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AUFSTIE«

VOK HANS BEISIfiEB

Aufstieg in Tannenschwarz und Haselgrün,
Gewunden auf, bald gegen die Sonne,

Bald vor ihr her.

Hier lernst du die Lunge» brauehen.

Leicht, leicht wirst du hier.

Und glühst vom Scheine jedes Blatts,

Und jedes DuelleS Sprung
Tönt dir im Innern;

Bon Vogellaut

Sind deine Gewebe durchblitzt.

Hoch über dir — mit jedem Schritte näher —
Weißt du die Blüte dieser gedrängten Welk,
Steinerne Riefenblüte voll Glanz und Gewürz,
Mit Eisfchmelz an den Rändern,

Aufgebrochen gegen das wilde Blau,

Das nameulofe, duukelstammende Blau,

Das, Purpurkrank im schwarzen Becher des Welt-
raums, quillt.

Von den verblaßten Sterne» unsichtbar durch-
schäumt.

Schweigend,

Wie fällt die regsame Starrheit von dir ab.

Wie stiegt das erstickende Netz des Redens weg.
Du selber fängst zu tönen an,

Zwiesprache deiner Glieder begiucct,
Unaussprechlich voll Wohlgefühl,

Rinnend wie Wein uiid Feuer und Licht,

Auf und nieder steigend wie Goldsäulen
In den lrystallenen Meßgläseru Gottes.

Stunde um Stunde trägt dich höher hinauf
Mit leuchtender Saugkraft;

Eiuzuhalteu, wäre Tod und Erlöschen,
Fledermausgrauer Absturz a» Lichtwändeu.

Uber runde Granitstächen,

Glattgehobelt von Gletschern
Vergangener Jahrtausende,

In das hallende Hochtal
Trittst du wie in Dom.

Und lautloser Orgeldonner
Strahlt dich die letzte Wacidung an.

Siebengezackt, kahl, kalt, in Eis und Skeici,

Mit Narben nackten Welteuwerdens,

Bloßgelegt vor den wilden Schauern von Zeit uiid Rani»;

Jetzt aber blühend in Abendsonne

Riesengroß.

Namen und Wesen, „Zähne des Mittags",

Hat die gewaltige Wand;

Aber sie ist nur der mächtigste Rest
Der Wände des Kraters ringsum.

In dessen anemonendurchsterntem Kessel
Du jetzt stehst.

Feuer stürmte einst hier

Mit unbändigem Druck in den Raucn.

D i r ward die Erde geschasseu.

So wild verschleuderter Gewalten
Heißester Sinn verdichtete sich in dir!

Was zögerst du in Tiefe», bleich, hastig, bliiid?
Betrüge die Welt »in ihre Wehen nicht.

Sei heißeres Feuer, Geistfeuer, Bewußtseinsfeuer
du selbst.

Reiße mit dir schwermütige Last,

Aufglühe in die schwebende Ewigkeit derDaseiuslust
In die jetzt und immer deiner wartende Freude!

Nun mit stahlbezahuten Schuhn
Au dem verharschten Schnee hinauf.

Au Löchern vorbei, die von dunklem Wasser töiceu.
Flüchtiges Nebeltuch mit Händen greifend.

Vom Winde angepackt, der über den Sattel fährt.
Ganz durchtrockuet von Sonne und Luft,

Nicht mehr rrmüdend, klar bis in jeden Muskel —

So über die Talscheide klimmst du hinauf.

Hebst die Stirn endlich über die letzte Steigung,
Hältst und stehst:

bind nun in diese eben noch abgeschlossene Kesselivelt
Strahlt dir von drüben mit unerwartetem Glanz
Strömend in Abendlicht

Benachbarte Riesen gruppe in blendendem Weiß,
Umwogt voci neuen Tälern,

Aus Silbermassen gefügt, mit Rosen begosseci,
Frei, leicht, herrlich der „Weiße Berg",

Mont Blacic!

lliiisaust uiid umglänzk,

Überm ruhevollen Honiggewühl der Tiefen,
Fühlst du nun diesen Tag!

Siehst diese in Sehnsüchten pulsende Welt
Mit solche» Lichtzackeu,

Mit solchen reinsten Glauzzähue»

Verklammert in das Unendliche!

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