoll dumpfe Friedverlangeu
Hart an der Sternnarht eisige Geberde? —

Und dunkle Fülle bettet Banni und Strauch.
Friede den Tieren, Friede Feld iccid Auen.

Lim Berg und Hügel sinkt der Friedenshaurh.
Alles entsühnt, wag meine Augen schauen . . .
D Menschenwelt, wann wird die Sühne tauen.
Die dich von Haß und Blutschuld löset auch!

E. G. Kolben hei) er

aber es erstarb vor der drückenden gelben Weite,
die keinen Laut zu dulden und sich gegen feine
Art zu wehren schien.

Niest Broders fuhr unruhig aus feinen Ge-
danken auf. Ihm war, als wäre der Feuerball
gläsern geworden, als schiene das Licht wie durch
graue Scheiben und würfe einen trüben Schein
übers Watt. Aber es war wohl Einbildung, die
Sonne stand brennendrot über der alten Hallig,
oder über dem Nebel, der auf ihr lag.

Der Bauer schüttelte unsicher den Kopf, sein
Blick flog über die Ferne. Wie kam es, daß der
Dunst so braun und strähnig aussah, als wäre
er weiter gekrochen, über die Hallig hinaus ins
Watt? Er spähte wieder geradeaus nach dem
jungen Land, das vorne aufsteigen mußte, fand
es nicht und überlegte, ob er nicht besser zurück-
kehrte. Aber dann schämte er sich vor dem Mäd-
chen und vor dem, was sie zu ihm gesagt halte.

Er schob die Hände in die Taschen und stapfte
weiter. Was war's noch? Sie fei bei ihm mit
all ihren Gedanken. Dann sei er gefeit vorm
Watt. Hatte er das nötig? Unsinn!

Was hatte der alte Steen noch gesagt, da-
mals als er zu den Soldaten mußte? All),
der würd' schon nicht nein sagen, wenn Niest
Binders kam, der wustl' schon, wer der war,
daß er die halbe Hallig sein eigen nannte. War
er Elsbe nid)t treu geblieben, Fahre lang? —
Der Bauer fühlte plötzlich all fein junges Hoffen
so froh und stark, als hätte jemand zu ihm
gesprochen, irgend ein Unsichtbarer, der mit
ihm ging und mit ihm froh war. Unsicher sah
er sich um. Es schien, als wäre er nicht allein;
irgendwo, ferne an der Kimmung, schien ein
anderer zu wandern, ein wunderlicher, großer
Mensch. Ob ihm jemand entgegenging? Oder
der andere war wohl näher, — war das nicht
Elsbe Steen? — Unsinn! Oder waren es
Elsbes Gedanken, die ihm folgten?

Der junge Bauer blieb stehen und schaute
sich um, ob er auf dem rict>tigen Weg war.
Er suchte nach seinen Fuststapfen, suchte nach
der neuen Hallig, die vor ihm liegen mußte
und konnte sie nicht finden. Nur eine graue
Wand lag nach dem Meere z», als hätten
hundert riesige Kräfte sie in einem Augenblick
aufgebaut, lind über den Lachen lagen ein paar
graue Fetzen, als schwelle irgendwo ein Dampf
von verlöschenden unterirdischen Bränden. —
Niest Broders richtete sich plötzlich auf. Wie
eine Angst war es über ihn gekommen, wie ein
Grauen, das langsam vom Scheitel bis zu den
Zehen kroch. Woher kamen die Nebel? Wie lange
war er gelaufen mit all feinen Gedanken und
Wünschen? Hatte er denn geträumt, daß er sich
nich zurechtfand? Aber er war ja auf dem rich-
tigen Wege, — war er das nicht? Natürlich, —
wie sollte er wohl abirren, er kannte ihn doch
von all den heimlichen Gängen zu Elsbe. Und
die Fuststapfen drüben, — das waren doch seine,
— gleich mußte der Priel kommen.

Niest Broders blieb wieder stehen und horchte.
Ein Wind war aufgekommen, fuhr ihm frostig
um die Schläfen und stöhnte ganz leise über den
braunen Sand, als rollte er eine schwere Last vor
sich hin. Was trug er denn? Den Nebel, -
natürlich den Nebel. Wo kam der her, — woher
kam all die diesige Luft, all die Feuchte, die in
durä,sichtigem, rötlichem Rauch über dem Watt
lag? Der junge Bauer sah sich um und wollte
seinen Weg nach dem Stand der Sonne suchen.
Die lag wie eine graste gelbe Kugel mitten in der
grauseidnen Luft und warf einen brennenden Rand
über ein paar spitze Wolkentllrme, die unter ihr
am Himmel schwebten, — ohne Grund und Ur-
sprung.

Da begann Niest Broders plötzlich rascher zu
laufen, als wäre irgend etwas um ihn, das ihn
fangen wollte. Aber seine Glieder sanken schwer
ein in dem nassen Boden, sein Atem ging keuchend
und stoßend, wie in tiefem Schreck. Dann, nach
nicht langer Zeit stand er vor einem breiten Priel.
War wohl das Söderloch. Aber er konnte es
durchwaten, da wo es sonst seinen Weg kreuzte.
Und als der Bauer jetzt ins Wasser stieg, schien
es reißend und voll von Untiefen. Er lief eine
Weile am Rand zurück, dann packte ihn noch
einmal eine unsinnige Angst: er wollte hindurch-
waten. geriet bis an die Hüften hinein, kehrte
um, versuchte einen Arm abzuschneiden und stand
jäh mitten in einem Wall von dichtem gelben
Nebel.

Die Sonne brannte irgendwo dunkelrot und
brandig, so wie Flammen und Rauch lecken. Dann
sank sie hinter eine Wolkenbänk. Der Nebel wurde
braun und feuchlkalt, wogte und ringelte sich spuk-
haft und unfastlich.

Da erkannte Niest Broders, daß er den Weg
verloren hatte, daß er zu spät aufgebrochen war
um seines Mädchens willen. Und wie in sinnlosem
Borwurf schrie er gellend auf über das Watt.

Der Bauer erschrak über seine eigene Stimme,
kam zur Besinnung und versuchte sich zurechtzu-
finden. Aber er hatte Zeit verloren, kam an riesigen
Index
Erwin Guido Kolbenheyer: Abend am Ufer
Rolf v. Hoerschelmann: Zeichnung ohne Titel
Hans Friedrich Blunck: Halligschatten
 
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